Kiew bekämpft und vernichtet alles, was in irgendeiner Weise als Russisch markiert werden kann. Und die russische Sprache ist das Erste, was beseitigt werden muss.
Die Ukraine ist ein zweisprachiges Land. 68% der Ukrainer geben jetzt Ukrainisch als ihre Muttersprache an, 14% das Russische. Nach der gleichen Umfrage erklären 55%, zu Hause überwiegend Ukrainisch zu sprechen, 23% überwiegend Russisch, so “Ukraine-Analysen”. Und es gibt andere Daten, die zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung immer noch Russisch spricht. Wir haben Ergebnisse einer Gallup-Erhebung aus dem Jahr 2008, wonach 83 Prozent der Ukrainer russischsprachig sind.
Allerdings ist diese Zweisprachigkeit im Land höchst unterschiedlich verteilt: Im Westen des Landes ist die erste dieser zwei Sprachen das Ukrainische und im Osten das Russische, wobei es keine scharf markierte Grenze gibt.
Eine der auffallendsten Erscheinungen der Diskriminierung in der Ukraine ist die schrittweise Abschaffung der russischen Sprache. Laut der neuen Bildungsreform sollen ab 1. September 2018 alle russischsprachigen und anderen „fremdsprachigen“ Schulen in der Ukraine geschlossen werden. Die Klassen mit Unterricht in den Sprachen der nationalen Minderheiten bleiben nur bis 2020 in der Grundschule. Ab 2020 soll in allen Schulen nur in ukrainischer Sprache unterrichtet werden. Eine Ausnahme bilden die sogenannten eingeborenen Völker wie Krimtataren.
Etwa zehn Prozent der ukrainischen Schulen haben bisher Russisch als Unterrichtssprache. Nun wird dem ein Ende gesetzt. Ein neues hirnloses Gesetz führt tatsächlich das Verbot der Bildung in jeder Sprache außer Ukrainisch ein. Bisher hatten die Minderheiten im Land – in erster Linie Russen, aber auch Ungarn, Rumänen, Polen und Bulgaren – das Recht gehabt, Schulen in ihrer eigenen Sprache zu betreiben.
In seinem Kommentar zur ukrainischen Bildungsreform hat Präsident Petro Poroschenko verhießen, dass jeder Ukrainer bald Ukrainisch sprechen werde. „Es gibt noch eine wichtige Sache: Wir geben den Ukrainern die ukrainische Sprache zurück – von Kindheit an. Auf Ukrainisch wird jeder Ukrainer sprechen. Möglichst sogar auf mehreren anderen Sprachen. Da gibt es keine Probleme“. Poroschenko bezeichnete die neue Bildungsreform als Frage der nationalen Sicherheit: „Keine Rückkehr zu imperialen Begriffen. Ich werde nicht zulassen, dass die Landkarte der Ukraine erneut mit neurussischen Toponymen befleckt wird“.
Im Sommer 2016 hat die Oberste Rada Kirowograd umbenannt. Doch die ukrainischen Parlamentarier griffen nicht auf die historische Bezeichnung der Stadt Jelisawetgrad zurück. Trotz Einwänden der Einheimischen und des Stadtrats billigte die Oberste Rada den neuen Namen der Stadt – Kropywnyzkyj, zu Ehren des ukrainischen Dramaturgen, der dafür bekannt ist, dass er sich weigerte, seine Werke in die russische Sprache zu übersetzen.
«Wenn es Leute gibt, die kein Ukrainisch sprechen, ist das eine Frage unserer nationalen Einheit und Sicherheit», erklärte Aussenminister Pawlo Klimkin. Wenn in der Ukraine in der Sprachenfrage von nationaler Sicherheit die Rede ist, geht es stets um das Russische. Dieses ist das wahre Ziel des Passus, sind doch von den 400 000 Schülern, die in einer anderen Sprache als Ukrainisch unterrichtet werden, fast alle Russen, schreibt “Neue Zürcher Zeitung”. Und während Schulen auch gemäss dem neuen Gesetz einzelne Fächer in einer EU-Sprache unterrichten dürfen, gilt dies nicht für das Russische.
„Damit wird Russisch für Schüler der höheren Klassen de facto untersagt. Das darf man mit der Muttersprache unzähliger Kinder nicht machen“, betont Olexander Wilkul, einer der Anführer des Oppositionsblocks. „Das hat mit dem angestrebten europäischen Weg nichts zu tun.“
Das russische Unterhaus verabschiedete eine Erklärung, in der es das neue ukrainische Bildungsgesetz als einen Akt des Ethnozids einstufte. Man darf nicht vergessen, dass auch die russische Sprache zur nationalen Identität des Landes gehört und über weite Strecken friedlich mit dem Ukrainischen koexistiert. Das neue ukrainische Bildungsgesetz schafft die gleichen Bedingungen, die 2014 zum Beginn des Bürgerkriegs im Donbass geführt haben, und steht der Versöhnung der Konfliktparteien im Wege. Dieser Schritt von Kiew ist ein Versuch der Maidan-Regierung, eine “Sprach-Razzia” im Bildungswesen des Landes durchzuführen, was direkt sowohl ihrer Verfassung, hier vor allem den Artikeln 10, 24 und 53, als auch den übernommenen internationalen Verpflichtungen widerspricht, meint der ständige OSZE-Vertreter Russlands, Alexander Lukin.
Die Grundlagen des ukrainischen Nationalismus, in der der Kampf gegen Russland erklärt wird, ist vorteilhaft für Kiew. „Poroschenko ist ein sehr pragmatischer Mensch. Er versteht, dass, falls es im Lande keinen ständigen Krieg geben wird – egal, gegen wen –, er nicht die Macht und das Vermögen in seinen Händen mehr halten kann. Dieser Prozess soll nicht aufhören. Wurden alle Puschkin-Denkmäler niedergerissen? Wollen wir mit den Bulgakow-Denkmälern beginnen! (Michail Bulgakow war ein russischer Schriftsteller). Das wird alles gemacht, um länger an der Macht zu bleiben, das Vermögen anzuhäufen und es ins Ausland zu bringen“, sagte der Leiter der Kiewer Agentur für soziale Kommunikationen Sergej Belaschko.
In vielen Bereichen wie den Hochschulen, in den Medien oder der Wirtschaft dominierte am Ende der Sowjetzeit das Russische. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen das „sowjetische Erbe“ wird gegen alles Russische gehetzt und der Russenhass von staatlicher Seite geschürt. In der Ukraine wird auf diese Weise die Aufmerksamkeit von den wahren Problemen abgelenkt: Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne. Aber der Appetit der ukrainischen Elite ist fabelhaft. Das Land ist bettelarm, doch rangieren seine Oligarchen unter den ersten Zehn auf der Forbes-Liste. Krieg und Krise sind für die Ukraine Dauerzustand.
Die russische Bevölkerung wurde zur Geisel der russenfeindlich gestimmten Macht. Die jetzige Sprachpolitik ist die Rückkehr nicht zu Prinzipien der demokratischen Republik, sondern zu den Prinzipien der Diktatur. Darauf wird nicht nur von Medien, sondern auch von internationalen Institutionen aufmerksam gemacht. Sie weisen auf die Verletzung der Rechte der Minderheiten und die Erhöhung der Ausbildungsdauer hin, was im Ergebnis zum Erscheinen der Generation mit einem niedrigeren Bildungsgrad und mit geringeren Aussichten auf Erfolg im Leben führen könne. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat eine Resolution angenommen, die das neue Gesetz verurteilt. Laut PACE sollen die Minderheiten die Möglichkeit haben, während der gesamten Lern- und Ausbildungsperiode – vom Kindergarten bis zur Hochschule – in ihrer Muttersprache zu lernen. Es sei offensichtlich, dass die russischsprachige Minderheit besonders unter den Folgen des neuen Gesetzes leiden wird, sagte in Straßburg der estnische Liberale Abgeordnete Andres Herkel. Dies fördere keinesfalls gutnachbarschaftliche Beziehungen.
Die Abgeordneten riefen deshalb die ukrainische Führung auf, die Frage zu überdenken. Es wurde eine Option vorgeschlagen, wonach mindestens 60 Prozent der Unterrichtszeit auf Ukrainisch und bis zu 40 Prozent in der Minderheitssprache stattfinden soll. Aber Kiew macht gerade das Gegenteil von dem, was PACE empfiehlt.
Das Hauptargument für die Reform: Viele Absolventen der Minderheitenschulen könnten nicht ausreichend gut Ukrainisch. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass es vielen Abgeordneten, die für das Gesetz stimmten, auch um etwas anderes ging: Sie wollten die russische Sprache zurückdrängen, die ja auch viele Ukrainer sprechen. Denn, so meinen sie, die Dominanz der russischsprachigen Kultur gebe Moskau einen Hebel, um Einfluss auf die Ukraine auszuüben, berichtete Deutschlandfunk.
Die Warnung vor der von russischer Kultur ausgehenden Gefahr wurde von Wladimir Wjatrowitsch (Leiter am Institut für nationales Gedenken) so erklärt: „Gerade die Kultur ist das Fundament, auf dem jeder Imperialismus den Tempel seiner Größe aufbaut.“ Im Mai 2017 rief er die Ukrainer zum Abbruch ihrer Verbindungen zu Verwandten aus Russland auf. „Alles, was uns von Russland entfernt, ist zum Wohle der Ukraine. Alles, was die Verbindung zwischen unseren Ländern aufrechterhält – Wirtschaft, Sprache, Geschichte, Kultur, Traditionen und sogar verwandtschaftliche Beziehungen – wird gegen uns genutzt“, so Wjatrowitsch.
Die Bildungsreform ist für die Ukraine zu einem aussenpolitischen Fiasko geworden: die Aussenminister verschiedener Nachbarländer beschwerten sich bei der OSZE und dem Europarat. Der ungarische Aussenminister Peter Szijjarto wählte harte Worte, um das neue ukrainische Bildungsgesetz zu beschreiben: “Die Ukraine hat Ungarn einen Dolch in den Rücken gestossen”. Jetzt droht Ungarns Regierung mit der Blockade jeglicher weiteren Annäherung der Ukraine an die EU und fordert sogar eine Revision des Assoziierungsabkommens mit dem Land.
Mit seinen Regeln zu den Schulsprachen schafft sich Kiew neue Feinde, meint Christian F. Trippe (“Deutsche Welle”). Kurz nach der Abstimmung im Parlament hatte Kiew auf einmal großen Ärger mit fast allen Nachbarn. Schon warnen Beobachter davor, dass Gesetz über die Schulsprachen könnte separatistische Bestrebungen im Westen des Landes anfachen.
Budapest ist ein kontinuierlicher Kritiker des ukrainischen Bildungsgesetzes. Der ungarische Außenminister hatte es eine „Schande“ genannt und Diplomaten dazu angewiesen, ukrainischen Initiativen in internationalen Organisationen ab sofort die Unterstützung zu verweigern. „Es ist inakzeptabel, dass vor der Haustür der EU im 21. Jahrhundert Schulen geschlossen und Lehrer entlassen werden müssen, nur weil sie in Sprachen der Minderheiten unterrichten. Minderheiten werden ihrer Rechte beraubt. Wir werden bis zur Rückziehung dieses Gesetzes kämpfen. Es kann keinen Kompromiss in dieser Frage geben“, betonte Peter Szijjarto bei einem Treffen mit seinen Landsleuten, die er in Transkarpatien besuchte. Diese ukrainische Region gehörte bis zum Vertrag von Trianon 1920 ein Jahrtausend lang zum Königreich Ungarn. Deshalb leben dort bis heute 150 000 Ungarn.
Der demographische Anteil der rumänischen Minderheit ist der zweitgrößte, nach den Russen. Rund eine halbe Million Rumänen leben in dem Nachbarland. Laut Analytikern richte sich dieser Intoleranzausdruck vor dem Hintergrund des offenen Konflikts mit Moskau, eigentlich nur gegen die Millionen Russischsstämmigen im Osten und im Süden der Ukraine. Die anderen Minderheiten seien somit nur Nebenopfer, sendete Radio România Internaţional. Allerdings verheimlichte die Oberste Rada nicht, dass das Gesetz vor allem gegen russischsprachige Schulen gerichtet ist.
Kiew bekämpft und vernichtet alles, was in irgendeiner Weise als Russisch markiert werden kann. Und die russische Sprache ist das Erste, was beseitigt werden muss.