Der transatlantische Flüssiggasstreit

Der griechische Ministerpräsident Tsipras hatte 2015 mit Russland die Verlängerung der Gaspipeline Turkish Stream nach Griechenland vereinbart, dann aber, auf Druck aus den USA und der Europäischen Union, das Projekt aufgegeben. Jetzt will er das teure US-Flüssiggas kaufen (Was das amerikanische Flüssiggas in und für Griechenland bedeutet). Deutschland setzt immer noch auf die erste Erdgaspipeline aus Russland, die „Power of Siberia“. Wie lange noch?

 

Außenminister Heiko Maas bekräftigt zum wiederholten Mal das Insistieren der Bundesregierung auf der heftig umstrittenen Erdgaspipeline Nord Stream 2. Man sei trotz des anhaltenden Drucks aus Washington nicht bereit, in den Bau der Röhre, der längst begonnen hat, zu intervenieren, bekräftigte Maas bei der diesjährigen UN-Generalversammlung in New York. Gleichzeitig kommen US-Bemühungen, den Verkauf von US-Flüssiggas in Deutschland zu fördern, nicht nennenswert vom Fleck. Nähere der Flüssiggaspreis sich demjenigen des zur Zeit noch deutlich billigeren Pipelinegases an, dann werde man den Kauf gerne erwägen, heißt es bei Uniper (Ex-EON). Uniper zieht gegenwärtig den Bau eines Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven in Betracht. Allerdings beliefe sich dessen Importkapazität nicht einmal auf ein Fünftel derjenigen von Nord Stream 2. Pläne für den Bau eines Terminals in Brunsbüttel, die aktuell die beste Chance auf Verwirklichung haben, sehen sogar nur den Import von halb so viel Flüssiggas vor – vor allem als Treibstoff für Schiffe und für Lkw.

Europas Erdgasdrehscheibe Nummer eins

Außenminister Heiko Maas hat bei der diesjährigen UN-Generalversammlung in New York nach erneuten Beschwerden von US-Präsident Donald Trump zum wiederholten Mal bekräftigt, dass die Bundesregierung auf dem Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 insistiert. Die Röhre, die Erdgas aus Russland auf direktem Weg nach Deutschland transportieren wird, befindet sich längst im Bau; sie soll Ende nächsten Jahres fertiggestellt werden und würde die Stellung der Bundesrepublik als bedeutendste Erdgasdrehscheibe der EU noch weiter stärken. Nord Stream 1 und 2 wären in der Lage, mit einem Jahresliefervolumen von insgesamt 110 Milliarden Kubikmetern knapp ein Viertel des EU-Erdgasverbrauchs zu bedienen; dieser lag 2017 bei 467 Milliarden Kubikmetern. Größter Verbraucher ist mit rund 95 Milliarden Kubikmetern im Jahr, von denen 2017 nur noch 7,2 Milliarden Kubikmeter im Inland gewonnen werden konnten, die Bundesrepublik.

Veränderungen in der Erdgasbranche

Der deutschen Erdgasbranche stehen in den nächsten Jahren vermutlich größere Veränderungen bevor. Zum einen ist, wie ein Experte von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) bestätigt, aufgrund des Atom- und des geplanten Kohleausstiegs „mit einem spürbaren Anstieg des deutschen … Erdgasverbrauches … zu rechnen“.[1] Gleichzeitig wird ein traditioneller Erdgaslieferant schon in wenigen Jahren ausfallen: Die Niederlande, die im Jahr 2015 noch gut 37 Prozent des gesamten deutschen Erdgasimports stellten, werden die Ausbeutung des Slochteren-Feldes bei Groningen, aus dem sich die Ausfuhr nach Deutschland speist, bis 2030 beenden – weil Zahl und Stärke der Erdbeben in der Förderregion dramatisch zugenommen haben. Die Lücke füllen könnte problemlos Nord Stream 2. Allerdings zieht die Bundesregierung inzwischen in Betracht, in gewissem Umfang auch in den Import von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) einzusteigen – aus mehreren Gründen.

LNG als Treibstoff

Zum einen gewinnt Flüssiggas als Treibstoff an Bedeutung. Mitte September ist in Hamburg die erste öffentliche LNG-Tankstelle in Deutschland eröffnet worden, die täglich mehr als 200 Lkw versorgen kann. LNG wird in der Bundesrepublik noch wenig, außerhalb Deutschlands jedoch in rasch zunehmendem Maß als Lkw-Treibstoff genutzt. Auch die Schifffahrt beginnt umzustellen – weil die International Maritime Organization (IMO), eine Sonderorganisation der UNO, eine baldige deutliche Reduzierung der Schiffsabgase vorschreibt. Als Mittel der Wahl gilt vielen der Wechsel von giftigem Schweröl auf LNG. Erst vor wenigen Wochen ist das erste mit LNG betriebene Kreuzfahrtschiff der Welt in Papenburg getauft worden; Beobachter gehen davon aus, dass Flüssiggas rasch an Bedeutung als Schiffstreibstoff gewinnt. Bislang muss LNG noch per Tank-Lkw importiert werden; der Hamburger Hafen dringt mittlerweile jedoch auf den Bau eines eigenen deutschen Flüssiggasterminals. Freilich würden für die Treibstoffeinfuhr überschaubare Importmengen genügen.

Die Unwägbarkeiten des Weltmarkts

Hinzu kommen nun aber schwer kalkulierbare Entwicklungen auf dem globalen Flüssiggasmarkt. Bislang ist LNG deutlich teurer als Pipelinegas und wird daher vor allem in Ostasien verkauft, wo aus geografischen und politischen Gründen bislang noch keine Importpipelinenetze bestehen; das gilt vor allem für Japan, für Südkorea und – noch – für China, wenngleich die erste Erdgaspipeline aus Russland in die Volksrepublik („Power of Siberia“) inzwischen zu großen Teilen fertiggestellt ist. Der teurere Preis ist die Ursache dafür, dass die bestehenden Flüssiggasterminals in der EU – sie verfügen über eine Kapazität von rund 200 Milliarden Kubikmeter, mehr als das Eineinhalbfache von Nord Stream 1 und 2 – zur Zeit nur zu 27 Prozent ausgelastet sind. Genutzt werden sie vor allem von Ländern, die weniger gut an Pipelines angeschlossen sind, daneben aber auch zum Ausgleich kurzfristiger Bedarfsschwankungen. Die Meinungen darüber, ob LNG auf Dauer teurer bleiben wird als Pipelinegas, sind geteilt. Aktuell weiten mehrere Länder von Australien über Indonesien bis zu den Vereinigten Staaten die Flüssiggasproduktion in hohem Tempo aus; das rasch wachsende Angebot könnte prinzipiell den Preis drücken. Zugleich ist unklar, welche Folgen der US-Handelskrieg gegen China haben wird. Die Volksrepublik, bislang einer der wichtigsten Käufer von US-LNG, hat am Montag Gegenzölle in Höhe von zehn Prozent auf US-Flüssiggas verhängt. US-Gaskonzerne haben damit nicht nur einen ihren wichtigsten Kunden verloren, sondern auch denjenigen, dessen Bedarf am schnellsten wächst; unklar ist deshalb, ob Entscheidungen zum Bau neuer Exportterminals in den Vereinigten Staaten aufrecht erhalten werden. Werden sie das nicht, dann wächst das globale LNG-Angebot weniger stark – und der Preis sinkt wohl nicht.

Eine Tankstelle für Hamburg

Inmitten aller Unwägbarkeiten hat die Bundesregierung beschlossen, den Bau wenigstens eines LNG-Terminals – des ersten in Deutschland – zu befürworten, um im Fall der Fälle nicht von der globalen Entwicklung abgeschnitten zu sein. Beste Chancen hat derzeit Brunsbüttel an der Elbmündung. Dort ist ein Terminal mit einer Kapazität von fünf Milliarden Kubikmetern pro Jahr geplant; RWE will dort Lieferungen abwickeln. Brunsbüttel ist wegen seiner relativen Nähe zum Hamburger Hafen insbesondere für den Bezug von Treibstoff für Schiffe geeignet. Pläne gibt es auch in Stade, das gleichfalls über eine vorteilhafte Nähe zum Hamburger Hafen verfügt; dort ist der US-Konzern Dow Chemical, der US-Frackingunternehmen mit Chemikalien beliefert, über seinen örtlichen Standort involviert. Brunsbüttel, ersatzweise Stade, können als Minimallösungen für die Versorgung der Bundesrepublik mit LNG als Treibstoff gelten – möglicherweise zuzüglich eher geringer Mengen für den allgemeinen Gasverbrauch.

Nicht konkurrenzfähig

In der Hoffnung auf eine günstige LNG-Preisentwicklung rechnet sich inzwischen aber auch Wilhelmshaven gewisse Chancen aus. Wilhelmshaven war bereits in den 1970er Jahren, als zum ersten Mal der Import von Flüssiggas in die Bundesrepublik diskutiert wurde, als Standort für ein LNG-Terminal im Gespräch. Jetzt zieht Uniper (Ex-EON) erneut in Betracht, dort den Bau eines Terminals voranzutreiben. Dabei ginge es um etwas größere Mengen; bei Uniper heißt es, man plane eine Kapazität von immerhin zehn Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Dabei will die Firma voraussichtlich mit Qatar kooperieren, dem – noch – größten Flüssiggasproduzenten weltweit; entsprechende Verhandlungen wurden kürzlich mit qatarischen Entscheidungsträgern geführt, als diese anlässlich eines deutsch-qatarischen Wirtschaftsforums am 7. September in Berlin weilten. Möglich sei auch der Bezug von US-LNG, teilten Konzernvertreter Mitte des Monats nach Gesprächen mit US-Botschafter Richard Grenell sowie US-Vize-Energieminister Dan Brouillette mit, die mehrere Tage lang eine Werbeoffensive für US-Flüssiggas in Deutschland durchführten. Als grundlegende Bedingung gilt bei Uniper allerdings, dass der Preis von US-Flüssiggas mit demjenigen von Pipelinegas konkurrenzfähig ist. Auf absehbare Zeit ist er das nicht.

Mehr zum Thema: Pipelines im Visier.

[1] BGR Energiestudie 2017: Weltweite Versorgungslage bei Energierohstoffen entspannt – Deutschland ist weltgrößter Erdgas-Importeur. bgr.bund.de 12.12.2017.

[2] Klaus Stratmann: USA werben bei Europäern für eigenes Flüssiggas. handelsblatt.com 12.09.2018.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7737/

7. November 2018
Rubrik: Wirtschaft, Finanzen

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