NATO: Die Gründungs-Lüge

Werner Rügemer

Nach 1945 wussten die USA: Von der geschwächten Sowjetunion geht keine Gefahr aus. Aber mit dem Zangengriff von Marshall-Plan und NATO integrierte die Siegermacht des 2. Weltkriegs ausgewählte europäische Staaten in ihre ökonomische und militärische Expansion und half ihnen beim Kampf gegen Befreiungsbewegungen in den Kolonien – auch wegen der Rohstoffe für US-Konzerne.

Werner RügemerDas ist ein Beitrag von Werner Rügemer. Er bietet eine für viele Menschen neue Sicht der Zusammenhänge und der Motive, die zur Gründung der NATO führten. Rügemers Sicht liegt quer zur gängigen Erzählung über die Gründung der NATO. Wer die damalige Zeit, wer die Debatten um die Wiederbewaffnung Deutschlands erlebt hat, kann der Sicht Rügemers einiges abgewinnen. Wahrscheinlich würde der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, der wegen der Wiederbewaffnung die CDU verlassen hat und 1950 aus dem Kabinett Adenauer ausgetreten ist, vieles ähnlich sehen. Albrecht Müller.

 

Nach 1945 wussten die USA: Von der geschwächten Sowjetunion geht keine Gefahr aus. Aber mit dem Zangengriff von Marshall-Plan und NATO integrierte die Siegermacht des 2. Weltkriegs ausgewählte europäische Staaten in ihre ökonomische und militärische Expansion und half ihnen beim Kampf gegen Befreiungsbewegungen in den Kolonien – auch wegen der Rohstoffe für US-Konzerne.

Im Vorfeld der NATO-Gründung wussten die Verantwortlichen in den USA: Die Sowjetunion bedeutet keine militärische Gefahr. Einen Angriff auf Westeuropa könne die geschwächte Macht, selbst wenn sie wollte, nicht durchhalten: Die Wirtschaft der Sowjetunion ist zu schwach; ihr Transportsystem ist zu primitiv; ihre Ölindustrie ist viel zu leicht anzugreifen. Die Männer im Kreml sind kluge Tyrannen, die ihre innere Macht nicht durch militärische Abenteuer im Ausland aufs Spiel setzen. „Sie wollen den Kampf um Deutschland und Europa gewinnen, aber nicht durch militärische Aktion.“ Das hielt der Chefplaner im State Department, George Kennan, 1948 für Außenminister Marshall, für Präsident Truman und für die US-Botschafter in diversen Memoranden wiederholt fest.[1]

Warum aber gründeten die USA und ihre damals noch wenigen Bündnispartner trotzdem das ausdrücklich gegen die Sowjetunion gerichtete Militärbündnis NATO?

Die Legende vom „Kalten Krieg“

Die Legende besagt, die NATO sei ein „Produkt des Kalten Krieges“. In Wirklichkeit ist die NATO ein Produkt der US-Expansion, die schon lange vor dem militärischen Eingriff der USA in den zweiten Weltkrieg im Gange war.

Der „kalte Krieg“ ist eines der findigsten ideologischen Konstrukte, mit denen die US-Meinungsmaschine die US-Praktiken seit dem 2. Weltkrieg bis heute verschleiert. Der Begriff wurde vom wichtigsten US-Ideologen des 20. Jahrhunderts popularisiert: Walter Lippmann.[2]

„Kalter Krieg“ soll bedeuten: Nach dem 2. Weltkrieg ist der militärische Krieg zu Ende und es beginnt die Phase der nicht-militärischen Auseinandersetzung zwischen dem „freien Westen“ und dem „kommunistischen Ostblock“. Doch während des „kalten Krieges“ führten die USA und die ersten NATO-Staaten Kriege wie in Korea und Indochina – darauf wird zurückzukommen sein.

Zunächst: In Wirklichkeit begann der „kalte“ Krieg schon kurz nach Kriegsbeginn, etwa 1941. Roosevelt und Churchill griffen – trotz mehrmaliger Aufforderungen ihres Alliierten Stalin – militärisch so spät wie möglich in den Krieg ein: Die Rote Armee und die deutsche Wehrmacht sollten sich so weit wie möglich gegenseitig zerstören. Die US- und die britische Regierung lehnten auch jeden inneren Widerstand gegen Hitler prinzipiell ab.[3]

Der zunächst linke Harvard-Absolvent Walter Lippmann hatte im 1. Weltkrieg für das US-Kriegsministerium die Propaganda für den Kriegseintritt der USA mitorganisiert (Committee on Public Information, CPI) – um 1917 das pazifistische Neutralitäts-Versprechen des US-Präsidenten Woodrow Wilson umzudrehen.[4] Danach hatte er an prominenter Stelle die Globalisierung der USA theoretisch begründet und publizistisch begleitet. 1938 hatte er als Gegner des Roosevelt’schen Reformkurses (New Deal) die späteren Gurus der „neoliberalen“ Wirtschaftslehre wie Friedrich Hayek (The Route to Serfdom, 1943, deutsch Der Weg in die Knechtschaft), Alexander Rüstow und Raymond Aron zusammengeführt: Hier wurde der beschönigende Begriff des „Neoliberalismus“ für die neue, antigewerkschaftlich und antikommunistisch ausgeschärfte Kapitalismus-Doktrin geprägt.

Die „Verteidigungs“linie der USA nach Europa vorschieben

Im März 1943 schrieb Lippmann: Nach der Eroberung Nordamerikas, Mittelamerikas, der Karibik, der Philippinen und mehrerer Inseln im Pazifik (Wake, Guam, Hawai, japanische Mandatsinseln) sind die USA gezwungen gewesen, „zwei Drittel der Erdoberfläche von unserer kontinentalen Basis in Nordamerika aus zu verteidigen.“ Jetzt aber eröffne sich mit der absehbaren Niederlage der Achsenmächte Deutschland, Japan, Italien und ihrer Bündnispartner und Kollaborateure ein viel intensiverer Zugriff.

Die USA werden ihre eroberten Gebiete, so der Geostratege, nun nicht mehr allein von ihrem nordamerikanischen Territorium und den verstreuten Inseln im Pazifik aus „verteidigen“ können. Vielmehr könne und müsse Amerika jetzt seine „Verteidigungs“linie entscheidend erweitern, „indem wir unsere Außenpolitik auf zuverlässige Bündnisse in der alten Welt gründen.“ In Europa und Japan könnten nun neue US-Stützpunkte errichtet werden. Damit könnten die USA von der bisherigen passiven zur aktiven „Verteidigung“ ihrer nationalen Interessen übergehen.[5]

Zu dieser Strategie gehörten Lippmanns ideologische Kunstgriffe: Die antiliberal verschärfte Wirtschaftsdoktrin wurde als „Neoliberalismus“ bezeichnet.

Und die verschärfte militärische Expansion wurde als „Verteidigung“ ausgegeben: Von 1789 an, seit ihrer Gründung, hatten die USA faktengemäß ein Kriegsministerium (War Department): Durch Kriege wurden der nordamerikanische Kontinent, Mittelamerika, die Karibik, Kuba, die Philippinen, Puerto Rico usw. erobert. Aber gerade auf der bis dahin höchsten Stufe ihrer auch militärischen Expansion wurde das Kriegsministerium 1947 beschönigend und faktenwidrig in Verteidigungsministerium (Defense Department) umbenannt. Konsequenterweise lief dann auch die NATO unter „Verteidigungs“Bündnis.

Der Zwilling: Marshall-Plan und NATO

Die 1949 gegründete NATO war Zwillingsgeschöpf des Marshall-Plans. Den militärisch-zivilen Doppelcharakter verkörperte George Marshall selbst: Während des 2. Weltkriegs koordinierte er als Chief of Staff das US-Militär auf allen Kriegsschauplätzen zwischen Nordafrika und Asien. Nach dem Krieg organisierte er als Außenminister von 1947 bis 1949 den Marshall-Plan. Und 1950 schlüpfte der Wendige in die Rolle des US-Verteidigungsministers und organisierte brutale Interventionen einschließlich Napalm-Bombardements gegen Befreiungsbewegungen rund um den Globus, in Korea genauso wie in Griechenland.

Ab 1947 erhielten alle späteren NATO-Gründungsmitglieder Hilfen aus dem Marshall-Plan: Großbritannien, Frankreich, Portugal, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Island, Italien, Norwegen. Dies ging auch nach der NATO-Gründung bis zum Ende des Marshall-Plans 1952 weiter. Zusätzlich beschloss der US-Kongress 1949 eine Milliarde US-Dollar an Hilfen für die Aufrüstung der NATO-Mitgründer-Staaten. Teilweise wurden Marshall-Plan-Hilfen militärisch umgewidmet.[6]

Alle diese Staaten – außer Luxemburg und Norwegen – waren zudem aktive Kolonialmächte. Die meisten waren zudem Monarchien und kein Ausbund an Demokratie. Die USA selbst unterhielten in neokolonialer Art zahlreiche abhängige Territorien und beherrschten Staaten in Mittelamerika und in der Karibik mit Hilfe von Diktatoren – am bekanntesten in Kuba. Auch die Beziehungen zu Diktator Franco waren ausgezeichnet. Es ging also nicht um die Verteidigung der Demokratie.

Vorstufe Brüsseler Pakt: „Deutsche“ und „kommunistische Gefahr“

Vor der NATO-Gründung durften die zuverlässigsten europäischen Staaten, die als Gründungsmitglieder vorgesehen waren, ihr Vorspiel machen. Im März 1948 beschlossen die vom Marshall-Plan subventionierten Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und der drei kleinen Benelux-Monarchien den „Brüsseler Pakt“: Er verstand sich als Militärbündnis gegen eine erneute deutsche Aggression und gegen eine drohende sowjetische Aggression.

Diese US-geführten Verschwörungstheoretiker simulierten Gefahren, die es nicht gab: Deutschland war vollständig abgerüstet und stand unter militärischer Kontrolle der Alliierten, also auch der Brüsseler Pakt-Mitglieder selbst – Frankreich, Großbritannien, Belgien und die Niederlande waren Besatzungsmächte in Westdeutschland; und sie konnten darüber mitentscheiden, ob Westdeutschland bzw. die Bundesrepublik Deutschland neu aufgerüstet wird oder nicht. Die Sowjetunion war zu einem Angriff auf Westeuropa weder fähig noch willens, zu einer dauerhaften Besetzung noch weniger – diese Einschätzung der US-Regierung war auch den Brüsseler Pakt-Staaten geläufig.

Im Brüsseler Pakt kamen neben Großbritannien die Staaten zusammen, deren Regierungen und Wirtschaftseliten keinen Widerstand gegen die Besetzung der Wehrmacht geleistet, sondern mit Nazi-Deutschland kollaboriert und ebenfalls im „Kommunismus“ die Hauptgefahr gesehen hatten. Sie alle fürchteten nach dem Krieg Bestrafung und Enteignung, die Militärs und Geheimdienste fürchteten Einflussverlust.[7]

Ein Jahr später nahmen die USA die Sache auch offiziell in die Hand. Am 4. April 1949 – einige Monate vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland – gründeten sie in Washington das Militärbündnis North Atlantic Treaty Organisation, NATO. Es wurde als „Verteidigungs“-Bündnis ausgegeben und folgte damit der US-Sprachregelung. Alle anderen Mitglieder waren von den USA abhängig, nicht nur durch den Marshall-Plan, sondern auch durch zusätzliche Kredite, Militärhilfen und Investitionen. Der Sitz der NATO war bis 1952 in Washington.

Krieg gegen Befreiungsbewegungen in den europäischen Kolonien

Mit der NATO und mit den zusätzlichen US-Militärstützpunkten in den NATO-Mitgliedsstaaten schoben die USA nicht nur im Sinne Lippmanns ihre „Verteidigungs“linie nach Westeuropa vor. Sie unterstützten auch die Kriege, die die europäischen Kolonialmächte gegen die nach dem Krieg erstarkten Befreiungsbewegungen in den Kolonien führten. Und die USA verschafften sich mit Marshall-Plan und NATO Zugang zu Rohstoffen in diesen Kolonien.

Großbritannien
Großbritannien war während des Krieges von den USA durch Rüstung, Schiffe und Nahrungsmittel beliefert worden und war nun bei den USA hochverschuldet. Die USA sorgten dafür, dass der von ihnen 1944 gegründete und beherrschte Internationale Währungsfonds IWF 1947 den ersten großen Kredit an Großbritannien vergab: Damit wurde die Labour-Regierung versöhnt und erpresst. Großbritannien war auch in weiterer Hinsicht geschwächt: Die wichtigsten Kolonien wie Indien gingen verloren. Schon im Krieg hatte Großbritannien den USA mehrere Militärstützpunkte im Commonwealth überlassen. Zur Zeit der NATO-Gründung bekämpfte die Labour-geführte Regierung die Befreiungsbewegung in Ghana, bezeichnete den Vorsitzenden der Convention People’s Party, Kwane Nkrumah, als „little local Hitler“ und steckte ihn 1950 ins Gefängnis. Erst 1957 konnte Ghana mit Nkrumah selbständig werden.[8] Die USA, die mit ihrem Geheimdienst OSS schon ab 1943 in Griechenland und der Türkei präsent waren, lösten 1948 dort das Militär und den Geheimdienst Großbritanniens ab und übernahmen den Krieg gegen die antifaschistische Befreiungsbewegung.

Kanada als Mitglied des Commonwealth war doppelt abhängig: Seit Ende des 19. Jahrhunderts war das Land eine Wirtschaftskolonie der USA.[9] Die kanadischen Truppen hatten unter britischem Kommando gestanden, und die britischen Truppen sowie die gesamte britische Kriegswirtschaft waren den USA unterstellt gewesen.[10]

Frankreich
Das zweitwichtigste NATO-Mitglied nach Großbritannien war Frankreich. Die US-Army hatte das Land, zusammen mit Briten und Kanadiern, 1944 von den Nazis und der Vichy-Kollaborationsregierung befreit. Die linke Résistance, die vom US-Geheimdienst OSS unterwandert worden war, wurde schnell ausgeschaltet. Den ungeliebten General Charles de Gaulle, der ein unabhängiges Frankreich vertrat, musste man auf der Siegesparade auf dem Champs Elysées in Paris mitlaufen und dann eine provisorische Regierung bilden lassen, in der auch die in der Résistance führende kommunistische Partei vertreten war. Die Weltbank unter Präsident John McCloy vergab noch vor dem Marshall-Plan einen Kredit an Frankreich, unter der Bedingung: De Gaulle und die Kommunisten dürfen nicht in die Regierung! US-Außenminister Byrnes, Vorgänger von Marshall, versprach einen 650-Millionen-Kredit und die zusätzliche Lieferung von 500.000 Tonnen Kohle.[11]

Christlich lackierte Politiker wie George Bidault, enger Freund des CDU-Vorsitzenden und zukünftigen bundesdeutschen Kanzlers Konrad Adenauer und wie dieser mit CIA-Chef Allen Dulles im Kontakt,[12] wurden in die Regierung manövriert, de Gaulle wurde rausgeworfen, der Kredit wurde gewährt.[13] Die USA rüsteten 1948 zudem drei französische Divisionen auf, damit Frankreich in seinem Besatzungsgebiet in Westdeutschland überhaupt als ernstzunehmende Besatzungsmacht auftreten konnte.[14]

Die französische Kolonie Algerien wurde NATO-Vertragsgebiet. Gleichzeitig verlangte die französische Regierung militärische Hilfe gegen den „Kommunismus“ in der Kolonie Indochina: Die im September 1945 von der Unabhängigkeitsbewegung Vietminh unter Ho Chi Minh ausgerufene Demokratische Republik Vietnam sollte vernichtet werden – die USA halfen mit Militärberatern, Nahrungsmitteln und Rüstungsgütern.[15] McCloy als Präsident der Weltbank genehmigte im NATO-Gründungsjahr 1949 auch dafür einen Kredit.[16]

Belgien, Niederlande, Luxemburg
Die drei Benelux-Staaten, deren Regierungen im Krieg mit den Nazis kollaborierten, hatten keinen militärischen Beitrag gegen Hitler-Deutschland geleistet. Aber Belgien und die Niederlande durften aus US-Gnaden als Besatzungsmächte nach Westdeutschland einrücken.

Auch dem Königreich Niederlande gestand McCloy im NATO-Gründungsjahr 1949 einen Kredit der Weltbank zu, damit die Unabhängigkeitsbewegung in der Kolonie Indonesien bekämpft werden konnte.[17] Indonesien erhielt zusätzlich zum „Mutterland“ Hilfen aus dem Marshall-Plan. Gegen die 1945 nach der japanischen Besetzung gegründete Republik Indonesien gingen die 145.000 niederländischen Militärs mit der Bombardierung von Städten vor, ermordeten zehntausende Widerstandskämpfer und andere Einheimische und nahmen die Regierung gefangen.[18]

Belgien
Das Königreich Belgien hielt seine rohstoffreiche Kolonie Kongo auch nach 1945 mit US-Zustimmung weiter unter der Knute. Die USA hatten seit Kriegsbeginn das für die Atombomben entscheidende Uran aus der belgischen Kolonie bezogen. Der Bergwerkskonzern Union Minière du Haut Katanga – die Rockefellers waren daran beteiligt – hatte schon 1939 seine Zentrale von Brüssel nach New York verlegt.[19]

Nach 1945 wurde der antikoloniale Widerstand im Kongo gnadenlos bekämpft: Gewerkschaften waren verboten, Streikende wurden erschossen oder öffentlich ausgepeitscht.[20] Später, 1961, wurde in belgisch-US-amerikanischer Komplizenschaft (König Baudouin, US-Präsident Eisenhower, CIA, einheimische Kollaborateure) der erste Premierminister des unabhängig gewordenen Kongo, Patrice Lumumba, nach kurzer Zeit bestialisch ermordet.[21]

Portugal
Das faschistische Portugal war im Krieg neutral geblieben und deshalb wirtschaftlich für Nazi-Deutschland umso wichtiger gewesen: Als einziger Staat lieferte Portugal das kriegsentscheidende Edelmetall Wolfram für die Stahlhärtung. In Portugal wurden Raubaktien und Raubgold für die Finanzierung der deutschen Kriegsführung gewaschen.[22]

Die USA gaben nach 1945 die asiatischen Kolonien Timor und Macau, die von Japan besetzt worden waren, an Portugal zurück. In den afrikanischen Kolonien Mosambik und Angola herrschte kolonialistische Zwangs- und Plantagenwirtschaft (Kaffee, Baumwolle). Die Kommunistische Partei als wichtigste Befreiungsorganisation war verboten und wurde verfolgt.[23] Die USA und die NATO konnten nun die Atlantikinseln Portugals, die Azoren, als Militärstützpunkte nutzen.

Kleine Staaten und spätere NATO-Mitglieder
Island hatte sich 1944 vom Status als dänische Halbkolonie gelöst und seine Unabhängigkeit erklärt. 1940 war das Land von Großbritannien und den USA besetzt worden. Island bekam Marshall-Plan-Gelder und stimmte seiner NATO-Mitgliedschaft zu: Das Land unterhielt kein eigenes Militär, diente aber als US- und NATO-Stützpunkt.

In Dänemark wurde nach der Nazizeit eine Regierung gebildet, zu der auch die Kommunistische Partei gehörte. Auch hier wurde mit der Sozialdemokratisierung und mithilfe des Marshall-Plans die ursprünglich gewollte Blockfreiheit ausgetrieben.

Die dänische Kolonie Grönland, in der die USA schon 1941 Militärstützpunkte errichtet hatten, wurde 1951 zum NATO-Verteidigungsgebiet erklärt.

In Norwegen wollte die sozialdemokratische Regierung nach der deutschen Besetzung blockfrei bleiben. Aber mithilfe des Marshall-Plans und zusätzlicher Aufrüstungshilfen manövrierten die USA auch Norwegen in die NATO.

Im NATO-Gründungsjahr bombardierten US-Sturzkampfflieger die Stellungen der antifaschistischen Befreiungsbewegung in Griechenland mit Napalm und rüsteten das monarchietreue Militär aus, das mit den Nazis kollaboriert hatte. Nur so konnte die Befreiungsbewegung in dem angeblichen „Bürger“krieg besiegt werden.[24] Als die USA hier wie in der benachbarten Türkei für eine US-abhängige Regierung gesorgt hatten, holten sie 1952 die beiden Staaten in die NATO.

Die USA wollten vor allem die westlichen Besatzungszonen Deutschlands in die NATO holen. Doch erstens war dieses Westdeutschland noch kein Staat; und zweitens sperrten sich zunächst die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens wegen der kritischen Öffentlichkeit in beiden Staaten gegen die Wiederbewaffnung der Deutschen. Aber kurz nach der Gründung des neuen Staates Bundesrepublik Deutschland (BRD) sagte dessen Kanzler Adenauer 1950 die Wiederbewaffnung zu (heimlich). Und die USA förderten schon ab 1950 die Rüstungsproduktion der BRD für den Bedarf des Krieges gegen die Volksbefreiungsbewegung in Korea. Die bundesdeutschen Rüstungsindustriellen setzten sich mehrheitlich für die NATO ein. Und schon im September 1950 schloss die NATO die BRD in das NATO-Verteidigungsgebiet ein – fünf Jahre vor dem formellen NATO-Beitritt.[25]

Die USA dringen in die europäischen Kolonien ein

Die NATO war somit ein Bündnis gegen die nachfaschistische Demokratisierung in Europa und gegen die nationale Selbstbestimmung in den Kolonien. Und die neokoloniale NATO-Supermacht drang in die alten Kolonien der Europäer ein.

In den französischen Kolonien Indochinas (Vietnam, Laos, Kambodscha) und Afrikas (ein gutes Dutzend Kolonien) lagerten wichtige Rohstoffe. An diese wollten US-Unternehmen nun möglichst günstig herankommen. Die Behörde des Marshall-Plans in Paris unterhielt unter Evan Just die Abteilung „Strategische Rohstoffe“. Sie erkundete und inventarisierte in den Kolonien der europäischen Kolonialmächte z.B. Mangan und Graphit in Madagaskar; Blei, Kobalt und Mangan in Marokko; Kobalt, Uran und Cadmium im Kongo; Zinn in Kamerun; Chrom und Nickel in Neu-Kaledonien; Kautschuk in Indochina; Öl in Indonesien;[26] daneben Industriediamanten, Asbest, Beryllium, Tantalit und Colombit.

Die Marshall-Plan-Behörde und das State Department organisierten ab 1948 Rohstoff-Kaufverträge etwa für United Steel, Bethlehem Steel und Newmont Mining und bildeten mithilfe von Investmentbanken wie Morgan Stanley und Lazard Frères gemeinsame Holdings zur Modernisierung von Bergwerken in den Kolonien der Europäer.[27] Für die Atombomben brauchten die USA nach dem Krieg ohnehin noch mehr Uran als während des Krieges.

Endlich, endlich Russland erobern? Widerstand!
Die NATO war und ist ein Bündnis, das die UNO-Charta, Artikel 1 „Selbstbestimmung der Nationen“, von Anfang an prinzipiell und dauerhaft verletzte und weiter verletzt. NATO-Mitglieder zogen in unterschiedlicher Weise mit in die von den USA angeführten, zahlreichen Kriege des zu Unrecht so genannten „Kalten Krieges“.[28]

Und selbst unter dem ansonsten ein bisschen kritisierten Präsidenten Donald Trump folgen die europäischen NATO-Partner der NATO-Führungsmacht bei der antirussischen Hetze und Aufrüstung, und auch aus eigenem Interesse an der Eroberung des Großraums, die endlich, endlich gelingen soll, wenn es sein muss wieder mit Krieg, und diesmal auch mit Atombomben.

Es geht um viel. Das jahrzehntelang genährte NATO-Lügengebäude ist brüchiger denn je. Das heutige Russland ist noch ungleich viel schwächer als die damalige Sowjetunion im Vergleich zur noch höher aufgerüsteten westlichen NATO-Völkerrechtsbruch-Gemeinschaft von heute. Der Widerstand gegen sie muss und kann eine Kraft annehmen, die heute noch nicht sichtbar ist.

Letzte Buchveröffentlichung von Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, aus Geschichte und Kultur. 2. Auflage Köln 2017


[«1] Melvyn Leffler: The Struggle for Germany and the Origins of the Cold War. German Historical Institute, Washington D.C. Occasional Paper No 16/1996, S. 51f.

[«2] Walter Lippmann: The Cold War. New York 1947

[«3] Allen Welsh Dulles: Verschwörung in Deutschland. Kassel 1948, S. 176

[«4] George Creel: How We Advertised America. The First Telling of the Amazing Story of the Committee on Public Information That Carried The Gospel of Americanism to Every Corner of the Globe, New York 1920. Creel war der Vorsitzende der nach ihm benannten Komission.

[«5] Walter Lippmann: U.S. Foreign Policy. Shield of the Republic, deutsche Übersetzung: Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, Schweizer Spiegel Verlag, Zürich 1944, S. 120ff.

[«6] Gérard Bossuat: La France, l‘ aide américaine et la construction européenne 1944 – 1954. Paris 1992, S. 356 und 380

[«7] Ludwig Nestler (Hg.): Europa unterm Hakenkreuz. Belgien Luxemburg Niederlande. Berlin 1990; Annie Lacroix-Riz: Banquiers et Industriels sous l‘ occupation. Paris 1999; Werner Rügemer: Hehler für Hitler – Der Otto Wolff-Konzern, in: Ders.: Colonia Corrupta, Münster 2015, S. 182ff.; Rudi Van Doorslaer (Hg.): La Belgique docile. Les autorités belges et la persecution des Juifs en Belgique pendant la Seconde Guerre mondiale, Bruxelles 2007

[«8] Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 – 2015. München 2016, S. 1180f.

[«9] Historica Canada – Foreign Investment

[«10] Jacques Pauwels: Der Mythos vom guten Krieg. Die USA und der 2. Weltkrieg. Köln 2006, S. 67; US-General Eisenhower war ab 1944 Supreme Commander der Allied Expeditionary Forces (SHAEF) für die militärischen Operationen in Europa.

[«11] Nicolas Lewkovicz: The German Question and the International Order 1943 – 48. London 2010, S. 55 und 61; Kai Bird: The Chairman John McCloy. The Making of the American Establishment. New York 1992, S. 292

[«12] Rudolf Jungnickel: Kabale am Rhein. Weimar 1994, S. 8ff.

[«13] Kai Bird: The Chairman. John McCloy – The Making of the American Establishment. New York London 1992, S. 290f. und 429

[«14] Melvin Leffler S. 56

[«15] Bossuat S. 484ff.

[«16] Bird S. 296

[«17] Bird S. 296

[«18] Wolfgang Reinhard S. 1139f.

[«19] Liane Ranieri: Dannie Heineman – Head of SOFINA. Brussels 2012, S. 229

[«20] Siehe David Reybrouck: Kongo – Eine Geschichte. Frankfurt/Main 2012

[«21] Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte. Frankfurt/Main 2008, S. 225ff.

[«22] Werner Rügemer: Colonia Corrupta. Münster 2015, 8. Auflage, S. 181ff.

[«23] Reinhard S. 1198f.

[«24] Heinz Richter: Griechenland 1940 – 1950, Mainz 2012, S. 334f.

[«25] Volker Berghahn: The Americanization of West German Industry 1945 – 1973, S. 267ff.

[«26] Reinhard S. 1138ff.

[«27] Bossuat S. 501ff.

[«28] Vgl. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Zürich 2016

Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=43276#more-43276

Werner Rügemer  5. April 2018
Rubrik: Global/Globalisierung/NWO

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