Es ist schon unglaublich, wie frei die muslimische Minderheit in Griechenland leben darf, während in der Türkei die Pontos-Griechen zwangsislamisiert wurden und nach wie vor weder ihre Sprache noch ihre Kultur leben dürfen.
Griechenland: Scharia mitten in Europa
Muftis im Nordosten Griechenlands bestimmten, wer im Todesfall erbt oder ob Minderjährige verheiratet werden dürfen. Ihr Gesetz ist die Scharia.
Was Recht ist und was nicht, entschied bei den Muslimen in der Kleinstadt Komotini bisher der Mufti. Meco Cemali ist seit fast 40 Jahren hier der Rechtsgelehrte. Jetzt muss er hinnehmen, dass seine Gläubigen selbst wählen dürfen, ob sie Streitigkeiten in der Familie nach griechischem Recht oder nach den Vorschriften der Scharia geregelt haben möchten. Im Gegenzug wünscht er sich aber auch, dass in Europa die Scharia toleriert wird: „Mir ist wichtig, dass Europa weiß, dass in Griechenland für Muslime die Religionsfreiheit gilt. Wir hier praktizieren auch nicht die komplette Scharia, nur den Teil des Familienrechts. Wir haben hier noch nie einem Dieb einen Kopf oder eine Hand abgehackt.“
„Die muslimische Frau hat kein Mitspracherecht“
Sabiha Souleiman hat „Elpida“, einen Verein für Frauen, gegründet. | Bild: NDR
„Nur“ Familienrecht, das klingt für manche vielleicht harmlos. Doch Sabiha Souleiman weiß, für viele Frauen kann es Unterdrückung und Armut bedeuten. Sabiha musste schon mit sieben Jahren arbeiten, wurde mit 13 verheiratet – mit Einverständnis des Muftis. Doch sie begann zu kämpfen: Für sie als Muslima sollen die gleichen Rechte gelten, wie für andere griechische Frauen. Die Gesetzesänderung, wonach Muslime jetzt zwischen griechischem Recht und der Scharia wählen können, bringe den Roma-Frauen gar nichts. Denn in ihrer Gemeinde dominiert die Tradition und so hat sie nach wie vor als Frau keine Wahl: „Wir Roma hier folgen der Scharia blind. Weil wir Muslime sind. Wären wir woanders, in anderen Städten hätten wir solche Probleme mit der Scharia vielleicht nicht. Keine Frau weiß, weder unsere Großmütter noch Mütter, noch wir selber, was genau die Scharia ist. Wir folgen ihr nur. Als Religion. Blind“, sagt Sabiha Souleiman vom Verein für Frauen „Elpida“.
Doch Sabiha will das nicht länger tatenlos hinnehmen. Sie hat einen Verein gegründet, kümmert sich um Frauen, die wegen der traditionellen Rollenverteilung ganz unten gelandet sind. Sie alle mussten schon als Kinder arbeiten, wurden jung verheiratet, dann von ihren Männern verstoßen. Die Roma-Gemeinde verachtet verlassene Frauen. Aber ein Neuanfang ist auch nicht möglich, denn einer Scheidung stimmt der Mufti oft nicht zu. „Egal was der Mann tut, die muslimische Frau hat kein Mitspracherecht. Sie darf nicht wütend werden, nicht reden, nichts verlangen – sie darf nichts. Sie ist wie eine Pflanze und so soll sie auch bleiben. Wenn ich will, darf ich sie umtrampeln. Wenn ich will, lasse ich sie aber auch mal aufblühen und gieße sie. Es gilt nur, was der Mann sagt, das ist seit Generationen so und wird sonst auch so bleiben“, sagt Sabiha Souleiman.
Sabiha hält die Scharia für frauenfeindlich. Sie hat es am eigenen Leib erfahren: Ihr Mann verprügelte sie, ihre Schwiegereltern demütigten sie, weil sie keine Kinder kriegen konnte. Erst nach sieben Jahren Martyrium war die Scheidung durch.
„Die Sharia ist menschlicher und gerechter“
Doch in der muslimischen Gemeinde denken nicht alle so negativ über die Scharia. Auch nicht die Frauen. Sumeya Iman sieht das islamische Gesetz als Geschenk. Die Wahlmöglichkeit jetzt lehnt sie ab: „Wenn die Scharia nicht mehr in Griechenland praktiziert werden darf, müssen wir als Muslime trotzdem danach leben“, sagt Sumeya Iman. Die Scharia sorge für Gerechtigkeit. Dass Frauen im Erbfall weniger bekämen, findet sie angemessen. Schließlich bräuchten die Männer mehr, gerade wenn sie eine neue Familie gründen wollten. Die Lehrerin unterrichtet an der „heiligen Schule“ von Komotini. Auch ihren eigenen drei Kindern bringt sie die Scharia bei. „Damit sie nicht anders denken, unterrichte ich sie seit Jahren. Die Große ist jetzt 13. Wir haben früh damit begonnen. Sollten sie zweifeln, werde ich ihnen versuchen das menschlich Beste zu zeigen. Die Sharia ist menschlicher und gerechter. Das ist der Islam und unsere Religion.“
Drei Muftis regeln in West-Thrakien für die muslimische Gemeinde Hochzeiten, Scheidungen, Erbstreitigkeiten. Der Kontakt zu den Griechen ist überschaubar. Die Muslime leben hier in ihrer eigenen Welt, erzählen viele. Dass die griechische Regierung jetzt die Möglichkeit geschaffen hat, sich auf die griechischen Gesetze zu berufen, wurde nicht von allen freudig zur Kenntnis genommen.
Gesetzesänderung zartes Pflänzchen der Demokratie
Doch für das muslimische Paar Sebat Arifoglou und Aydin Omeroglou ist die Gesetzesänderung ein zartes Pflänzchen der Demokratie, das sie pflegen möchten. Die beiden sind seit 30 Jahren verheiratet und Sebat ist gegen die Scharia. Sie erinnert sich an das Drama, als ihre Mutter sich scheiden lassen wollte. Sebat selbst durfte nicht wie ihr Bruder studieren. Und bis vor Kurzem hatte sie Sorge, dass sie im Todesfall ihres Mannes das Haus nicht behalten dürfte. Das Haus, was beide gemeinsam gebaut haben. „Ich ziehe gar nicht erst in Betracht, dass der Mann oder die Frau in einer Ehe mehr Rechte haben könnte. Die Frauen müssen die gleichen Rechte haben, wie Männer. Meiner Meinung nach ist das neue Gesetz, das Muslimen die Möglichkeit gibt, zwischen Scharia und griechischem Recht zu wählen, für viele Menschen eine Erleichterung. Gerade eben in Bezug auf Erbschaft, Heirat und Scheidung“, sagt Sebat Arifoglou.
Für viele Frauen wäre es wohl einfacher gewesen, wenn Griechenland die Scharia ganz verboten hätte.
Autorin: Ellen Trapp, ARD-Studio Rom
Kommentare
cumali-44 am 08.04.2018 um 21:34 Uhr
Scharia ist menschenfeindliche Diktatorie
und nicht zeitgerecht. Die Barbaren die in Irak und Syrien Menschen geköpft hatten haben Sehnsucht nach Scharia. Darüberhinaus ist es unmöglich alle Menschen in einem Land auf gleiche Glaube zu bringen. Nämlich jeden Glaubenseinrichtungen oder politische Fraktionen haben eigene Vorstellung zur Scharia. Also ziemlich unterschiedliche Meinungen zum muslimischen Glaubens.
Bernhard am 08.04.2018 um 18:37 Uhr
Tsavous hat recht…!
….mit solch‘ reißerischen Beiträgen, die zudem unreflektiert und aus dem Zusammenhang gerissen sind…. ist niemandem geholfen!!! (Ich bin Christ und Schweizer)
Squareman am 08.04.2018 um 8:21 Uhr
Zu wenig
Die Scharia gehört verboten, die Wahlmöglichkeit ist ganz klar ein Schritt zu wenig. Traurig finde ich es wenn Frauen die Scharia verteidigen und ihre Kinder indoktrinieren. Die Scharia und der Islam ist eben frauenfeindlich. Da der Islam ja angeblich ein Teil Deutschlands ist wird auch die Scharia ein Teil Deutschlands. Scharia Polizei, Scharia Familiengericht mit anschließendem Mordversuch, Mord an Muslimen die zum Christentum konvertierten, das haben wir doch schon längst in Deutschland.
Myrofora Hatziliadis am 07.04.2018 um 20:09 Uhr
Ein erster Schritt, mehr nicht…
Wenn künftig „beide Seiten zustimmen müssen, dass die Scharia angewendet wird“, welche Chance hat denn ein minderjähriges Mädchen „Nein“ zu sagen, wenn es nicht (zwangs-)verheitratet werden will? An wen soll sie sich denn wenden und wie? Sie wird in der eigenen Sippe beobachtet und bewegt sich nur innerhalb ihrer Großfamilie. Sie wird von dieser Gesetzesänderung noch nicht einmal erfahren. Es ist schon unglaublich, wie frei die muslimische Minderheit in Griechenland leben darf, während in der Türkei die griechischen Pontier zwangsislamisiert wurden und nach wie vor weder ihre Sprache noch ihre Kultur leben dürfen. Die jetzige Gesetzesänderung kann nur als ein erster symbolischer Schritt gesehen werden. Es ist selbstverständlich, dass in einem demokratischen Land wie Griechenland, die Gesetze für alle gelten. Es kann nicht sein, dass eine Minderheit nach anderen Gesetzen lebt und eine Art Staat im Staat bildet.
Tsavous am 07.04.2018 um 17:04 Uhr
„Der Kontakt zu den Griechen bleibt überschaubar“
Sehr svon chön, liebe ARD-Redaktion, dass Sie den Muslimen das „Grieche sein“ absprechen und es an die Religion knüpfen. Die Muslime in Griechenland, seien es Roma, Türkisch- oder Bulgarischsprachige, stellen eine autochtone Minderheit dar, die bereits seit über 500 Jahren dort siedelt. Nach dem Vertrag Lausanne genießt die Minderheit der muslimischen Griechen bestimme Sonderrechte, was auch die griechische Staatsangehörigkeit einschließt. Die Frage nach dem Kontakt zu anderen Griechen stellt sich somit nicht. Wenn Sie den Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft meinen, dann bedingt dies immer die Kontaktbereitschaft beider Seiten – da gibt es durchaus sowohl Positiv- als auch Negativbeispiele, die sicherlich auch durch politische und gesellschaftliche Spannungen bestärkt werden. Mit solchen unreflektierten Aussagen und Beiträgen tragen Sie nur zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei und befeuern die Hetze in sozialen Medien…
Stand: 08.04.2018 19:21 Uhr
Quelle: http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/Griechenland-Scharia-100.html