Das russische Kino nähert sich dem Thema Sexualität noch immer mit vorsichtigen Schritten. Unsere Auswahl zeigt die Entwicklung des erotischen Films in Russland von Sex-Trash bis sensible Erotik.
Angelica’s Passion (zu Deutsch „Angelica-Passion”), 1993
Angelica hat ein seltsames und seltenes Syndrom, eine sexuelle Übererregbarkeit, die durch Donnergeräusche ausgelöst wird. Bei Gewitter verliert sie alle Hemmungen und hat Sex mit jedem Mann in der Nähe, woraufhin sie unter Amnesie leidet.
Diese erotische Trash-Komödie von Aleksander Polynnikow hat mystische und detektivische Elemente und tauchte erst in den frühen Jahren der Postsowjetunion auf, als alles möglich schien. „Angelica-Passion” grenzt gelegentlich an Pornografie. Eine der Figuren erklärt das so: „An anderen Orten ist es Porno, hier ist es nur eine visuelle Unterstützung.”
Dieser Film spiegelt seine Zeit wieder. Es mangelte damals an Sexualerziehung, Kultur und der Film ist ebenso verrückt. So glauben zum Beispiel die Filmemacher und auch die meisten Zuschauer, ein Sexualtherapeut sei ein Spezialist, mit dem man Sex habe…
Porträt in der Dämmerung, 2011
Die Sozialarbeiterin Marina fährt regelmäßig in eine Provinzstadt, in der sie sich mit ihrem Geliebten, einem Freund der Familie, trifft. Eines Tages wird sie nach einem solchen Ausflug Opfer einer Vergewaltigung durch einen lokalen Polizeibeamten. Nun fährt sie regelmäßig zu diesem Ort, um ihren Peiniger wieder zu treffen.
Angelina Nikonowas Film handelt von einer zwanghaften Sexualität, die an das Stockholm-Syndrom erinnert. Das Opfer entwickelt eine Obsession gegenüber dem Missbraucher. Der Film erinnert an „Der letzte Tango in Paris“. Er hinterlässt insgesamt ein eher bedrückendes Gefühl. Aber dieser Film ist auch eine gute soziale Studie, in dem ähnliche Themen wie in „Elena” von Andrei Swjaginzew, einem Favoriten der Filmfestspiele von Cannes, behandelt werden.
„Loveless“: Vier gute Gründe, Andrei Swjaginzews neuen Film zu sehen
Kept Women (zu Deutsch „Mätressen”), 2019
Das TV-Debüt des umstrittenen Theaterregisseurs Konstantin Bogomolow ist zu einer Sensation in der Darstellung von Sexualität und dem anerkannten Phänomen der Mätresse in der Moskauer High Society geworden.
Die archetypische Geschichte eines Provinzmädchens, das in die große Stadt zieht, wurde als TV-Serie in zwei Staffeln gezeigt. Am Ende der zweiten Folge nimmt die junge Frau souverän ihren vermeintlichen „Platz unter der Sonne“ ein. Was folgt, ist der wechselhafte Alltag einer Geliebten. Dazu kommt ein krimineller Handlungsstrang.
In Bogomolows TV-Serie gibt es ebenso viele nackte Männer und Frauen und Sexszenen wie Morde in „Game of Thrones”. Die Besetzung gleicht einem Who-is-Who der schönsten und begabtesten russischen Schauspieler: Alexander Kusnezow, Sofja Ernst, Alexandra Rebjonok. Diese TV-Serie ist eine echte Entdeckung für Liebhaber sinnlicher und grafischer erotischer Szenen.
Fidelity (zu Deutsch „Treue”), 2019
Nigina Saifullaewa/Drug Druga, 2019
Dieser Film ist der neueste und zudem ein ernstzunehmender und erfolgreicher Versuch im modernen russischen Kino, das Genre des erotischen Dramas zu erforschen.
Nigina Saifullaewas „Fidelity” wurde erst kürzlich bei Kinotavr, dem wichtigsten unabhängigen Filmfestival in Russland, uraufgeführt und erhielt zahlreiche positive Kritiken. Der Filmkritiker Alexei Filippow sprach (rus) von einer für das russische Kino einzigartigen Nische, „in der sie wissen, wie man Sex hat, wie man im wirklichen Leben miteinander redet und außerhalb moralischer Urteile existiert“.
Die Geschichte von einem Ehepaar in Kaliningrad, einer Stadt, die inmitten von Europa liegt, handelt nicht von sexueller Emanzipation, sondern von sensiblen, zu Herzen gehenden Gesprächen in einer krisengeschüttelten Familie. Hier ist Sex eher ein wesentlicher Bestandteil des spirituellen als des körperlichen Lebens, und das Ergebnis ist beeindruckend.