Die EU diskutiert neue Grenzverschiebungen in Südosteuropa. Demnach könnte die Führung des Kosovo den serbischsprachigen Norden des von ihr beherrschten Gebiets der Kontrolle Belgrads übertragen, während sie das albanischsprachige Preševo-Tal im Süden Serbiens erhielte.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini fördert – offenkundig mit Rückendeckung Frankreichs – diesen Tausch, während die Bundesregierung ihn ablehnt. Tatsächlich folgt der Plan einer Arrondierung von Grenzen nach ethnischen Kriterien der Politik, die die Bundesregierung vor allem in den 1990er und 2000er Jahren in Südosteuropa forciert hat. Die Bundeswehr, die seit fast 20 Jahren im Kosovo stationiert ist, bereitet inzwischen den weitgehenden Abzug vor und will sich nun vor allem auf Training und Ausrüstung der kosovarischen Streitkräfte konzentrieren, die begonnen haben, mit der NATO zu kooperieren. Die Bevölkerung des Kosovo hingegen darbt nach fast zwei Jahrzehnten westlicher Besatzung: Das Gebiet ist das zweitärmste in Europa; nur die Militärkooperation mit der NATO gedeiht.
Grenzverschiebungen
In der EU wird gegenwärtig über erneute Grenzverschiebungen in Südosteuropa diskutiert. Die Debatte forciert hat der kosovarische Präsident Hashim Thaçi, ein ehemaliger Anführer der UÇK-Miliz, die im Kosovo-Krieg vom Frühjahr 1999 de facto als Bodentruppe der NATO fungierte und gemeinsam mit den westlichen Mächten die Abspaltung der südserbischen Provinz erzwang. Thaçi selbst werden seit vielen Jahren kriminelle Mafiaaktivitäten vorgeworfen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Der kosovarische Präsident hat im Juli den Vorschlag gemacht, „Grenzkorrekturen“ zwischen Serbien und dem Kosovo vorzunehmen, das unter offenenem Bruch des Völkerrechts von Serbien abgespalten wurde. Demnach könnte die kosovarische Führung den serbischsprachigen Norden der abgespaltenen Provinz der Kontrolle Belgrads übertragen, während sie dafür das fast durchweg albanischsprachige Preševo-Tal im Süden Serbiens erhielte. Der Gedanke ist in der Bevölkerung nirgends wirklich populär; Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić hat sich allerdings zu Gesprächen darüber bereit erklärt. Erste Verhandlungen haben – unter der Vermittlung der EU – inzwischen stattgefunden, wenn auch bisher gänzlich ohne Erfolg.[2]
Die deutsche Ethno-Politik
Für Berlin ist der Vorstoß aus mehreren Gründen recht peinlich. Zum einen entspricht er mit der Forderung, ethnisch definierte Staaten zu schaffen, einer Grundlinie der bundesdeutschen Südosteuropapolitik vor allem der 1990er Jahre; damals wirkte die Bundesregierung zunächst mit ihrem Vorpreschen bei der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens [3], dann mit der Abspaltung des Kosovo [4] führend darauf hin, Jugoslawien in Ethno-Republiken zu zerschlagen. Thaçis jüngster Vorstoß läuft auf Flurbereinigungen ganz in diesem Sinne hinaus. Zugleich ist er äußerst riskant. „Mit Grenzen und Teilungen auf dem Balkan zu spielen, war in den frühen neunziger Jahren gefährlich und ist es jetzt auch“, äußert etwa der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, der in der zweiten Hälfte der 1990er und den frühen 2000er Jahren in verschiedenen Funktionen in Südosteuropa tätig war [5]: „Wenn Preševo Teil des Kosovos werden kann – warum dann nicht auch Tetovo in Mazedonien? Wenn Mitrovica Teil Serbiens werden kann – warum dann nicht auch Banja Luka in Bosnien?“[6] Tatsächlich drohen im Fall einer weiteren Flurbereinigung auf der Grundlage deutscher Ethno-Prinzipien weite Teile Südosteuropas in erneute Konflikte zu stürzen – das zu einer Zeit, zu der Berlin Europa unter Kontrolle gebracht zu haben meint und nun zu weltpolitischen Aktivitäten drängt.[7]
Streit in der EU
Die Bundesregierung lehnt Thaçis Vorstoß deshalb dezidiert ab, wenngleich sie damit in direkten Widerspruch zur Politik früherer Bundesregierungen gerät. Sie tut dies nicht zuletzt mit Blick auf die Krim: Würden in Südosteuropa Grenzen nach Ethno-Prinzipien neu gezogen, wäre schwer vermittelbar, weshalb das für die Krim nicht gelten soll; deren Beitritt zur Russischen Föderation erkennt Deutschland wie auch die übrigen westlichen Mächte dezidiert nicht an. Dabei sieht sich Berlin mit einer chaotischen Situation in der EU konfrontiert. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini befürwortet die Grenzverschiebungen, für die sich auch Frankreich erwärmen könnte – und für die sich nicht zuletzt die Trump-Administration ausgesprochen hat. Für fünf EU-Mitglieder – Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern – stellt sich die Frage eigentlich gar nicht, weil sie die völkerrechtswidrige Abspaltung des Kosovo bis heute entgegen massivem Druck Berlins nicht anerkennen und das Gebiet weiterhin – sachlich zutreffend – als südserbische Provinz ansehen. Eine vermittelnde Position sucht der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner einzunehmen, der von 1999 bis 2001 als UN-Sondergesandter im Kosovo tätig war. Wie Kouchner erklärt, sei das Entstehen rein ethnisch definierter Staaten gar nicht zu befürchten: Man werde auch nach einer Grenzverschiebung noch den einen oder anderen Albaner in Serbien, den einen oder anderen Serben im Kosovo finden.[8] Dass die Grenzverschiebung als Präzedenzfall für Ethnoseparatisten anderswo in Südosteuropa dienen könne, streitet Kouchner einfach ab.
Die Lebensrealität im Kosovo
Die Debatte über neue Grenzverschiebungen blendet die sozialen Zustände gänzlich aus, die heute im Kosovo herrschen – fast 20 Jahre nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien und der folgenden Besetzung der Provinz, über zehn Jahre nach ihrer völkerrechtswidrig vollzogenen, führend von Deutschland forcierten Abspaltung von Serbien. Die offizielle Arbeitslosigkeit im Kosovo lag im Jahr 2016 bei 34,8 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit pendelte um 60 Prozent. Nimmt man das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zum Maßstab, dann war das Kosovo 2016 das zweitärmste Land in Europa. Die Mehrheit der Kosovaren verfügt nur über monatliche Einkünfte von weniger als 500 Euro; 30 Prozent der Kosovaren leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Der Haushalt der kosovarischen Regierung reicht für eine angemessene Gesundheitsversorgung nicht aus und stellt nur Mittel für 60 Prozent derjenigen Medikamente, die als unverzichtbar eingestuft werden, zur Verfügung. Die Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs kann von den meisten Familien im Kosovo nicht finanziert werden.[9] Echte Besserung ist nicht abzusehen: Transportinfrastruktur, Energieversorgung und Anbindung an die Außenwelt sind miserabel; rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts resultieren aus den Zuwendungen von Geberstaaten, weitere 15 Prozent aus den Rücküberweisungen der kosovarischen Diaspora. Zum Erfolg gebracht haben es lediglich Personen, denen vorgeworfen wird – unter anderem vom Bundesnachrichtendienst (BND) -, Köpfe der Organisierten Kriminalität zu sein sowie Verantwortung für schwerste Kriegsverbrechen im Krieg des Jahres 1999 zu tragen (german-foreign-policy.com berichtete [10]).
Militärkooperation
Die Bundeswehr, die seit 1999 im Kosovo stationiert ist, hat dieses Jahr ihren Abzug eingeleitet. So ist das Einsatzlazarett im Feldlager Prizren bereits zu Jahresbeginn geschlossen worden; die deutschen Truppen wollen sich bis Jahresende vollständig aus Prizren zurückziehen und das Feldlager vollständig an die kosovarische Regierung übergeben. Deutsche Soldaten sollen dann nur noch im KFOR-Hauptquartier in Priština Dienst tun. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit wird, wie es bei der Bundeswehr heißt, „auf der Förderung der Entwicklung der KSF [Kosovo Security Forces, d. Red.] im Einklang mit der NATO liegen“.[11] Dazu haben die kosovarischen Truppen bereits Material und Fahrzeuge von der Bundeswehr erhalten, zuletzt 44 Fahrzeuge des Typs Wolf. Die KSF wiederum führen inzwischen gemeinsame Kriegsübungen mit der NATO durch: Während die Bevölkerung ohne jede Entwicklungsperspektive darbt, gedeiht nach fast 20 Jahren Besatzung auch durch die Bundeswehr lediglich eines – die Militärkooperation.
[1] S. dazu Ein schwarzes Loch in Südosteuropa.
[2] Michael Martens: Kreative Lösungen auf dem Balkan. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.08.2018. Operation Pustekuchen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.09.2018.
[3] S. dazu Salonfähige Parolen.
[4] S. dazu „Danke, Deutschland!“
[5] Michael Martens: Kreative Lösungen auf dem Balkan. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.08.2018.
[6] Michael Martens: Brandgefahr für den Balkan. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.08.2018.
[7] S. dazu Berlins Kampfansage.
[8] Michael Stabenow: Keine Grenzkorrekturen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.10.2018.
[9] 10 Facts About the Poverty Rate in Kosovo. borgenproject.org 25.08.2017.
[10] S. dazu Die Mafia als Staat und Die Mafia als Staat (II).
[11] Wölfe für das Kosovo – Übergangszeremonie in Pristina. einsatz.bundeswehr.de 28.09.2018.
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7742/
Siehe auch Interview: Alexander Neu über Lösung im Kosovo-Konflikt: „Berlins Argument ist verlogen“
Deswegen muss die bevoelkerung REAGIEREN.
Die Bevölkerung in der EU wird nie gefragt, sondern immer vor vollendeten Tatsachen gestellt!