Kaukasus: Die Karten werden neu gemischt

Franz Krummbein

Georgien ist auch ohne Saakaschwilli kein Russland Freund

Beim bevorstehenden Nato-Gipfel im Juli in Brüssel werde auch wieder die Frage diskutiert, ob Russlands nächste Nachbarn Georgien und die Ukraine dem westlichen Militärbündnis beitreten. „Das sind die Schlüsselstaaten, um den Gürtel um Russland noch enger zu ziehen und von der Südflanke her zu strangulieren“, erklärt der Politologe Ullrich Mies.

Die USA wollen laut dem für Europa zuständigen US-Außenstaatssekretär Wes Mitchell das Waffenarsenal der Ukraine und Georgiens aufstocken. „Wir leisten der Ukraine und Georgien, denen Russland kürzlich mit militärischer Gewalt gedroht hat, militärische Hilfe. Wir setzen auf verstärkte Lieferungen von Waffen zur Selbstverteidigung dieser Staaten“, sagte Mitchell bei einer Anhörung im US-Senat.

Im Mai 2018 hatte Giorgi Kwirikaschwili, der Premierminister Georgiens (am 13. Juni erklärte er seinen Rücktritt), erstmals 2021 als Ziel-Jahr genannt, in dem er einen möglichen Nato-Beitritt seines Landes sieht. „Wir haben große Hoffnung, dass im Jahr 2021, wenn Georgien das hundertjährige Jubiläum der sowjetischen Besatzung begehen wird, unser Land in der Lage sein wird, dieses Datum mit dem Status eines vollwertigen Nato-Mitglieds zu begrüßen“, sagte Kwirikaschwili während einer Diskussion im Parlament. Zuvor waren nie konkrete Daten für die Nato-Mitgliedschaft genannt worden.

Bei Georgien gestaltet sich die Aufnahme gemäß Nato-Statuten schwierig. Im August 2008 schickte Georgien Truppen nach Südossetien, um diese Region zurückzuerobern. Der Angriff, bei dem die südossetische Hauptstadt Zchinwal weitgehend zerstört und zahlreiche Zivilisten sowie russische Friedenssoldaten getötet wurden, konnte erst nach der Intervention russischer Truppen abgewehrt werden. Nach dem Fünf-Tage-Krieg erkannte Russland Südossetien sowie den anderen De-facto-Staat in Georgien, Abchasien, als unabhängig an und richtete dort Militärstützpunkte ein. Demgegenüber betrachtet Georgien diese Territorien weiterhin als Bestandteil des eigenen Staatsgebiets.

Nach den Nato-Regeln können der Allianz bekanntlich keine Länder beitreten, die territoriale Probleme und nicht gelöste Militärkonflikte haben. Das Ziel aber ist weiterhin, den Ring um Russland weiter zu schließen und die verbliebenen Länder im Osten in die Nato zu integrieren. Um zusätzlichen Druck auf Russland auszuüben, könnte die Nato ihre eigenen Regeln außer Kraft setzen.

In den letzten Jahren hat sich die Nato mehr als verdoppelt. Von ursprünglich 12 Mitgliedsländern ist die Nato immer weiter nach Osten gerückt und hat jetzt 29 Mitglieder. Ein Beitritt Georgiens und der Ukraine würden Russlands geostrategischen Interessen zutiefst widerlaufen.

Russland, Südossetien und Abchasien betrachten eine weitere Vertiefung der Kooperation zwischen Georgien und der Nato als Bedrohung für die Sicherheit in der Region. Ein neues NATO-Trainingszentrum in Georgien wurde als Provokation und ernsthafter destabilisierender Faktor gebrandmarkt.

Im April 2008 wollten die USA auf dem Nato-Gipfel in Bukarest noch unter George W. Bush den Beitritt von Georgien und der Ukraine durchsetzen, vor allem Deutschland und Frankreich sprachen sich dagegen aus. Es sei noch zu früh, so die Position. (Deutschland gilt als einer der größten Finanzinvestoren Georgiens. Die deutsche Förderbank KfW investierte dort seit 1993 über 750 Millionen Euro in verschiedene Projekte). Sollte Georgien Nato-Mitglied werden, so wird befürchtet, könnte die Beistandspflicht ausgerufen werden und würde die übrigen Nato-Mitglieder womöglich in einen offenen Krieg mit Russland hineingezogen. Transatlantiker machen sich daher Gedanken, wie man Georgien aufnehmen, aber die Beistandspflicht zumindest zeitweise aussetzen könnte, schreibt „Heise Online“.

Tiflis setzt auch ohne Saakaschwilli auf eine klare Westorientierung. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der öffentlichen Meinung graduelle Verschiebungen abzeichnen: Gestiegene Zustimmungsraten für einen Beitritt zur von Russland forcierten Eurasischen Union haben eine hitzige Debatte über die zukünftige außenpolitische Positionierung Georgiens ausgelöst. In einer Umfrage des “National Democratic Institute” (NDI) in Georgien sprachen sich immerhin 24 Prozent der Befragten für einen Beitritt zur Eurasischen Union aus. Demgegenüber stimmten 58 Prozent für eine EU-Integration.

Die EU- und NATO-Euphorie hat sich deutlich gelegt, ohne dass aber etwaige Befürworter eines eher neutralen Kurses oder gar einer Wieder-Annäherung an Russland daraus Nutzen ziehen könnten. Gleichzeitig hat der Russlanddiskurs im Vergleich zur Saakaschwili-Ära an Pluralismus gewonnen, meint Johannes Wetzinger, Wien. Nachdem eine konsequent ablehnende und kritische Haltung gegenüber Russland unter Saakaschwili lange als Konsens galt, wird nun kontroverser und offener über die Beziehungen zu Russland diskutiert.

Russland ist für Georgien nach Aserbaidschan und Armenien zum drittwichtigsten Exportland in der GUS-Region aufgestiegen. Mit einem pragmatischen Zugang beider Seiten konnten einige konkrete Resultate erreicht werden. Bestehende Hürden im Wirtschaftsbereich wurden überwunden und das Gesprächsklima gestaltet sich konstruktiver als vor dem Machtwechsel. Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens – und den zu finden obliegt dem politischen Raum Georgiens.

Armenien: Wende nach Westen?

Armenien nahm fast 700 Jahre vor Russland das Christentum an, armenische Staatlichkeit und Kultur erfuhren bereits eine Blüte, als auf dem Gebiet des heutigen Russland noch Nomadenvölker lebten. In heutiger Zeit aber erstreckt sich die Russische Föderation über ein Territorium, das 570 Mal größer ist, als das Armeniens. In Russland leben derzeit 50 Mal mehr Menschen als im kleinen Armenien.

Nach dem Konflikt mit Georgien vom 2008 hat Präsident Sersch Sargsjan eine Deklaration unterzeichnet, dass er die Handlungen Georgiens und Erweiterung der NATO nach Osten verurteilt. Gleichzeitig wurde in Armenien und der Region die Friedensrolle Russlands begrüßt.

Am 9. April 2018 sind die Präsidentschaftsbefugnisse von Sargsjan abgelaufen. Aber am 17. April haben 77 von 97 Abgeordneten des nationalen Parlaments dafür gestimmt, dass der ehemalige Präsident Sargsjan zum Premierminister wird, der in Armenien sehr gewichtige Machtbefugnisse besitzt: Das Land wird faktisch von ihm geleitet.

Unter dem Druck andauernder Straßenproteste ist Sargsjan schnell zurückgetreten.  Einige westliche Medien stellten in Frage, ob der neue Premierminister Nikol Paschinjan (Foto oben) an gute Beziehungen mit Russland interessiert ist, nachdem er die politische Macht in Jerewan übertragen bekommen hat. Die Bedenken gehen auf das Jahr 2017 zurück, als das “Jelk-Bündnis” unter der Leitung des derzeitigen Premierministers der armenischen Nationalversammlung einen Resolutionsentwurf vorlegte, in dem der Rückzug Armeniens aus der Eurasischen Wirtschaftsunion gefordert wurde. Der Entwurf wurde abgelehnt, aber er provozierte auch Russland.

Mit Spekulationen über eine vermeintlich kritische Haltung dem Kreml gegenüber räumte Paschinjan auf, als er beim Treffen mit Putin unterstrich, dass Jerewan eine noch engere sicherheitspolitische und wirtschaftliche Kooperation mit Russland wünsche. Paschinjan lobte in diesem Zusammenhang die historisch enge Kooperation seiner Regierung mit Moskau, die nicht neu verhandelt werden müsse: “Ich kann Ihnen versichern, dass es in Armenien einen Konsens gibt und niemand jemals an der Bedeutung des strategischen Charakters der armenisch-russischen Beziehungen gezweifelt hat”.

Die USA suchen zu verhindern, dass sich die Länder des Transkaukasus in die von Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion integrieren.  „Ende April fand in Washington im ‘Zentrum der strategischen und internationalen Forschung’ ein Runder Tisch statt. Dort erhob man neue Herausforderungen gegenüber Armenien. Die Reaktion des Westens: Es wurde dort eine Schlussfolgerung gezogen: Die Orientierung hin auf Russland zu beenden“, schreibt der Publizist Armen Gasparjan.

Die US-Botschaft in Armenien hat derzeit über 1200 Beschäftigte. Das ist doppelt so viel wie aktuell in der Ukraine. Zumal die armenische Diaspora in den USA geschichtlich bedingt sehr groß und sehr einflussreich ist. Andererseits ist Armenien ziemlich arm und leistet sich seit vielen Jahren einen Kriegskonflikt mit dem vergleichsweise wohlhabenden Aserbaidschan. Die jungen Leute leiden unter der Arbeitslosigkeit und den fehlenden Perspektiven – damit öffnet man sich bereitwillig für Demagogen und der Ankündigung vom Schlaraffenland.

Der Publizist Armen Asrijan bewertet die Situation auf folgende Weise (vielleicht übertreibt): „Die Botschaft der USA in Armenien zählt ungefähr zweieinhalb Tausend Angestellte (bei einer Anzahl der Bevölkerung von ca. 3 Millionen Menschen). Damit es klarer wird – um denselben Anteil zu erhalten (1 amerikanischer ‘Diplomat’ für 1200 Menschen), müsste die amerikanische Botschaft in Moskau 125.000 Angestellte haben. Und das sind nur diejenigen, die formell zu den ‘Diplomaten’ zählen. Und zu den Mitstreitern der amerikanischen Botschaft sollten noch die Mitarbeiter von zahlreichen NPO/NGO (Non-Profit-Organisation) gezählt werden. Und NGO-Mitarbeiter gibt es verschiedenen Schätzungen nach, in Armenien zwischen 4. bis 8.000. D.h. die Zahl von NGO- Angestellten übertrifft mehrfach die Zahl von ‘Diplomaten’. Und diese ganze Armee arbeitet seit vielen Jahren.“

Die riesige Zahl der Amerikaner passt Armenien wie die Faust aufs Auge. Ob Paschinjan das versteht?

Das US-Imperium wird nie satt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Armenien mit NGOs geflutet und bearbeitet wird, meinen einige Beobachter. Egal was Putin macht – die Arschkarte wird der Westen wieder verteilen.

Diese Behauptung darf nicht unwidersprochen bleiben.

Russland und Armenien vertreten bei vielen außenpolitischen Angelegenheiten verschiedene Positionen, beide Länder bezeichnen sich jedoch konstant gegenseitig als strategische Partner: Russland ist der größte Investor in Armenien, sein Militär ist als Schutzschild auf armenischem Staatsgebiet stationiert, der größte Markt für armenische Waren ist weiterhin Russland. Dort lebt die größte armenische Diaspora. Beide Länder werden bei der Entwicklung der Zusammenarbeit von diversen Hintergründen und Motiven bewegt, die in dem Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion und zur Organisation des Vertrages über die kollektive Sicherheit (OVKS) mündete.

2010 wurde die Stationierung der russischen Truppen auf armenischem Boden bis zum Jahr 2044 verlängert. Zu den Waffen gehörten die ballistischen Boden–Boden-Raketen vom Typ »Iskander-M«, die in der Lage sind, die Hauptstädte der westlichen und östlichen Nachbarn Armeniens zu treffen. Die Armenier fühlen sich mit russischen Raketen sicherer als je zuvor, schreibt der armenische Publizist Harutyun Grigoryan.

In Jerewan ist die Slawische Humanitäre Universität tätig, an der über 3.400 Studenten verschiedene Fächer auf Russisch studieren. Im armenischen Buchhandel sind russischsprachige Bücher überall präsent. Es sind mehrere russische TV-Kanäle in Armenien verfügbar. Jährlich studieren auf Kosten des russischen Staates etwa 250 armenische Staatsbürger an russischen Universitäten und Hochschulen. Nach Angaben des Föderalen Migrationsdienstes Russlands leben etwa 1,2 Millionen armenische Staatsbürger in Russland, die somit die weltweit größte armenische Diaspora bilden.

Für Armenien ist eine gute Beziehung zu Russland von wirtschaftlicher, kultureller und sogar existentieller Bedeutung. Russland braucht in erster Linie Ruhe an seinen Grenzen; vor allem im Nordund Südkaukasus braucht Russland Stützpunkte und zuverlässigen Boden für seine Präsenz und für eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit mit Iran und anderen arabischen Ländern im Nahen Osten.

Wohin wird Armenien gehen? Was, wenn die Leute herausfinden, dass ihr Idol Nikol Paschinjan kein Brot vermehren und keine Lahmen heilen kann? Eines ist klar: Die Karten im Kaukasus werden neu gemischt.

 

Franz Krummbein  9. Juli 2018
Rubrik: Global/Globalisierung/NWO

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