Emmanuel Macron versprach es, ein Regierungsbericht verlangt es. Das könnte europaweit Auswirkungen haben.
Deutschland sollte auch die aus Griechenland geraubten Kulturgüter zurückgeben
Über eines herrscht Einigkeit: Die Empfehlungen sind radikal. Zwei von Präsident Macron eingesetzte Kunstexperten verlangen nichts weniger als die umfassende „Restitution afrikanischen Kulturerbes“ an die Ursprungsländer.
So lautet auch der Titel ihres Regierungsberichts, der am Freitag in Buchform erscheint, aufgrund von Indiskretionen aber bereits weitgehend bekannt ist. Betroffen sind in Frankreich schätzungsweise 90.000 Kunstobjekte aus der Kolonialzeit.
Zwei Drittel davon befinden sich im Pariser Völkerkundemuseum Quai Branly, das zum Bericht elegant schweigt. Kulturpolitisch gesprochen ist das alles Dynamit: Die Rückgabe auch nur einzelner Stücke, so 2009 im Fall antiker Fragmente an Ägypten oder 2012 von Maori-Köpfen an Neuseeland, hatte in Frankreich hitzige Polemiken ausgelöst.
Raubkunst und rote Köpfe
Macron will aber reinen Tisch machen. Nachdem er die Kolonialzeit bereits einmal en passant als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet hatte, versprach er 2017 in einer Uni-Aula in Ouagadougou (Burkina Faso) einen neuen Zugang zu dieser weitreichenden Frage. Um über eine Entscheidungsgrundlage zu verfügen, berief der Staatschef ein Expertenduo ein, von dem er wusste, dass es zur Sache gehen würde.
Der senegalesische Wirtschaftstheoretiker Felwine Sarr (46) ist mit dem Werke Afrotopia (das Buch erscheint Anfang 2019 in deutscher Übersetzung im Matthes-&-Seitz-Verlag) aufgefallen und der „indigenen“ – früher sagte man eingeborenen – Sache zugetan. Die gleichaltrige Französin Bénédicte Savoy lehrt an der Technischen Universität Berlin Kunstgeschichte und ist vom Humboldt-Forum, in dem die Raubkunst für rote Köpfe sorgt, mit einem Knalleffekt zurückgetreten.
Die Vorschläge der Experten sind deshalb radikal, weil sie mit dem französischen – und in sich kolonialistischen – Prinzip der „Unveräußerlichkeit“ musealer Kunstobjekte aufräumen wollen. Das würde eine Gesetzesänderung erfordern. Der Bericht fordert zweierlei: Die Ausbeute von Kriegen und Kolonialexpeditionen sei ohne weiteres zurückzugeben. Das verstehe sich von selbst, meinen die beiden Autoren: Diese Kunstobjekte wiesen einen offensichtlichen „Mangel zu Zustimmung“ auf.
Die übrigen Kunstgegenstände, die in der Kolonialzeit (1885 bis 1960) namentlich aus Zentral- und Westafrika nach Frankreich gekommen sind, soll Frankreich aufgrund bilateraler Abkommen an die afrikanischen Museen zurückerstatten. Eine Ausnahme bestünde dann, wenn die Bezieher den Nachweis erbringen können, dass sie das Objekt „aus freien Stücken“ – zum Beispiel als Geschenk für den französischen Präsidenten – erhalten haben.
Brisante Vorschläge
Wie brisant die Vorschläge sind, zeigt die kritische Aufnahme in Paris. Selbst linke Magazine wie L’Obs reduzieren den Bericht auf eine „Auslegeordnung“ und fragen unumwunden: „Können die afrikanischen Museen sie (die Kunstobjekte) überhaupt aufnehmen?“ Auch unterstellt die Zeitschrift, die Rückgabe von Raubgütern an die einzelnen Staaten würde zur Bildung „nationaler“ Kunstsammlungen führen, was dem Prinzip universeller Museen zuwiderlaufe.
Die beiden Autoren des Berichts kontern solche Argumente zornig: Sie hätten auf vorbereitenden Reisen in Afrika 500 aufnahmebereite Museen ausgemacht, die auch große Skulpturen oder wertvolle Objekte wie etwa den Goldschatz von Ségou (Mali) aufnehmen könnten, meint Felwine Sarr.
Widerspruch in sich
Die betroffenen Konservatoren wollten die zurückerhaltenen Stücke keineswegs in ihre Museen einschließen, sondern sie zirkulieren lassen, meint Sarr. Deshalb sei es „dumm“ zu befürchten, dass der Westen seine afrikanischen Sammlungen verlieren werde: „Es geht nicht darum, die französischen Museen zu leeren!“ Bénédicte Savoy macht zudem klar, dass nur öffentliche Museen betroffen wären, nicht Privatsammlungen.
Macron scheint die Tragweite des Berichts erst richtig zu erfassen. Der anfangs so wagemutige Präsident will den Bericht am Freitag ohne TV-Kameras in seinem Büro entgegennehmen. Vor allem zieht er heute auch bloß „temporäre“ Rückgaben, also Leihgaben, in Betracht. Das nennen Savoy und Sarr in ihrem Bericht einen Widerspruch in sich.
Psychogramm Frankreichs
Die negativen Reaktionen und das absehbare Zurückkrebsen des politisch geschwächten Präsidenten machen klar, dass die Rückgabe kolonialer Raubgüter in Frankreich noch nicht wirklich spruchreif ist. Solange Napoleons Raubzug durch die ägyptische Antike in französischen Schulbüchern nach wie vor als „Wissenschaftsexpedition“ ausgegeben wird, dürfte der neue Regierungsbericht faktisch wenig bewegen.
Und wenn man die Raubkunst-Debatte um das Humboldt-Forum als Psychogramm Deutschlands bezeichnen will, wie das schon geschehen ist, dann besteht Frankreichs Psychogramm darin, seine weniger glorreichen Geschichtskapitel massiv zu verdrängen. (Stefan Brändle aus Paris, 23.11.2018)
Nicht nur die „geraubten“, sondern alle. Da hatte Macron mal wieder ein großes Maul.
Denn hat Frankreich gar keine Kunst mehr!