Die Ära der Nationalismen (I)

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Mit dem Vorstoß zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an bis zu 390.000 Italiener erreicht die einst von Bonn, heute von Berlin unterstützte Deutschtumspolitik in Norditalien einen neuen Höhepunkt

 

Für den heutigen Dienstag stellt die Außenministerin Österreichs erste Gespräche über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an bis zu 390.000 Bürger Italiens in Aussicht. Die Pläne gelten sämtlichen Deutschsprachigen in der Provinz Bolzano-Alto Adige, die als „Südtirol“ einst zum Reich der Habsburger gehörte. Während in Rom Proteste laut werden, weiten die Landeshauptmänner des österreichischen Bundeslandes Tirol und des italienischen Südtirol ihre Zusammenarbeit aus; die italienische Partei „Süd-Tiroler Freiheit“ legt einen ersten Entwurf für ein österreichisches Gesetz zur Doppelstaatsbürgerschaft vor. Die Partei steht – wie einer der Autoren des Gesetzesentwurfs – in der Tradition völkischer Terroristen, die in den 1950er und 1960er Jahren mit Bombenanschlägen den Anschluss Bolzano-Alto Adiges an Österreich durchzusetzen trachteten und dabei zahlreiche Menschen ums Leben brachten. Die völkische Szene Bolzano-Alto Adiges ist jahrzehntelang von Bonn und dann von Berlin gefördert worden.

„Eine eiserne ethnonationalistische Faust“

Die Pläne der neuen Rechtsaußen-Regierung Österreichs, deutschsprachigen Italienern aus der italienischen Autonomen Provinz Bolzano-Alto Adige („Bozen-Südtirol“) die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, sind am heutigen Dienstag erstmals Gegenstand eines Gesprächs auf Regierungsebene. Wie berichtet wird, wird die österreichische Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) die Angelegenheit im Verlauf ihres Antrittsbesuchs bei ihrem italienischen Amtskollegen Angelino Alfano thematisieren. Rom hat bereits mit offener Ablehnung auf die entsprechende Passage im österreichischen Regierungsprogramm reagiert. „Europa“ habe „viele Mängel, aber es hat die Ära der Nationalismen hinter sich gelasssen“, erklärte etwa der italienische Präsident des Europaparlamentss, Antonio Tajani.[1] Das entspricht zwar nicht den Tatsachen, dafür aber der in der EU gängigen Ideologie. Benedetto della Vedova, Staatssekretär in Italiens Außenministerium, hat im Zusammenhang mit dem Wiener Vorstoß von einer „eisernen ethnonationalistischen Faust“ gesprochen.[2] Heftige Auseinandersetzungen sind nicht auszuschließen.

Der Doppelpass

Tatsächlich hat die neue Regierung aus der Neuen Volkspartei und der völkisch-nationalistischen FPÖ sich in ihrem Programm nicht nur auf die „aktive Wahrnehmung der Schutzfunktion für Südtirol“ geeinigt; eine Rolle als „Schutzmacht“ für deutschsprachige Bürger Italiens macht Wien seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens im September 1946 durch die Außenminister Karl Gruber (Österreich) und Alcide De Gasperi (Italien) geltend. Der neue Koalitionsvertrag sieht darüber hinaus vor, „den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache“ in der Provinz Bolzano-Alto Adige „die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben“.[3] Anspruch darauf hätten mutmaßlich alle Italiener, die sich in der sogenannten Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung zur deutschen oder zur ladinischen Sprache bekannt haben; die Erklärung muss von allen erwachsenen Einwohnern der Provinz Bolzano-Alto Adige abgegeben werden, um den Proporzbestimmungen des Pariser Abkommens Rechnung tragen zu können. Aktuell ordnen sich 69,4 Prozent der gut 520.000 Provinzbewohner der deutschen, 4,5 Prozent der ladinischen Sprachgruppe zu.

Nord, Ost und Süd

Wien treibt den Vorstoß, der einer alten Forderung der FPÖ entspricht [4], systematisch voran. Am Sonntag haben führende Politiker aus Österreichs westlichen Bundesländern (Nord- und Osttirol, Vorarlberg, Salzburg) gemeinsam mit Vertretern der österreichischen Regierung und der Wirtschaft den Landeshauptmann der italienischen Provinz Bolzano-Alto Adige, Arno Kompatscher, zu umfangreichen Gesprächen in Wien empfangen. Kompatscher erklärte anschließend: „Mit dem heutigen Treffen haben wir das starke Signal abgegeben, dass der Westen eng zusammenarbeitet und sich gemeinsam für große politische Agenden einsetzt“.[5] Südtirol ordnet sich damit verbal in das westliche Österreich ein. Parallel hat die Partei „Süd-Tiroler Freiheit“ Ende der vergangenen Woche zahlreiche Gespräche in Wien geführt; unter anderem ist sie mit Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) zusammengetroffen. Während es dabei offiziell – mit Blick auf Hofers Amt – vor allem um Verkehrsprojekte gehen sollte, nahm die Staatsbürgerschaftsfrage tatsächlich einen zentralen Platz in den Verhandlungen ein. Hofer habe der Süd-Tiroler Freiheit zugesichert, man sei entschlossen, die Südtirol-Vorgaben der Koalitionsvereinbarung nun auch zügig umzusetzen, hieß es nach der Zusammenkunft. Details werden bereits besprochen; so ist laut Hofer ein freiwilliger Wehrdienst italienischer Doppelstaatler in den österreichischen Streitkräften angedacht; eine Wehrpflicht soll allerdings ausgeschlossen sein.

Gesamttirol

Um Druck zu machen, hat die – italienische – Süd-Tiroler Freiheit nun einen ersten Entwurf für ein österreichisches Gesetz zur Verleihung der Staatsbürgerschaft an deutschsprachige Norditaliener vorgelegt. Das ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zum einen steht die Süd-Tiroler Freiheit, deren europaweite Dachorganisation „European Free Alliance“ [6] im Europaparlament in einer Fraktion mit Bündnis 90/Die Grünen kooperiert, in direkter Tradition zu völkischen Attentätern, die mit Sprengstoffanschlägen sowie Schusswaffenüberfällen die Abspaltung Bolzano-Alto Adiges von Italien und seinen Anschluss an Österreich herbeizwingen wollten (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Sie strebt ihrerseits die Sezession von Italien und die Angliederung Bolzano-Alto Adiges an Österreich an. Zum anderen steht einer der Autoren des Gesetzesentwurfs in derselben Tradition. Franz Watschinger, Rechtsanwalt einer bekannten Innsbrucker Kanzlei, war zumindest zeitweise Mitglied der Innsbrucker akademischen Burschenschaft Brixia. Die Brixia wiederum war tief in den Südtirol-Terrorismus der 1950er und 1960er Jahre involviert; ihr gehörte auch Franz‘ Vater Rudolf Watschinger an, der wegen Anschlägen in Bolzano-Alto Adige verurteilt wurde und ein enger Mitarbeiter von Norbert Burger war, einem führenden Kopf der Südtiroler Terrorszene. Franz Watschinger zählte zu den Organisatoren des „Gesamttiroler Freiheitskommerses“ von 1994, einer Veranstaltung, die maßgeblich von der Brixia getragen wurde und bei der Burschenschafter der äußersten Rechten forderten, das österreichische Bundesland Tirol mit „Südtirol“ zu vereinigen.[8] Der von ihm mitverfasste Gesetzesentwurf ist laut Berichten der Süd-Tiroler Freiheit jetzt in Wien auf breite Zustimmung gestoßen. Laut dem Entwurf würden Einwohner Bolzano-Alto Adiges die österreichische Staatsbürgerschaft in Innsbruck beantragen – in der Hauptstadt des ersehnten „Gesamttirol“.

Mit deutscher Unterstützung

Mit dem Vorstoß zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an bis zu 390.000 Italiener erreicht die einst von Bonn, heute von Berlin unterstützte Deutschtumspolitik in Norditalien einen neuen Höhepunkt. Völkische Vorfeldverbände der deutschen Außenpolitik haben deutschsprachige Organisationen in Bolzano-Alto Adige regelmäßig gefördert und sie politisch wie materiell unterstützt (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Die bedeutendste Partei der Provinz, die Südtiroler Volkspartei, kooperiert seit je eng mit der deutschen CSU. Selbst die Südtirol-Attentäter der 1950er und 1960er Jahre unterhielten enge Beziehungen in die Bundesrepublik, ohne dass damals Bonn – ihren Straftaten entsprechend – repressiv gegen sie eingeschritten wäre. Recherchen von Experten zufolge waren zeitweise sogar hochrangige Politiker wie etwa Franz-Josef Strauß in Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Attentäter involviert.[10]

Warnungen

Die jüngste Südtirol-Offensive erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem völkische Organisationen in weiten Teilen Europas in der Offensive sind – unter anderem in Spanien, Belgien und Rumänien. Befürworter einer österreichischen Staatsbürgerschaft für deutschsprachige Norditaliener weisen darauf hin, dass Italien seinerseits ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat und italienische Pässe etwa Bürgern Sloweniens und Kroatiens mit italienischer Abstammung ausstellt. Zugleich warnen Kritiker, verabschiede Österreich das von der ultrarechten Regierungskoalition geplante Gesetz, dann sei eine Lawine ähnlicher Schritte in diversen weiteren EU-Staaten nicht auszuschließen; die jeweiligen Konflikte könnten jederzeit gefährlich eskalieren. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

[1] Austria, cittadinanza ai sudtirolesi: prima polemica del governo di centrodestra con l’Europa. repubblica.it 17.12.2017.

[2] www.facebook.com/BenedettoDellaVedovaOfficial/posts/10155989376364600

[3] Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022. Wien, Dezember 2017.

[4] S. dazu Das deutsche Blutsmodell (III).

[5] Österreichs Landeshauptleute treffen sich – Südtirol dabei. unsertirol24.com 14.01.2017.

[6] S. dazu Europa der Völker und Unter Separatisten.

[7] S. dazu Völker ohne Grenzen.

[8] Christoph Franceschini: Der Freiheitskrampf. salto.bz 27.05.2017.

[9] S. dazu Das deutsche Blutsmodell (III), Der Zentralstaat als Minusgeschäft und Wie es der Zufall will.

[10] S. dazu Doppelrezension: Südtirol-Terrorismus.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7502/

Siehe dazu

Völker ohne Grenzen

BARCELONA/BERLIN (Eigener Bericht) – Wenige Tage vor den zum Sezessions-Plebiszit erklärten Wahlen in der spanischen Region Katalonien dringen Kooperationspartner von Bündnis 90/Die Grünen auf eine rasche Abspaltung des Gebiets. Ethnisch definierte „Völker“ müssten in ganz Europa ein „Selbstbestimmungsrecht“ erhalten, das „keine Grenzen“ kennen dürfe, heißt es in einer Deklaration, die von den spanischen Mitgliedsorganisationen der „European Free Alliance“ (EFA) unterzeichnet worden ist. Die EFA bündelt Separatistenparteien unterschiedlichster politischer Orientierung aus zahlreichen EU-Staaten, darunter Organisationen, die Viktor Orbáns ungarischer Fidesz-Partei eng verbunden sind, konservative flämische Nationalisten und eine Partei in der Tradition norditalienischer Separatisten, die vor Jahren mit terroristischen Mitteln für den Anschluss Südtirols an Österreich kämpften. Die EFA ist mit Bündnis 90/Die Grünen in einer Fraktionsgemeinschaft im Europaparlament verbunden. EFA-Strukturen verbreiten eine Landkarte angeblicher „Nationen ohne Staat“ in Europa, auf der Katalonien von Spanien getrennt und mit anderen spanischen Territorien sowie Teilen Frankreichs zu einem Großkatalonien vereinigt ist. Pankatalanische Positionen werden auch von führenden Politikern des aktuellen katalanischen Separatismus vertreten, von Oppositionellen aber als „kultureller Rassismus mit expansionistischen Allüren“ scharf kritisiert. Die EFA-Europakarte zeigt zudem ein mit Österreich und Teilen weiterer Nachbarstaaten verschmelzendes Großdeutschland.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6759/

16. Januar 2018
Rubrik: Minderheiten/Flüchtlinge/Migration

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