Die Bundesrepublik hat bei der Wiedervereinigung viele Fehler gemacht. „Der größte Fehler war, all die guten Aspekte der DDR wie Frieden oder die Sicherheit des Arbeitsplatzes einfach hinwegzufegen“, erklärte der Ost-Berliner Jurist Hans Bauer im Sputnik-Interview. „Viele Ostdeutsche fühlen sich dadurch übergangen und beleidigt.“
„Wir werden auch an diesem dritten Oktober unsere ‚Alternative Einheitsfeier‘ abhalten“, sagte Hans Bauer, Berliner Rechtsanwalt und Vorsitzender der „Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung“ (GRH), im Sputnik-Interview. Die Gesellschaft gehört dem „Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden“ (OKV) an, einem Zusammenschluss von 25 ostdeutschen Organisationen, die die jährliche Protestveranstaltung ausrichten. „Dort bringen wir praktisch unsere Bilanz zu bestimmten Themen zum Ausdruck, die die Einheit und Ostdeutschland berühren.“ Darüber berichtete auch die Zeitung „Junge Welt“ in ihrer Montagsausgabe.
„Das ist unser alternativer Protest zu den glorifizierenden offiziellen Feiern, die jedes Jahr in einem der neuen Bundesländer stattfinden“, erklärte der Ost-Berliner Jurist. „Das ist ein Gegenstück dazu. Wir bringen dort zum Ausdruck, wie es tatsächlich aussieht, wie wir es empfinden und was sich im Osten ändern müsste, um die Verhältnisse zu verbessern.“Wirtschaftliche Schieflage Ost
Der Sozialabbau im Westen sei nur deshalb möglich, weil die DDR nicht mehr existiere. „Aber das wird man von den Machthabern in Berlin nicht erwarten können, dass sie das zugeben.“ Um tatsächlich gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West herzustellen, „müsste man ökonomisch und sozial handeln“. So schnell wie möglich müssten die Löhne und die Renten angeglichen werden.
Das ehemalige Staatsgebiet der DDR werde vom Westen wie eine Kolonie behandelt. „Ich würde mir wünschen, dass dieses Kolonialgebaren verschwindet. Dass man dazu aber auch die dafür extra eingerichteten Institutionen verändert, reformiert oder auflöst.“ Er nannte die „Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ (BStU, „Stasi-Unterlagenbehörde“) als solch eine Institution.
„Auf Befindlichkeiten der Ostdeutschen eingehen“
Der gravierendste Fehler bei der Wiedervereinigung war, dass „all das Gute abgeschafft wurde, was die DDR ausmachte. Also Frieden, Sicherheit und Arbeitsplätze“. Da es zur Zeit der Wende nicht die Möglichkeit des „gegenseitigen Einbringens von Ideen“ gab, fühlen sich heute viele Menschen im Osten „beleidigt und übergangen. Auf die Befindlichkeit der Ostdeutschen müsste man viel stärker eingehen.“
Dazu gehöre ebenso die „gleichberechtigte Geschichtsbeurteilung. Nicht: Die Einen die Guten, die anderen die Bösen. Also diese Schwarz-Weiß-Malerei der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart hineinreicht, muss man überwinden.“ Auch die Auswahl der Gedenkorte sei falsch gewesen, weil damit die DDR „in die Nähe des faschistischen Regimes“ gestellt wird. Es gab eine lange antifaschistische Tradition in der DDR. Dagegen sei die bundesdeutsche Gedenkpolitik „eine Beleidigung“, weil die DDR-Bürger „antifaschistisch erzogen wurden. Alles das sind Dinge, die die Befindlichkeit der Menschen betreffen.“ Auch werde die Aufbauarbeit der Ostdeutschen neben weiteren kulturellen und sozialen Leistungen in der Regel „nicht anerkannt“.
Problem des Rechtspopulismus im Osten
Die Folge dieser Vernachlässigung der Menschen durch die Bundespolitik: „Die Menschen im Osten fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Weil sie in diesem Staat, in der Bundesrepublik so behandelt werden.“ Das treibe viele in die Arme von rechtspopulistischen Parteien wie die AfD oder ähnlichen Gruppierungen, meinte Bauer auch mit Blick auf die jüngsten Vorkommnisse in der sächsischen Stadt Chemnitz.„Irgendwo wollen sie ihren Frust loswerden. Ich glaube aber nicht, dass diese rechten Botschaften auch die Köpfe der Bürger erreichen.“ Sondern dieser Zulauf sei Ausdruck der ostdeutschen Unzufriedenheit. Das „antifaschistische Erbe“ der DDR bleibe weiterhin spürbar und in der Gesellschaft verankert, betonte Bauer.
Neuer Russland-Kurs nötig
Außerdem würde er sich einen pazifistischen Kurs in der bundesdeutschen Außenpolitik wünschen. „Was Kriege und diese ganze Militarisierung gegen Russland betrifft, muss das schleunigst aufhören“, forderte der Ost-Berliner Anwalt. „Diese Nähe, diese freundschaftliche Verbundenheit, diese Befreiung vom Faschismus durch Russland, die ist so tief eingegraben – auch bei nachfolgenden Generationen, so dass das eigentlich ein gutes Verhältnis ist. Ganz anders, als das heute von der Politik praktiziert wird. Da wurde direkt wieder eine Feindschaft entwickelt.“
Besonders bei diesem Punkt könne die aktuelle Bundesregierung einiges von der DDR lernen. Schließlich gilt die untergegangene Republik bis heute als historisch einziger Staat, der den Antifaschismus je zur Staatsdoktrin erhob.