Waren die so genannten Alt-68er und ihr Führer Rudi Dutschke in Berlin gegen oder für die „Schutzmacht“?
Die Darstellung der Situation in West-Berlin im Artikel „Studenten gegen die Schutzmacht“ von Uwe Sukoup („Der Tagesspiegel“ vom 30.04.2015) kann und darf nicht unwidersprochen bleiben. Vor allem hinsichtlich der Rolle der „Schutzmacht“, die in Wirklichkeit nur das von ihr kontrollierte West-Berlin „schützte“ oder, korrekter, seine Einbeziehung in das Lager des Warschauer Paktes verhinderte. Außerdem bedarf die Darstellung der so genannten Studentenrevolte einiger Ergänzungen, Korrekturen und Richtigstellungen, damit sie nicht mehr auf dem Kopf steht, sondern auf die Füße gestellt wird. Da ich selbst ein Alt-68er bin und in dieser Zeit an der Freien Universität Berlin FUB Soziologie studierte, habe ich die soziale und politische Atmosphäre in West-Berlin oder Westberlin und in der FUB etwas differenzierter erlebt, als sie der Autor beschreibt.
Zunächst möchte ich aber meinen Ärger über die Überschrift des Tagesspiegels freien Lauf lassen. Denn der Titel „Studenten gegen die Schutzmacht“ ist voll daneben, würde man heute sagen, von einer „Schutzmacht“ zu reden wäre eine eklatante Verdrehung und Verklärung der historischen Tatsachen: Erstens, wurde West-Berlin mit Zähnen und Klauen und Heeren von westlichen Spionen davor geschützt, ins sowjetische Lager abzudriften und zweites, es gab in Wirklichkeit nicht eine „Schutzmacht“, sondern drei, USA, England und Frankreich, die Deutschland besiegt, okkupiert und dreigeteilt hatten, dazu noch West-Berlin, wir hatten ja einen US-amerikanischen, einen britischen und einen französischen Sektor. Dieses West-Berlin wurde in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als eine besondere politische Einheit (offizielle Bezeichnung bei Dokumenten der Alliierten) oder als die selbständige politische Einheit Westberlin bezeichnet. Doch das interessierte die „Schutzmacht“ und die von ihr installierten Politiker in West-Berlin wenig, für sie war West-Berlin ein Teil der Bundesrepublik Deutschland, wurde als Berlin bezeichnet und gehörte, wie die Bundesrepublik Deutschland auch, dem Westen.
Ich zitiere jetzt aus dem Artikel von Uwe Sukoup die hier in Frage kommenden Passagen, die ich anschließend kommentieren werde.
Zunächst über Kennedy
„Im Juni 1963, beim Kennedy-Besuch in West-Berlin, war die Halbstadt aus dem Häuschen. Auch in Dahlem hielt der US-Präsident eine begeisternde Rede vor FU-Studenten, in der er Grundlinien seiner Entspannungspolitik entwickelte. Wie konnten die gleichen Studenten, so fragten sich später viele Kommentatoren, die damals noch Kennedy applaudierten, knapp drei Jahre später gegen die US-amerikanische Vietnampolitik auf die Straße gehen?
Kennedy hatte den Studenten zugerufen: „Leute, mischt euch ein. Demokratie ist, wenn ihr euch beteiligt. Macht was. Und genau das ist ja passiert“, erinnerte sich später der Schriftsteller Friedrich Christian Delius, damals Germanistikstudent. „Diese Enttäuschung, dass die ja von uns bewunderten Amerikaner sich da in einen Krieg begeben, der den eigenen Prinzipien völlig widersprach, das hat uns aufgewühlt und aufgeregt.“
Man kann das heute kühl analysieren, in den sechziger Jahren jedoch war das eine Glaubensfrage. Demonstrieren gegen die Schutzmacht? Für die meisten West-Berliner eine unerhörte Provokation, den anderen aber unverzichtbar. Nirgendwo konnte man die Amis mit Vietnam-Protesten mehr ärgern als in Berlin“.
Kommentar dazu:
Der Autor schreibt über die FU-Studenten, vor denen US-Präsident Kennedy eine „begeisternde“ Rede hielt und diese sollen ihm applaudiert haben. Doch von welchen Studenten ist hier die Rede, die sogar Kennedy applaudieren sollten? Bestimmt nicht von den Soziologen und Politologen von OSI und auch nicht von den Tausenden von Studenten, die wegen des Vietnam-Krieges die USA kritisierten. Die damals applaudierten waren eher schon die Juristen, von denen die bekanntesten und später zu Amt und Ehren gekommenen Diepgen, Landowski und Kittelmann waren, das so genannte trio infernale, das sogar einen Fluchttunnel am Springer-Haus baute aber leider, leider nicht seinen Anschluss an den Tunnel hinkriegte, den West-Spitzel auf der Ost-Seite buddelten, die West- und Ost-Bauer sollen ihre Röhre parallel gebaut haben, so die Legende. Und war es nicht Kennedy, der den Vietnam-Krieg vorbereitet und forciert hatte, oder irre ich mich? Und sogar einen Atomkrieg mit der Sowjetunion riskierte, als Chruschtschow seine Kanonen auf Kuba-installieren wollte? Nein, nein, Kennedy war kein Friedensengel, er war auch ein US-Amerikanischer Präsident und amerikanische Präsidenten waren niemals Revoluzzer im Sinne der FU-Studenten.
Vietnamdemos und Rudi Dutschke
Dazu Uwe Sukoup:
„Der Erfolg der Vietnamdemonstration veranlasste den Senat, drei Tage später zu einer Gegenkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg aufzurufen. Der öffentliche Dienst bekam frei, hatte aber möglichst vor dem Rathaus zu erscheinen. Selbstgemalte Transparente gaben Zeugnis von der „psychisch schwerkranken Gemeinde West-Berlin“, dies eine Formulierung vom Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) vom Beginn seiner Amtszeit im Herbst 1967.
Man sah einen Galgen, daran eine Person hängend und die Worte „glückliche Reise“, ferner das berühmt gewordene „Rudi Dutschke, Volksfeind Nr. 1“. Am ÖTV-Haus hatten Ordner ein Transparent mit der Aufschrift „Bei Adolf wär das nicht passiert“ eingezogen. Auch Teilnehmer der Senatskundgebung wurden von anderen Demonstranten verprügelt, weil sie Bart, Brille oder Cordhose trugen. Ein Verwaltungsangestellter, in dem man Dutschke zu erkennen glaubte, flüchtete sich in einen Polizeiwagen, dessen Scheiben eingeschlagen wurden und den man umzustürzen versuchte“.
Kommentar dazu:
Ja, West-Berlin war eine „psychisch schwerkranke Gemeinde“, doch wer hat die Stadt „psychisch schwerkrank“ gemacht“? Wurden die West-Berliner plötzlich meschugge, plemplem, oder waren sie eher schon der verheerenden Propaganda der Massenmedien West-Berlins, von der Bild, der Berliner Morgenpost, dem Tagesspiegel, bis zum RIAS und dem Sender Freies Berlin (SFB) zum Opfer gefallen, die sie Tag und Nacht gegen die DDR und die protestierenden Studenten hetzten?
War nicht die „Springer-Presse“, die die West-Berliner aufgefordert hatte, Steine gegen die von der DDR betriebene S-Bahn zu werfen, was sie dann brav und gerne taten? Hatte nicht der SFB mit bestimmten Hetzern Gift und Galle gegen die DDR gespien? Und wurde Alfred Willi Rudolf „Rudi“ Dutschke ( (* 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde; † 24. Dezember 1979 in Aarhus, Dänemark) nicht von denselben Medien als der „Volksfeind Nr. 1“ bezeichnet und dadurch zu einer Ikone der Studentenbewegung stilisiert und aufgebaut? (Merke: wenn du in der Zeitung stehst, auch in negativer Weise, bist du was, stehst du in der Zeitung nicht drin, gibt es dich nicht).
Die so aufgebaute Ikone Rudi Dutschke hat aber unlängst Risse bekommen, denn der in der DDR aufgewachsene „Revoluzzer“ war ein „verschworener DDR-Gegner“ und meiner Meinung nach ist es der einzige Grund, dass er zu einem Studentenführer hochgepäppelt wurde. Dutschke ließ auch keine Gelegenheit aus, den real existierenden DDR-Sozialismus madig zu machen und statt dessen seine eigenen Sozialismus-Utopien zu predigen. Da hatte er den Titel Studentenführer also nicht umsonst verdient und den genoss er inmitten einer illustren Gesellschaft ähnlich gestrickter Köpfe wie Gaston Salvatore (ein reicher Neffe von Salvador Allende), Bahman Nirumand oder Bernd Rabehl. Rudi Dutschke war hinter vielen Aktionen, die gegen Kapitalismus und Vietnam-Krieg waren, doch wenn damals jemand die Studenten gegen den Krieg in Vietnam aufrüttelte, dann war es FUB-Professor Ekkehart Krippendorff, der im damaligen „Spandauer Volksblatt“ kritisch über den Vietnam-Krieg schrieb und die Studenten aus ihrem Schlaf weckte. Krippendorff kennt man heute nicht, Dutschke aber wohl, er wurde sogar mit einer Straße verewigt, die vor dem Springer-Haus geht. Komisch wa?
Zu hinterfragen wäre also, welche Rolle Rudi Dutschke bei der Transformation der Intellektuellen in Deutschland spielte – oder Joschka Fischer, der später gegen Serbien hetzte oder Daniel Cohn-Bendit in Deutschland und Frankreich. Fakt ist, dass deren revolutionäres Geschwätz und deren Aktionen nur eine Adaptation der US-amerikanischen Black Panther Bewegung waren und diese sollten offensichtlich die US-Gesellschaft und andere Gesellschaften aufmischen, nicht unbedingt zu deren Nutzen. Die Entwicklung vieler Revolutionäre von damals bestätigt die Annahme, dass die damalige „Revolution“ nicht nur die Gesellschaften in Europa aufmischen, sondern auch eine neue Generation konservativer Politiker heranzüchten sollte, welche mit knackigen Parolen und noch mehr Actions die jungen Menschen in die gewünschte Richtung steuern würde, Grüne, Piraten in Deutschland, SYRIZA in Griechenland usw., alles integrale Teile eines Systems, das sie ja abschaffen wollten. Alter Wein in neuen Schläuchen, wie man in Deutschland so sagt.
Zum Schluss
Wie verträgt sich die Umbenennung der Straße vor dem Haus des Axel-Springer-Verlags in Rudi-Dutschke-Straße mit dem Bild von Rudi Dutschke als Terrorist und Feind der Demokratie, das der allmächtige Axel-Springer-Verlag aus allen seiner Rohren schoss? Da stimmt doch was nicht, oder wie, oder was?
Und zum Thema noch ein Kommentar von ThomasP. zum Artikel „Studenten gegen die Schutzmacht“ (in derselben Ausgabe vom Tagesspiegel)
„Das Wort heißt Besatzungsmächte. Das ist etwas Anderes. Die Vergangenheitsbewältigung des Deutschlands, was 1945 bedingungslos kapitulierte dauerte nur ganz kurz. Da wurde dann schnell „Schutzmacht in die Hirne der Menschen implantiert und durch ständiges Wiederholen dort eingenäht.
Wenn da etwas Vergangenheitsbewältigung dabei währe, dann ist das zu verallgemeinern.
Der Schluss, gegen kriegerische Interventionen für wirtschaftliche und politische Interessen von Nationalstaaten und Bündnisse, trifft den Nagel auf den Kopf und die Studenten wahren so doof nicht.
Das währ aber eine Friedensbewegung, welche Kriegstreiber und Weltmachtsstreber nicht möchten. Denen ist jedes Mittel recht.
Und wie es heute bekannt ist, war der Kriegsgrund der USA gegen Vietnam von der USA provoziert und organisiert.
Die USA soll dort und in den Munitionsverseuchten Nachbarländern Reparationen zahlen. So wie es zwischen Frankreich und Deutschland regelmäßig nach ihren Kriegen Uso war“.