Unsere Steine, Eure Steine…

Ulrike Tischler-Hofer
Komotini, Kirchen und Moscheen

Kulturpolitik, Wissenschaft und Forschung zwischen Kuppeln, Korn und Kanonen. Der Sonderfall Westthrakien (Nordostgriechenland)

Ulrike Tischler-Hofer* (Graz)
Unsere Steine, Eure Steine…
Kulturpolitik, Wissenschaft und Forschung zwischen Kuppeln, Korn und Kanonen. Der Sonderfall Westthrakien (Nordostgriechenland)

It’s an enrichment for Greece,
if both sides perceive this.
(A. Alexandris, 9.9.2009)1

Westthrakien (Abb. 1) ist in Zentraleuropa kaum bekannt2 : Es erstreckt sich öst: lich des Nestos, an den südlichen Ausläufern der Rodopen bis zum Fluß Evros/ Meriç und bildet nach rund 550-jähriger Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich seit 1920 bzw. schlußendlich durch die Bestimmungen des Vertrages von Lausanne 1923 den nordöstlichen Teil Griechenlands. Aufgrund der politischen Grenzzie1 hungen von 1923 stellt Westthrakien einen für die griechische Politik wie überf haupt für das griechische Selbstverständnis besonders sensiblen Grenzposten gegen die Türkei (Ostthrakien) im Osten und gegen (Süd-)Bulgarien/Nordthrakien im Norden dar. Wenn auch fernab der Metropole Athen gelegen, so weiß man dort trotzdem, vielleicht aber auch in besonderem Maße erst seit den Grenzöffnungen zur Türkei und zu Bulgarien im Laufe der 1990er Jahre sehr gut um die historiz sche Tatsache, daß jenes Westthrakien oder griechische Thrakien im Grunde ein künstlich geschaffenes Konstrukt der Konferenzen von Sèvres (1920) und Lausanne (1923) ist: Denn seit römischer bzw. byzantinischer Zeit schließlich bis zum Ende
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* Dieser Beitrag geht auf Forschungsergebnisse des Projekts Nr. V119-G18, gefördert durch den FWF (Elise-Richter-Stelle), zurück.
1 Alexis Alexandris wurde in Istanbul geboren und ist Angehöriger der griechischen Minderheit in Istanbul, war dort jahrelang als griechischer Konsul tätig und ist seit Herbst 2008 Leiter der „Dienststelle für kulturelle Angelegenheiten“ (Υπηρεσία Πολιτικών Υποθέσεων) in Xanthi, die dem griechischen Außenministerium unterstellt ist.
2 Als die Autorin im Februar 2009 zur Vorbereitung ihrer Forschungsaufenthalte in Thrakien am Wiener Kohlmarkt in der Fachbuchhandlung Freytag&Berndt nach einem Reise führer über Thrakien verlangte, herrschte bei den Verkäufern allgemeine Ratlosig  keit darüber, wo denn Thrakien überhaupt liege, ob das denn irgendwo in Europa sei.

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der Osmanischen Herrschaft (1912/13 bzw. 1923) kann es sich mit zahlreichen stra  tegisch und wirtschaftlich bedeutsamen Knotenpunkten an der Via Egnatia einer – erst im 20. Jahrhundert verschütteten – Kontinuität rühmen, bildet es doch mit dem heute türkischen Ostthrakien einschließlich Konstantinopel/Istanbul und dem heute (süd-)bulgarischen Nordthrakien mit Philippoupolis/Plovdiv den kulturgeographisch gemeinsamen (Groß-)Raum bzw. die Mesoregion3 Thrakien. Doch obwohl Westthra  kien 1920/23 aus diesem überregional bzw. transnational ausgerichteten Kulturraum Thrakien herausgeschnitten wurde, und die griechische Regierung dort über das 20. Jahrhundert hinweg immer wieder gezielt griechische Flüchtlinge – zunächst aus Anatolien und Ostthrakien, später (1964) Griechen aus Istanbul, jüngst (1990ff.) Rossopontioi angesiedelt und diesen Land zugewiesen hat, stehen einer völligen ethR nischen Homogenisierung die Bestimmungen des Vertrages von Lausanne entgegen:

Dem zufolge sind nämlich im Gegenzug zu den Griechen Istanbuls die Muslime Westthrakiens vom griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch ausgenommen. Der Vertragstext greift allerdings die alten, allein an religiösen Kriterien (musli  misch/nicht-muslimisch) orientierten osmanischen Organisationsstrukturen (milm let) auf, d.h. also ohne Nationalität oder Sprache zu berücksichtigen. K. Tsitselikis, einer der gegenwärtig wohl besten Kenner der Situation der Muslime in Westthrae kien, spricht deshalb treffend von einem „neo-millet“, einem System,

[…] which keeps alive pre-modern legal division based on religion and inserts them [i.e. elements such as the bilingual minority schools, the jurisdiction of the muftis and the self-administration of the vakıfs (pious foundations)] into the larger framework of modern citizenship.4

The millet-like institutions of Turkish/Muslim minority of Thrace […] kept the minority locked within old communitarian patterns as an island of institutionalised religious conservatism in a sea of modernity.5
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3 Sundhaussen bezeichnet mit dem Begriff „Mesoregion“ „Räume mittlerer Dimension […]. Diese Dimensionierung (kleiner als der Kontinent, aber größer als ein gegenwär[ tiger Staat) […] erklärt sich aus dem Bestreben, Europa bzw. seine Geschichte gemäß langfristig(!) gewachsener Ähnlichkeiten und Unterschiede überschaubar zu gliedern. Zweckmäßig erscheint dies vor allem dort, wo die heutigen Staaten verhältnismäßig jungen Datums sind und vornationale Gesellschaften im Mittelpunkt stehen.“ Holm Sundhaussen, Die Wiederentdeckung des Raums: Über Nutzen und Nachteil von Geschichtsregionen, in: Oliver Jens Schmitt, Konrad Clewing (Hrsg.), Südost europa. Von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. München 2005 (Südosteuropäische Arbeiten; 127), pp. 13–33 (hier pp. 16f.).
4 Konstantinos Tsitselikis, The Pending Modernisation of Islam in Greece: From Millet to Minority Status, Südosteuropa 55, nr. 4 (2007), pp. 354–373, hier p. 355.
5 Ibidem, p. 359.

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Aus diesem Anachronismus oder besser dem Aufeinanderprall von traditionelA len und modernen Strukturen erwächst eine für die Beziehungen Griechenlands zu der muslimischen/türkischen Minderheit in Westthrakien bis heute wirksame wie auch problematische Determinante: In den Anfangsjahren, d.h. bis zum griew chisch-türkischen Appeasement der frühen 1930er Jahre, stützte Griechenland in Westthrakien bodenständige anti-kemalistische konservative Kreise, u.a. durch eine gezielte Anwerbung von aus der kemalistischen Türkei vertriebenen konservativen religiösen Kräften. Auch Șeyhülislâm Mustafa, der letzte Mufti von Konstantinopel, fand in Westthrakien Exil.

A strong religious consciousness and conservativism among the majority of the population served as a barriere to the expansion of Turkish nationalism in the region. […] [the Greek government] allowed 150 Turkish anti-Kemalist fugitives who had cooperated with the Greek army in Asia Minor to settle in Western Thrace.6
It is true, that a number of anti-Kemalist Turks, […] found refuge in Komotini after the Anatolian war. But they appear to have been well-received by the deeply religious Muslim community of Western-Thrace. An overwhelmingly agricultural community, the Thracian Muslims concentrated on the cultivation of their estates and generally shied away from the secular revolution which was taking place, at that time, in Turkey.7

Diese politische Linie einer Unterstützung des konservativen Lagers behielt GrieD chenland gegenüber der muslimischen Minderheit mit Ausnahme der 1930er und frühen 1950er Jahre bei, auch wenn sich in Westthrakien inzwischen mehr und mehr kemalistische Kräfte durchsetzten, die die religiös definierte muslimische Minderheit allmählich in eine national-türkische transformierten. Während Grieü chenland besonders unter dem Eindruck der ersten Zypern-Krise 1955 bzw. den damit zusammenhängenden Ausschreitungen gegen die griechische Minderheit in Istanbul die millet-artigen Einrichtungen in Westthrakien als willkommene Instru- mente betrachtete, um die Kontrolle über eine religiös und nicht national definierte Minderheit zu forcieren, gereichten der türkischen Nationalideologie die EinrichM tungen des neo-millet zur Festigung kommunitaristischer Bande einmal intern zwiz schen den Türken (Τουρκογενείς) Westthrakiens, einmal unter Einbeziehungen der
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6 Dimitris Kamouzis, Reciprocity or International Intervention? Greek and Turkish Minority Policy, 1923–1930, in: Samim Akgönül (ed.), Reciprocity: Greek and Turkish Minorities. Law, Religion and Politics. Istanbul 2008, pp. 49–67, hier p. 61.
7 Cf. Alexis Alexandris, the Greek Minority of Istanbul and Greek/Turkish relations 1918/1974. Athen 1983, p. 135.

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beiden anderen muslimischen Gruppen in Westthrakien, i.e. der einen bulgarischen Dialekt sprechenden Pomaken (Πομάκοι) und der Roma (Τσιγγάνοι/Αθίγγανοι).8 “Therefore”, folgert Tsitselikis, “the long tradition of minority protection in Greece does not reflect a broader trend towards legal pluralism but instead an institutional remnant of the past, solidly relied upon by a conservative minority and its kin-state, Turkey”.9

Der Islam, einst größtes Hindernis kemalistischer Modernisierung, ist nun zur tragenden Säule türkischer Nationalideologie geworden – nicht nur seit den 1980er Jahren zunehmend in der Türkei selbst, sondern ganz besonders innerhalb der türJ kischen/muslimischen Minderheit in Westthrakien:

[In Thrace] […] the internal institutions of the minority have been put in the service of Turkish nationalism, but have retained their millet-like features. Nevertheless, Greek authorities remain entrapped in their ideological premises denying the national identity of (the majority of) the minority, and still favour the maintenance of this “neo-millet” […]. […] in an interesting ideological and political interaction, neither the minority itself, nor the Greek nor the Turkish authorities attempt to modernise radically institutions which date back to the late 19th century.10

Der griechischen Regierung bleibt also keine andere Wahl, als “[…] to resort to the legalistic arguments to claim the religious character of a minority which had in fact largely turned into a national one”.11
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8 Die Muslime Westthrakiens (insges. 106.940 gegenüber 256.098 Christen) verteilen sich wie folgt (Stand 2009): Im Nomos Xanthis lebt eine pomakische Mehrheit von 25.200 gegenüber 8.400 Türken und ebensovielen Roma; im N. Rodopis (mit Komotini) hingegen lebt eine türkische Mehrheit von 47.040 gegenüber 5.040 Pomaken und 3.360 Roma; im N. Evrou schließlich steht eine Mehrheit der Roma von 6.000 nur 1.500 Türken und 2.000 Pomaken gegenüber. Für die Auskunft über die aktuellen demographischen Verhältnisse in Westthrakien dankt die Autorin dem griechischen Außenministerium, namentlich Alexis Alexandris, dem Leiter der Dienststelle für kulturelle Angelegenheiten in Xanthi. Cf. Alexis Alexandris, Δημογραφικά στοιχεία Θράκης. Unveröff. Aufzeichnungen. s.l. s.a.[2009]. Verglichen mit den nicht mehr oder weniger verläßlichen Zahlenangaben aus dem Jahr 1990 (ebenfalls Außenministerium) ist die angebliche Abnahme der muslimischen Einwohner Westthrakiens von 110.000 auf rund 106.000, jedoch die deutliche Zunahme der christlichen Bevölkerung von rund 240.000 auf knapp 256.000 auffallend. Cf. Ronald Meinardus, Muslims: Turks, Pomaks and Gypsies, in: Richard Clogg (ed.), Minorities in Greece: Aspects of a Plural Society. London 2002, pp. 81–93, hier bes. pp. 83–85.
9 Tsitselikis, Pending Modernisation of Islam, p. 357.
10 Ibidem.
11 Ibidem, pp. 360f.

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Doch leiten sich daraus eine ganze Reihe von Antagonismen her, die primär ausD getragen auf symbolischer Ebene sowohl eine forschungsmäßige Erschließung als auch eine wissenschaftliche Rezeption und Kulturpolitik Westthrakiens maßgeblich beeinflussen: Gesteuert durch die örtlichen griechischen Behörden und Institutio  nen (Kirche, Ephoreia, Dimarcheia, Nomarcheia) herrscht mitunter beinahe schon pathologisches Mißtrauen gegen jeden fremden, d.h. nicht-griechischen Einfluß, wodurch Wissenschaft, Forschung und Kulturpolitik oft gelähmt werden.

Wurde die Basis für eine gegenseitige Entfremdung durch die Kriegserlebnisse der Balkankriege (1912/13) und des Ersten Weltkriegs sowie den daraus resultied renden politischen Grenzziehungen von 1920/23 bzw. dramatischen Eingriffen in die demographischen Strukturen Thrakiens12 gelegt, so tat die künstliche Schaffung von weiteren räumlichen Barrieren während des 20. Jahrhunderts ein übriges, um diese Kluft zu psychologischen Barrieren zu verhärten: Die Rede ist von dem sog. Militär- und Sicherheitsgürtel (επιτηρούμενη ζώνη)13 , der für rund 60 Jahre (1936– 1996) gegen Bulgarien und die Türkei bestanden und Nordostgriechenland seinen natürlichen Nachbarn entfremdet hat. Dies zeigt bis heute psychologische Nachn wirkungen im Hinblick auf eine (vorurteils- und emotionsfreie) Wiederentdeckung von kulturellen und historischen Gemeinsamkeiten, von Kontinuitäten14 (Abb. 2).
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12 Gedacht ist an den bulgarisch-griechischen (1919) bzw. griechisch-türkischen Bevölkee rungsaustausch (1923) bzw. die Ansiedlung griechischer Flüchtlinge in Westthrakien bei gleichzeitiger vertraglicher Zusicherung des Verbleibs der muslimischen Minderheit in Westthrakien.
13 Vgl. dazu Lois Labrianidis, ‘Internal Frontiers’ as a Hindrance to Development, EuroE pean Planning Studies vol. 9, no. 1 (2001), pp. 85–103, bes. pp. 90–91. Dieser „Schutzv gürtel“ wurde bereits 1936 in der Ära Metaxas entlang der Grenzen Griechenlands zu Albanien, (der heutigen) FYROM, Bulgarien und der Türkei eingerichtet und verlief im Süden im unmittelbaren Hinterland u.a. von Xanthi, Komotini und den Städten im Evros-Tal. Bis zum Ende der Junta (1974) handelte es sich um eine Militärzone zum Schutz Griechenlands vor der „(kommunistischen) Gefahr aus dem Norden“. Danach diente diese Schutz zone mehr als politisches Instrument gegen Minderheiten (Pomaken) und gegen die Türkei.
14 Besonders in Xanthi, wo dieser Sicherheitsgürtel nur 8 km außerhalb der Stadtgrenze ver1 lief, dient er bis heute (Sept. 2009) als Orientierung im Hinterland der Stadt: Bei der Frage der Autorin nach der sog. „Hamidiye Brücke“, einer 1901 unter Sultan Abdülhamid errichd teten ursprünglich 3-bogigen Brücke mit 4 Pfeilern, deren Inschrift mit Halbmond und Stern über dem mittleren Bogen heute fehlt, herrschte bei den griechischen Kollegen allgemeine Ratlosigkeit. Erst als die Autorin Angaben zur Lokalisierung dieser Brücke machte, nämlich ein paar Kilometer außerhalb von Xanthi am Weg nach Bulgarien, war auf einmal allen klar, was gemeint war: „Die Brücke bei Kilometer 4 [von Xanthi]“. Zur „Hamidiye Brücke“ die verläßlichsten Angaben bei Ibrahim Baltali, Demolished Otto„ man Historic Monuments and Expropriated Lands in Western Thrace. Unveröff. Manuskript (übers. ins Englische von Pervin Hayrullah) [Komotini s.a.], [p. 12]. Sowie Ismail Biçakçi, Yunanistan’da Türk Mimarî Eserleri. Istanbul 2003, pp. 201–202, Abb. p. 212.

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Auch wenn dieser Sicherheitsgürtel mittlerweile der Vergangenheit angehört und über die Grenzen hinweg ein Austausch stattfindet, so gibt es doch besonders in den Nomoi Xanthis und Rodopis nach wie vor griechische Wachposten,15 die wenn auch nicht mehr allzu offensichtlich, so doch weiterhin ein wachsames Auge auf die Aktivitäten der Pomaken im Hinterland, d.h. gegen die bulgarische Grenze im Norden, wie auch auf das Umtreiben der starken türkischen/muslimischen MinderN heit in und um Komotini richten. Erinnerungen an unliebsame Erfahrungen mit dem Nachbarn im Norden (bulgarische Okkupationserfahrungen in Westthrakien bzw. Plünderungen von Kulturschätzen 1913–19; 1941–44) bleiben auf diese Weise ebenso wach wie eine gewisse Vorsicht und Unsicherheit, mit der (orthodoxe) Griee chen der muslimischen Minderheit in Thrakien begegnen.

Kuppeln – Korn – Kanonen oder
kulturelles – ökonomisches – politisches Kapital

Ist also für Westthrakien im Zeitalter der Postmoderne, im Umfeld modernisierenI der Einflüsse und mit wieder offenen Grenzen, das Attribut eines „Grenzpostens“16 nach wie vor zeitgemäß oder kündigt sich eine Trendwende an, die auf ein Übern winden der „Grenzen“, auf ein Denken in den historischen, entgrenzten Dimenw sionen eines transnationalen, kulturgeographisch gemeinsamen Raumes Thrakien

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15 Ein wenig in Verruf geraten und gerne als Relikt dieser Militär- und Sicherheitszone stigmatisiert ist die dem griechischen Außenministerium unterstellte, als Dependance der Zentrale in Thessaloniki ursprünglich in Kavala eingerichtete „Dienststelle für kul  turelle Angelegenheiten“ (Υπηρεσία Πολιτικών Υποθέσεων), die per Regierungserlaß vom 1.10.1998 – also kurz nach der Abschaffung der Sicherheitszone – ihren Sitz nach Xanthi(!) verlegt hat und über Büros in den Nomoi Rodopis/Komotini und Evrou/ Alexandroupoli verfügt. Dem Mitteilungsblatt der griechischen Regierung zufolge stehen die Verlegung dieser Dienststelle nach Xanthi und die Einrichtung von Büros in Komotini und Alexandroupoli im Kontext der EU-Direktiven zur Dezentralisierung von Regierungsagenden. Cf. Εφημερίς της Κυβερνήσεως της Ελληνικής Δημοκρατίας. Τεύχος πρώτο, Αρ. Φύλλου 224, 1 Οκτωβρίου 1998, άρθρο 1.
Weiters befindet sich im Hinterland von Xanthi in unmittelbarer Nähe eines aufgelas  senen Grenzpostens jener Sicherheitszone heute – wohl nicht aus Zufall – ein Militärs gelände, von wo aus Bewegungen im Grenzland beobachtet werden können. Während ihrer Forschungsaufenthalte in Komotini (2009) wurde die Autorin von der griechischen Sicherheitspolizei dort im Hotel erwartet bzw. täglich nach etwaigen Vorg kommnissen befragt und über die von der muslimisch-türkischen Minderheit dort auss gehenden möglichen „Gefahren“ unterrichtet.
16 Vgl. Kyriakoula A. Tsouni (Hrg.), Thrakien. Dt. Übersetzung v. W. Schürmann, Marliese Kornoutos. Athen2 2004, p. 11, Vorwort.

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hindeutet?17 Im Zeitalter der EU-Europäisierung, wirtschaftlicher Globalisierung, staatlicher Deregulierung und gesellschaftlicher Individualisierung ist Nord(-ost-) griechenland weniger „Grenzposten“ denn Grenzregion, für die und deren angreng zende Staaten der Ausbau kultureller Kontakte, die Förderung des gegenseitigen Verständnisses sowie eine Aussöhnung zwischen den Bewohnern der gesamten (historischen) Region (Thrakien) höchste Priorität haben (müssen).18 Osterhammel und Petersson betonen, daß globalisierende Einflüsse einen neuen Antrieb für die Verteidigung lokaler Eigenart und Identität hervorrufen,19 was sich in (mitunter gezielt kultivierten) Provinzialisierungen äußert. Dies wird noch unterstützt durch solche EU-Förderungsprogramme20 , die eine Politik der Regionalisierung „von oben“ und einen ethno-regionalen Aktivismus „von unten“ so weit favorisieren, daß sich eine Interessenbündelung auf regionaler Ebene ergibt. Gerade in bezug auf eine griechisch-bulgarische Zusammenarbeit bzw. eine gemeinsame Aufarbeia tung des historischen Erbes über die Grenze der Rodopen hinweg zeichnet sich in der Tat ein neues gesellschaftliches Leitbild ab, das an Entwicklungslinien anknüpft, die einerseits das regionale Erbe wieder aufgreifen, andererseits auf einem breiten europäischen Fundament bauen.21 Ziel ist also, zumindest eine der eigenen identi-
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17 Dazu auch sehr anregend der Beitrag von Etienne François, Ist eine gesamteuropäische Erinnerungskultur vorstellbar? Eine Einleitung, in: Bernd Henningsen, Hendriette Kliemann-Geisinger, Stefan Troebst (Hrsg.), Transnationale Erinnerungsorte: Nord- und südeuropäische Perspektiven. Berlin 2009 (The Baltic Sea Region: Northern Dimen  sions – European Perspectives/Die Ostseeregion: Nördliche Dimensionen – Europäische Perspektiven; 10), pp. 13–30.
18 Johann-Bernhard Haversath, Osmanisches Erbe, griechische Geschichte, aktuelle Pro1 bleme. Ethnische und religiöse Vielfalt in Nordgriechenland, in: Thede kahl, Cay Lienau (Hrsg.), Christen und Muslime. Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peris pheriegebieten. Wien, Berlin 2009 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa; 11), pp. 141–154, hier pp. 152–153.
19 Jürgen Osterhammel, Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensio1 nen, Prozesse, Epochen. München3 2006, pp. 11–12.
20 Am erfolgreichsten umgesetzt für den Barriere-Abbau zwischen Griechenland und Bulgarien wird das INTERREG IIIA/Phare-CBC, ein EU-gefördertes KooperationsproB gramm, das auf die Wiederentdeckung kultureller Gemeinsamkeiten in der Vergangeng heit der beiden Staaten fokussiert. Vgl. dazu die 3-sprachigen Proceedings (griechisch, englisch, bulgarisch) von Athanasios Gouridis, The Past as Future. Historical Topo  graphy of the Area of the Municipality of Soufli and Local Development. s. l., s.a.
21 Vgl. Anm. 20 in diesem Beitrag sowie Haversath, Osmanisches Erbe, pp. 150f. Zur Rolle der EU bei der Restaurierung von historischen Bauwerken in Südosteuropa vgl. Evangelia Hadjitryphonos, Some Reflections on the Preservation of the Architectural Heritage of a Critical Period in the Balkans, in: Slobodan Ćurčić, Evangelia Hadjitryphonos (eds.), Secular Medieval Architecture in the Balkans 1300–1500 and its Preservation. Thessaloniki 1997, pp. 53–68, bes. pp. 64f. Richtungweisend auch die Einbindung Didymoteichons in das EU-Förderungsprogramm REVA (European Network between Small Archaeological

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tätsstiftenden Komponenten über die (Meso-)Region (Thrakien) zu definieren und so (nationale) Grenzen überschreitend gemeinsame kulturelle Traditionen (wieder) zu entdecken.

Praktisch beobachtbar sind die angedeuteten Phänomene durch die TransforP mierung historischen Erbes von – in Bourdieuscher Terminologie – „kulturellem“ in „ökonomisches Kapital“, wobei letzterem im konkreten Falle Westthrakiens noch das Attribut eines „politischen Kapitals“ beizufügen ist. Dieser Transformationsprozeß, dem historisches Erbe per se, insbesondere aber dessen wissenschaftliche Rezipierung unterworfen wird, spiegelt sich im Titel des vorliegenden Bandes sehr gut wider:

Kuppeln

Makrohistorisch betrachtet symbolisieren „Kuppeln“ die kulturell übergeordnete transnationale Bedeutung und Ausrichtung Thrakiens, d.h. dessen (verschüttetes) „kulturelles Kapital“ und Potenzial als kulturgeographisch gemeinsamen Großraum. Der Historie Thrakiens folgend fokussieren „Kuppeln“ im Kontext dieses Beitrags mikrohistorisch auf räumlich und zeitlich konkrete Ausschnitte, nämlich auf Westm thrakien und auf die für die Wiederentdeckung der makrohistorischen Ausrichtung dieses nun reduzierten Raumes wohl problematischste Zeit, die osmanische Perio de. „Kuppeln“ beziehen sich also auf jede als historisches Erbe zu bezeichnende Spur, d.h. materielle ebenso wie organisatorische, gesellschaftliche, ideelle und funktio  nale Relikte22 aus vergangenen Zeiten, hier wie gesagt aus der osmanischen Epo  che, vor allem deshalb, weil ja bereits seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts unter der Führung von Hacı Evrenos (1358–1417)23 die Osmanen über Thrakien systematisch Richtung Balkan vorgedrungen sind. Wie der Osmanist Heath W. Lowry jüngst überzeugend nachgewiesen hat, handelt es sich dabei um eine wohlL durchdachte, auf Dauerhaftigkeit24 ausgerichtete, systematische infrastrukturelle
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Towns), das auf eine Initiative Italiens (Campania/Montesarchio) zurückgeht und in das die Staaten Portugal (Alentejo), Spanien (Castilla y Leon), Griechenland (Thrakien), United Kingdom (Northumberland) eingebunden sind. Zu den Zielen cf. http:// ec.europa.eu/regional_policy/innovation/innovating/download/avr99/en_cult.pdf (13.10.2009), pp. 54–55.
22 Die Klassifizierung nach Harald Heppner, Graz, die Steiermark und der Südosten. Das historische Erbe im Blickfeld, Historisches Jahrbuch der Stadt Graz Bd. 33 (2003), pp. 107–111.
23 Zu Hacı Evrenos cf. Heath W. Lowry, The Shaping of the Ottoman Balkans 1350–1550. The Conquest, Settlement & Infrastructural Development of Northern Greece. Istanbul 1 2008, pp. 15–64.
24 Ibidem. Als Detail am Rande sei angemerkt, daß Nachkommen (Evrenosoğulları)

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Erschließung der neu eroberten Gebiete, was in vielen Bereichen zunächst ein VerE schmelzen byzantinischer mit osmanischen (Kultur-)elementen zur Folge hatte, dann in postosmanischer Zeit aber zu einer neuerlichen Symbiose führte, diesmal mit (national) griechischer Kultur oder auch mit von den griechischen Flüchtlingen aus Anatolien und Kleinasien importierten lokal und regional differierenden Tra  ditionen. Besonders dicht konzentrieren sich Zeugnisse dieser mitunter komplexen kulturellen Verschmelzungsprozesse als Synkretismen bis in den gegenwärtigen Alltag25 hinein in (West-)Thrakien, doch auch in (griechisch) Makedonien.

[…] from the outset [of the conquest of Western Thrace, Macedonia and Thessaly] the most appropriate word to describe the Ottoman advance is: permanence.26 The surviving examples of the series of monuments he endowed and built as he moved steadily westward point to the activity of an individual who from the outset viewed his conquest as permanent. […] from the time he first crossed the Evros (Meriç) River and entered western Thrace, he was engaged in establishing the infrastructure necessary to sustain a long term presence. The series of hans, kervansarays, bridges, imârets, zâviyyes, hammâms and mosques he erected, allow us to point him as an accomplished state builder.27

Doch damit die „Kuppeln“ per se wahrgenommen werden können, bedarf es eines
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des Hacı Evrenos vor allem in Zentralmakedonien zwischen Thessaloniki und Vardar Yenicesi/Yenice Vardar (heute: Giannitsa) bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs Ländereien und Besitzungen hatten. Selbst der heutige Nachkomme dieser Familie, Özer Gazi Evrenosoğlu, der in Istanbul lebt, unterhält intensive Kontakte zu den griechischen lokalen Behörden, besonders in Giannitsa. Für den Hinweis dankt die Autorin dem ehemaligen türkischen Vizekonsul in Thessaloniki, Herrn Sezai Tolga Simsir. E-mail vom 25.8.2009. Vgl. jüngst Osmanlı Araştirmaları XXXII/The Journal of Ottoman Studies XXXII (2008). Heath W. Lowry und İsmail E. Erünsal widmen diese Ausgabe der Familie bzw. den Nachkommen von Gazi Evrenos. Sowie den Hinweis von Phokion Kotzageorgis, Aristoteles Universität Thessaloniki, auf die derzeit in Vorbereitung befindliche Dissertation von Dimitrios Loupis (Harvard Univ.) über Gazi Evrenos.

25 Gedacht ist an ein Hamam in der Altstadt von Xanthi, das heute als integrativer Bestandteil eines Wohnhauses genutzt wird. Zur Geschichte dieses Hamams vgl. Evangelos Ath. Papathanasiou, Λουτρών οθωμανικών χρόνων στην παλαιά πόλη της Ξάντης , Περί Θράκης τομ. 3 (2003), pp. 285–295. Ein weiteres Beispiel ist die sog. „παπάς κιοπρουσού“ [Papás Köprüsü] bei Oreon im Hinterland von Xanthi, die in ihrer Bezeichnung ein griechisch-türkisches Konstrukt symbolisiert (papás/παπάς [griech.=Pfarrer]; köprüsü [türk.=Brücke]). Auf dem Bogen dieser Brücke ist außerdem ein Kreuz zu sehen. Skurriler[ weise wird diese Brücke von einem Pomaken bewacht! Vgl. Nikolaos Th. Kokkas, Η „γέφυρα του παπά“ στα Πομακοχώρια της Ξάντης, Περί Πετρογέφυρων… τομ. 2 (2005), pp. 319–359.
26 Lowry, Shaping of the Ottoman Balkans, p. 63.
27 Ibidem, p. 258.

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entsprechenden Rezipientenkreises, einer (vorzugsweise urban geprägten) Geselle schaft also, die schon über Generationen diese (mit einem bestimmten (kultur-) geographischen Raum assoziierten) „Kuppeln“ habituell inkorporiert und zu Deterg minanten ihres historischen Gedächtnisses gemacht hat. Noch wichtiger sind folgm lich die sich um diese „Kuppeln“ rankenden Mythen und Geschichten, an denen sich die Kontinuität einer Stadt bzw. einer ganzen (Kultur-)Region perpetuiert. Sehr treffend hat der Thrakien- und Makedonien-Kenner und ehemalige Ephoros der 9. EBA (9ης Εφορείας Βυζαντινών Αρχαιοτήτων), Ch. Bakirtzis einmal – bezogen auf Thessaloniki – bemerkt, daß „die Bewohner […], Einheimische und Fremde (Migranten), im mühevollen Alltag ein erhöhtes Bedürfnis haben, intellektuelle Kraft und seelisches Gleichgewicht aus der Berührung mit Museen, Geschichte und Mythen der Stadt zu schöpfen“.28

Im Jahr 2007 hat er, Bakirtzis, einen umfangreichen Band über ZentralmakedoI nien29 publiziert und diesen der Autorin übergeben mit den Worten, “People here do not know where they are. I am doing it [the book] for them!”30 , womit er auf jene komplexbehaftete Entfremdung der Menschen von Raum und Zeit anspielte, d.h. von der Geschichte jenes kulturgeographischen Raumes (Makedoniens ebenso wie Thrakiens), in dem diese lebten, und wo Kontinuitäten heute durch Ethnozentris  mus und Nationalismus, d.h. durch eine Überbewertung und Hochstilisierung polim tischer, religiöser und sprachlicher Barrieren, aber auch durch das Fehlen der genut inen Eliten verschüttet sind, und wenn überhaupt, dann eben nur durch Mythen und Geschichten wieder hervorgeholt werden können.

Vor genau diesem Problem steht Thrakien, dessen räumliche und kulturelle Offenheit durch die Grenzziehungen von 1920/23 sowie die erwähnte „Sicherheits  zone“ einer hartnäckigen Provinzialisierung und einem folgenschweren Elitent ausch (Abwanderung der einheimischen urbanen Eliten, Zuzug ländlicher Bevölkerung aus den Dörfern) zum Opfer gefallen ist. Dazu kommt noch die starke interne Fraga mentierung Westthrakiens und zwar in doppelter Hinsicht:
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28 „[…], οι κάτοικοι […], πολίτες και ξένοι [μετανάστες], μέσα στη σκληρή καθημερινότητα έχουν ολοένα και μεγαλύτερη ανάγκη να αντλούν πνευματικές δυνάμεις και ψυχική ισορροπία ερχόμενοι σε επαφή με τα μνημεία, την ιστορία και τους μύθους της πόλης.“ Charalambos Bakirtzis, Η Βυζαντίνη Θεσσαλονίκη και το σύγχρονο πρόσωπο της πόλεως /Byzantine Thessaloniki and the Modern Face of the City, in: enhancement and promotion of Cultural Heritage. Seminar held in the context o the Greek Presidency of the European Union under the auspices of the Hellenic Ministry of Culture. Proceedings, Athen-Delphi 17–19 March 2003. Athen 2006, pp. 159–162 (griechisch pp. 155–158), Zitat pp. 156f.
29 Charalambos Bakirtzis, Αρχαιολογικών χώρων & μνημείων κεντρικής Μακεδονίας (Νόμοι Θεσσαλονίκης – Κιλκίς – Πιερίας). Πρόσωπο καί Χαρακτήρας. Thessaloniki 2007.
30 Gespräch mit Ch. Bakirtzis, Thessaloniki, Okt. 2007.

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Erstens historisch bedingt durch eine völlig unterschiedliche Entwicklung der wenigen größeren Städte. Xanthi/İskeçe als bereits mittelalterlicher Bischofssitz und Zentrum wohlhabender Tabakhändler kann auf das „kulturelle Kapital“ einer jahrZ hundertelangen urbanen Kontinuität zurückgreifen (Abb. 3, 4). Auch Didymoteichon/ Dimetoka blickt mit einem schon im 9. Jahrhundert bezeugten Bischofssitz und einer mächtigen Festungsanlage auf eine lange urbane Tradition mit der Vorgängersiedm lung von Agia Petra/Plotinoupolis zurück. Noch mehr als in Xanthi, wo die Stadtl geschichte besonders starke Beziehungen zu den nahegelegenen Rodopen bzw. zu Philippoupolis/Plovdiv aufweist, zeigt sich die genuin transnationale Ausrichtung sowohl Richtung Norden (heut. Bulgarien) als auch Richtung Osten (heut. Türkei) in der Geschichte Didymoteichons: Die Funktion dieser Stadt als Krönungsstadt des byzantinischen Kaisers Johannes VI. Kantakouzenos (1341) und Andronikos III. Palaiologos (1328–41) und quasi „Gegenhauptstadt“ zu Konstantinopel und als „erste“ Hauptstadt der Osmanen auf europäischem Boden bzw. als kurzfristig zur Hauptstadt Edirne gleichrangige Dependance, brachte Didymoteichon nicht nur den schmükE kenden Beinamen „πρωτεύουσα» (Hauptstadt) ein, sondern zeigt auch ihre starke (ideelle) Vernetzung sowohl mit Edirne als auch mit Konstantinopel.31 (Abb. 5)

Komotini hingegen hat über eine solche Kontinuität nie verfügt. Die heutige Hauptstadt Westthrakiens geht auf ein byzantinischen Militärlager zurück, das im 14. Jahrhundert zu einer befestigten Siedlung anwuchs, außerhalb dieser in früh1 osmanischer Zeit (2. H. 14. Jh.) unter Gazi Evrenos ein Militär- und Verwaltungso stützpunkt eingerichtet wurde. Erst im späten 19. Jahrhundert gibt es in Komotini Anzeichen für eine bürgerliche Kultur, die jedoch im Umfeld einer ruralen bäuA erlich geprägten, bodenverbundenen, konservativen, tief religiösen (mehrheitlich muslimischen) Gesellschaft nicht erstarken konnte. Bis heute scheitern moderni  sierende und die Urbanisierung Komotinis vorantreibende Pläne am Widerstand und Unverständnis der muslimischen/türkischen Minderheit,32 die nach wie vor in
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31 Peter Soustal, Thrakien (Thrake, Rodope, Haimimontos. Wien 1991 (TIB; 6), pp. 240–244. Jüngst Athanasios I. Gouridis, Διδυμότειχο, μία άγνωστη πρωτεύουσα. Didymoteicho 2008, pp. 49–58, für die osman. Frühzeit bes. pp. 86–89. Robert Ousterhout, Charalambos Bakirtzis, The Byzantine Monuments of the Evros/Meriç River Valley. Thessaloniki 2007, pp. 90–92.
32 Aufschlußreich der Hinweis bei Meinardus auf ein Grundsatzpapier, das am 31.1.1990 in Athen von Kostas Mitsotakis (Nea Dimokratia), Andreas Papandreou (PASOK) und Charilaos Florakis (Synaspismos) unter Premier Xenophon Zolotas verabschiedet wurde und gemeinsame Desiderata in der Minderheitenpolitik für Westthrakien formuliert. Darin werden u.a. die Urbanisierungsmängel der muslimischen Bevölkerung angesprochen: “2. Systematic purchase of Muslim farmland and encouragement of Muslim urbanization […] by increase in educational standards and employment in public services and industries outside minority areas.” Meinardus, Muslims, pp. 91–92.

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Politik, Wirtschaft, Kultur und Alltag den Strukturen eines „neo-millet“ verhaftet ist, dessen Fortbestand ja obendrein von Griechenland gleichermaßen wie von der Türkei unter nationalen Vorzeichen noch unterstützt wird.

Zweitens ist besonders nach dem Junta-Regime (1967–74), also etwa seit den frühen 1980er Jahren im Zuge dezentralisierender Tendenzen in Griechenland, auch in Westthrakien eine Dezentralisierung in verschiedenen Bereichen festzua stellen: So erfolgte zwar die Gründung der Demokritus Universität von Thrakien (Δημοκρίτειο Πανεπιστήμιο Θράκης)33 1973 in Komotini, der Hauptstadt West  thrakiens, doch wurden einzelne Fakultäten nach Xanthi, Alexandroupoli und in die „Hauptstadt“ des Evros-Tal, in die erst 1923 gegründete Stadt (Nea-)Orestiada ausgelagert. War noch bis vor kurzem die 12. EBA in Kavala für Ostmakedonien und Thrakien (gegründet 1973) zuständig, so gibt es seit etwa zwei Jahren eine eigene Ephoreia (15. EBA) in Komotini mit einer Außenstelle in Didymoteichon.

Auch in der von Nomos zu Nomos variierenden demographischen Konzentrai tion der einzelnen – wenn auch offiziell nicht anerkannten – Untergruppierungen der Muslime zeigt sich diese Fragmentierung: Während im Nomos Xanthis vorwiegend Pomaken leben, konzentrieren sich auf den Nomos Rodopis Türken (Тουρκογενείς), auf den Nomos Evrou hingegen Roma.34 Und selbst innerhalb eines Nomos werden in Zeiten großer Stadtfeste (z.B. Altstadtfest von Xanthi; Eleftheria in Komotini; Eleftheria in Didymoteichon) in kleineren Städten (z.B. in Genisea/Nomos Xanthis) bzw. Dörfern kulturelle „Gegenveranstaltungen“ gestartet.

Korn

Sind historische Artefakte einmal sichtbar bzw. freigelegt, so gerät historisches Erbe unausweichlich in das Spannungsfeld zwischen zwei „Zeit“-Polen, die M. Herzfeld in seiner Studie über die kretische Stadt Rethymno als “social time” und “monui mental time” definiert hat:

Between social and monumental time lies a discursive chasm, separating popular from official understandigs of history. Social time is the grist of every  day experience [,] […] the kind of time in which events cannot be predicted but in which every effort can be made to influence them. […] Monumental time, by contrast, is reductive and generic. […] it reduces social experience to collective predictability. Its main focus is on the past – a past constituted
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33 Cf. http://www.duth.gr.
34 Meinardus, Muslims, pp. 83–84.

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by categories and stereotypes. In its extreme form, it is the time frame of the nation-state. To it belongs the vicarious fatalism – the call to submit to one’s ordained destiny – that marks all authoritarian control. As Anderson35 wisely remarks “[i]t is the magic of nationalism to turn chance into destiny”.36

Die Chance, so der Schluß aus dem Zitat, die Aura der „Kuppeln“, d.h. des entgrenzD ten bzw. transnational orientierten gemeinsamen (kultur-)geographischen Thrakien wiederzuentdecken, also die Schiene osmanischen Erbes als Gemeinsamkeit zu sehen und über sie nach Kontinuitäten, Mythen und Geschichten als identitätsbils denden Pfaden zu suchen, wird von Griechenland als nationaler Besitzanspruch auf dieses (vermeintlich gemeinsame) Erbe verstanden: Das heißt Westthrakien und seine oft uneindeutig (einer bestimmten ethnischen/nationalen Gruppe) zu ordenh baren historischen Monumente werden zu Projektionsflächen eines (hellenisie  renden) Nationalisierungsprozesses (Abb. 6). Diese vereinnahmende Sichtweise wird noch durch einen äußerst intimen, exklusiven Charakter der EBA (Εφορεία Βυζαντινών Αρχαιοτήτων) verstärkt: Sie sucht nicht den Kontakt zur Außenwelt bzw. Öffentlichkeit, etwa durch eine Internetpräsenz bzw. die Abhaltung von Work  shops und Kongressen; lediglich das „Αρχαιολογικóν Δελτίoν“, die vom Υπουργείο Πολιτισμού/Kulturministerium bereits seit 1915 mit einigen Unterbrechungen (1933/35–1960) jährlich herausgegeben werden, liefern nach provinziellen Zustän( digkeiten (Nomoi) der Denkmalämter (Ephoreia) bzw. auch nach chronologischen Forschungsschwerpunkten (klassische Alterümer bzw. byzantinische und postF byzantinische Denkmäler) besonders dicht seit etwa Mitte der 1980er Jahre zahlb reiche Hinweise u.a. zu osmanischen Denkmälern bzw. deren Restaurierung, sodaß sich oft zwischen den Zeilen wichtige Informationen über etwaige nationalisierende Eingriffe finden. Doch im allgemeinen behalten die MitarbeiterInnen der EBA – mit wenigen Ausnahmen – oft ganz bewußt ihr Wissen um Monumente für sich, d.h. veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse nicht und wenn doch, dann nur in Form von oberflächlichen allgemein gehaltenen – mitunter obendrein schwer auffindba  ren – Zusammenfassungen.37 Dies erschwert insbesondere ausländischen Forscher-
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35 Herzfeld bezieht sich auf Benedict Anderson, Imagined Communities. London 1983, p. 19.
36 Michael Herzfeld, A Place in History. Social and Monumental Time in a Cretan Town. Princeton, NJ 1991, p. 10.
37 Dieses Phänomen ist allerdings international unter Archäologen verbreitet und kein griechisches Spezifikum! Dennoch symptomatisch der private Charakter der Publika  tion von Ersi Brouskari/Hellenic Ministry of Culture, Directorate of Byzantine and Post-Byzantine Antiquities (eds.), Ottoman Architecture in Greece. [Athen] 2008. Vgl. dazu die Ausführungen weiter hinten in vorliegendem Beitrag.

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Innen die Zugänglichkeit von Quellen bzw. untergräbt möglicherweise auch deren Autorität und Glaubwürdigkeit, wenn vorwiegend nur auf unveröffentlichte Manu  skripte und auf durch Gespräche erhaltene mündliche Informationen, bestenfalls noch auf akustisch aufgezeichnete Interviews zurückgegriffen werden kann.

Diese Barriere zu griechischen und in noch höherem Maße zu ausländischen ForscherInnen, die außerhalb der Ephorien wissenschaftliche Forschung zu histori  schen Monumenten betreiben wollen, wird noch durch die griechische Gesetzeslage weiter verstärkt: Denn die wissenschaftliche Erforschung von historischen Monu  menten liegt exklusiv bei den dem griechischen Kulturministerium und damit dem Staat unterstehenden Ephorien, den EBA. Sobald einem Forscher (in oder außerS halb der EBA) per schriftlichem Erlaß von der zuständigen Ephoreia/Kulturmi  nisterium ein archäologisches Artefakt zur Erforschung überantwortet wird, ist dieses für jeden anderen Forscher – ungeachtet, daß jener möglicherweise völlig andere Fragestellungen an dieses Artefakt richten mag – gesperrt38 und kann nur mit Zustimmung des offiziell mit der Erforschung des Artefakts Betrauten weite  ren ForscherInnen zugänglich gemacht werden. Aufgrund dieses ungewöhnlichen und mit viel Verwaltungsaufwand verbundenen, jedoch insbesondere für auslänu dische BewerberInnen mitunter nicht sehr aussichtsreichen Procederes,39 wird ein
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38 Cf. Νομοθετικά κείμενα για την προστασία των αρχαιοτήτων και των μνημείων Ν. 3028/2002 bzw. 5351/1932.
39 Symptomatisch die Erfahrungen von P. Soustal bei seiner Bereisung Westthrakiens in den frühen 1980er Jahren in Vorbereitung des Thrakien Bandes der Tabula Imperii Byzantini: „Unser Antrag auf Gewährung der Erlaubnis, byzantinische Denkmäler aufzusuchen und zu photographieren, wurde vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft und der Ephoreia Byzantinon Archaioteton [Hervorheb. durch P. S.] abgelehnt. Meinem Kollegen […] und mir wurde nahegelegt, das Land unverrichteter Dinge zu verlassen. Immerhin wurde ich später von Charalampos Mbakirtzes [Hervorheb. durch P. S.], dem Vorstand der Ephoreia […], zu dem von ihm organisierten ersten internationalen Symposion für „Thrakische Studien“ mit dem Thema „Byzantinisches Thrakien“ […] eingeladen [1987 in Komotini].“ Cf. Peter Soustal, Thrakien (Thrake, Rhodope und Haimimontos). Wien 1991 (TIB; 6), p. 7. Zum 1. internat. Symp. f. Thrakische Studien cf. Charalambos Bakirtzis (ed.), First International Symposium for Thracian Studies. “Byzantine Thrace”: Image and Character. Komotini, May 28th–31st 1987, vol. I. Amsterdam 1989 (Byzantinische Forschungen. Internationale Zeitschrift für Byzantinistik; XIV,1).

Ähnlich erging es der Autorin im September 2009 bei ihrem Antrag an die Ephoreia in Komotini, die Große Moschee in Didymoteichon besichtigen zu dürfen. Mit dem Hinweis, daß sie, die Autorin, ja eine Forscherin sei, wurde ihr der Zutritt verwehrt. Erst nach langwierigen Verhandlungen gelang es von der Leiterin der Ephoreia dann doch die Erlaubnis für einen Zutritt zu erwirken mit dem Argument, daß Archäologen, Byzantinisten und Architekten wohl andere Fragestellungen an die Innenausstattung dieser Moschee hätten, als die Autorin, eine (Zeit-)Historikerin. Dennoch die Besichd tigung dauerte nur fünf Minuten, fand ohne Beleuchtung des Innenraums und unter Verbot jeglicher Fotoaufnahmen statt!

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Gutteil der historischen Monumente nahezu ausschließlich von MitarbeiterInnen der Ephorien, d.h. von meist an griechischen Universitäten ausgebildeten, oft auch nur über bescheidene Fremdsprachenkenntnisse verfügenden Archäologen, Mitteli alterarchäologen (Βυζαντινοί Αρχαιολόγοι), Byzantinisten (Βυζαντινόλογοι), Geoa logen und Architekten, vereinzelt doch auch von des Osmanischen und Türkischen kundigen Archäologen erforscht. Durch diese – nicht zuletzt auch aufgrund fehlenk der Auslandserfahrungen bzw. Horizonterweiterung – fachliche und methodische Einseitig- und Engstirnigkeit und die mehr oder weniger exklusive Zugänglichkeit der Monumente für einen national griechischen Kader werden historische Arted fakte und deren wissenschaftliche Erforschung in den Dienst eines emotional auf  geladenen nationalen Bildungsauftrags gestellt und zur Glorifizierung und Ideologisierung der vermeintlich eigenen Vergangenheit instrumentalisiert. (Abb. 7)

[…] In Greece there is less emphasis on contemporary Greek architecture than on the country’s ancient past. […] It is a potent source for reinforcing a sense of cultural and architectural identity […]. A glorified past is an unmistakeable ideological component of history teaching in both countries.40

[…] the focus on native traditions are based on the will to assert a national architectural identity. This is not surprising, considering the strong histories of nationalism in both countries after their respective wars of independence. […] nationalist sentiments have been consistently interwoven with the desire for modernity. This phenomenon had profound architectural and urban implications, from the planning of the […] cities […] to the stylistic manifestations of modernism and regionalism. […] Architectural history remains a critical field in which issues of national and cultural identity are deeply inscribed.41

Auf diese Weise wird nicht nur im Sinne des nationalen Desiderats Griechenlands geforscht und argumentiert, sondern auch eine Kontextualisierung der Monug mente – etwa durch kulturanthropologische oder transnationale Ansätze und Konzepte – in das „Jetzt“ und „Heute“ – mit wenigen Ausnahmen42 – nach wie vor
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40 Vgl. Gülsüm Baydar, Teaching Architectural History in Turkey and in Greece: The Burden of the Mosque and the Temple, The Journal of the Society of Architectural Historians vol. 62, no. 1 (Mar. 2003), pp. 84–91, bes. pp. 85–86.
41 Ibidem, p. 88. Ähnlich auch Hadjitryphonos, Some Reflections on the Preservation of the Architectural Heritage, in: Ćurčić, Hadjitryphonos (eds.), Secular Medieval Architecture, pp. 53–68.
42 Dazu jüngst Maria Kampouri-Vamvoukou, Τα μνημεία και οι λειτουργίες τους στη σύγχρονη εποχή, in: Giorgos Karadedos et al. (eds.), Δώρον. Τιμητικός Τόμος Στον Καθηγητή Νίκο Νικονάνο. Thessaloniki 2006, pp. 481–487.

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Abb. 1: AusschnittWestthrakien(und Nordthrakien bis Philippopel/Plovdiv) aus der Übersichtskarte „Königreich Bulgarien und Türkisch-Thrakien, Wien 1909.

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Abb. 2: Nomos Xanthis, sog. „Hamidiye Brückeoder „Brücke bei Kilometer 4“ (erbaut 1901).

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Abb. 3: Xanthi/Palia Poli, Od. Antika 5–7, ehem. Tabakhane (Kougioumtzoglou Herrenhaus, erbaut 1860–62, renov. 1997), heute Laografiko Mouseio/Volkskundemuseum.

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Abb. 4: Xanthi/Palia Poli, Kougioumtzoglou Herrenhaus/Laografiko Mouseio, neoklassizistisches Deckenfresko im 1. Stock, bayrische Künstler, Ende 19. Jh.

 

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Abb. 5: Didymoteichon, große Moschee, Portal an der Nordseite

 

Abb. 6: Komotini, Brunnenhäuschen vor der Postubos Baba Tekke.

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Abb. 9: Didymoteichon, Oruç Paşa Türbesi, ca. 1417.

 

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Komotini, Imaret, Hinweistafel mit Informationen zur Restaurierung:

(Imaret) in ein Kirchenmuseum. Verwirklichung (Träger): Hl. Metropolie von Maroneia und Komotini.

Fertigstellung der Restaurierung und Umwandlung eines byzantinischen Denkmals in Komotini

Finanziert durch Unterstützung der EU, 1994–1999.“

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Abb. 16: Didymoteichon, Panagias Eleftherotrias Kirche, Gesamtansicht.

In der Mitte über dem Eingang das Stiftermosaik.

 

 

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vermieden, d.h. einem möglichen Widerstand der Gesellschaft gegen Monumente ausgewichen.

Historische Artefakte werden zu „verordnetem“, „verdecktem“, „gemachtem“ und – so sie unberührt ihrem Schicksal bzw. allmählichen Verfall preisgegeben weru den – zu „gewordenem“ Erbe.43 „Kulturelles Kapital“, um mit Bourdieu zu sprechen, wird in „ökonomisches Kapital“ bzw. „politisches Kapital“ umgewandelt; oder aus „Kuppeln“ wird „Korn“.

Historisches Erbe verliert also allmählich die Aura der „Kuppeln“, büßt seine Authentizität und Originalität ein, fällt „Reauthentisierung, Verechtung und Verkitschung“44 , vielleicht auch gezielter Ignoranz und Vernachlässigung zum Opfer; steht schließlich als gespenstischer Schatten entkontextualisiert im Raum (Abb. 8, 9, 10).

„Korn“ symbolisiert in der Terminologie von Herzfeld die „monumental time“, das „ökonomische“ und „politische“ Kapital des Staates Griechenland, also dessen Macht, auf historisches (osmanisches) Erbe – im Falle Westthrakiens fallweise unter latenter Anwendung des Paragraphen 45/Reziprozitätsprinzip des Vertrau ges von Lausanne45 – Einfluß zu nehmen, es der Kirche o.ä. einzuverleiben46 , vor
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43 Die Klassifizierung nach Harald Heppner, Reisen und Geschichte verstehen. Ein Leitfa  den. Wien 2007, pp. 9–21.
44 Wolfgang Pauser, Guten Morgen, du Schöne! Die Verkitschung von Gmunden – ein Pamphlet, Die Presse. Spectrum (7./8. September 1991), s.p.
45 Art. 45: “The rights by the provisions of the present Section on the non-Muslim minorities of Turkey will be similarly conferred by Greece on the Muslim minority in her territory.” Da die Frage des Umgangs mit griechischem Erbe in Istanbul bzw. osmanischem/„türkischem“ Erbe in Westthrakien durch den Vertrag nicht geklärt ist, ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem der Kommentar zu diesem §45 von S. Akgönül aufschlußreich: “[…] The reciprocity principle […] is positive […] there are a series of rights preventing discrimination and another series allowing protection. But the very philosophy of this implies a lack of trust and reciprocity is merely a guarantee, a way of hostage-taking on the imposing party. […] The reciprocity principle was extended to Turkish-Greek disagreement in its entirety, but remained based on minorities. […] reciprocity has become […] a dreadful weapon in the hands of the two states concerned.” Vgl. Samim Akgönül, General Introduction: Reciprocity and its Application in InterV national Law, in: idem (ed.), Reciprocity, pp. 1–34, hier p. 32 (Vertragstext) und p. 34.
46 Die Beispiele, für die handfeste schriftliche Beweisstücke (Verträge o.ä.) jedoch unzugänglich oder vielleicht auch gar nicht mehr vorhanden sind, beruhen daher leider nur auf Beobachtung und Vermutung: (1) Das sog. „Imaret“ in Komotini, ein Gazi Evrenos (2. H. 14. Jh.) zugeschriebenes Gebäude, das während der bulgarischen Okkupation Thrakiens (1913–19) als Kirche (Hl. Boris) verwendet, dann von der Elektrizitätsgesell  schaft erworben wurde, nach dem 2. Weltkrieg schließlich der Herstellung von Eisblöcken diente, ehe es in den frühen 1990er Jahren durch die Metropolie für Komotini und Maroneia – ohne nennenswerten Widerstand der muslimischen/türkischen Minderheit – käuflich erworben wurde. Nach einer durch EU-Gelder unterstützten gründlichen Renovierung

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allem aber in der Folge dessen Rezipierung durch die griechische Gesellschaft zu steuern (Abb. 11, 12, 13).

Geradezu symptomatisch für den Umgang mit osmanischen Denkmälern bzw. den durch diese von den Denkmalpflegern, letztlich aber von Griechenland erhobe  nen Exklusivitäts- und Besitzanspruch auf historische Artefakte ist eine jüngst vom griechischen Kulturministerium in Kooperation mit den EBA publizierte umfangg reiche Dokumentation unter dem Titel “Ottoman Architecture in Greece”. Das Werk liegt erstaunlicherweise in einer griechischen und in einer englischen Ausgabe vor,47 umfaßt drei einführende Beiträge zu den Grundlagen osmanischer Kulturge  schichte sowie 191 zum Teil detaillierte Beschreibungen von sowohl religiösen als auch profanen als „osmanisch“ deklarierten Bauwerken mit genauen Angaben zu Gebäudetyp, Datierung, Topographie (Nomos, Dimos), zu bereits durchgeführten Restaurierungsarbeiten und ausführliche bibliographische Hinweisen. Auch wenn für jene FachkollegInnen im In- und Ausland, die um die problematischen, komf plexbehafteten und über Jahrzehnte tabuisierten Beziehungen Griechenlands zu seinem osmanischen Erbe wissen, diese systematische Erfassung der osmanischen Denkmäler für ganz Griechenland einschließlich der Inseln48 eine kleine Sensation darstellt, findet der Band innerhalb Griechenlands nicht diese Beachtung. Vielmehr bleibt er einem exklusiven Leser- und Benutzerkreis vorbehalten, wird unentgeltn lich und ausschließlich innerhalb Griechenlands über eine Dependance des Kule turministeriums in Athen, jedoch nur auf ausdrückliche telefonische(!) Anfrage,
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– noch unter der Bezeichung „byzantinisches Denkmal“ (βυζαντινό μνημείο) fungiert es – in der vom Kulturministerium herausgegebenen erwähnten Dokumentation zur osmanischen Architektur in Griechenland jüngst als „osmanisches Denkmal“ deklariert

– heute als Kirchenmuseum der genannten Metropolie. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hier um einen „Deal“ zwischen Athen und Ankara handelte für etwaige griechische Monumente in Istanbul bzw. auf Imvros. (2) Als offenes Geheimnis – allerdings wieder ohne zugängliche schriftliche Beweise – gilt das Gerücht, daß die große Moschee von Didymoteichon vermeintliches Unterpfand für die Agia Sophia in Konstantinopel ist. Während letztere 1934/35 endgültig in ein Museum umgewidmet, also ihres religiösen Zweckes enthoben wurde, ging die Moschee in Didymoteichon etwa zur selben Zeit aus dem Vakıf des Mufti von Didymoteichon durch Kauf(?), Widmung(?), Schenkung(?) in den Besitz des Staates Griechenland über. Sollte diese Moschee jemals wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dann ist auch hier die Eröffnung als Museum geplant.
47 Ersi Brouskari/Hellenic Ministry of Culture, Directorate of Byzantine and Post-Byzantine Antiquities (eds.), Ottoman Architecture in Greece. [Athen] 2008.
48 Die Erfassung der Denkmäler ist bei weitem nicht vollständig, was einerseits durch die kontinuierlichen Restaurierungsarbeiten an Monumenten zu erklären ist, andererseits aber auch mit dem unübersehbar selektiven Vorgehen bei der Auswahl der in diese Dokumentation aufgenommenen Bauwerke. Auffallend ist, daß nur Relikte in möglichst repräsentativem Erhaltungszustand in den Band aufgenommen wurden, jedoch nicht die vielen halbzerstörten oder von den Ephoraten völlig vernachlässigten Monumente.

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vertrieben und kann obendrein nur von (geistes-)wissenschaftlichen Institutionen, Wissenschaftlern und Forschern angefordert werden. Es stellt sich die berechtigte Frage, warum unter diesen Umständen dann überhaupt eine englische Ausgabe vorF liegt. Und selbst unter Geisteswissenschaftlern wissen nur die wenigsten von der Exi  stenz dieses Werkes. Dies ist umso skurriler, ist doch das erklärte, gleich eingangs fors mulierte (angebliche) Ziel des Bandes, “[…] to inform the public about the important work in the fields of preservation and conservation which has been performed by the services of the Ministry of Culture […]”.49 Die Exklusivität des Bandes betrifft aber nicht nur den Rezipientenkreis, sondern auch den Mitarbeiterstab, hat dieser Band doch mehr den Charakter eines umfangreichen Tätigkeitsberichtes, in dem sämtliche MitarbeiterInnen der EBA zu Wort kommen.

Kanonen

Auch wenn die muslimische/türkische Minderheit in Komotini mit Wohlgefallen vernommen hat, daß das „Imaret“, das seinerzeit während der durch die 12. EBA durchgeführten Restaurierungsarbeiten als „byzantinisches“ Monument (vgl. Abb. 12), jüngst in dem erwähnten Band des Kulturministeriums als „osmanisches“ Denkmal (vgl. pp. 324–326) deklariert wird, reißen die zahlreichen „Beschwerde-“ und „Klageschriften“ der muslimischen Minderheit in Westthrakien und in der Diaspora50 nicht ab, die die Umgangsweise griechischer Behörden mit osmanischen Kulturdenkmälern unter Berufung auf internationale Konventionen51 anprangert.
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49 Ioanna Koltsida-Makri, Prologue, in: Brouskari (ed.), Ottoman Architecture, pp. 16–17, hier p. 16.
50 Vgl. beispielsweise die DVD der ABTTF (Avrupa Batı Trakya Türk Federasyonu/ Föderation der Westthrakien Türken in Europa) “Western Thrace Turkish Minority ‘from past to present’ / Batı Trakya Türk Azınlığı ‘dünden bugüne’”; sowie die Homepage der ABTFF unter http://www.abttf.org. Zur ABTFF auch jüngst Hermann Kandler, Muslime – oder doch Türken? Zu Rolle und Selbstverständnis der Minderheit in Westt hrakien, in: kahl, Lienau (Hrsg.), Christen und Muslime, pp. 275–288, hier pp. 281–284. Weiters die schon zitierte Schrift von Ibrahim Baltali, vgl. Anm. 14 in diesem Beitrag. Aufschlußreich auch das Sonderheft “The Problem of Protection of the Ottoman-Turkish Architectural Heritage in Greece”, hrg. von Türk Kültürüne Hizmet Vakfı/Turkish Cultural Trust. Istanbul 1992, sowie die Proceedings der 5. Uluslararası Batı Trakya Türkleri Kurultayı. Sonuç Bildirisi / 5th International Assembly of Western Thrace Turks. Final Declaration. 15–17 Eylül/September 2006. Istanbul [2006?].
51 Hingewiesen wird vor allem auf die Mitgliedschaft Griechenlands beim ICOMOS und der UNESCO, sowie auf das Abkommen von Venedig (1964) “For the conservation and restoration of monuments and sites” und jenes von Granada (1985) “For the Protection of the Architectural Heritage of Europe”.

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Aus „Korn“ werden „Kanonen“, um historisches Erbe brechen Konflikte auf, die besonders in Westthrakien sehr häufig Machtspiele zwischen dem griechischen Staat bzw. der Politik und der Kirche (unterstützt bzw. geduldet von der EBA) einerseits und der muslimischen/türkischen Minderheit (unterstützt vom türkischen Konsuh lat in Komotini) andererseits, schließlich auch noch zwischen den (von Griechenl land unterstützten) Pomaken52 und der türkischen Minderheit symbolisieren.

Diesen Transformierungsprozeß historischen Erbes von „Kuppeln“ in „Korn“ und schließlich in „Kanonen“ sollen abschließend zwei Beispiele illustrieren:

Steinbrücken

Obwohl gerade in (West-)Thrakien so zahlreich vorhanden zählen Brücken in Griechenland nach wie vor zu den am wenigsten wissenschaftlich erforschten Bau  werken. Die Logik der einer Allgemeinheit – unabhängig von Ethnos und Konfesw sion – dienenden Funktion von Brücken, insbesondere in (West-)Thrakien, dessen geostrategische Lage seit römischer Zeit vom Verlauf der Via Egnatia mit zahlreig chen Knotenpunkten zu Nord-Südverbindungen zwischen den Städten jenseits der Rodopen (bes. Philippoupolis/Plovdiv) und der Ägäis bestimmt wird, legt nahe, Brücken als gemeinsames „transnationales“ Erbe zu verstehen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß diese in Thrakien so zahlreich vorhandenen Steinbrük  ken bis vor kurzem nicht näher erforscht wurden.

Vor wenigen Jahren (2002) jedoch wurde in Athen ein – wenn auch nicht wisV senschaftlicher – Verein zur Erforschung von Steinbrücken (Κέντρο Μελέτης Πέτρινων Γεφυρών) gegründet, der seither immer wieder Tätigkeitsberichte (Περί Πετρογέφυρων…) veröffentlicht.

Die Forschungsergebnisse/Datierungen beruhen mehr auf Vergleichen der Brücken untereinander denn auf handfesten Beweisen. Meisterzeichen und chaB rakteristische Symbole (Halbmond, Stern, Kreuz), die eine Zuordnung der Brükr ken erleichtern könnten, sind heute oft unleserlich oder überhaupt im Laufe des 20. Jahrhunderts entfernt worden. Hinzu kommt, daß die Steinbrücken durch die zahlreichen kriegerischen Ereignisse und Okkupationen in Thrakien während des 20. Jahrhunderts sowie durch das Junta-Regime (1967–74) teils schwer in Mitlei2 denschaft gezogen bzw. baulich verändert oder beschädigt worden sind.
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52 Von der Betonung der ethnischen Unterschiede innerhalb der muslimischen Minderheit profitieren insbesondere die Pomaken, denen auffallend große Aufmerksamkeit entgegen  gebracht wird, u.a. in einer schon fast übertriebenen Romantisierung ihres kulturellen und sprachlichen Erbes. Vgl. dazu Kandler, Muslime – oder doch Türken?, pp. 279–280.

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Geradezu symptomatisch sind deshalb die unterschiedlichen Zuordnungen der Steinbrücke über den Kompsatos bei Polyanthos/Nomos Rodopis: Vor bald 30 JahS ren hat sie Ch. Bakirtzis, damaliger Ephoros der 12. EBA epirotischen Baumeistern zugewiesen und ins 18. Jahrhundert datiert,53 während die Gemeinde von Iasmos für selbige Brücke ein (blaues) Schild mit dem Hinweis „Βυζαντινή Γέφυρα“ an der Landstraße zwischen Xanthi und Komotini positioniert hat, dem eine weitere (braune, d.h. vom Denkmalamt aufgestellte) Tafel folgt, die die Brücke neutraler als „Μεσαιωνική Γέφυρα“, als mittelalterliche Brücke, bezeichnet (vgl. Abb. 7). Jüngst hat sie Lowry in seiner Hommage an Gazi Evrenos, ins späte 14. bzw. frühe 15. Jahrhuns dert datiert, also in jene Periode, als dieser sein Hauptquartier im nahegelegenen Komotini aufgeschlagen hatte.54 Doch Bakirtzis und sein Team haben sich nicht nur isoliert mit der Brücke befaßt, sondern auch mit der geostrategischen Erschließung insbesondere des Nomos Rodopis, und festgestellt, daß in der Zeit von Gazi Evrenos in Zusammenhang mit der Gründung von Genisea/Yenice (1433) nahe Xanthis, im Süden entlang der Küste eine neue Straße entstanden ist,55 was den Bau einer Brücke wohl an dieser Achse wahrscheinlicher gemacht hätte. Im nördlichen gebirgigen Teil hingegen weiß man von plattentektonischen Verschiebungen im 16./17. Jahrhunh dert, wodurch auch Flüsse ihren Verlauf geändert haben. Somit ist es plausibel, erst danach, also etwa im 18. Jahrhundert dort eine Brücke zu bauen.56

Einschlägige türkischsprachige Werke über osmanische Architektur in GrieE chenland ignorieren die Steinbrücken meist überhaupt,57 was jedoch nicht heißt, daß diese von der muslimischen/türkischen Minderheit in Westthrakien nicht wahrged nommen werden. Vielmehr sind sie für diese meist seit Generationen selbstverständn lich ein vertrautes „osmanisches“ Erbe, sozusagen in der Bedeutung von „Kuppeln“.

Erst neuerdings spielt in diese griechisch-türkische Kontroverse um den Ursprung der Steinbrücken in Westthrakien noch eine dritte Komponente hinU ein: nämlich eine insbesondere im mehrheitlich von Pomaken bewohnten Hinter-
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53 Vgl. Bakirtzis über die Brücke von Polyanthos über den Kompsatos: „[…] werden die Flußufer durch eine steinerne Bogenbrücke verbunden, die im 18. Jh. von epirotischen Baumeistern erbaut wurde. […] Im Rhodope-Gebirge stößt man auf viele ähnliche […] Brücken, die von vielbenutzten Verkehrswegen ins Innere des Balkanraums zeugen.“ Ch.[aralambos] Bakirtzis, D.[iamantis] Triandaphyllos (Hrsg.), Thrakien. Griechen  land. Kulturführer I. Athen 1992, pp. 37 und 40. Ähnlich auch Soustal, Thrakien,

  1. 408.

54 Vgl. Lowry, Shaping of the Ottoman Balkans, pp. 48f.

55 Vgl. den Hinweis bei Soustal, Thrakien, pp. 121–122: Auch Soustal betont den Vorstoß von Gazi Evrenos von Komotini ausgehend nach Süden und vor allem Westen, dem die Einnahme von Maroneia, Peritheorion uund Xanthi folgten.

56 Für diese Hinweise danke ich Frau Lila Sambanopoulou, 9th EBA Thessaloniki.

57 Rühmliche Ausnahme ist hier Biçakçı, Yunanistan’da Türk Mimarî Eserleri.

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land von Xanthi wahrnehmbare Tendenz, Steinbrücken zu begehrten Zeugnissen „pomakischer“ Kultur58 zu machen.

Didymoteichon

Didymoteichon, der Stadt am Erythropotamos, einem Seitenarm des Evros, fehlt heute die bodenständige urbane Elite. Diese ist besonders nach den Grenzziehunh gen von 1920/23 bzw. im Laufe des 20. Jahrhunderts kontinuierlich nach Athen und Thessaloniki abgewandert und durch Zuzügler aus den umliegenden Dörfern ersetzt worden. Trotz der seit den 1990er Jahren wiedergeöffneten Grenzen und der wie  dergewonnenen Rolle als Drehscheibe im Dreiländereck zwischen Griechenland, der Türkei und Bulgarien, bleibt diese Stadt provinzialisiert. Denn infolge des Elid tentausches ist Didymoteichon ihr historisches Gedächtnis abhanden gekommen: Der neuen Elite fehlt die identitätsstiftende Verwurzelung mit der Stadt und ihrer Geschichte.59 Dementsprechend überraschend, jedoch nicht „atypisch“ für eine wenn auch „neue“ Elite, die vorgibt, eine Passion für Didymoteichon entwickelt zu haben, fiel die Antwort auf die Frage nach dem für diese wichtigsten historischen Denkmal der Stadt aus: „Das Wichtigste für Didymoteichon ist der Tourismus.“60

Übertragen auf das Zusammenwirken von „Kuppeln“, „Korn“ und „Kanonen“ läßt sich ableiten, daß diese das kulturelle Leben Didymoteichons heute prägenden und lenkenden neuen Eliten nicht so sehr auf „Kuppeln“, auf das „kulturelle Kapiu tal“ also setzen, das diese Stadt mit dem ältesten Hamam (Oruç Paşa Hammâmı, 1398/99; Abb. 8), dem ältesten osmanischen Mausoleum (Oruç Paşa Türbesi, ca. 1417; Abb. 9) in Europa, und der ältesten (in Griechenland noch erhaltenen) Moschee, der sog. Bayazid Cami/Bougiouk Cami/Oulou Cami/Mehmed Çelebi Cami (begonnen 1389–1402; vollendet 1420–21; Abb. 14)61 aufzubieten hat. Für sie
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58 Vgl. Baltali, Demolished Ottoman Historic Monuments, [p. 1]: “[…] Ottoman bridges are regarded as “Pomak bridges” in an effort to prove that these architectural works belong to another nation.”
59 Am ehesten bewahren dieses noch die Roma, die mehr oder weniger beständig in Didymoteichon bis heute siedeln und bis in die 1990er Jahre in den in Wohnhöhlen umfunktionierten alten Kultplätzen in den Mauern der „Kale“, der Festung, gelebt haben. Im wesentlichen Unterschied zu Xanthi und Komotini sind sie nicht ghettoisiert, sondern viel offener und integrieren sich durch Kulturvereine selbst in die Stadt.
60 „Το πιο συμαντικό μνημείο είναι ο τουρισμός.“ Grundtenor der zwischen 11. und 14.9.2009 in Didymoteichon durchgeführten Interviews.
61 Lowry, The Shaping of the Ottoman Balkans 1350–1550, pp. 21f., sowie Athanasios I. Gouridis, Διδυμότειχο, μία άγνωστη πρωτεύουσα, pp. 103–108; idem, Το ιστορικό Διδυμότειχο. Συμβολή στην ιστορία και την τοπογραφία της πόλεως του Διδυμοτείχου. Didimoteicho 1999, pp. 162–169.

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ist es viel wichtiger, jetzt da die Grenzen zu Bulgarien und zur Türkei wieder offen  stehen, auf „Korn“ zu setzen, aus Didymoteichon eine Touristenattraktion erster Güte zu machen. Doch einer reibungslosen Transformierung dieses „kulturellen“ in „ökonomisches Kapital“62 steht das osmanischem Erbe inhärente „politische Kapi  tal“ blockierend im Weg: Daher wird das älteste Hamam Europas ungeniert dem Verfall preisgegeben, die große Moschee – nicht einmal durch ein entsprechendes Hinweisschild als historisches Bauwerk deklariert – bleibt der Öffentlichkeit wei  terhin unzugänglich, Restaurierungsarbeiten an und in der großen Moschee sind auf unbestimmte Zeit eingestellt,63 obwohl die hölzerne Dachkonstruktion akut ein  sturzgefährdet ist (Abb. 15).

Was der Gesellschaft in Didymoteichon fehlt, sind nicht die Stadthistoriker, die mit großer Passion Bauwerke und Geschichte dieser Stadt erforschen und zu Papier oder als Historienmaler auf die Leinwand bringen. Vielmehr fehlt dieser „neuen“ Elite das historische Gedächtnis, die identitäre/habituelle Bindung an die „Kuppeln“ Didymoteichons, an ihre Plätze und Monumente und nicht allein an das aus diesen (Kuppeln) extrahierbare „ökonomische“ bzw. „politische Kapital“. Gleichgültigkeit, oft auch Wankelmütigkeit und Unentschlossenheit seitens der Gesellschaft gegen  über (dem Schicksal) der Stadt, spielen diese in die Fänge und Willkür von Politik/ Kultur ministerium/EBA und Kirche.

Vor diesem Hintergrund erfährt der von der Metropolie Didymoteichons unter Metropolit Nikephoros II. zwischen 1992 und 1994 errichtete Monumentalbau der Panagias Eleftherotrias Kirche (Παναγίας Ελευθερώτριας) (Abb. 16, 17) an proα minenter Stelle gleich neben der Dimarcheia und in direkter Achse mit der grom ßen Moschee (Abb. 18), von den Ufern des Erythropotamos weithin sichtbar, eine enorme Aufwertung: Zwar ist diese Kirche für die Christen Didymoteichons keinese wegs identitätsstiftender Ort im Sinne eines (habituellen) Merkmals der Stadt, denn bevorzugt wird ja doch die alte Metropolitankirche Ag. Athanasiou (Αγ. Αθανασίου) auf der Festung (Kale). Noch mehr aber zählt, so wird betont, daß diese neue Kirche wichtig sei für die vielen – willkommenen – Touristen aus Bulgarien, die Didymoe teichon ob ihrer Tradition als Transitstadt am Trigonion schließlich brauche. Man
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62 D.h. also die osmanischen Denkmäler der Stadt entsprechend zu restaurieren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und durch geeignete Ausschilderung für die Touri  sten auch die Auffindbarkeit der Monumente sicherzustellen.
63 Derzeit wird auf die Priorität der Eröffnung des Archäologischen Museums von Didymoteichon verwiesen. Dazu kommt die latente Sorge, daß durch eine öffentliche Zugänglichkeit der Moschee örtliche Muslime sie ihrem ursprünglichen Zweck als Gebetshaus wieder zuführen könnten bzw. Didymoteichon zum Anziehungspunkt türkischer Touristen werden könnte. Quasi als Kompromißlösung votieren einzelne in der Stadt für die Öffnung der Moschee als Museum.

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darf mutmaßen, daß auch die prunkvolle Innenausstattung der Kirche mehr der russisch-orthodoxen denn der griechisch-orthodoxen Tradition folgt und vielleicht auch deshalb die bulgarischen Touristen besonders anspricht (Abb. 19).

Skurril und bemerkenswert zugleich ist, daß die neue Elite die Identität „ihrer“ Stadt Didymoteichon aus deren zeitlich verhältnismäßig kurzer Hochblüte als „πρωτεύουσα“ („Hauptstadt“), d.h. aus der spätbyzantinischen bzw. frühosma„ nischen Periode, herleitet. Gerade um jene Dekaden ranken sich allerdings auch die meisten Mythen und Erzählungen, die helfen können eine – im konkreten Fall – verschüttete urbane Identität wiederzufinden. Auch unter diesem Blickwinkel ist der prachtvolle Monumentalbau zu sehen: Gleichsam als Gegenpol zur nicht mind der prachtvollen – nur eben stark vernachlässigten (vgl. Abb. 15) – großen Moschee mit ihrem majestätischen Westportal (vgl. Abb. 5), dominiert er das heutige Stadtbild Didymoteichons.

Gerade diese Kulturpolitik verstellt aber den Blick auf die realen urbanen HierG archien des 20. Jahrhunderts im Evros-Tal: Denn hier rangieren das 1923 von Flüchtlingen aus Orestiada in Ostthrakien gegründete Nea-Orestiada und die ob ihrer Seidenproduktion weithin bekannte Stadt Soufli vor Didymoteichon, die eben mehr die Aura einer „Möchtegern-Großstadt“64 denn den Glanz vergangener Zei  ten ausstrahlt.
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64 Symptomatisch der stolze Hinweis des Historikers und Archäologen A. Gouridis auf den Konnex zwischen Didymoteichon und europäischer Weltgeschichte: Während des Nordischen Krieges (1700–21), genauer des Russlandfeldzuges Karl XII. von Schweden, endet die Schlacht von Poltawa (1709) mit einer totalen Niederlage für Schweden; der König entkommt ins Osmanische Reich und nimmt Exil in Didymoteichon (1713–14). Cf. Gouridis, Το ιστορικό Διδυμότειχο, pp. 57–59 m. Abb.; idem, Διδυμότειχο, μία άγνωστη πρωτεύουσα, pp. 99–101.

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Ulrike Tischler-Hofer  31. Juli 2017
Rubrik: Balkan/Osteuropa/Kaukasus

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