Ein Gedenkmarsch von Neonazis hat am Wochenende in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zum ersten Mal ohne Beteiligung von Mitgliedern einer heutigen Regierungspartei stattgefunden. Der Gedenkmarsch erinnert an den bulgarischen NS-Kollaborateur Hristo Lukow; er zählt zu den meistfrequentierten Events der europäischen Neonaziszene.
Die Partei WMRO-BNB, die zur Zeit mit Krassimir Karakatschanow den Verteidigungsminister stellt, ist in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Veranstaltung vertreten gewesen. WMRO-BNB-Chef Karakatschanow konferiert heute regelmäßig mit seinen Amtskollegen aus NATO und EU; am Wochenende nahm er an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. Zuletzt haben die extrem rechten Parteien, die an Bulgariens Regierung beteiligt sind, es abgelehnt, die Istanbul-Konvention des Europarats zu ratifizieren, die beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen helfen soll. Berlin hat keinerlei Einwände: Die bulgarische Regierung hat die EU-Ratspräsidentschaft des Landes de facto unter deutsche Aufsicht gestellt; das hilft gegen Kritik.
Arierparagraph? „Warum nicht!“
In der bulgarischen Hauptstadt Sofia hat am vergangenen Samstag der diesjährige Gedenkmarsch für den bulgarischen NS-Kollaborateur Hristo Lukow (Foto links) stattgefunden. General Lukow, von 1935 bis 1938 Kriegsminister seines Landes, war ein bekennender Unterstützer antisemitischer Gesetze und führte den faschistischen, dem NS-Reich ergebenen Bund der Bulgarischen Nationalen Legionen, bis er am 13. Februar 1943 von kommunistischen Partisanen erschossen wurde. Zur Erinnerung an sein Wirken führt der Bulgarische Nationalbund (BNS), eine neonazistisch orientierte Partei, seit 2003 regelmäßig den Gedenkmarsch durch. BNS-Führer Bojan Rasate hat einem Journalisten vor einigen Jahren auf die Frage, ob er einen neuen bulgarischen Arierparagraphen befürworten würde, geantwortet: „Warum nicht!“ Er hat darüber hinaus erklärt, er plädiere dafür, „die Bedingungen“ dafür abzuschaffen, dass sich die bulgarischen Roma „so stark vermehren“. Über die Methode, die er dazu anstrebe, hat er lediglich geäußert: „Wir können heute nicht daran denken, die Zigeuner einfach umzubringen. Die Zeiten sind andere.“[1] Der BNS-Gedenkmarsch hat sich inzwischen zu einem der meistfrequentierten Ereignisse der europaweiten Neonaziszene entwickelt; gewöhnlich nehmen auch Neonazis aus Deutschland an ihm teil.
Taktische Zugeständnisse
Während zu den Demonstranten, die dem NS-Kollaborateur Lukow die Ehre erwiesen, auch in diesem Jahr zahlreiche Neonazis aus dem europäischen Ausland gehörten, hat es gewisse Einschränkungen bei den bulgarischen Teilnehmern gegeben: Die Partei WMRO-BNB („Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Bulgarische Nationale Bewegung“), die laut übereinstimmenden Berichten bulgarischer Beobachter auf dem Gedenkmarsch regelmäßig vertreten war – unter anderem mit ihrer Jugendorganisation -, hat ihren Mitgliedern diesmal von der Teilnahme abgeraten. Grund ist, dass sie seit vergangenem Frühjahr der bulgarischen Regierungskoalition angehört – als ein Teil des extrem rechten Parteienbündnisses „Vereinigte Patrioten“.[2] Die öffentliche Ehrung eines NS-Kollaborateurs durch Vertreter einer Regierungspartei an der Seite gewaltbereiter Neonazis gilt als gegenüber dem Ausland – insbesondere gegenüber Ländern, die unter dem NS-Terror litten oder im Kampf gegen ihn einen hohen Blutzoll lassen mussten – als allzu provokativ. Aus demselben Grund vermeiden es auch zum Beispiel lettische Regierungsmitglieder, die der extrem rechten Partei Nationale Allianz („Nacionālā Apvienība“) angehören, auf dem jeden März in Riga durchgeführten Gedenkmarsch zur Erinnerung an Kämpfer der lettischen Waffen-SS aufzutreten (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Das ändert allerdings rein gar nichts an der weiterhin bestehenden politischen Nähe.
Gewalt gegen Frauen
Zuletzt hat das Bündnis „Vereinigte Patrioten“ international von sich reden gemacht, als es mit der Drohung, die Regierung platzen zu lassen, einer Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarats durch das bulgarische Parlament eine Absage erteilte. Die Konvention soll dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen dienen; sie ist mittlerweile von 28 Staaten Europas ratifiziert und in Kraft gesetzt worden. Gewalt gegen Frauen ist in Bulgarien verbreitet; in einer Umfrage gaben 25 Prozent aller Bulgarinnen an, häusliche Gewalt erlitten zu haben, und es wird – wie bei diesem Thema üblich – mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet.[4] Als Argument für die Zurückweisung der Konvention diente den „Vereinigten Patrioten“, dass im Wortlaut des Dokuments von Gewalt aufgrund des Geschlechts die Rede ist, wobei „Geschlecht“ mit dem englischen Wort „gender“ bezeichnet wird. Wer die Konvention ratifiziere, legitimiere dadurch eventuell nichtheterosexuelle Orientierungen, hieß es bei den „Vereinigten Patrioten“; das dürfe nicht sein. In Bulgarien ist nicht nur die Ablehnung von Homosexualität, sondern auch Gewalt gegen Homosexuelle verbreitet.
In Dienst gestellt
Die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten – bereits mehrmals sind hochrangige Mitarbeiter bulgarischer Regierungsbehörden mit Hitlergruß oder sonstigen NS-Symbolen fotografiert worden (german-foreign-policy.com berichtete [5]) – wird von Berlin nicht weiter kritisiert: Ministerpräsident Bojko Borissow passt sich in außenpolitisch relevanten Fragen dem Kurs der Bundesregierung an und hat zudem die bulgarische EU-Ratspräsidentschaft de facto unter deutsche Aufsicht gestellt. Hatte Sofia noch Anfang Oktober 2017 laut Einschätzung des Projektleiters der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) in Südosteuropa keinerlei „klare Linie“ für ihre am 1. Januar 2018 gestartete EU-Ratspräsidentschaft, so hat sich dies nach intensiver „Beratung“ vor allem durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) inzwischen geändert.[6] Unter anderem setzt sich Sofia nun dafür ein, die „Westbalkan-Länder“ möglichst eng an EU-Standards und -Normen heranzuführen, um ihren beschleunigten Beitritt zu ermöglichen. Die Bundesregierung legt darauf seit kurzem erheblichen Wert, weil in der jahrelang vernachlässigten Region der Einfluss Chinas stärker wird – und weil er inzwischen sogar die außenpolitische Unterordnung der „Westbalkan“-Staaten unter deutsche Pläne bedroht.[7] Am 20. Januar hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dem bulgarischen Ministerpräsidenten Borissow einen persönlichen Besuch gewährt, bei dem auch Details über einen informellen EU-Rat zum „Westbalkan“ besprochen wurden, den Sofia im Mai plant – in enger Abstimmung mit Berlin.
Eine Beleidigung
Dabei kooperiert die Bundesregierung gezielt mit Borissow und seiner Partei GERB („Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“), die der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, in der wiederum CDU und CSU traditionell eine starke Stellung innehaben. Dass die Bundesregierung dabei keinerlei Rücksichten auf die inneren Gegebenheiten Bulgariens nimmt, zeigt ein Detail der Gespräche zwischen Merkel und Borissow am 20. Januar. Berlin, aus strategischen Gründen auf eine Zusammenkunft zwischen der EU und der türkischen Staatsspitze bedacht, aufgrund des gewalttätigen Vorgehens des türkischen Staats nach innen wie nach außen jedoch im Falle allzu enger Kontaktaufnahme um sein Ansehen besorgt, lässt Sofia – mit dem Argument, es habe die Ratspräsidentschaft inne – für März eine Zusammenkunft mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan organisieren. Darauf einigten sich Merkel und Borissow bei ihren Verhandlungen in der bulgarischen Hauptstadt. Wenige Tage später meldete sich Staatspräsident Rumen Radew empört zu Wort: Er war von Merkel ohne weiteres übergangen worden. „Ich nehme … es nicht hin, dass ein bulgarischer Regierungschef und ein deutscher Kanzler ihre Entscheidung zur Einladung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Bulgarien bekannt geben und der bulgarische Präsident es aus den Medien erfährt“, erklärte Radew: „Ich halte es nicht für eine Beleidigung für mich, sondern für Bulgarien – es verletzt den Geist der Verfassung“.[8]
[1] Die Aussagen finden sich in dem Buch „Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa“ von Gregor Mayer und Bernhard Odehnal, zwei erfahrenen Kennern der Region. S. dazu unsere Rezension.
[2] Den „Vereinigten Patrioten“ gehören die Parteien Ataka („Angriff“), WMRO-BNB („Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Bulgarische Nationale Bewegung“) und NFSB („Nationale Front für die Rettung Bulgariens“) an.
[3] S. dazu „Freiheitskämpfer“ in Riga.
[4] Corina Gall: Bulgarien führt eine emotionale Debatte über die Konvention gegen Gewalt an Frauen. nzz.ch 16.02.2018.
[5] S. dazu www.german-foreign-policy.com, Bulgariens europäischer Weg und www.german-foreign-policy.com, Auf dem Weg nach rechts.
[6] S. dazu www.german-foreign-policy.com, Die begleitete Ratspräsidentschaft.
[7] Als „Westbalkanländer“ werden die außerhalb der EU verbliebenen Länder des ehemaligen Jugoslawien sowie Albanien bezeichnet. S. auch Perspektive 2025.
[8] Bulgariens Staatschef fühlt sich von Merkel übergangen. welt.de 24.01.2018.
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7537/