Die Selbstentlarvung der EU-Politik

Franz Krummbein
FAZ: Ist Oligarch Vlad Plahotniuc ein glühender Patriot oder ein skrupelloser Diktator?

Moldau: Der letzte Betrug ist noch ärger als der Erste

In der Republik Moldau ist die Wahl von Andrei Nastase, des Kandidaten der pro-europäischen Opposition, zum Bürgermeister der Hauptstadt Kischinau überraschend annulliert worden. Überraschend deshalb, weil internationale Beobachter und der unterlegene Kandidat selbst die Wahlen als korrekt bezeichnet hatten. Nastase hat von „kriminellen Entscheidungen“ der Gerichte gesprochen und das Verfahren als „absurd“ bezeichnet.

Das Europäische Parlament zeige sich „äußerst besorgt über das Urteil des Gerichts in der moldauischen Hauptstadt, das aus fragwürdigen und nicht transparenten Erwägungen beschlossen hat, den Ausgang der jüngsten Bürgermeisterwahl in Kischinau  nicht zu validieren“. EU-Botschafter Peter Michalko, zeigte sich auch „extrem besorgt“ über die Annullierung der Wahl. In einer Stellungnahme der Deutschen Botschaft hieß es, dass die Wahl korrekt verlaufen sei. Der gewählte Kandidat müsse sein Amt antreten. Auch die US-Botschaft sprach von einer „unerwarteten und intransparenten“ Entscheidung, die das Vertrauen der Moldauer in demokratische Prozesse unterminiere.

Wem nütze das jetzt, wenn man in der Republik Moldau sowohl auf politischer als auch auf finanzieller Ebene mit so vielen Fortschritten rechne?, fragt der Regierungschef Pavel Filip schelmisch. Die Antwort ist offensichtlich. In der moldauischen Öffentlichkeit wird das Urteil weithin als politische Entscheidung wahrgenommen und der herrschenden Demokratischen Partei (PDM) und ihrem Vorsitzenden Vlad Plahotniuc zugeschrieben. Аls heimlicher Intrigant vergiftet Plahotniuc das Gesellschaftsklima zunehmend. Die PDM hatte bei der vorausgegangenen Wahl 16 Prozent erhalten, kontrolliert aber mittlerweile die Parlamentsmehrheit und hat die Regierung bislang nahezu alleine gestellt.

Die ehemalige Bildungsministerin Maia Sandu sieht in der Annulierung der Lokalwahlen einen letzten Beweis dafür, dass es Plahotniuc gelungen sei, alle Institutionen des Staates – auch die Justiz – unter seine Kontrolle zu bringen. Maia Sandu, die Nastase im Wahlkampf entschieden unterstützt hatte, warnte davor, dass eine Bestätigung der Ungültigkeit der Wahl durch das Oberste Gericht eine „Kriegserklärung von Plahotniuc” gegen die Bürger darstelle.

Für Sandu gehört Plahotniuc ins Gefängnis. Wegen Menschenhandel, Prostitution, Mord — und Korruption. Sie bezeichnete die Regierungsmitglieder als Menschen unter der Kontrolle von Plahotniuc, die Reformen lediglich vorgeben würden. Die Einmischung Plahotniucs in das Justizwesen und der Verlauf der Wahlen würden europäische Normen verletzen, zu denen sich die Moldau, vor allem im Zuge des Assoziierungsabkommens EU-Moldau, verpflichtet hätte.

Die illegalen Aktivitäten schienen von Institutionen wie der Nationalbank, Aufsichtsbehörden und Strafverfolgungsbehörden zumindest gedeckt worden zu sein. Der ehemalige Premierminister Valeriu Strelet forderte den Rücktritt des Generalstaatsanwalts und des Chefs der Anti-Korruptionsbehörde, die als Plahotniucs Leute gelten.

Apropos, ging die fünfte pro-europäische Regierungskoalition unter Premier Strelet nach nicht einmal 80 Tagen im Amt zu Ende. Sie unterbot damit noch den Rekord der Vorgängerregierung, unter Premier Chiril Gaburici, die sich rund 120 Tage hielt.

Nach der Verhaftung von Vlad Filat (vom September 2009 bis zum März 2013 – Premierminister der Republik Moldau) gilt Vlad Plahotniuc als der mächtigste Mann im Lande, auch wenn er kein politisches Amt bekleidet. Sein Einfluss auf strategisch wichtige Organisationen, Sektoren und Personen gilt als entscheidend, seine finanziellen Mittel als unerschöpflich.

Nun hat Plahotniuc den Machtkampf in Kischinau de facto gewonnen. Und wieder: Betrug und Gemauschel. Vor kurzem hätten mehrere EU-Parlamentarier eine Aufschiebung der finanziellen Unterstützung gefordert, weil Kischinau  (= Plahotniuc), trotz Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarats  das Wahlsystem in der Moldau geändert hatte.

Die Reform ersetzt das Verhältniswahlrecht mit Parteilisten durch ein gemischtes System, durch das künftig 50 von 101 Abgeordneten direkt in einzelnen Wahlkreisen mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Genau darin liegt der Kern des Problems. Die Venedig-Kommission warnt davor, dass vorgeblich unabhängige Kandidaten tatsächlich unter den Einfluss von Geschäftsleuten und ihrer speziellen Interessen geraten können. Das kann als Hinweis auf Vlad Plahotniuc gelesen warden, schreibt Dr. Martin Sieg. Die große Teile der Zivilgesellschaft lehnen die Reform strikt ab, weil sie darin nur ein Instrument zum Machterhalt der PDM sehen.

Plahotniuc und seine Partei werden nach anderen Wegen Ausschau halten, die kommenden Parlamentswahlen zu manipulieren. Die Kontrolle über das Parlament für Plahotniuc ist also auch eine Frage des Überlebens.

Daher war niemand überrascht, dass die Hauptkandidaten für den Posten des Kischinau-Bürgermeisters Andrei Nastase, Ion Cheban und Sylvia Radu waren. Cheban ist Sozialist. Silvia Radu positioniert sich als unabhängig, aber ihr Hintergrund ist die tiefe Verbindung zu Plahotniuc. Nestase und Cheban haben die ersten zwei Gewinner der ersten Wahlrunde erreicht. Somit schied Plahotniuc aus dem Spiel aus, obwohl er die Gelegenheit zum Handeln hatte.

Der Bürgermeister der Hauptstadt Dorin Chirtoaca steht unter Hausarrest wegen Korruption. In der Zwischenzeit wird Kischinau  weiterhin vom Plahotniucs Schützling geleitet, der sowohl die Wahlsituation in der größten moldauischen Stadt als auch das Hauptstadtbudget kontrolliert.

Das Land als captured state

Plahotniuc ist nach Umfragen nach wie vor der Politiker mit den geringsten Vertrauenswerten in der Bevölkerung und die PDM liegt bei 9 Prozent Zustimmung. Parteien, die mit der PDM zusammengearbeitet haben, wie die Liberale Partei und die Europäische Volkspartei sind auf Zustimmungswerte von 1-2 Prozent abgestürzt. 80 Prozent der Moldauer meinen, dass sich das Land in die falsche Richtung entwickelt.

“EU-Diplomaten schätzen das Land als failed state ein, Länderspezialisten charakterisieren es als captured state. Beiden Einschätzungen ist gemein: In Kischinau herrschen Oligarchen-Cliquen, deren Weltbild davon ausgeht, nicht nur die Wirtschaft, sondern jede staatliche Institution habe ausschließlich ihnen privat zu dienen, und jeder Aspekt des gesellschaftlichen Lebens müsse sich ihren Interessen unterordnen”,  bekräftigte der Europaabgeordnete Helmut Scholz (Plenardebatten, 5. Juli 2018 – Straßburg).

“Das Ergebnis sehen wir jeden Tag: Wahlergebnisse werden wie in Kischinau  nach Belieben annulliert, Wahlgesetze bedarfsgerecht geschneidert, politische Opponenten kriminalisiert, deren Anwälte strafrechtlich bedroht oder gar ins politische Asyl in EU-Staaten gedrängt. In Moldau gehen die Verletzungen fundamentalster Menschenrechte, Korruption, Amtsmissbrauch und Willkür der Justiz Hand in Hand mit dem Diebstahl von Milliarden Euro öffentlicher Gelder, dessen Vertuschung und der staatlichen Nichtbereitschaft zur Aufklärung. Seit zehn Jahren immer das gleiche Spiel.

Nennen wir endlich Ross und Reiter: Plahotniuc, Filat, Shor, Platon. Benennen wir das System Moldau, wie es funktioniert. Wenige bereichern sich grenzenlos, während viele in Armut leben und ihre Arbeits- und Zukunftschancen im Ausland suchen müssen. Täglich wird ihnen von Medienmonopolen der Oligarchen erzählt, das alles sei ohne Alternative. Nein, es gibt eine Alternative, und deshalb sollten wir mit sofortiger Wirkung die Makrofinanzhilfe einfrieren und die Kommission und der Rat auffordern, die Diebe und Manipulatoren persönlich zu sanktionieren”, forderte Helmut Scholz.

Mitte Oktober 2015 gab der erwähnte Ilan Shor (Jude aus Tel Aviv; jetztiger Burgemeister der Stadt Orhei) gegenüber dem Nationalen Zentrum zur Korruptionsbekämpfung an, in den vergangenen Jahren Geld und Waren im Wert von ca. 250 Millionen Euro an den ehemaligen Premierminister Vlad Filat gegeben zu haben. Dieser habe im Gegenzug seinen politischen Einfluss geltend gemacht, um Shor umfangreiche Geschäftsmöglichkeiten zu eröffnen, darunter auch die Übernahme einer Bank, die später zur Umsetzung des Jahrhundertraubs genutzt wurde. Der Jahrhundert-Raub in Höhe von einer Milliarde US-Dollar verursachte eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die das ohnehin arme Land in die schwierigste soziale Lage seit der Unabhängigkeit brachte.

Shor mag ein Gangster sein, aber er ist sehr reich, und die Menschen in Orhei sind bitterarm, bemerkt “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Sein Partner Vlad Filat, dem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 Unterstützung auf dem Weg nach Europa zusprach,  sitzt im Gefängnis. Als Durchbruch bei der Korruptionsbekämpfung wird die Verhaftung im Land dennoch nicht gesehen, da die Generalstaatsanwaltschaft als Erfüllungsgehilfin von Filats Rivalen, Vlad Plahotniuc, gilt.

Es fing doch alles so gut an…

In den vergangenen Jahren galt die Republik Moldau als der Musterschüler im Kreis der Östlichen Partnerschaft der EU. Lange hielt Brüssel die Erzählung von der moldauischen Erfolgsgeschichte aufrecht, und im Bundeskanzleramt genoss die Republik Moldau unter den Länder der Östlichen Partnerschaft lange Zeit die größte Aufmerksamkeit, gepaart mit einem hohen Maß an persönlichem Engagement für das Land, schreibt Matthias Jobelius (Friedrich Ebert Stiftung).

Es gibt gar keine Logik. Aber wer versucht, Merkel rational zu verstehen, findet sich oft orientierungslos zurück.

Im vergangenen Jahr befürwortete die EU-Kommission weitere 100 Millionen Euro Makrofinanzhilfe, obwohl ein immenser Bankenskandal ebenso wenig aufgeklärt war wie das Versickern von EU-Geldern in den Taschen korrupter Eliten.

Die Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union zur Republik Moldau (Brüssel, 26. Februar 2018) lauten:

“…2. Im Anschluss an die Schlussfolgerungen des Rates vom Februar 2016 hat die Regierung der Republik Moldau mehrere Gesetzgebungsinitiativen bezüglich der darin genannten vorrangigen Reformbereiche angenommen.

…5. Der Rat begrüßt den konstruktiven Beitrag der Republik Moldau auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft…

…10. Medienfreiheit und Pluralismus sind Voraussetzungen für eine demokratische Gesellschaft. (Apropos: der Oligarch Vlad Plahotniuc kontrolliert vier der fünf bundesweiten Fernsehsender und drei Radiostationen).

…15. Der Rat begrüßt die jüngsten Ernennungen, die in den Korruptionsbekämpfungsstellen vorgenommen wurden, und die Annahme eines Gesetzes zur Bekämpfung von Geldwäsche, mit dem die Rechtsvorschriften an die geltenden EU-Standards angepasst werden.

…17. Der Rat begrüßt die Reformen, die darauf abzielen, makroökonomische und finanzielle Stabilität zu gewährleisten…” (??? –Emotionale Blindheit mit Euphorie).

EU spricht seit Jahren von demokratischen Reformen. Brüssel unterstützt den Reformprozess mit Millionen. Doch die prowestlichen Parteien haben nur wohlklingende Namen, warnt der Politologe Oazu Nantoi vom Institute for Public Policy in Chisinau. In Wirklichkeit seien sie gar nicht an tiefgreifenden Reformen interessiert. „Ernsthaft wird bei uns nur gestohlen. Alles andere ist nicht ernsthaft. Und die Menschen hier verbinden Europa mit diesen Politikern.“

Es ist unklar, was die Autoren dieses Dokuments erhofft haben. Plahotniuc hätte keine der Empfehlungen übernommen, da dies das Wesen seiner Macht untergraben würde. Oder die Autoren verstehen die moldauischen Realitäten nicht oder dieses Dokument ist ein üblicher Betrug in der Hoffnung, dass alles irgendwie gelingen wird.

Das ist doch eine Schmierenkomödie. Wie es in einem Lied gesungen wird: “Wohin der Weg auch führt — Da komme was mag”. Die EU hat sich – wie so oft – selbst diskreditiert, indem sie mit Figuren wie Plahotniuc und anderen „pro-europäischen“ korrupten Politikern zusammen gearbeitet hat.

Eine Menge Frustration in Brüssel

Der Winter ist vorüber, der Sommer hat angebrochen. Heute sieht dies ganz anders aus. In Brüssel herrscht Frustration und Kopfschütteln. Die Weltbank suspendierte ihre Hilfen mit Verweis auf Betrug und Korruption im Finanzsektor. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat eine Mission zu Verhandlungen über ein neues Abkommen mit der Moldau vorläufig abgesagt. Die EU wiederum hat ihre Budgethilfen gestoppt.

Im Februar 2018 begrüßt der Rat der EU die Reformschritte, die die Republik Moldau bereits unternommen hat. Im Juli 2018 bringt das Europäische Parlament “seine tiefe Besorgnis über die weitere Verschlechterung der demokratischen Standards in der Republik Moldau zum Ausdruck”; bekräftigt seine Besorgnis “über den Niedergang der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte, die übermäßige Politisierung der staatlichen Institutionen, die systemische Korruption”. Es ist eigentlich ein Urteil!

Der Bevölkerung steht weniger Kaufkraft pro Kopf zur Verfügung als im Wendejahr 1990. Die Lebensmittelpreise steigen ebenso wie die Schulden; dem Land droht ein Staatsbankrott. Die Zustimmung zum EU-Integrationskurs ist derweil auf einen Tiefststand gesunken. Wenn diese Tendenz auch weiter anhält, wird das Vertrauen der Bürger Moldaus zur Europäischen Union, das bereits von 72 auf 38 Prozent geschrumpft ist, noch weiter schwinden.  Die angespannte Lage, verbunden mit der Selbstbereicherung Plahotniucs sorgt für Wut.

Ein Dokument mit dem charakteristischen Namen “Bankbetrug mit Leuten wie Vlad Plahotniuc zu prüfen” wurde dem US-Kongress vorgelegt. Es hat keinen Zweck. Aber die Nichtkontrolle von Fördergeldern ist schlicht skandalös. Man sollte die Gelder nach Moldau stoppen, eine unabhängige Untersuchung innerhalb der EU durchführen und die Verantwortlichen in Brüssel der Mithilfe der Korruption anklagen.

Wie konnten EU-Beamte das Land so in die Krise treiben? Sie sollen mit seinem Kopf dafür haften. Schade um das Steuergeld, das aus der EU dorthin geflossen ist.  Die deutschen Steuerzahler haben, als einer der Haupteinzahler, ein Recht und eine Pflicht diese Vorgänge aufzuklären.

 

Franz Krummbein  20. Juli 2018
Rubrik: Global/Globalisierung/NWO

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert