In Südeuropa war die Guerillatruppe besonders aktiv – auch bei den Militärputschen in Griechenland und der Türkei?
In über 800 Verstecken lagerten Waffen, Funkgeräte und andere Ausrüstung. Die Depots schlummerten in Höhlen, in den Kellern öffentlicher Gebäude, in zugeschütteten Tiefbrunnen und sogar unter dem Boden griechischorthodoxer Kapellen auf dem Lande.
Die Geheimtruppe, für die das Arsenal angelegt worden war, zählte 1500 Mann und sollte im Kriegsfall sofort auf 3500 Mann aufgestockt werden. Sie rekrutierte sich aus Berufsoffizieren von Spezialeinheiten (Special forces) und aus Reservisten der Gebirgsjäger „Lok“ (Lochos Oreinon Katadromon), die als härteste Kampftruppe der Nato galt.
Griechenlands geheime Guerillaeinheiten für den Fall eines kommunistischen Putsches oder einer Invasion durch Armeen des Warschauer Pakts waren besser ausgerüstet und verfügten über mehr Personal als ihre Kameraden in anderen Ländern der Allianz. Statt „Gladio“ wie in Italien wählten sie den Tarnnamen „Sheep skin“, Schafsfell.
Jahrzehntelang blieb das Netz der schlafenden Widerstandsgruppen in Europa streng geheim. Erst als ein venezianischer Richter (siehe Seite 176) den italienischen Ableger enthüllte, flog überall die Tarnung auf.
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in den fünfziger Jahren, als im Westen die Furcht vor einem sowjetischen Überfall umging, hatte der US-Geheimdienst CIA die Organisation aufgebaut – in den Nato-Mitgliedsländern mit Hilfe der Regierungen; in neutralen Ländern wie Österreich, Schweden und Finnland fanden sich Politdesperados oder Privatkrieger für den Untergrundkampf gegen die Kommunisten.
Den Regierenden in Athen erschien die kommunistische Gefahr noch dramatischer als den anderen Verbündeten. Erst nach fast vier Jahren eines verlustreichen Bürgerkriegs mit mehr als 150 000 Toten hatten Regierungstruppen mit massiver angloamerikanischer Hilfe 1949 eine kommunistische Partisanenarmee besiegt und nach Albanien, Jugoslawien und Bulgarien vertrieben. Noch Jahre danach fürchteten Politiker wie Offiziere, die Geschlagenen könnten nach gezielter Ausbildung in der Sowjetunion und ihren Satellitenländern zu einer neuen Runde im Kampf um die Macht in Athen antreten.
Daher schlossen die rechten Regierenden auch mit Begeisterung den Bund mit der CIA gegen den äußeren und inneren Feind.
General Konstantin Dovas, Chef des griechischen Generalstabs, und CIA-General Trascott besiegelten ihn 1955 am Nationalfeiertag, dem 25. März; Ministerpräsident und Feldmarschall Alexander Papagos zeichnete den Vertrag über den hellenischen Gladio-Ableger eigenhändig ab.
Papagos konnte sogar auf eigenen Vorarbeiten aufbauen. Als Oberbefehlshaber der Regierungstruppen im Bürgerkrieg hatte er sich eine „Feldmarschall-Informationsabteilung“ zugelegt, die der Generalstabsabteilung für die Gebirgsjäger-Truppe unterstand. 1952 wurde nach CIA-Muster der Geheimdienst „Zentraler Informationsdienst“ (KYP) ins Leben gerufen, doch die Kompetenzen für Sonderoperationen blieben bei den Gebirgsjäger-Generalen. Sie bildeten in ihrem Aufgabenbereich eine „Direktion für Sonderoperationen“.
Im Rahmen der US-Militärhilfe arbeitete die CIA-Abteilung für Sonderoperationen nicht, wie sonst üblich, mit ihrer Schwesterorganisation KYP zusammen, sondern direkt mit den Gebirgsjäger-Kommandeuren im Generalstab.
Unter ihrer Anleitung entstand der Plan, die Verteidigung des Landes nicht an der Grenze, sondern an der strategisch günstigeren Linie Olymp-Aliakmon-Fluß zu organisieren. Danach sollte bei einer kommunistischen Invasion ein „unorthodoxer Krieg“ hinter den Linien des Feindes, zwischen der Nordgrenze und dem Olymp, geführt werden.
Schon in Friedenszeiten sollten Kader wie auch Verstecke („krypten“) mit aller dafür erforderlichen Ausrüstung bereitgestellt werden. Jährlich fand eine Generalrevision statt. Stabs- und Operationspläne wurden den geänderten Erfordernissen angepaßt, Waffen und Geräte ausgewechselt.
Einsatzbefehle und Operationspläne kamen vom KYP. Einer der Geheimdienstoffiziere, der über Aufgaben und Potential der Untergrundeinheiten genau Bescheid wußte, war der Oberst Georgios Papadopoulos.
Schon Jahre zuvor hatte der Obrist, der geradezu missionarisch rechtsextreme Ideen vertrat, als Truppenoffizier an der türkischen Grenze mit Sabotageaktionen auf die angebliche kommunistische Infiltration und eine drohende Machtergreifung der Linken aufmerksam machen wollen.
Um einem geplanten Staatsstreich der Generale gegen ein angeblich von Linken drohendes Chaos zuvorzukommen, verwirklichten Papadopoulos und einige Obristen-Kameraden den Plan „Prometheus“. Am 21. April 1967 rissen die KYP-Verschwörer die Macht im Staate an sich, der Putsch im Putsch gelang dank perfekter Oganisation.
Papadopoulos, im April 1967 Leiter der 3. Generalstabsabteilung für Operationsplanung, brauchte nur einen Plan zu realisieren, der schon 1950 in Zusammenwirken mit der Nato für den Fall eines kommunistischen Angriffs erarbeitet worden war. Er sah den Einsatz der Geheimtruppe zur überfallartigen Besetzung von wichtigen Punkten und zur Internierung unliebsamer Politiker vor.
Lok-Gebirgsjäger holten denn auch in der Putschnacht den Regierungschef Panagiotis Kanellopoulos – einen Konservativen – aus seinem Appartement und den Erzfeind der Militärs und späteren Sozialisten-Premier Andreas Papandreou aus seiner Villa. Gebirgsjäger umstellten das Königsschloß, besetzten das Fernmeldeamt, den Flughafen, Bahnhöfe, Kraftwerke und strategisch wichtige Kreuzungen.
Ein Jahr nach dem Coup brüstete sich einer der Organisatoren der Operation, der damalige Sicherheitschef Brigadegeneral a. D. Ioannis Ladas in einem SPIEGEL-Interview damit, alle wichtigen Personen seien „binnen 20 Minuten“ festgenommen worden.
Auf die Frage, wie das so perfekt gelingen konnte, antwortete Ladas: „Nach einem sehr einfachen, diabolischen Plan, den ich Ihnen aber nicht verraten kann, weil ich damit vorzeitig die Geschichte der Revolution enthüllen würde. Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, diese Geschichte zu schreiben.“
Jetzt endlich, nach Aufdeckung des europäischen Gladio-Spinnennetzes, scheint das Schafsfell gelüftet.
Frappierend ähnlich die Parallelen im Nachbarland Türkei. Dort wurde der Geheimbund 1953, ein Jahr nach dem Beitritt des Landes zur Nato, unter der Bezeichnung „Anti-Terror-Organisation“ gegründet und im selben Gebäude wie die US-Militärmission untergebracht. 1964 wurde sie in „Abteilung für Sonderkrieg“ umbenannt und dem Generalstab unterstellt.
Nach den Enthüllungen über die Organisation in anderen Ländern wächst im Lande der Verdacht, daß die Sonderkrieger sowohl an der Terrorwelle der siebziger Jahre wie auch am Militärputsch direkt beteiligt waren. Denn zum Zeitpunkt des Coups stand die Geheimtruppe, der vor allem „Graue Wölfe“, Mitglieder der faschistischen Partei von Alparslan Türkes, angehörten, unter dem Befehl jenes Generals Kenan Evren, der den Staatsstreich kommandierte und sich später zum Präsidenten machte.
Evren selbst enthüllt in seiner Biographie, er habe im Mai 1980, also vier Monate vor dem Putsch, die Forderung des Ministerpräsidenten Süleyman Demirel zurückgewiesen, das Sonderkriegskontingent gegen Terroristen einzusetzen. Evren befolgte auch nicht den Befehl des Demirel-Vorgängers, des Sozialdemokraten Bülent Ecevit, die Sonderkriegsabteilung aufzulösen.
Ecevit behauptet, er habe von den Sonderkriegern zum erstenmal 1974 erfahren, als die Militärs ihn gebeten hätten, geplante Operationen auf Zypern aus einem Geheimfonds zu finanzieren.
Offensichtlich waren die geheimen Einheiten nicht nur für Einsätze im Ausland bestimmt, sondern dienten auch dunklen Machenschaften im Inland. So wird das Massaker auf dem Istanbuler Taksim-Platz am 1. Mai 1977 heute den Sonderkriegern angelastet. Damals erschossen Unbekannte 38 demonstrierende Arbeiter und verletzten 300.
Ex-Offiziere enthüllten, daß sich die Tarntruppe aus ehemaligen Armee- und Polizeioffizieren sowie Zivilisten rekrutierte. Sie sollte Widerstandsgruppen für den Fall einer sowjetischen Invasion ausbilden. Doch bald, so gab Ex-Oberst Talat Turhan zu, widmete sich die Organisation vornehmlich der Beschattung, Verfolgung und Folterung von Funktionären linker Organisationen.
Schon Jahre vorher hatte sich Sheep skin auf der gegenüberliegenden Ägäis-Küste ähnlichen Zielen zugewandt. Für eine Reihe von Sabotageakten blieben die Drahtzieher bis heute unbekannt, nie konnte die Justiz Täter schnappen.
Im Umfeld der griechischen Geheimtruppe hatten sich Banden aus ehemaligen Soldaten und Angehörigen der berüchtigten Militärpolizei gebildet. Als verlängerter Arm von Sheep skin machten sie selbständig Jagd auf die Roten im Lande. „Wir waren ja“, so ein ehemaliger Reserveoffizier der Geheimtruppe, „offiziell ausgebildete Terroristen“ – und sie standen unter dem Schutz der Mächtigen.
Die Rechtsextremisten schlugen zu, sobald sie eine Versöhnung mit den Kommunisten oder unerwünschte politische Entwicklungen ausmachten. In Athen wird vermutet, daß die Geheimtruppe und ihre Ableger zumindest bei drei bisher ungeklärten schweren Anschlägen mitgebombt haben: *___Im Jahre 1965, in der Regierungszeit von Georgios ____Papandreou, dem Vater des heutigen Oppositionsführers ____Andreas Papandreou, flog die Gorgopotamos-Brücke in die ____Luft, als Rechte und Linke einer gemeinsamen ____Widerstandsaktion, der Sprengung der Brücke während der ____deutschen Besatzung, gedenken wollten. Es gab 5 Tote ____und fast 100 Verletzte. *___Als der jetzige Finanzminister Ioannis Palaeokrassas im ____Juni 1985 im Hotel „Plotini“ bei Didymotichon nahe der ____griechisch-türkischen Grenze eine Wahlrede halten ____wollte, wurde das Gebäude durch eine Explosion ____zerstört. *___Im Oktober 1989 zerriß auf der Insel Lesbos ein ____Sprengsatz das Stadttheater, kurz bevor der damalige ____Oppositionsführer und heutige Ministerpräsident ____Konstantin Mitsotakis seine Rede beginnen konnte. ____Einziges Opfer war der Bombenleger selbst, ein ____Unteroffizier der Luftwaffe und Geheimagent namens ____Michalis Pavlis.
Aber weder die derzeit regierenden Konservativen noch ihre Vorgänger, die Sozialisten, scheinen an einer genauen Aufklärung der Vorgänge interessiert zu sein. „Die Fangarme von Sheep skin“, meinte das Athener Blatt To vima, „drücken ihren Stempel nicht nur der neueren politischen Geschichte des Landes auf, sondern beeinflussen die politische Szenerie noch heute.“
Als der SPIEGEL bereits 1979 die Regierung mit Informationen konfrontierte, die fortdauernde terroristische Tätigkeiten einer Geheimorganisation bloßlegten, Lageskizze von Waffenlagern inklusive, verweigerten Sicherheitsexperten jegliche Auskunft.
Unter der linken Papandreou-Regierung wurden in den achtziger Jahren Tausende Geheimdokumente vernichtet. Und der konservative Verteidigungsminister, Ioannis Varvitsiotis, holte nun just einen Generalleutnant, der bei der Nato und in Washington als Militärattache gedient hat, aus der Reserve und betraute ihn mit der Untersuchung der Geheimaktivitäten.
Ein Wolf im Schafsfell? Schon jetzt jedenfalls, bevor der seine Arbeit begann, weiß Varvitsiotis: „Die Regierung hat nichts zu befürchten.“
Quelle: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13502661.html