Die Türkei will verhindern, dass Zypern im Meer um die Insel nach Gas bohrt – notfalls mit militärischen Mitteln
Der Streit um mögliche Gasvorkommen im Meeresboden um die Mittelmeerinsel Zypern droht zu eskalieren. Während die zyprische Regierung darauf besteht, weiter nach möglichen Vorkommen suchen zu wollen, droht die Türkei, eine Gasexploration mit militärischen Mitteln zu verhindern. Offenbar hat sich die Türkei vorerst durchgesetzt.
Das vom italienischen Energiekonzern Eni gecharterte Bohrschiff „Saipem 12000“ hat am Freitagmorgen seine Position in der Nähe eines Forschungsgebietes im Südosten der Hafenstadt Larnaka in Richtung Westen verlassen. Dies berichtete nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa das zyprische Staatsradio.
Die Türkei werde nicht erlauben, dass die zyprische Regierung „unilateral nach Gas sucht“, stellte der türkische Energieminister Berat Albayrak am Donnerstag klar. Albayrak, der gleichzeitig Schwiegersohn von Präsident Erdogan ist, kündigte außerdem an, die Suche nach Erdgas solange zu blockieren, bis ein Plan zu Wiedervereinigung der geteilten Insel vorliege. „Solange es keine konkreten und rationalen Lösungen gibt, werden wir etwas tun “, sagte Albayrak auf einem Energieforum in Istanbul. „Wenn unilaterale Aktionen ausgeführt werden, müssen wir handeln.“
Zypern ist geteilt, seit im Sommer 1974 die Türkei den Nordteil besetzte, um eine Annexion der Insel durch die damalige griechische Obristenjunta und die befürchtete Vertreibung der türkischen Volksgruppe zu verhindern. Ethnische Türken stellen etwa ein Fünftel der Inselbewohner. Bisher sind alle Versuche einer Wiedervereinigung im Sande verlaufen. Der vorerst letzte Anlauf erlitt im Sommer 2017 Schiffbruch.
Die Einigungsverhandlungen im schweizerischen Crans Montana scheiterten vor allem an Differenzen über territoriale Fragen, die Rolle der Türkei als Schutzmacht eines wiedervereinigten Zypern und die Präsenz türkischer Soldaten auf der Insel.
Vor der Süd- und Ostküste Zyperns werden bedeutende Erdgasvorkommen vermutet. Eine Studie der Royal Bank of Scotland bezifferte 2012 den Marktwert der mutmaßlichen Vorräte auf „mehr als 600 Milliarden Euro“. Das wäre ein gewaltiger Bodenschatz für die Insel, die noch 2013 am Rand des Staatsbankrotts stand und mit Hilfskrediten der Euro-Partner gerettet wurde.
Die Republik Zypern hat in den vergangenen Jahren in Verhandlungen mit den Anrainern Israel und Ägypten ihre Wirtschaftszonen abgesteckt. Vor der Süd- und Ostküste hat die Regierung 13 Explorationsgebiete, so genannte Blocks, ausgewiesen und Konzessionen an mehrere internationale Energiekonzerne vergeben. Anfang Februar meldete der italienische Mineralöl- und Energiekonzern Eni einen Gasfund im Block 6. Auch der französische Energiekonzern Total teilte mit, man habe vor Zypern ein vielversprechendes Vorkommen entdeckt.
Die Türkei spricht Zypern das Recht ab, Konzessionen für die Öl- und Gassuche zu vergeben. Ankara fordert nicht nur eine Beteiligung der türkischen Zyprer. Die Türkei erhebt auch selbst Ansprüche auf die von Zypern ausgewiesenen Gebiete. Nach Interpretation Ankaras gehören Teile der Blocks 1, 4, 5, 6 und 7 zur türkischen Wirtschaftszone. Die Türkei erkennt das EU-Mitglied Zypern völkerrechtlich nicht an und respektiert infolgedessen auch nicht die Wirtschaftszone der Republik Zypern.
Die türkische Führung in Ankara reizt derzeit ihre Außenpolitik aus. In Nordsyrien riskiert Ankara durch die Militäroperation „Olivenzweig“ eine Konfrontation mit US-amerikanischen Truppen in der Region. Zur EU pflegt Staatschef Erdogan schon seit längerem ein abgekühltes Verhältnis. Gleichzeitig nähert sich das Nato-Mitglied Russland an. Und in der Ägäis streitet sich Ankara schon seit Jahrzehnten mit Griechenland um eine Handvoll Inseln und die dazugehörigen Hoheitsrechte.
Mit einer Seeblockade hinderten türkische Kriegsschiffe zwei Wochen das Bohrschiff „Saipem 12000“ daran, ein Erkundungsgebiet in Block 3 zu erreichen. Dort sollte das Schiff im Auftrag des italienischen Energiekonzerns Eni nach Gas suchen. Die Türkei begründete die Blockade formal mit Marinemanövern in der Region. Sie sollten eigentlich am Donnerstag zu Ende gehen. Ankara verlängerte die Manöver aber bis zum 10. März. Damit dürfte die geplante Bohrung zeitlich nicht mehr durchführbar sein.
Zypern will Erdgassuche fortsetzen
Eni-CEO Claudio Descalzi sagte diese Woche in Mailand, das Schiff werde wahrscheinlich in den nächsten Tagen von Zypern abgezogen, weil es ab Anfang März einen anderen Kontrakt vor der Küste Marokkos zu erfüllen hat. „Danach werden wir aber zurückkommen und darauf warten, dass die europäische, türkische, griechische und zyprische Diplomatie eine Lösung findet“, sagte Descalzi.
Zyperns scheidender Außenminister Ioannis Kassoulides sagte, dass die Gassuche im Block 3 wohl abgebrochen werden müsse, wenn das Bohrschiff weiter von der türkischen Kriegsmarine behindert werde. „Die Gewalt der Waffen obsiegt immer, wenn es keine Kraft gibt, die sich ihr entgegenstellt“ sagte Kassoulides. Er unterstrich aber, dass die Explorationen in den anderen Gebieten fortgesetzt werden müssten.
Der Gasstreit stand am Donnerstagabend im Mittelpunkt eines Treffens des zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiades mit EU-Ratspräsident Donald Tusk am Rand des EU-Gipfels in Brüssel. Tags zuvor hatte Inselpräsident Anastasiades bekräftigt, die Republik Zypern werde trotz türkischen Widerstandes die Erdgassuche fortsetzen. Die zyprische Regierung hat angeboten, Erlöse aus der Erdgasförderung in einen Sonderfonds einzuzahlen. Die Gelder sollen dann nach einer Wiedervereinigung der Insel proportional gerecht an die beiden Volksgruppen verteilt werden.
Der türkische Volksgruppenführer und Präsident der nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ sprach sich im Sender CCN Türk dafür aus, eine Interimslösung zu suchen, um den Gasstreit beizulegen und „die gemeinsamen Bodenschätze zu erforschen“. Gelinge es nicht, eine solche Kompromissformel zu finden, würden die türkischen Zyprer gemeinsam mit der Türkei vor ihren Küsten Explorationen beginnen. „Diese Vorkommen sind gemeinsam, sie gehören nicht allein den griechischen Zyprern“, sagte Akinci.
Der türkisch-zyprische Außenminister Kudret Ozersay sagte am Donnerstag, die türkischen Zyprer müssten bei der Suche nach Bodenschätzen vollständig eingebunden werden: „Von der Exploration über die Förderung bis zur Monetarisierung der Gasvorkommen“.
Hinter den Kulissen gibt es seit Wochen Bemühungen um eine diplomatische Lösung. Türkischen Medienberichten zufolge traf Ozersay Anfang dieser Woche in Rom mit Spitzenmanagern von Eni zusammen. Das Gespräch soll vom italienischen Außenministerium arrangiert worden sein. Wenn Eni tatsächlich direkt mit den türkischen Zyprern verhandelt, wäre das eine Brüskierung der griechischen Zyprer. Eni dementierte das Treffen. Auch die Regierung der Republik Zypern in Nikosia erklärte, es habe ihres Wissens keinen solchen Kontakt gegeben.
Die Republik Zypern will die türkische Blockade nicht tatenlos hinnehmen. Mit der türkischen Kriegsmarine kann es zwar Zypern, das nur über eine paar Patrouillenboote der Küstenwache verfügt, nicht aufnehmen. Aber Außenminister Kassoulides sagt: „Wir müssen reagieren.“ Er kündigte an, dass Zypern nun in der EU die von Ankara angestrebte Erweiterung der Zollunion ebenso mit einem Veto blockieren werde wie die von der Türkei gewünschten Visa-Erleichterungen. „Und selbstverständlich werden wir auch der Eröffnung neuer Beitrittskapitel nicht zustimmen“, sagte Kassoulides.