Die Technik des Staatsstreichs – Operation Regimewechsel

John Laughland

In den vergangenen Jahren haben auf der ganzen Welt eine Reihe von „Revolutionen“, „Farbrevolutionen“ oder „bunte Revolutionen“ genannt, stattgefunden. Cui bono, was bezweckten sie, wer stand dahinter?

AUTOR:  John LAUGHLAND         Übersetzt von  Robert Grözinger

In den vergangenen Jahren haben auf der ganzen Welt eine Reihe von «Revolutionen» stattgefunden.

Georgien
Im November 2003 wurde Präsident Eduard Schewardnadsze nach Demonstrationen, Märschen und Vorwürfen über Manipulation der Parlamentswahlen gestürzt.

Ukraine
Im November 2004 begann in der Ukraine die «orangene Revolution» mit Demonstrationen, während die gleichen Vorwürfe manipulierter Wahlen erhoben wurden. Das Ergebnis war, dass dem Land seine bisherige Rolle als geopolitische Brücke zwischen Ost und West entrissen wurde und es in eine Richtung gelenkt wurde, ein vollständiges Mitglied der Nato und EU zu werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kiewer Rus der erste russische Staat war, und dass die Ukraine jetzt gegen Russland gewendet worden ist, ist das eine historische Leistung. Aber, wie George Bush sagte: «Sie sind entweder mit uns oder gegen uns.» Obwohl von der Ukraine Truppen in den Irak geschickt wurden, wurde sie offensichtlich als zu moskaufreundlich eingeschätzt.

Libanon
Kurz nachdem die USA und die Uno erklärten, dass syrische Truppen Libanon verlassen müssen, und nach der Ermordung Rafik Hariris wurden Demonstrationen in Beirut als «Zedernrevolution» dargestellt. Eine riesige Gegendemonstration der Hizbollah, der grössten politischen Partei Syriens, wurde effektiv ignoriert, während das Fernsehen die Bilder der antisyrischen Menge endlos wiederholte. In einem besonders ungeheuerlichen Fall Orwellschen «Doppeldenkens» erklärte die BBC ihren Zuschauern, dass «die Hizbollah, die grösste politische Partei Libanons, die bislang einzige abweichende Stimme ist, die die Syrer zum Bleiben auffordert». Wie kann eine Mehrheit «eine abweichende Stimme» sein?

Kirgistan
Nach den «Revolutionen» in Georgien und der Ukraine prognostizierten viele, dass dieselbe Welle von «Revolutionen» auch die ehemaligen sowjetischen Staaten Zentralasiens erfassen würde. So kam es auch. Kommentatoren schienen sich nicht einig zu sein, mit welcher Farbe der Aufstand in Bischkek gekennzeichnet werden sollte – war es eine «Zitronen»- oder eine «Tulpen»-Revolution? Sie konnten sich nicht entscheiden. Aber in einer Sache waren sich alle einig: Revolutionen sind cool, selbst wenn sie gewaltsam sind. Der kirgisische Präsident Askar Akayev wurde am 24. März 2005 gestürzt, und seine Gegner stürmten und plünderten das Präsidentenpalais.

Usbekistan
Als bewaffnete Rebellen in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai in der usbekischen Stadt Andijan (im Ferghana-Tal, wo auch im benachbarten Kirgistan die Unruhen begonnen hatten) Regierungsgebäude in Beschlag nahmen, Gefängnisinsassen befreiten und Geiseln nahmen, wurden die Aufständischen von Polizei und Armee umzingelt, und es begann eine langanhaltende Pattsituation. Es wurde mit den Rebellen verhandelt, die ihre Forderungen ständig erhöhten. Als Regierungseinheiten vorzurücken begannen, kamen in den daraus resultierenden Kämpfen etwa 160 Menschen ums Leben, einschliess­lich über 30 Mitgliedern der Polizei und der Armee. Die westlichen Medien jedoch stellten diese gewaltsame Konfrontation falsch dar und behaupteten, dass Regierungseinheiten das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten – «das Volk» – eröffnet hatten.

Der ständig wiederholte Mythos eines Volksaufstandes gegen eine diktatorische Regierung ist sowohl auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums beliebt. Zuvor war der Mythos der Revolution offensichtlich die Domäne der Linken gewesen. Aber als der gewaltsame Staatsstreich in Kirgistan stattfand, schwärmte der «Times»-Korrespondent davon, wie die Szenen in Bischesk ihn an die Eisenstein-Filme der bolschewistischen Revolution erinnerten, der «Daily Telegraph» pries die «Macht im Volk» und die «Financial Times» verwendete eine bekannte maoistische Metapher, als sie Kirgistans «langen Marsch in die Freiheit» lobte. Ein Schlüsselelement hinter diesem Mythos ist offensichtlich, dass «das Volk» diese Ereignisse unterstützt und dass sie spontan sind. In Wirklichkeit sind sie sehr oft natürlich straff organisierte Operationen, oft absichtlich für die Medien inszeniert, und üblicherweise von transnationalen Netzwerken sogenannter Nichtregierungsorganisationen kontrolliert, die wiederum Werkzeuge westlicher Macht sind.

Die Literatur über Staatsstreiche
Das Weiterleben des Mythos spontaner Volksaufstände ist deprimierend, bedenkt man die umfangreiche Literatur über Staatsstreiche und über die Hauptfaktoren und Taktiken, wie sie zustandegebracht werden.

Es war natürlich Lenin, der für den Sturz einer herrschenden Ordnung jene Organisationsstruktur entwickelte, die wir heute als politische Partei kennen. Er unterschied sich von Marx darin, dass er nicht an einen historischen Wandel als Ergebnis unvermeidlicher anonymer Kräfte glaubte, sondern daran, dass man ihn erarbeiten musste.

Aber es war wahrscheinlich Curzio Malapartes «Die Technik des Staatsstreichs», mit der diese Ideen zum ersten Mal sehr prominent zum Ausdruck gebracht wurden. Dieses im Jahr 1931 erstmals veröffentlichte Buch präsentiert den Regimewandel als genau das – als eine Technik. Malaparte widersprach ausdrücklich jenen, die glaubten, dass ein Regimewandel von alleine stattfindet. Er beginnt sein Buch mit der Wiedergabe einer Diskussion zwischen Diplomaten in Warschau im Sommer 1920. Trotzkis Rote Armee war in Polen einmarschiert (nachdem Polen selbst die Sowjetunion angegriffen und im April 1920 Kiew erobert hatte), und die Bolschewisten standen vor den Toren Warschaus. Die Debatte fand zwischen dem britischen Botschafter in Warschau, Sir Horace Rumbold, und dem päpstlichen Nuntius Monsignor Ambrogio Damiano Achille Ratti statt – dem Mann, der zwei Jahre später als ­Pius XI. zum Papst gewählt wurde. Der Engländer sagte, dass die interne politische Situation in Polen so chaotisch sei, dass eine Revolution unvermeidbar wäre, und dass das diplomatische Corps deshalb die Hauptstadt verlassen und nach Posen fliehen sollte. Der päpstliche Nuntius widersprach und beharrte darauf, dass eine Revolution in einem zivilisierten Land wie England, Holland oder der Schweiz genau so möglich wäre wie in einem Land in anarchistischem Zustand. Natürlich war der Engländer über die Vorstellung, dass in England jemals eine Revolution ausbrechen könnte, entrüstet. «Niemals!», rief er aus – und wurde widerlegt, weil in Polen keine Revolution ausbrach, Malaparte zufolge, weil die revolutionären Kräfte einfach nicht gut genug organisiert waren.

Mit Hilfe dieser Anekdote diskutiert Malaparte die Unterschiede zwischen Lenin und Trotzki, zwei Praktikern des Staatsstreichs beziehungsweise der Revolution. Malaparte zeigt, dass der zukünftige Papst recht hatte und dass es falsch war anzunehmen, dass Voraussetzungen notwendig waren, bevor eine Revolution stattfinden konnte. Für Malaparte wie für Trotzki kann ein Regimewandel in jedem beliebigen Land, einschliesslich der stabilen Demokratien Westeuropas, unter der Voraussetzung gefördert werden, dass es eine ausreichend willensstarke Gruppe von Menschen gibt, die entschlossen sind, dieses Ziel zu erreichen.

Die Fabrikation eines Konsenses
Dies bringt uns zur zweiten Literatur, die sich mit der Manipulation der Medien befasst. Malaparte diskutiert diesen Aspekt nicht selbst, aber er ist (a) sehr bedeutsam und (b) in der Art, wie heutzutage ein Regimewechsel vollzogen wird, eindeutig ein Bestandteil der Technik des Staatsstreichs. So wichtig ist die Kontrolle über die Medien während eines Regimewechsels tatsächlich, dass eines der Hauptmerkmale dieser Revolutionen die Herstellung virtueller Realitäten ist. Die Kontrolle dieser Realität ist in sich ein Machtinstrument, weshalb die Radiostationen das erste sind, dessen sich die Revolutionäre in klassischen Staatsstreichen in Bananenrepubliken bemächtigen.

Es ist für Menschen psychologisch äusserst schwer zu akzeptieren, dass politische Ereignisse heutzutage absichtlich manipuliert werden. Dieser Widerwille ist selbst ein Produkt der Ideologie des Informationszeitalters, das der Eitelkeit der Menschen schmeichelt und sie darin ermutigt zu glauben, dass sie Zugang zu riesigen Informationsmengen haben. In Wirklichkeit versteckt die Vielfältigkeit moderner Medien eine extreme Armut an ursprünglichen Quellen, etwa so wie eine Strasse voller Restaurants an einer griechischen Küste die Realität einer einzigen Küche im Hinterhof verstecken kann. Nachrichtenmeldungen von grösseren Ereignissen basieren sehr oft auf einer einzigen Quelle, normalerweise einer Nachrichtenagentur, und selbst massgebliche Nachrichtenoutlets wie die BBC recyceln einfach die Information, die sie von diesen Agenturen erhalten haben, und präsentieren diese als ihre eigene. BBC-Korrespondenten sitzen oft in ihren Hotelzimmern, wenn sie ihre Meldungen verschicken, wobei sie sehr oft dem Studio in London einfach die Informationen verlesen, die sie von ihren Kollegen zu Hause erhalten haben, die sie von den Agenturen bekommen haben. Ein zweiter Faktor für den Widerwillen, an eine Medienmanipulation zu glauben, hat mit dem Gefühl der Allwissenheit zu tun, dem das Massenmediumszeitalter gerne schmeichelt: Nachrichtenmeldungen als Quatsch zu bezeichnen bedeutet, den Leuten zu sagen, dass sie leicht zu täuschen sind, und eine solche Botschaft zu erhalten ist nicht angenehm.

Zur Medienmanipulation gehören viele Elemente. Eines der wichtigsten ist politische Ikonographie. Dies ist ein sehr wichtiges Instrument der Förderung der Legitimität von Regierungen, die in einer Revolution an die Macht gelangt sind. Man braucht nur an ikonische Ereignisse wie den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, die Erstürmung des Winterpalais während der Oktoberrevolution 1917 oder Mussolinis Marsch auf Rom 1922 zu denken, um zu sehen, dass Ereignisse zu fast unerschöpflichen Quellen der Legitimität befördert werden können.

Die Bedeutung politischer Bilder übertrifft jedoch bei weitem die Erfindung eines einfachen Emblems für jede Revolution. Sie bedeuten eine weit tiefergehende Kontrolle der Medien, und im allgemeinen muss diese Kontrolle über eine lange Zeitperiode hinweg ausgeübt werden, nicht nur im Augenblick des eigentlichen Regimewechsels. Es ist sogar wesentlich, dass die offizielle Parteilinie bis zum Erbrechen wiederholt wird. Ein Kennzeichen heutiger, von vielen Dissidenten bequem und fälschlicherweise als «totalitär» verurteilter, Massenmedienkultur ist gerade, dass die Äusserung und Veröffentlichung abweichender Meinungen zugelassen ist, aber dies ist genau deswegen der Fall, weil sie als blosse Tropfen im Ozean nie eine Bedrohung für die Propagandaflut sind.

Willi Münzenberg
Einer der modernen Meister derartiger Medienkontrolle war der deutsche Kommunist Willi Münzenberg, von dem Joseph Goebbels sein Handwerk lernte. Münzenberg war nicht nur der Erfinder der «Meinungsmache», er war auch der erste, der die Kunst der Herstellung von Netzwerken meinungsbildender Journalisten perfektionierte, die für die Bedürfnisse der Kommunistischen Partei in Deutschland und für die Sowjetunion bedeutsam waren. Dabei machte er ausserdem ein riesiges Vermögen, da er ein beachtliches Medienimperium aufbaute, von dem er die Profite abräumte.

Münzenberg war von Anfang an aufs engste mit dem kommunistischen Projekt verwickelt. Er gehörte zum Kreis Lenins in Zürich, und im Jahr 1917 begleitete er den zukünftigen Führer der bolschewistischen Revolution zum Zürcher Hauptbahnhof, von wo aus Lenin in einem versiegelten Zug und mit Hilfe der deutschen kaiserlichen Regierung zur Finnlandstation in St. Petersburg reiste. Lenin rief Münzenberg auf, die erschreckende Wirkung in der Öffentlichkeit zu bekämpfen, die 1921 entstanden war, als 25 Millionen Bauern in der Wolga-Region an jenem Hunger zu leiden begannen, der die neugeschaffene Sowjetunion durchfegte. Münzenberg, der zu dem Zeitpunkt nach Berlin zurückgekehrt war, wo er später als Abgeordneter der Kommunistischen Partei in den Reichstag gewählt wurde, wurde mit dem Aufbau einer fingierten Arbeiter-Wohlfahrtsorganisation beauftragt, dem «Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für Russland», dessen Zweck es war, der Welt vorzutäuschen, dass humanitäre Hilfe auch aus anderen Quellen als aus Herbert Hoovers «Amerikanischer Behörde für Hilfsmassnahmen» kam. Lenin befürchtete nicht nur, dass Hoover mit seinen humanitären Hilfsprojekten Spione in die UdSSR senden würde (was er tat), sondern auch, vielleicht noch mehr, dass der erste kommunistische Staat der Welt nur wenige Jahre nach der Revolution durch die negative Öffentlichkeitswirkung eines ihm zu Hilfe eilenden kapitalistischen Amerikas auf verheerende Weise beschädigt würde.

Nachdem Münzenberg mit dem «Verkauf» des millionenfachen Todes von Menschen durch die Hände der Bolschewisten seine ersten Erfahrungen gesammelt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit allgemeineren Propagandaaktivitäten zu. Er baute ein riesiges, als «Münzenberg-Konzern» bekanntes Medienimperium auf, dem zwei tägliche Massenblätter in Deutschland, ein wöchentliches Massenblatt und weltweit Anteile an Dutzenden anderer Druckwerke gehörten. Seine grössten Streiche waren die Mobilisierung der Weltmeinung gegen Amerika im Sacco-Vanzetti-Prozess (gegen zwei anarchistische italienische Einwanderer, die im Jahr 1921 wegen Mordes zum Tode verurteilt wurden) und 1933 das Konterkarieren der Behauptung der Nazis, dass der Reichstagsbrand das Ergebnis einer kommunistischen Verschwörung war. Zur Erinnerung: Die Nazis benutzten den Brand, um Massenverhaftungen und -exekutionen von Kommunisten zu rechtfertigen, obwohl es jetzt klar zu sein scheint, dass das Feuer wirklich allein von dem Mann gelegt wurde, der damals im Gebäude festgenommen wurde, dem Einzeltäter Marinus van der Lubbe. Münzenberg konnte grosse Teile der öffentlichen Meinung tatsächlich von der gleichartigen, aber jener der von den Nazis verbreiteten entgegengesetzten Unwahrheit überzeugen, nämlich, dass die Nazis selber das Feuer gelegt hatten, um einen Vorwand für die Beseitigung ihrer Hauptfeinde zu haben.

Heutzutage ist Münzenberg hauptsächlich aus folgendem Grund bedeutsam: Er begriff die grundlegende Bedeutung der Beeinflussung der Meinungsmacher. Er nahm insbesondere die Intellektuellen ins Visier, da er der Ansicht war, dass Intellektuelle auf Grund ihrer Eitelkeit besonders leicht zu beeinflussen waren. Zu seinen Kontakten gehörten viele der grossen literarischen Figuren der 1930er Jahre, die er in grosser Zahl ermutigte, die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg zu unterstützen und diese Tatsache in eine Cause célèbre des kommunistischen Antifaschismus zu verwandeln. Münzenbergs Taktiken sind für die Meinungsmanipulation in der Neuen Weltordnung von heute von höchster Bedeutung. Mehr als jemals zuvor tauchen ständig sogenannte «Experten» auf unseren Fernsehbildschirmen auf, um zu erklären, was gerade passiert, und sie sind immer Träger der offiziellen Parteilinie. Sie werden auf verschiedene Weise kontrolliert, normalerweise durch Geld oder durch Schmeichelei.

Psychologie der Meinungsmanipulation
Es gibt eine zweite Gruppe von Büchern, die sich auf einen etwas anderen Punkt als auf die spezifische, von Münzenberg perfektionierte Technik konzentriert. Dieser bezieht sich darauf, wie Menschen dazu gebracht werden können, mittels psychologischer Reize auf bestimmte, kollektive Weise zu reagieren. Vielleicht der erste bedeutende Theoretiker dieses Sachverhalts war Sigmund Freuds Neffe Eduard Bernays, der in seinem Buch «Propaganda» im Jahr 1928 schrieb, dass es für Regierungen völlig natürlich und richtig war, die öffentliche Meinung zu politischen Zwecken zu gestalten. Das Einführungskapitel seines Buches hat den vielsagenden Titel «Die Organisierung des Chaos» – und Bernays schreibt: «Die bewusste und intelligente Manipulation organisierter Meinungen und Verhaltensweisen der Massen ist ein wichtiges Element in einer demokratischen Gesellschaft. Jene, die diesen ungesehenen Gesellschaftsmechanismus manipulieren, konstituieren eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschaftsmacht in unserem Land ist.»

Der Text fährt fort: «Wir werden weitgehend von Menschen regiert, von denen wir nie etwas gehört haben, unsere Gedanken werden von ihnen geprägt, unsere Geschmäcker geformt, unsere Ideen angedeutet. Dies ist das logische Ergebnis der Art der Organisierung unserer demokratischen Gesellschaft. Eine grosse Anzahl von Menschen muss auf diese Art und Weise kooperieren, wenn sie in einer reibungslos funktionierenden Gesellschaft zusammenleben wollen. In fast jeder Handlung unseres täglichen Lebens, ob in der politischen oder in der wirtschaftlichen Sphäre, in unserem sozialen Verhalten oder unserem ethischen Denken, werden wir von einer relativ kleinen Anzahl von Personen beherrscht, welche die mentalen Prozesse und die sozialen Muster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Drähte ziehen, die das öffentliche Denken beherrschen.»

Bernays sagt, dass die Mitglieder der unsichtbaren Regierung sehr oft nicht einmal wissen, wer die anderen Mitglieder sind. Propaganda, sagt er, ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass die öffentliche Meinung in ein dissonantes Chaos versinkt. Nach dem Krieg setzte Bernays seine Arbeit an diesem Thema fort, gab im Jahr 1955 «Engineering Consent» heraus, ein Titel, auf den Edward Herman und Noam Chomsky anspielten, als sie im Jahr 1988 ihr bahnbrechendes Werk «Manufacturing Consent» herausgaben. Die Verknüpfung mit Freud ist wichtig, weil, wie wir später sehen werden, Psychologie ein sehr wichtiges Werkzeug für die Beeinflussung öffentlicher Meinung ist. Zwei der an «Engineering Consent» Mitwirkenden betonen, dass jeder Führer, der die öffentliche Meinung manipulieren will, mit den elementaren menschlichen Emotionen spielen muss. Doris E. Fleischmann und Howard Walden Cutler schreiben: «Selbsterhaltung, Ehrgeiz, Stolz, Hunger, die Liebe zur Familie und Kindern, Patriotismus, Nachmacherei, der Wunsch, ein Führer zu sein, der Spieltrieb – diese und andere Triebe sind das psychologische Rohmaterial, das jeder Führer in Betracht ziehen muss, der bestrebt ist, die Öffentlichkeit für seine Sicht der Dinge zu gewinnen. Für den Erhalt ihres Selbstwertgefühls benötigen die meisten Menschen das sichere Gefühl, dass das, woran sie glauben, wahr ist.»

Das ist es, was Willi Münzenberg verstand – den elementaren menschlichen Drang der Leute, das zu glauben, was sie glauben möchten. Thomas Mann machte eine entsprechende Andeutung, als er für den Aufstieg Hitlers den kollektiven Wunsch des deutschen Volkes verantwortlich machte, die hässlichen Wahrheiten der Realität mit einem «Märchen» zuzudecken.

Andere in diesem Zusammenhang erwähnenswerte Bücher befassen sich nicht so sehr mit der modernen elektronischen Propaganda, sondern mit der allgemeineren Psychologie der Massen. Der Klassiker in dieser Hinsicht ist Gustave Le Bons Werk «Die Psychologie der Massen» (1895), Elias Canettis «Masse und Macht» (1980) und Sergei Tschachotins «Le viol des foules par la propagande politique» (1939). Alle diese Werke schöpfen stark aus der Psychologie und der Anthropologie. Es gibt auch ein grossartiges Werk von einem meiner Lieblingsautoren, dem Anthropologen René Girard, dessen Schriften über die Logik der Imitation (Mimesis) und über kollektive Gewaltakte ausgezeichnete Instrumente für das Verständnis dafür sind, weshalb die öffentliche Meinung so leicht zu überzeugen ist, einen Krieg und andere Formen politischer Gewalt zu unterstützen.

Die Technik der «Meinungsmache»
Nach dem Krieg wurden viele der vom Kommunisten Münzenberg perfektionierten Techniken von den Amerikanern übernommen, wie Frances Stonor Saunders ausgezeichnetes Werk «Who Paid the Piper» prächtig dokumentiert. Sehr detailliert erklärt Stonor Saunders, wie zu Beginn des kalten Krieges die Amerikaner und Briten eine massive verdeckte Operation begannen, um antikommunistische Intellektuelle zu finanzieren. Der zentrale Punkt dabei ist, dass sie sich zu einem grossen Teil auf Linke konzentrierten, in vielen Fällen Trotzkisten, die erst im Jahr 1939 ihre Unterstützung für die Sowjet­union aufgaben, als Stalin den Nichtangriffspakt mit Hitler unterzeichnete, und in vielen Fällen Leute, die zuvor für Münzenberg gearbeitet hatten. Viele der Figuren, die sich am Beginn des kalten Krieges am Schnittpunkt von Kommunismus und CIA befanden, waren spätere neokonservative Koryphäen, insbesondere Irving Kristol, James Burnham, ­Sidney Hook und Lionel Trilling.

Die linke und sogar trotzkistische Herkunft des Neokonservatismus ist wohlbekannt, selbst wenn ich weiterhin von neuen Einzelheiten überrascht bin, die ich entdecke, zum Beispiel dass Lionel und Diana Trilling von einem Rabbi verheiratet wurden, dem Felix Dserdschinski – der Gründer der bolschewistischen Geheimpolizei Tscheka (der Vorläuferin des KGB) und die kommunistische Entsprechung von Heinrich Himmler – ein heldenhaftes Vorbild war. Diese linken Ursprünge sind für die von Stonor Saunders diskutierten verdeckten Operationen besonders relevant, weil das Ziel der CIA gerade die Beeinflussung der linken Gegner des Kommunismus, also der Trotzkisten, war. Die CIA war einfach der Ansicht, dass rechte Antikommunisten nicht beeinflusst, geschweige denn bezahlt zu werden brauchten. Stonor Saunders zitiert Michael Warner, wo sie schreibt: «Für die CIA sollte die Strategie der Förderung der nichtkommunistischen Linken ‹in den folgenden zwei Jahrzehnten das theoretische Fundament der politischen Operationen der Agentur gegen den Kommunismus werden.›»

Diese Strategie wurde in Arthur Schlesingers «The Vital Center» (1949) skizziert, einem Buch, das einer der Eckpfeiler dessen werden würde, was später die neokonservative Bewegung wurde. Stonor Saunders schreibt: «Die Unterstützung linker Gruppen zielte nicht darauf ab, diese zu zerstören oder auch nur zu beherrschen, sondern statt dessen eine diskrete Nähe aufrechtzuerhalten und das Denken solcher Gruppen zu beobachten; sie mit einem Sprachrohr auszustatten, damit sie Dampf ablassen konnten; und um im Extremfall ein letztes Veto über ihre Aktionen auszuüben, wenn sie jemals zu ‹radikal› werden sollten.»

Dieser linke Einfluss konnte auf vielfältige und unterschiedliche Weise gespürt werden. Die USA waren entschlossen, für sich ein progressives Image aufzubauen, im Gegensatz zur «reaktionären» Sowjetunion. Mit anderen Worten, sie wollten genau das tun, was die Sowjets taten. In der Musik zum Beispiel war Nicolas Nabokov (der Vetter des Autors von «Lolita») einer der Hauptagenten des Kongresses. Im Jahr 1954 finanzierte die CIA ein Musikfestival in Rom, bei dem Stalins «autoritärer» Liebe für Komponisten wie Rimski-Korsakow und Tschaikowski mit von Schönbergs Zwölftonsystem inspirierter, unorthodoxer moderner Musik «widersprochen» wurde.

«Für Nabokov war die Förderung von Musik, die in sich selbst die Abschaffung natürlicher Hierarchien verkündete, die Vermittlung einer klaren politischen Botschaft.»

Unterstützung für andere Progressive kam, als Jackson Pollock, selbst ein ehemaliger Kommunist, ebenfalls von der CIA gefördert wurde. Seine Klecksereien sollten die Überlegenheit der amerikanischen Ideologie der «Freiheit» über den Autoritarismus sozialistisch-realistischer Malerei repräsentieren.

Diese Allianz mit den Kommunisten ist älter als der kalte Krieg: Der mexikanische kommunistische Wandmaler Diego Rivera wurde von Abby Aldrich Rockefeller unterstützt, aber ihre Zusammenarbeit wurde im Jahr 1933 abrupt beendet, als Rivera sich weigerte, ein Porträt Lenins im Bild einer Menschenmenge auf einer Wand des Rockefeller Centers zu entfernen.

Die Kreuzung von Kultur und Politik wurde ausdrücklich von einer CIA-Abteilung gefördert, die den Orwellschen Namen «Psychological Strategy Board» trug. Im Jahr 1956 unterstützte sie verdeckt eine europäische Tour der Metropolitan Opera, deren politischer Zweck die Förderung des Multikulturalismus war. Junkie Fleischmann, der Veranstalter, sagte: «Wir, in den Vereinigten Staaten, sind ein Schmelztiegel, und als solcher haben wir demonstriert, dass Menschen unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe oder dem Glauben miteinander auskommen können. Unter Verwendung des ‹Schmelztiegels› oder eines ähnlichen Schlagworts könnten wir die Met als Beispiel dafür verwenden, wie Europäer in den Vereinigten Staaten miteinander auskommen können und dass daher irgendeine Form von europäischer Föderation ganz und gar praktikabel ist.»

Dies ist übrigens genau das gleiche Argument, das unter anderen von Ben Wattenberg vorgetragen wird, dessen Buch «The First Universal Nation» die Meinung vertritt, dass Amerika ein besonderes Recht auf Welthegemonie hat, weil es sämtliche Nationen und Rassen des Planeten beinhaltet. Dieselbe Ansicht ist auch von Newt Gingrich und anderen Neokonservativen vertreten worden.

Andere geförderte Themen umfassen einige, die heute Teil des Vorfeldes neokonservativen Denkens sind. Das erste von diesen ist der höchst linksliberale Glaube an Moral und politischen Universalismus. Es stellte das Zentrum der aussenpolitischen Philosophie George W. Bushs dar: Er hat bei zahlreichen Gelegenheiten erklärt, dass politische Werte auf der ganzen Welt gleich sind, und hat mit dieser These die Intervention des US-Militärs zugunsten der «Demokratie» gerechtfertigt. In den frühen 1950er Jahren hatte Raymond Allen, der Direktor des PSB (das Psychological Strategy Board wurde bald nur noch mit seinen Initialen erwähnt, zweifellos um seinen richtigen Namen zu verbergen), bereits diesen Schluss gezogen: «Die in der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung verkörperten Prinzipien und Ideale sind für den Export bestimmt und sind das Erbe aller Menschen. Wir sollten auf die grundlegenden Antriebe aller Menschen zielen, die, so meine Überzeugung, für den Bauern in Kansas dieselben sind wie für den Bauern im Punjab.»

Es wäre mit Sicherheit falsch, allein verdeckte Manipulationen für die Verbreitung von Ideen verantwortlich zu machen. Ihre Kraft befindet sich in ausgedehnten kulturellen Strömungen, deren Ursachen vielfältig sind. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass die Dominanz solcher Ideen durch verdeckte Operationen erheblich begünstigt werden kann, insbesondere weil die Leute in Masseninformationsgesellschaften merkwürdig beeinflussbar sind.

Sie glauben nicht nur, was sie in den Zeitungen gelesen haben, sie denken sogar, dass sie selbst auf ihre Denkergebnisse gekommen sind. Der Trick bei der Manipulierung öffentlicher Meinung besteht also gerade darin, was Bernays theoretisierte, Münzenberg initiierte und was die CIA zur hohen Kunst erhob. CIA-Agent Donald Jameson führt aus: «Was die Einstellungen betrifft, welche die Agentur mit diesen Aktivitäten inspirieren wollte: Was sie eindeutig gerne zu produzieren in der Lage sein wollte, waren Leute, die aus eigenem Denken davon überzeugt waren, dass alles, was die Regierung der Vereinigten Staaten machte, richtig war.»

Anders ausgedrückt: Was die CIA und andere US-Agenturen in diesem Zeitraum veranstalteten, war die Übernahme der Strategie, die wir mit dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci verbinden, der argumentierte, dass «kulturelle Hegemonie» für eine sozialistische Revolution unerlässlich sei.

Desinformation
Schliesslich gibt es ein riesiges Feld an Literatur über die Technik der Desinformation. Ich habe bereits auf die wichtige, ursprünglich von Tschachotin formulierte Tatsache hingewiesen, dass bei der Sicherung der Beständigkeit der Propaganda die Rolle von Journalisten und Medien entscheidend ist: «Propaganda kennt keine Auszeit», schreibt Tschachotin, wobei er eine der entscheidenden Regeln moderner Desinformation formuliert, nämlich dass die erwünschte Botschaft sehr häufig wiederholt werden muss, damit sie geglaubt wird. Vor allem sagt Tschachotin, dass Propagandakampagnen zentral gesteuert und straff organisiert sein müssen, etwas, was im Zeitalter der modernen politischen «Meinungsmache» die Norm geworden ist: Parlamentsmitglieder der britischen Labour-Partei beispielsweise dürfen nicht mit den Medien sprechen, ohne vorher die Erlaubnis dazu vom Kommunikationsdirektor in Downing Street Nummer 10 bekommen zu haben.

Sefton Delmer war sowohl ein Praktiker als auch ein Theoretiker solcher «Propaganda». Delmer gründete einen fingierten Radiosender, der im Zweiten Weltkrieg aus Grossbritannien nach Deutschland ausstrahlte und der den Mythos verbreitete, dass es «gute» patriotische Deutsche gab, die sich Hitler widersetzten. Es wurde die Fiktion aufrechterhalten, dass der Sender tatsächlich ein im deutschen Untergrund agierender war, und die Frequenzen wurden nahe denen der offiziellen Sender geschaltet. Solche Propaganda ist Teil des Arsenals der «Meinungsmache» der US-Regierung geworden: Die «New York Times» deckte auf, dass die US-Regierung Nachrichtenberichte herstellt, die ihrer Politik gegenüber wohlgesonnen sind, die dann über normale Kanäle transportiert und präsentiert werden, als ob sie vom Sender selbst hergestellte Berichte wären.

Es gibt viele andere Autoren dieser Art, aber der für die heutige Diskussion relevanteste ist Roger Mucchielli mit seinem im Jahr 1971 auf Französisch veröffentlichten Buch «Subversion», das zeigt, wie sich die Desinformation von einer Hilfstaktik im Krieg zu einer prinzipiellen Taktik gewandelt hat. Die Strategie hat sich so weit entwickelt, sagt er, dass das Ziel nun sei, einen Staat zu erobern, ohne ihn überhaupt physisch anzugreifen, vor allem unter Einsatz von einflussreichen internen Agenten. Dies ist im wesentlichen das, was Robert Kaplan in seinem Aufsatz «Supremacy by Stealth» in The Atlantic Monthly vom Juli/August 2003 vorschlug und diskutierte. Als einer der finstersten Theoretiker der Neuen Weltordnung und des amerikanischen Imperiums befürwortet Robert Kaplan ausdrücklich die Anwendung unmoralischer und illegaler Macht, um eine Kontrolle der ganzen Welt durch die USA zu unterstützen. Sein Aufsatz handelt von der Anwendung verdeckter Operationen, militärischer Macht, schmutziger Tricks, schwarzer Propaganda, versteckten Einflusses und Kontrolle, Meinungsmache und anderen Dingen wie politischem Mord, alles nach Massgabe seines übergreifenden Rufes nach einer «heidnischen Ethik» als Mittel zur Sicherung amerikanischer Dominanz.

Der andere entscheidende Punkt Mucchiellis ist, dass er einer der ersten Theoretiker der Verwendung fingierter Nichtregierungsorganisationen – oder «front organizations», wie sie früher genannt wurden – zur Herbeiführung eines politischen Wandels in einem anderen Staat war. Wie Malaparte und Trotzki verstand auch Mucchielli, dass es nicht «objektive» Umstände waren, die über den Erfolg oder Misserfolg einer Revolution entschieden, sondern die durch Desinformation hergestellte Wahrnehmung dieser Umstände. Er verstand ausserdem, dass historische Revolutionen, die sich ausnahmslos als Produkt einer Massenbewegung präsentierten, in Wirklichkeit das Werk einer kleinen Anzahl straff organisierter Verschwörer waren. Tatsächlich betonte Mucchielli, ebenfalls wie Trotzki, dass die schweigende Mehrheit rigoros von der Mechanik des politischen Wandels ausgeschlossen werden muss, gerade weil Staatsstreiche das Werk der wenigen und nicht der vielen sind.

Öffentliche Meinung war das «Forum», in dem Subversion praktiziert wurde, und Mucchielli demonstrierte die verschiedenen Arten, wie die Massenmedien benutzt werden konnten, um eine kollektive Psychose zu erzeugen. Psychologische Faktoren waren in dieser Hinsicht äusserst wichtig, sagte er, besonders in der Ausführung wichtiger Strategien wie beispielsweise der Demoralisierung einer Gesellschaft. Der Feind muss dazu gebracht werden, das Vertrauen in die Richtigkeit dessen, was er vertritt, zu verlieren, während jede Anstrengung unternommen werden muss, ihn davon zu überzeugen, dass sein Gegner unbesiegbar ist.

Die Rolle des Militärs
Bevor wir die Gegenwart diskutieren noch ein abschliessender historischer Punkt: Die Rolle des Militärs bei der Durchführung verdeckter Operationen und beim Einfluss auf den politischen Wandel. Dass dies heutzutage eingesetzt wird, ist etwas, das einige zeitgenössische Analysten gerne zugeben: Robert Kaplan schreibt zustimmend, wie das amerikanische Militär als «Förderer der Demokratie» verwendet wird und werden sollte. Köstlich, wie Kaplan sagt, dass ein Anruf von einem US-General oft ein besserer Weg zur Unterstützung politischen Wandels in einem Drittweltland ist als ein Anruf vom örtlichen US-Botschafter. Und er zitiert zustimmend einen Offizier der Einheit für spezielle Operationen, der sagt: «Wer immer der Präsident Kenias ist, die Spezialeinheit des Landes und der Personenschutz des Präsidenten werden von derselben Gruppe von Kerlen geführt. Wir haben sie ausgebildet. Das bedeutet diplomatische Hebelkraft.»

Der historische Hintergrund hierzu wurde vor kurzem von Daniele Ganser, einem Schweizer Akademiker, in seinem Buch «Nato-Geheimarmeen in Europa» diskutiert. Sein Bericht beginnt mit dem am 3. August 1990 von Giulio Andreotti, dem damaligen italienischen Premierminister, geäusserten Zugeständnis, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Geheimarmee in seinem Land existierte, «Gladio» genannt, die von der CIA und dem MI 6 geschaffen worden war; und dass sie von der Abteilung für unorthodoxe Kriegsführung in der Nato koordiniert wurde.

Er bestätigte damit eines der langlebigsten Gerüchte im Italien der Nachkriegszeit. Viele Leute, darunter auch Untersuchungsrichter, hegten lange den Verdacht, dass «Gladio» nicht nur Teil eines Netzwerks von Geheimarmeen war, die von den Amerikanern in Westeuropa aufgestellt worden waren, um im Fall einer sowjetischen Besetzung im Widerstand zu kämpfen, sondern auch, dass diese Netzwerke in die Beeinflussung von Wahlergebnissen einbezogen worden waren, sogar so weit, dass teuflische Allianzen mit terroristischen Organisationen eingegangen wurden. Italien war ein besonderes Zielobjekt, weil die kommunistische Partei dort so stark war.

Ursprünglich war diese Geheimarmee mit dem Ziel gegründet worden, Vorsorge für den Fall einer Invasion zu schaffen. Aber es scheint, dass sie, als eine Invasion ausblieb, bald verdeckte Operationen aufnahm, die auf die Beeinflussung des politischen Prozesses abzielten. Es gibt reichlich Beweise dafür, dass die Amerikaner tatsächlich massiv intervenierten, besonders in italienische Wahlen, um die KPI [die kommunistische Partei Italiens] daran zu hindern, jemals an die Macht zu gelangen. Mit mehreren zehn Milliarden Dollar unterstützte die USA aus genau diesem Grund die italienischen Christdemokraten. Ganser behauptet sogar, dass es Beweise dafür gebe, dass Gladio-Zellen terroristische Angriffe ausübten, um den Kommunisten die Schuld zuzuschreiben und um die Bevölkerung zu verängstigen, damit sie zusätzliche Kompetenzen für den Staat fordert, um sie vor dem Terrorismus zu «beschützen». Ganser zitiert den Mann, der dafür verurteilt worden war, eine dieser Bomben gelegt zu haben, Vincenzo Vinciguerra, der ordnungsgemäss das Wesen des Netzwerks erklärte, dessen Fusssoldat er war. Er sagte, dass es Teil einer Strategie war, «zu destabilisieren um zu stabilisieren».

«Man musste die Zivilisten angreifen, das Volk, Frauen, Kinder, Unschuldige, unbekannte Leute weit entfernt von der politischen Sphäre. Der Grund war ganz einfach. Sie sollten diese Leute, die italienische Öffentlichkeit, dazu zwingen, vom Staat einen besseren Schutz zu verlangen.» Dies ist die politische Logik hinter all den Massakern und Bombenattentaten, die ungesühnt bleiben, weil der Staat sich nicht selbst verurteilen oder sich für das Geschehene verantwortlich erklären kann.

Es gibt einen offensichtlichen Bezug zu den Verschwörungstheorien, die sich um den 11. September 2001 ranken. Ganser präsentiert eine Menge guter Beweise dafür, dass dies tatsächlich das war, was «Gladio» machte, und seine Argumente werfen ein Licht auf die faszinierende Möglichkeit, dass es ausserdem eine Allianz mit linksextremen Gruppen wie den Roten Brigaden gegeben haben könnte. Schliesslich befand sich Aldo Moro, als er entführt und kurz darauf ermordet wurde, auf dem Weg ins italienische Parlament, um dort ein Programm für eine Koalitionsregierung zwischen Sozialisten und Kommunisten zu präsentieren – genau das, was die Amerikaner mit Entschlossenheit zu verhindern suchten.

Die revolutionären Taktiker von heute
Diese historischen Werke helfen uns, die heutigen Geschehnisse zu verstehen. Meine Kollegen und ich von der britischen Helsinki-Menschenrechtsgruppe haben persönlich erlebt, wie dieselben Methoden heute angewandt werden.

Die wichtigsten Taktiken wurden in den 1970er und 1980er Jahren in Lateinamerika perfektioniert. Tatsächlich haben viele Regimewechseltechniker unter Ronald Reagan und George Bush sen. ihr Gewerbe fröhlich im ehemaligen Sowjetblock unter Bill Clinton und George W. Bush jr. ausgeübt.

General Manuel Noriega zum Beispiel berichtet in seinen Memoiren, dass die Namen der zwei Agenten des CIA und des Aussenministeriums, die beauftragt waren, seinen Sturz in Panama im Jahr 1989 auszuhandeln und dann auszuführen, William Walker und ­Michael Kozak waren. William Walker tauchte im Januar 1999 im Kosovo wieder auf, wo er, als Kopf der Kosovo-Verifizierungs-Mission, die künstliche Erzeugung einer fingierten Greueltat überwachte, die zum Casus belli im Kosovo-Krieg wurde, während Michael Kozak US-Botschafter in Weissrussland wurde, wo er im Jahr 2001 die «Operation Weisser Storch» aufstellte, deren Zweck es war, den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen. In einem Briefwechsel mit dem «Guardian» im Jahr 2001 gab Kozak frech zu, in Weissrussland genau das zu tun, was er in Nicaragua und in Panama getan hatte, nämlich «die Demokratie zu fördern».

Es gibt im wesentlichen drei Sparten in der modernen Technik des Staatsstreichs. Diese sind Nichtregierungsorganisationen, Kontrolle der Medien und verdeckte Agenten. Ihre Aktivitäten sind praktisch austauschbar, also werde ich sie nicht getrennt behandeln.

Serbien 2000
Der Sturz von Slobodan Miloševic war offensichtlich nicht das erste Mal, dass der Westen seinen verdeckten Einfluss für einen Regimewechsel einsetzte. Der Sturz von Sali Berisha in Albanien im Jahr 1997 und von Vladimir Meciar in der Slowakei 1998 fanden unter starkem westlichen Einfluss statt, und im Fall Berishas wurde ein äusserst gewaltsamer Aufstand als ein spontanes und willkommenes Beispiel von Volksmacht präsentiert. Ich beobachtete persönlich, wie die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihre Wahlbeobachtungsergebnisse manipulierte, um einen politischen Wandel sicherzustellen. Der Sturz von Slobodan Miloševic in Belgrad am 5. Oktober 2000 ist jedoch bedeutsam, weil er eine so bekannte Figur ist und weil die «Revolution», die ihn stürzte, einen sehr auffälligen Einsatz von «Volksmacht» zeitigte.

Tim Marshall, ein Sky-TV-Reporter, hat den Hintergrund des Putsches gegen Miloševic glänzend beschrieben. Sein Bericht ist wertvoll, weil er zustimmend über die von ihm beschriebenen Ereignisse schreibt; darüber hinaus ist er interessant, weil dieser Journalist über seine reichhaltigen Kontakte mit Geheimdiensten prahlt, insbesondere mit denen Grossbritanniens und Amerikas. Bei jedem Ereignis scheint Marshall zu wissen, wer die wesentlichen nachrichtendienstlichen Agenten sind. Sein Bericht strotzt vor Quellenangaben wie «ein MI-6-Offizier in Priština», «Mitarbeiter im jugoslawischen militärischen Nachrichtendienst», «ein CIA-Mann, der die Organisierung des Staatsstreichs unterstützte» und so weiter. Er zitiert aus geheimen Überwachungsberichten der serbischen Geheimpolizei; er weiss, wer der Stabsoffizier im Londoner Verteidigungsministerium ist, der die Strategie für die Beseitigung Miloševics zusammenstellt; er weiss, dass die Telefongespräche des britischen Aussenministers abgehört werden; er weiss, wer die russischen nachrichtendienstlichen Offiziere sind, die den russischen Premierminister Jewgeni Primakow nach Belgrad begleiten, während die Stadt von der Nato bombardiert wird; er weiss, welche Räume in der britischen Botschaft verwanzt sind und wo die jugoslawischen Spione sind, die die Gespräche der Diplomaten belauschen; er weiss, dass ein ständiger Mitarbeiter des Ausschusses für internationale Beziehungen des US-Repräsentantenhauses in Wahrheit ein Offizier des Nachrichtendienstes der US-Marine ist; er scheint zu wissen, dass Entscheidungen der Geheimdienste oft mit der geringstmöglichen ministeriellen Zustimmung getroffen werden; er beschreibt, wie die CIA die UÇK-Delegation physisch vom Kosovo bis Paris zu den Vorkriegsgesprächen in Rambouillet begleitete, wo die Nato Jugoslawien ein Ultimatum stellte, von dem sie wusste, dass es nur zurückgewiesen werden konnte; und er bezieht sich auf «einen britischen Journalisten», der bei höchst wichtigen hochrangigen Geheimverhandlungen, als Leute bestrebt waren, sich gegenseitig zu verraten, zu dem Zeitpunkt als Miloševics Macht zusammenbrach, als Verbindungsmann zwischen London und Belgrad fungierte. Ich hege den Verdacht, dass er an dieser Stelle über sich selbst schreibt.

Eines der Themen, die sich unbeabsichtigt durch dieses Buch ziehen, ist, dass die Trennungslinie zwischen Journalisten und Spionen dünn ist. Am Anfang des Buches erwähnt Marshall beiläufig «die unvermeidbaren Verbindungen zwischen Offizieren, Journalisten und Politikern» und sagt, dass Leute aller drei Kategorien «im selben Bereich arbeiten». Er fährt scherzend fort, dass «eine dem Volk hinzugestellte Kombination von Spionen, Journalisten und Politikern» die Ursache für den Sturz Slobodan Miloševics war. Marshall klammert sich an den Mythos, dass «das Volk» mit einbezogen war, aber der Rest seines Buches zeigt, dass der Sturz des jugoslawischen Präsidenten nur auf Grund jener politischen Strategien für seine Beseitigung vonstatten ging, die in London und Washington konzipiert worden waren.

Vor allem verdeutlicht Marshall, dass im Jahr 1998 das Aussenministerium und die Nachrichtendienste der USA entschieden hatten, die Befreiungsarmee des Kosovo zu benutzen, um Slobodan Miloševic zu beseitigen. Er zitiert eine Quelle mit den Worten: «Die Absicht der USA war klar. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würden sie die UÇK benutzen, um eine Lösung für das politische Problem zu liefern» – wobei «das Problem», wie Marshall zuvor erklärt, das fortgesetzte politische Überleben Miloševics war. Das hiess, den terroristischen Sezessionismus der UÇK zu unterstützen und später an ihrer Seite einen Krieg gegen Jugoslawien zu führen. Marshall zitiert Mark Kirk, einen Offizier des Nachrichtendienstes der US-Marine, der sagt: «Schliesslich starteten wir eine riesige Operation gegen Miloševic, sowohl im Geheimen wie offen.» Der geheime Teil der Operation umfasste nicht nur Dinge wie die Besetzung der verschiedenen Beobachtermissionen, die in den Kosovo geschickt wurden, mit Offizieren britischer und amerikanischer Nachrichtendienste, sondern auch – und das war entscheidend – militärische, technische, finanzielle, logistische und politische Unterstützung der UÇK, die, wie Marshall selbst zugibt, «Drogen schmuggelte, Prostitution betrieb und Zivilisten ermordete».

Die Strategie begann gegen Ende 1998, als «eine riesige CIA-Mission im Kosovo auf den Weg gebracht wurde». Präsident Miloševic hatte der diplomatischen Beobachtermission im Kosovo erlaubt, die Situation in dieser Provinz zu überprüfen. Diese Ad-hoc-Gruppe wurde sofort mit britischen und amerikanischen Geheimdienstagenten und Spezialeinheiten aufgefüllt – Männer der CIA, des US-Marinenachrichtendienstes, der britischen SAS und von irgendwas, das «14th intelligence» genannt wird, einer Organisation innerhalb der britischen Armee, die an der Seite der SAS arbeitet, «um das zu liefern, was als ‹tiefe Überwachung› bekannt ist». Der unmittelbare Zweck dieser Operation war «nachrichtendienstliche Vorbereitung des Schlachtfeldes» – eine moderne Version dessen, was der Herzog von Wellington zu tun pflegte, als er zu Pferd das Schlachtfeld abritt, um vor dem Kampf mit dem Feind die Geländebeschaffenheit zu prüfen. Also, wie es Marshall formuliert, «wurde die KDOM offiziell von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geführt, inoffiziell von der CIA. Die Organisation war voll von ihnen, es war eine CIA-Frontorganisation.» Viele der Beamten arbeiteten für eine andere CIA-Frontorganisation, nämlich für DynCorp, das in Virginia ansässige Unternehmen, das hauptsächlich «Mitglieder von Eliteeinheiten des US-Militärs oder der CIA beschäftigt», wie Marshall sagt. Sie benutzten die KDOM, die später in die Kosovo- Verifizierungsmission umgewandelt wurde, für Spionage. Statt die ihnen übertragenen Überprüfungsaufgaben auszuführen, zogen die Beamten los und benutzten Satellitennavigationssysteme, um Zielobjekte zu orten und zu identifizieren, die später von der Nato bombardiert werden würden. Wie die Jugoslawen überhaupt 2000 in hohem Masse ausgebildeten Geheimdienstagenten erlauben konnten, auf ihrem Territorium umherzustreifen, ist schwer zu verstehen, insbesondere da sie, wie Marshall zeigt, genau wussten, was vor sich ging.

Der Kopf der Kosovo-Verifizierungsmission (KVM) war William Walker, der Mann mit dem Auftrag, Manuel Noriega von der Macht in Panama zu verdrängen, und ein ehemaliger Botschafter in El Salvador, dessen Regierung Todesschwadronen führte. Walker «entdeckte» im Januar 1999 das «Massaker» bei Račak, jenes Ereignis, das als Vorwand für den Beginn des Prozesses benutzt wurde, der zu den Bombenangriffen führte, die am 24. März begannen. Es gibt viele Anzeichen, die andeuten, dass Račak inszeniert wurde und dass die gefundenen Leichen in Wirklichkeit die Körper von UÇK-Kämpfern waren und nicht, wie behauptet, von Zivilisten. Sicher ist, dass Walkers Rolle so entscheidend war, dass die Landstrasse, die nach Račak führt, nach ihm umbenannt wurde. Marshall schreibt, dass das Datum des Krieges – Frühjahr 1999 – nicht nur im Dezember 1998 beschlossen wurde, sondern dass dieses Datum damals auch der UÇK mitgeteilt wurde. Das bedeutet, dass, als das «Massaker» stattfand und Madeleine Albright verkündete, «der Frühling ist früh gekommen», sie sich ungefähr wie Joseph Goebbels verhielt, der, als er 1933 die Nachricht vom Reichstagsbrand hörte, gesagt haben soll: «Was, schon?»

Jedenfalls, als die KVM am Vorabend der Nato-Bombenangriffe abgezogen wurde, gaben die CIA-Beamten, so Marshall, der UÇK alle ihre Satellitentelefone und ihre Navigationsgeräte. «Die UÇK wurde von den Amerikanern ausgebildet, teilweise ausgerüstet, und ihr wurde praktisch Territorium gegeben», schreibt Marshall – obwohl er, wie alle anderen Reporter, den Mythos systematischer serbischer Greueltaten gegen eine völlig passive albanische Zivilbevölkerung zu propagieren half.

Der Krieg begann, natürlich, und Jugoslawien wurde heftig bombardiert. Aber Miloševic blieb an der Macht. Also begannen London und Washington das, was Marshall freudig «politische Kriegsführung» nennt, um ihn zu beseitigen. Diese umfasste sowohl grosse Geldsummen, wie auch technische, logistische und strategische Unterstützung, einschliesslich Waffen, für verschiedene Gruppen der «demokratischen Opposition» in Serbien. Die Amerikaner operierten inzwischen über das International Republican Institute, das im benachbarten Ungarn Büros zu dem Zweck eingerichtet hatte, Slobodan Miloševic zu entfernen. An einem seiner Treffen, erklärt Marshall, «wurde man sich einig, dass die ideologischen Argumente für die Demokratie, für Bürgerrechte und einen humanitären Ansatz sehr viel überzeugender wären, wenn sie, wo nötig, von grossen Geldbeuteln begleitet würden». Diese, und vieles andere dazu, wurden ordnungsgemäss in diplomatischen Beuteln nach Serbien gebracht – in vielen Fällen von anscheinend neutralen Ländern wie Schweden, denen als formell Nichtbeteiligte am Nato-Krieg ein vollständiger Betrieb ihrer Botschaften in Belgrad weiterhin möglich war. Wie Marshall hilfreich ergänzt: «Geldbeutel waren seit Jahren reingebracht worden.» In der Tat. Wie er zuvor erklärt, wurden «unabhängige» Medien wie der Radiosender B 92 (der Marshalls eigener Verleger ist) zum grössten Teil von den USA finanziert. Von George Soros kontrollierte ­Organisationen spielten ebenfalls eine entscheidende Rolle, wie auch später, 2003 bis 2004, in Georgien. Die sogenannten «Demokraten» waren in Wirklichkeit nichts als ausländische Agenten – genau wie die jugoslawische Regierung zu der Zeit stur behauptete.

Marshall erklärt ausserdem etwas, das inzwischen aktenkundig ist, nämlich dass es auch die Amerikaner waren, die die Strategie ausarbeiteten, einen Kandidaten, Vojislav Koštunica, zu fördern, um die Opposition zu vereinigen. Der Hauptvorteil Koštunicas war, dass er der allgemeinen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war. Marshall beschreibt dann, wie die Strategie ausserdem einen sorgfältig geplanten Staatsstreich beinhaltete, der auftragsgemäss nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen stattfand. Er zeigt detailgetreu, wie die Hauptakteure dessen, was in westlichen Fernsehsendern als spontaner Aufstand «des Volkes» präsentiert wurde, in Wirklichkeit ein Haufen äusserst gewalttätiger und sehr schwer bewaffneter Schlägertypen waren, die unter dem Kommando Velimir Ilics, des Bürgermeisters der Stadt Cačak, standen. Es war Ilics 22 Kilometer langer Konvoi, der Fallschirmspringer und ein Team von Kickboxern zum Bundesparlamentsgebäude in Belgrad transportierte. Wie Marshall zugibt, ähnelten die Ereignisse des 5. Oktober 2000 «mehr einem Staatsstreich» als einem Volksaufstand, über den sich die Medien der Welt damals so naiv ergossen.

Georgien 2003
Viele der in Belgrad perfektionierten Taktiken wurden im November 2003 in Georgien eingesetzt, um Präsident Eduard Schewardnadse zu stürzen. Dieselben Anschuldigungen wurden erhoben und bis zum Erbrechen wiederholt, dass die Wahlen manipuliert worden waren. (Im Fall Georgiens waren es Parlamentswahlen, im jugoslawischen Fall Präsidentschaftswahlen.) Diese Behauptungen, die lange vor den eigentlichen Wahlen vorgebracht wurden, übernahmen westliche Medien unkritisch. Gegen beide Präsidenten wurde ein Propagandakrieg vom Zaun gebrochen, im Fall Schewardnadses nach einer langen Phase, in der er als ein grosser Reformer und Demokrat vergöttert worden war. Beide «Revolutionen» fanden nach einer gleichartigen «Erstürmung des Parlaments» statt, die live im Fernsehen übertragen wurde. Beide Machtübergaben wurden vom russischen Minister Igor Iwanow vermittelt, der nach Belgrad und nach Tiflis flog, um den Abgang des amtierenden Präsidenten von der Macht zu bewerkstelligen. Zu guter Letzt war der US-Botschafter in beiden Fällen derselbe Mann: Richard Miles.

Die sichtbarste Ähnlichkeit war jedoch die Verwendung einer Studentenbewegung, die in Serbien Otpor (Widerstand) und in Georgien Kmara (Es reicht!) genannt wurde. Die Bewegungen hatten beide dasselbe Symbol, eine schwarz-weisse Schablone einer geballten Faust. Otpor bildete Kmara-Leute aus, und beide wurden von den USA unterstützt. Und beide Organisationen wurden anscheinend nach kommunistischer Art strukturiert – die Erscheinung einer diffusen Struktur autonomer Zellen wird mit der Realität einer in hohem Masse zentralisierten leninistischen Disziplin kombiniert.

Wie in Serbien wurde die von US-Geld und von verdeckten Operationen gespielte Rolle aufgedeckt – aber erst nach dem Ereignis. Während dieser Ereignisse war das Fernsehen randvoll mit Propaganda darüber, wie «das Volk» sich gegen Schewardnadse erhob. Alle Bilder, die der optimistischen Sichtweise widersprachen, wurden unterdrückt oder übertüncht, wie beispielsweise die Tatsache, dass der von Micheil Saakaschwili angeführte «Marsch auf Tiflis» in Gori begann, dem Geburtsort Stalins, und zwar unter einer Statue des ehemaligen sowjetischen Tyrannen, der für viele Georgier weiterhin ein Held ist. Ebenso gleichgültig war es den Medien, als der neue Präsident Saakaschwili mit dem stalinistischen Wahlergebnis von 96 Prozent im Amt bestätigt wurde.

Ukraine 2004
Im Fall der Ukraine beobachten wir dieselbe Zusammenarbeit von aus dem Westen unterstützten Nichtregierungsorganisationen, Medien und Geheimdiensten. Die Nichtregierungsorganisationen spielten eine sehr grosse Rolle bei der Entlegitimierung der Wahlen, noch bevor sie stattgefunden hatte. Anschuldigungen über weitverbreiteten Betrug wurden ständig wiederholt. Mit anderen Worten, die Strassenproteste, die nach der von ­Janukowitsch gewonnenen zweiten Wahlrunde ausbrachen, wurden von Anschuldigungen ausgelöst, die vor Beginn der ersten Runde umhergeflogen waren. Die wichtigste Nichtregierungsorganisation hinter diesen Behauptungen, das Komitee ukrainischer Wähler, erhält nicht einen Pfennig von ukrainischen Wählern, sondern wird statt dessen gänzlich von westlichen Regierungen finanziert. ­Janukowitschs Büro war mit Bildern von Madeleine Albright geschmückt, und das National Democratic Institute [Eine weitgehend vom US-Aussenministerium finanziertes Parteiinstitut der US-Demokraten, Anm. d. Red.] war sogar eine seiner Hauptpartnergesellschaften. Es pumpte unaufhörlich Propaganda gegen Janukowitsch heraus.

Während der Ereignisse selbst war es mir möglich, einen Teil der missbräuchlichen Propaganda zu dokumentieren. Sie beinhaltete hauptsächlich die endlose Wiederholung des von der Regierung praktizierten Wahlbetrugs; das beständige Vertuschen des von der Opposition praktizierten Betrugs; das frenetische Anpreisen Viktor Juschtschenkos, eines der langweiligsten Männer der Welt, als charismatischen Politiker; und die lachhaft unwahrscheinliche Geschichte, dass er von seinen Feinden absichtlich vergiftet wurde. (Bis heute sind in dieser Sache keine Anklagen erhoben worden.) Die umfangreichste Darstellung der Propaganda und des Betrugs wird im Bericht der britischen Helsinki-Menschenrechtsgruppe gegeben: «Die Clockwork-Orange-Revolution der Ukraine». Eine interessante Erklärung für die von den Geheimdiensten gespielte Rolle wurde auch von C. J. Chivers in der «New York Times» geliefert, der erläuterte, dass der ukrainische KGB die ganze Zeit für Juschtschenko gearbeitet hatte – natürlich zusammen mit den Amerikanern. Zu den anderen wichtigen Artikeln über dasselbe Thema zählt Jonathan Mowats «The New Gladio in Action: Washington’s New World Order ‹Democratization› Template», der ausführlich beschreibt, wie die Militärdoktrin angepasst worden ist, um poli­tischen Wandel herbeizuführen, und wie die verschiedenen Methoden, von der Psychologie bis zu fingierten Umfrageergebnissen, in ihr angewandt werden. Besonders interessant ist Mowat bei der Darstellung der Theorien von Dr. Peter Ackerman, des Autoren von «Strategic Non-Violent Conflict» (Praeger, 1994), und einer Rede mit dem Titel «Between Hard and Soft Power: the Rise of Civilian-Based Struggle and Democratic Change» («Zwischen harter und weicher Macht: Der Aufstieg des zivilen Kampfes und demokratischer Wandel»), die im Juni 2004 im US-Aussenministerium gehalten wurde. Mowat stellt auch die Psychologie der Massen und ihre Anwendung in diesen Staatsstreichen ausgezeichnet dar. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Rolle der «wuselnden Jugendlichen» und der «rebellischen Hysterie» und verfolgt den Ursprung ihres Einsatzes für politische Zwecke auf das Tavistock ­Institute in den 1960er Jahren zurück. Jenes Institut wurde nach dem Ersten Weltkrieg von der britischen Armee als ihre Abteilung für psychologische Kriegsführung gegründet, und zu ihren illustren Absolventen zählen der ehemalige britische Aussenminister Dr. David Owen und der ehemalige Präsident der Bosnisch-Serbischen Republik Dr. Radovan Karadzic. Mowat erzählt, wie die dort von Fred Emery formulierten Ideen aufgenommen wurden und davon, dass «Dr. Howard Perlmutter, ein Professor für ‹soziale Architektur› an der Wharton School und ein Anhänger von Dr. Emery, betont hat, dass Rock-Videos in Katmandu das angemessene Bild dafür sind, wie Staaten mit traditionellen Kulturen destabilisiert werden können, womit sich die Chance einer globalen Zivilisation eröffnet». Es gibt für einen solchen Wandel zwei Voraussetzungen, fügte er hinzu, «die Errichtung international engagierter Netzwerke von international und lokal engagierten Organisationen und die Schaffung globaler Ereignisse durch die Umwandlung eines örtlichen Ereignisses in eines, das durch die Massenmedien eine praktisch sofortige internationale Bedeutung erhält».

Schlussfolgerung
Nichts hiervon ist eine Verschwörungstheorie – es sind Verschwörungstatsachen. Für die Vereinigten Staaten ist es offizielle Politik, dass die Förderung der Demokratie ein wichtiges Element ihrer Gesamtstrategie für die nationale Sicherheit ist. Weite Teile des US-Aussenministeriums, der CIA, regierungsnahe Organisationen wie die «National Endowment for Democracy» und andere staatlich finanzierte Nichtregierungsorganisationen wie die «Carnegie Endowment for International Peace», die mehrere Werke über «Demokratieförderung» veröffentlicht hat – all diese Operationen haben eines gemeinsam: Sie beinhalten den zuweilen gewaltsamen Eingriff westlicher Mächte, besonders der USA, in den politischen Prozess anderer Staaten, und diese Eingriffe werden oft dazu gebraucht, um das ursprüngliche revolutionäre Ziel, den Regimewandel, zu unterstützen.

Quelle: https://lupocattivoblog.com/2010/03/08/die-technik-des-staatsstreichs-%e2%80%93-operation-regimewechsel/

John Laughland  15. April 2010
Rubrik: FalseFlag/PsyOps

2 Gedanken zu „Die Technik des Staatsstreichs – Operation Regimewechsel“

    1. Nichts für Ungut. Bedenken Sie aber bitte, dass es auch Leute gibt, die nicht jeden technischen Firlefanz benutzen.
      Eine schöne neue Woche noch

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