Heinrich Schliemann und sein falscher „Schatz des Priamos“

Christoph Pfister
Heinrich und Sophia Schliemann

Wie ein Forscher seine Ausgrabungen aufwertete

(Der Artikel fußt auf eigenen Erkenntnissen und auf den Angaben von Uwe Topper: Fälschungen der Geschichte. Von Persephone bis Newtons Zeitrechnung; München 2001. Dort besonders: Heinrich Schliemanns Beweis für Troja, S. 60 ff.)

Die Abbildungen stammen aus dem Bildband Der Schatz aus Troja. Schliemann und der Mythos des Priamos-Goldes; Stuttgart – Zürich 1996

Bausteine zu einer Darstellung berühmter archäologischer und kunstgeschichtlicher Fälschungen

Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema. Unter anderem habe ich nachgewiesen, daß die berühmte Goldbüste des Kaisers Mark Aurel aus Avenches (Schweiz) eine Fälschung der späten 1930er Jahre ist. – Man lese darüber den Artikel Der Mark Aurel aus Avenches. Eine goldene Fälschung.

Ebenfalls gibt es einen Artikel über die Fälschung der goldenen Ringe von Erstfeld (Kanton Uri).

Auch Uwe Topper befaßt sich häufig mit gefälschten „antiken“ Kunstwerken. – Auf seinen Darlegungen gründet der folgende Artikel auf dieser Homepage: Die Fälschung des Berliner Pergamon-Altars.

Die Fälschungen des Amateur-Forschers Schliemann im 19. Jahrhundert sind eine besondere Geschichte.

Wo liegt Troja?

Troja oder Iljum ist eine Stadt der Sage. Der Sagenkreis um Troja und den trojanischen Krieg bildet die Grundlage der alten Literatur und Geschichtserfindung. Ich habe dies in Die Matrix der alten Geschichte (2013) dargelegt.

Troja ist eine sagenhafte Hafenstadt am Meer, wie Neapel oder Pompeji am Fusse des Berges Ida (=Italien), also dem Vesuv in der Landschaft Kampanien, dem ursprünglichen heiligen Land gelegen.

Der Sagenkreis um Troja bildete auch die Grundlage für die Benennung der Orte und letztlich aller wichtigen Namen und Begriffe der europäischen Sprachen. Ob KRIEG oder BELLUM oder WAR – alle diese Wörter lassen sich auf die grundlegende Sage zurückführen.

Diese Zusammenhänge habe ich in dem Buch Die Ortsnamen der Schweiz (2016) dargelegt.

Heinrich Schliemann nun war besessen von der Idee, dass die Geschichte von Troja einen wahren Hintergrund habe. Also könne man auch die Sagen-Stadt Troja auffinden.

Nach mehreren Ausgrabungen in Griechenland (Mykene, usw.) glaubte Schliemann, im westlichen Kleinasien in dem Hügel Hissarlik die alte Stadt Troja wiedergefunden zu haben.

Der Hissarlik-Hügel mit seinen vielen Bauetappen, (Troja I – VII b) zeigt Besiedlung über längere Zeit an. Aber das waren höchstens ein paar Jahrzehnte und vor ein paar Jahrhunderten. Die Geschichts- und Chronologiekritik lässt keine längeren Zeiträume zu.

Doch Schliemann um 1870 war besessen, an der Westküste von Anatolien die Sagenstadt Troja gefunden zu haben.

Doch mit Gemäuer allein macht man keine Sensationen. Das begann nach zwei Jahren Ausgrabungstätigkeit auch Schliemann zu spüren: Ob dieses Troja, das Troja der zweiten Schicht, das wirkliche Troja ist? Und wenn ich nicht auch das goldreiche Troja, von dem Homer spricht, durch Funde belegen und nachweisen kann? – Solche Worte soll der Ausgräber nach seinem Biographen ausgesprochen haben.

Man kann schon hier erraten, was nachher geschah. Ein Jahr später, im Juni 1873, fand Schliemann tatsächlich in seinen Ausgrabungen den erwarteten Schatz, den Schatz des Priamos natürlich!

Und seit diesem Fund erst ist Troja wirklich in aller Welt das, was der Ausgräber wünschte: die berühmte Stadt von welcher der griechische Dichter Homer spricht; der Ort der Ilias!

Aber bevor wir ins Schwärmen geraten: Der Dichter Homer ist eine Erfindung der Franzosen der Renaissance. Den Text der Ilias und Odyssee ist im 18. Jahrhundert entstanden – und im Westen geschrieben worden. – Wenn Schliemann und seither die ganze Welt von Troja delirieren, so sitzen sie einer grandiosen Geschichts- und Literaturfälschung auf.

Doch gegen Mythen ist schwer anzukämpfen. Bekanntlich kam der „Schatz des Priamos“ noch zu Schliemanns Zeiten nach Berlin. Und 1945 verschleppten die Sowjets den goldenen Fund von Berlin nach Moskau, wo er seitdem lagert. – Erst 1996 wurde der Schatz in der russischen Hauptstadt wieder der Öffentlichkeit gezeigt.

Deutschland möchte diesen Fund sicher gerne wiederhaben. Doch Rußland ist vermutlich zu stolz auf diese Beute, um sie zurückzugeben. – Aber gleich wer den Schatz besitzt: Kaum jemand will wahrhaben, Schliemanns angeblicher Troja-Schatz eine plumpe Fälschung ist.

Ein erster Einwand soll bereits hier berichtigt werden: Das Gold von Schliemanns „Schatz des Priamos“ ist echt, gutes Edelmetall.

Uwe Topper gebührt das Verdienst, die Hintergründe von Schliemanns Fälschung richtig erkannt zu haben. Seinen Ausführungen folge ich hier.

Wie Schliemann eine Fundgeschichte strickte

Angeblich am Morgen des 14. Juni 1873 (oder schon am 7. Juni ?) – wenige Tage bevor eine dreijährige Ausgrabungskampagne zu Ende gehen sollte – soll Heinrich Schliemann eines Morgens mit seiner griechischen Frau Sophia den besagten Schatz in einer Mauernische entdeckt haben.

Sofort hätten die beiden den hundert Arbeitern den Tag frei gegeben, um den Schatz in aller Ruhe bergen zu können.

Angeblich war dies ein Depotfund, welcher ursprünglich in einer Truhe war. Das Behältnis selbst sei bei dem Brand der Stadt ebenfalls verbrannt. Aber Schliemann fand noch den Schlüssel der Truhe (!).

Der Ausgräber hatte mit der türkischen Regierung ein Abkommen geschlossen, wonach die Fundgegenstände zwischen dem Finder und dem Osmanischen Reich hälftig geteilt werden sollen.

Doch Schliemann setzte sich über diesen Vertrag hinweg. Er ließ den Fund durch treue Diener zur Küste bringen und heimlich in nächtlicher Fahrt über die Ägäis nach Athen bringen. Dort versteckte Schliemann den Schatz in seiner Wohnung.

Nun teilte der Ausgräber der ganzen Welt mit, was er in seinem Troja gefunden hatte. Als augenfälligen Beweis ließ er seine Frau mit dem Goldschmuck behängen und so photographieren (Abbildung).


Porträt von Sophia Schliemann mit dem Grossen Gehänge aus dem „Schatz des Priamos“

Sowohl die Griechen wie die Osmanen stellten nun Ansprüche auf den sensationellen Fund. Ein Rechtsstreit entstand. Schliemanns Wohnung in Athen wurde durchsucht, aber nichts kam zum Vorschein.

Schließlich wurde die Angelegenheit bereinigt. Schliemann einigte sich mit dem Sultan und zahlte ihm angeblich die stolze Summe von 50’000 Goldfranken. – Damit war der Finder auch rechtmäßiger Besitzer des Schatzes geworden.

Aber die Geschichte hat sich anders abgespielt. Die Fundgeschichte ist von Heinrich Schliemann ausgedacht worden.

Für Schliemanns Fund in der kleinasiatischen Ausgrabungsstätte gibt es keine Zeugen – außer seiner Frau. – Niemand wußte etwas von dem Fund, bevor der Ausgräber in Athen von diesem erzählte.

Nun aber hat sich herausgestellt, daß Schliemanns Frau Sophia zur Zeit der angeblichen Entdeckung des „Schatzes des Priamos“ gar nicht in Kleinasien, sondern in Athen weilte.

Durch Überlegung kommt man langsam der gestrickten Angelegenheit auf den Grund.

Schliemann gab nur vor, in der kleinasiatischen Ruinenstätte einen Schatz gefunden zu haben. – In Tat und Wahrheit hat er den Schatz in Athen bei einem Goldschmied anfertigen lassen.

Die Geschichte von der heimlichen Ausfuhr der goldenen Gegenstände aus Kleinasien nach Athen war ein Märchen, darauf ausgelegt, der Fundlegende etwas Dramatik zu verleihen.

Schliemanns Rechnung ist aufgegangen. Fast alle haben ihm die windige Geschichte abgenommen. Damit wurde aus angeblich gefundenen goldenen Gegenständen der berühmte „Schatz des Priamos aus Troja“.

Die Umstände widerlegen den berühmten Fund. Dieser wurde von Schliemann gefälscht, um seine These, er habe das richtige Troja entdeckt, mit einem materiellen Beweis zu unterlegen. – Zu seinen Lebzeiten behauptete dies schon Schliemanns Gegner Heinrich Bötticher.

Auch wenn man das Märchen, mit dem Schliemann seinen Fund umrankte nicht kennt, so würde die Betrachtung der fingierten Fundstücke ausreichen, um die Behauptung eines antiken Ursprungs der Gegenstände zu widerlegen. – Aber sowohl Forscher wie das Publikum lassen sich in den meisten Fällen von Fälschungen einnehmen. Die einfachsten Fragen unterbleiben; Verstand und kritische Vorsicht werden systematisch unterdrückt.

Nur so ist zu erklären, daß das Märchen, wonach Schliemann in Kleinasien einen Goldschatz gefunden habe, bis heute geglaubt wird.

Schliemann selbst hat den Fund fabriziert, wie wir bereits festgestellt haben.

Allgemeines und Einzelnes über den Goldschatz

Zuerst muß festgehalten werden, daß im heutigen Schatz-Korpus von Schliemanns Troja auch echte Ausgrabungsfunde eingeschlossen sind: Äxte für rituelle Zwecke, Schmuckzubehör, Linsen aus Bergkristall, Perlen, Silberfläschchen, Lockenringe, die Statuette einer weiblichen Gottheit, und andere Dinge mehr.

Der Verdacht richtet sich auf die zahlreichen goldenen Gegenstände, die den Hauptteil des „Schatzes“ ausmachen. Diese umfassen Schnüre mit Ringen, Halsringe, halbmondförmige Anhänger, Lockenringe, Ohrringe mit Gehänge, Scheiben mir Rosettenmuster, Armbänder, goldene Perlenschnüre, Halbkugelpaare mit Stecker, Diademe, Körbchenohrringe, Stirnbänder, eine Kugelflasche.

Die Goldobjekte sind alle sehr gut erhalten. Nur von einigen Anhängern werden Fragmente gezeigt.

Auffällig ist das einfache um nicht zu sagen stereotype Dekor dieser Gegenstände: Als Ornamente kommen im Grunde nur vor Punktreihen, punktierte Buckel, Kugelreihen und seltsame brillenförmige Doppelspiralen bei einem größeren Armband (Abbildung).


Grosses Armband mit Spiralornament aus dem „Schatz des Priamos“
61 g Gold von 23 Karat!

Der Künstler verrät keine besondere Phantasie und Gestaltungskraft. – Die ornamentale Armut kontrastiert mit dem Reichtum des Edelmetalls.

Wollte man für diesen angeblichen Schatz einen künstlerischen Stil definieren, so könnte man Schliemanns Priamos als prunkvolle Archaik bezeichnen.

Ein Objekt jedoch weckt mehr als nur Mißtrauen und Zweifel, und ein weiteres widerlegt eindeutig den antiken Ursprung der Gegenstände.

Mit dem großen Gold-Diadem mit Gehänge hat Schliemann seine Frau bekanntlich für eine Photographie geschmückt.

Das monumentale Schmuckstück wiegt fast 200 Gramm Goldblech, besteht aus 12’000 Ringen, 4000 schuppenförmigen Plättchen, die an Goldketten und goldenen Querbändern befestigt sind.

Etwas anders gestaltet, aber in einer ähnlichen Art ist auch das sogenannte kleine Diadem geschaffen.

Die Diademe sind wohl prunkvoll, wirken aber dennoch hanebüchen. Es fehlt an überzeugendem stilistischem Ausdruck. Der goldene Glanz überdeckt nicht die augenfälligen Mängel.

Die Saucière des Priamos

Doch am eindeutigsten für Fälschung spricht der gewichtigste Gegenstand des angeblichen Priamos-Schatzes: ein Trinkgefäß mit zwei Ausgüssen und zwei Henkeln (Abbildung).


Trinkgefäß mit zwei Ausgüssen und zwei Henkeln, 600 Gramm 23-karätiges Gold:
Die „Saucière des Königs Priamos“!


Zum Vergleich: Eine echte vergoldete Saucière vom frühen 19. Jahrhundert

Das Objekt wiegt sage und schreibe 600 g und besteht aus massivem Gold mit einem Feingehalt von 23 (!) Karat.

Daraus also soll der goldreiche König Priamos getrunken haben! – Wer glaubt denn einen solchen Unsinn?

Doch abgesehen davon hat die Antike selten massiv goldene Gegenstände hergestellt. Man behalf sich mit einer Vergoldung.

Und auch ein Fürst hätte lange warten müssen, bis er über ein halbes Kilo reines Gold beisammen gehabt hätte. – Gold wurde zwar ständig gefördert, aber es wurde vorweg verbraucht. Es ist unwahrscheinlich, dass man große Mengen für eine spätere Verwendung gehortet hatte.

Der Feingehalt dieses angeblichen Trinkgefässes von 23 Karat schließlich liefert die technologische Widerlegung einer antiken Entstehung. Eine so große Reinheit des Goldes ließ sich erst seit dem 19. Jahrhundert metallurgisch erzielen. – Gefördertes Gold – gleich ob Berg- oder Flußgold – hat immer einen viel geringeren durchschnittlichen Feingehalt.

Aber ebenso spricht das Aussehen jenes Objektes gegen eine Antike.

Wie ich den Gegenstand lange betrachtete, kam mir plötzlich die Erkenntnis, daß man es hier nicht mit einem Trinkgefäß zu tun hat, wie uns die Kunstgeschichte weismachen will. Das ist vielmehr eine richtige Saucière, wie sie von der Goldschmiedekunst ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert hergestellt wurde. Die Form ist die gleiche, ebenfalls die zwei Ausgüsse an den Längsseiten und die beiden Henkel an der Schmalseite.

Vergleicht man die angebliche Trinkschale mit einer Saucière, so wird offenkundig, welcher Gegenstand welchem als Vorbild gedient hat (Abbildung).

Die Unterschiede liegen nur darin, daß der angeblich trojanische Fund den Eindruck eines hohen Alters suggerieren will. Also wurde auf jede Ornamentierung verzichtet, wurden die Ausgüsse seltsam geformt und die seitlichen Henkel plump gestaltet.

Herr Schliemann, wozu hat König Priamos diese Saucière gebraucht? Ließ er sich darin die Sauce Hollandaise für seine Spargeln servieren?

Schliemanns goldene Spur führt auch nach Mykene

Heinrich Schliemann hat den Schatz des Priamos herstellen lassen, um seinen Ausgrabungen in dem von ihm entdeckten angeblichen Troja goldenen Glanz zu verleihen und Zweifel zu überstrahlen.

Wenn man den Rummel, der um die Ruinenstadt im westlichen Kleinasien auch heute gemacht wird, betrachtet, so scheint Schliemanns Kalkül aufgegangen zu sein. Niemand stellt kritische Fragen. Gold blendet offenbar den Verstand.

Da kommt mir noch in den Sinn, daß Heinrich Schliemann auch nachher in Griechenland Ausgrabungen gemacht hatte. In Mykene zum Beispiel fand er wiederum kiloweise goldene Gegenstände, darunter so berühmte Funde wie die „Maske des Agamemnon“.

Doch bei letzterem Gegenstand haben schon Zeitgenossen Kritik angemeldet: Sie sagten unter anderem, in dieser Maske verberge sich ein Porträt von Schliemann mit seinem Schnurrbart.

Schliemann war ein genialer Amateur-Forscher, der ob seiner Ruhmsucht grosse Fälschungen herstellte.

Quelle: http://www.dillum.ch/html/schliemann_priamos_schatz.htm

Christoph Pfister  14. Juni 2019
Rubrik: Geschichte

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