Der Tourismus zog Griechenlands Wirtschaft aus der Krise. In diesem Jahr erwartet die Branche erstmals wieder eine Stagnation. Einer der Gründe: Gier.
Das Essen war lecker. Aber die Rechnung schlug Francisco Tajeda auf den Magen. 836,20 Euro sollten der US-Tourist aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn und seine fünf Freunde für das Mittagessen im Restaurant „DK Oyster“ auf der griechischen Insel Mykonos bezahlen.
591 Euro berechnete das Restaurant, gelegen am betriebsamen Strand von Platis Gialos, für sechs Portionen Calamari. Drei Salate schlugen mit 59,40 Euro zu Buche, sechs Glas Bier mit 150 Euro. Für zwei Flaschen Wasser berechnete der Wirt 17,80 Euro, für einen Tomatensaft der Marke Amita 18 Euro – der Pappcontainer kostet im Supermarkt mal gerade 70 Cent.
Jedes Jahr mehr Urlauber, immer mehr Geld in der Kasse – so geht es in Griechenland seit 2013. Die Tourismusbranche in Hellas stürmt von einem Rekord zum nächsten.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Urlauber verdoppelt. Der Tourismus war es, der Griechenlands Wirtschaft aus der Krise zog. Nach Berechnungen des Verbandes der griechischen Touristikunternehmen (Sete) steuert der Fremdenverkehr inzwischen ein Viertel zum griechischen Bruttoinlandsprodukt bei. Aber jetzt schwächelt der Tourismus.
Nach Angaben des griechischen Tourismusforschungsinstituts Insete haben die Fluggesellschaften in den ersten sechs Monaten 2019 ihre Kapazitäten im Griechenlandverkehr gegenüber dem Vorjahr um sieben Prozent reduziert. Das Angebot aus Deutschland, im vergangenen Jahr mit 4,8 Millionen Gästen Griechenlands wichtigster Markt, nahmen die Linien- und Charterfluggesellschaften sogar um 16 Prozent zurück.
Am Flughafen Heraklion auf Kreta wurden in den ersten fünf Monaten 7,2 Prozent weniger Passagiere gezählt, auf Samos betrug der Rückgang sogar fast 20 Prozent. Der Hotelierverband der Hauptstadtregion Attika meldet im ersten Halbjahr einen Rückgang der Auslastung um fast vier Prozentpunkte.
Griechenland gilt als überteuertes Reiseland
Noch ist es für eine Jahresbilanz zu früh, aber die Branche erwartet für 2019 unter dem Strich eine Stagnation oder einen leichten Rückgang. Marktbeobachter nennen dafür mehrere Gründe. Einer ist das Comeback der Konkurrenten Türkei, Ägypten und Tunesien. Diese Destinationen, die viele Urlauber in den vergangenen Jahren wegen politischer Wirren und Terrorgefahren mieden, locken nun mit besonders günstigen Preisen.
Griechenland gilt dagegen als teures, ja überteuertes Reiseland. Die sozialen Netzwerke sind voller Horrorberichte über Wucherpraktiken gieriger Wirte. Auf Instagram, Twitter und Facebook machen geschröpfte Urlauber ihrer Wut Luft. Besonders berüchtigt ist die Schickeria-Insel Mykonos, wo für ein Steak schon mal 400 Euro fällig werden. Eine Übernachtung im Fünf-Sterne-Hotel auf Mykonos kostete in diesem Juni durchschnittlich 542 Euro, gegenüber 485 Euro im Vorjahr.
Auch im Reiseportal TripAdvisor schlagen enttäuschte Gäste Alarm. Viele Bewertungen beginnen mit Überschriften wie „Abzocke“, „Unverschämt teuer“, „Nicht besuchen!“ und sogar „Betrug“. Aber nicht nur die vielerorts überhöhten Preise vertreiben Gäste. Der Griechenland-Tourismus droht zum Opfer seines eigenen Erfolges zu werden.
2011 legte das Beratungsunternehmen McKinsey die 500 Seiten umfassende Studie „Griechenland in zehn Jahren“ vor. Sie identifizierte den Tourismus als eine der aussichtsreichsten Wachstumsbranchen. Im Jahr 2021, so prognostizierten die McKinsey-Experten, könne Griechenland 24 Millionen Besucher anziehen.
Eine Fehleinschätzung: „Bereits 2018 haben wir mit 30 Millionen Gästen diese Projektion deutlich übertroffen“, sagt Giannis Retsos, der Präsident des Verbandes der griechischen Touristikunternehmen (Sete).
Aber mancherorts sind die Grenzen des Wachstums erreicht. „Viele Urlaubsziele haben ihre Kapazität überschritten, die Infrastrukturen sind nicht modernisiert worden und operieren in den Sommermonaten im roten Bereich“, sagt Retsos. Im griechischen Internetportal Lifo warnte der Verbandschef vor der Gefahr, „dass unsere Gäste unzufrieden abreisen“.
Beispiel Luftverkehr: Weil es Griechenland jahrelang versäumte, mehr Fluglotsen auszubilden und einzustellen, herrscht jetzt Notstand in vielen Kontrolltürmen. Im Flugverkehr kommt es deshalb in den Sommermonaten zu langen Verspätungen. Auch am Boden hapert es bei der Flughafen-Infrastruktur.
Zwar übernahm der deutsche Airportbetreiber Fraport 2017 den Betrieb von 14 griechischen Regionalflughäfen. Das Unternehmen investiert rund 400 Millionen Euro in die Modernisierung der Anlagen und baut zahlreiche neue Terminals. Aber bis alle Mängel auf den früher staatlich betriebenen Airports behoben sind, wird es noch Jahre dauern.
Hohe Abhängigkeit von wenigen Märkten ist riskant
Auch manche Destinationen sind bereits heillos überfüllt. Beispiel Santorini: Im vergangenen Jahr kamen mehr als zwei Millionen Besucher auf die Kykladeninsel. Die Zahl der Übernachtungen hat sich seit 2011 verdoppelt. Insel-Bürgermeister Nikos Zorzos spricht von einer „Tourismus-Explosion“.
Santorini hat 15.000 ständige Einwohner. Aber an manchen Tagen bringen die Kreuzfahrtschiffe 18.000 Passagiere auf die Vulkaninsel. Wasserversorgung, Elektrizität, Müllentsorgung, Abwassernetze – alles ist am Limit. Bürgermeister Zorzos appellierte an die Kreuzfahrt-Reedereien, die Touristenströme zu entzerren. Mit einem Pilotprojekt will Zorzos versuchen, die Zahl der Kreuzfahrtgäste auf maximal 8000 am Tag zu deckeln.
Nicht nur die Konzentration der Touristenströme auf wenige Urlaubs-Mekkas wie Santorini und Mykonos wird zum Problem. Auch die hohe Abhängigkeit von wenigen Märkten ist riskant.
Über 52 Prozent der Tourismuseinnahmen kommen aus sechs Ländern: Deutschland, Großbritannien, den USA, Frankreich, Italien und Russland. Welche Gefahren darin liegen, zeigen aktuell das Thema Brexit, das viele britische Urlauber von Auslandsreisen abhält, und die Pleite der deutschen Fluggesellschaft Germania. Dadurch fielen in diesem Jahr rund 380.000 Plätze im Flugverkehr zwischen Deutschland und Griechenland weg.
Aber selbst wenn 2019 ein Jahr der Konsolidierung wird, bleibt die griechische Reisebranche auf Wachstumskurs. Die Entwicklung neuer Ziele, die zeitliche Streckung der Saison und die Erschließung neuer Märkte, allen voran China, sollen für Zuwachs sorgen. Der Verband Sete rechnet bis 2022 mit einem Bedarf von 24.000 neuen Betten, vor allem im Fünf-Sterne-Segment.
Trotz der diesjährigen Wachstumsdelle ist die Branche also zuversichtlich. Auch der Besitzer des Strandrestaurants „DK Oyster“ gibt sich selbstbewusst. Die von ihm berechneten Preise seien „korrekt“ und einem der begehrtesten Strände der Welt angemessen, erklärte er trotzig der Zeitung „Daily Mail“.
Wer sich das nicht leisten könne, der solle es nicht bestellen, so der Inhaber. Damit ist der Fall aber nicht erledigt. Die Quittung, die der Gast Francisco Tajeda auf Instagram postete, war auf dem Foto leicht als ein ungültiger Beleg zu erkennen, der nicht aus einer Registrierkasse stammen konnte. So etwas ist in Griechenland verboten. Jetzt ermittelt die Steuerfahndung.