Eskalation im Mittelmeer

Berlin sucht Washington als Mittler im Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei zu ersetzen – und dämpft Kritik an Ankara.

 

Ohne erkennbare Erfolge hat sich Außenminister Heiko Maas am gestrigen Dienstag um eine Dämpfung des Konflikts zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer bemüht. Athen und Ankara streiten sich um Gewässer rings um die griechischen Ägäisinseln; der Streit verbindet sich mit erbitterten Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Zypern um Erdgasvorkommen ebenfalls im östlichen Mittelmeer. Zuletzt ist der Konflikt eskaliert, als ein türkisches Forschungsschiff unweit einer griechischen Insel Erkundungstätigkeiten durchführte und dabei von türkischen Kriegsschiffen eskortiert wurde. Laut offiziell nicht bestätigten Berichten kam es zu einem Zusammenstoß zweier Fregatten – darunter eine aus deutscher Produktion. Während Griechenland und Frankreich fordern, die EU müsse entschlossene Maßnahmen gegen Ankara ergreifen, beharrt Deutschland auf einer Rücksichtnahme auf die Türkei – aus strategischen Gründen. Darüber hinaus sucht sich Berlin dauerhaft als Mittler zwischen Athen und Ankara zu positionieren; diese Rolle nahm traditionell Washington ein.


Heiko Maas mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis in Athen


Heiko Maas mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu

Maximalpositionen

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer hat sich in den vergangenen Wochen erheblich zugespitzt. Kern sind sich gegenseitig ausschließende Ansprüche auf große Seegebiete, insbesondere auf diejenigen, die rings um die zahlreichen griechischen Ägäisinseln liegen. Griechenlands Maximalposition läuft darauf hinaus, um all seine Inseln eine „Ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ, „200-Meilen-Zone“) für sich in Anspruch zu nehmen; dies liefe darauf hinaus, dass die Türkei auf den Großteil der Gewässer vor fast ihrer gesamten Küste westlich Antalyas keinerlei Zugriff hätte. Die türkische Maximalposition wiederum spricht sämtlichen griechischen Ägäisinseln eine eigene AWZ ab. Im Völkerrecht üblich wäre ein von beiden Seiten auszuhandelnder Kompromiss. Dieser ist allerdings aktuell nicht in Sicht (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Von praktischer Bedeutung ist der Konflikt zur Zeit vor allem wegen umfangreicher Erdgasfunde im östlichen Mittelmeer; Förderung und Abtransport des Rohstoffs werden bereits seit Jahren von Zypern, Israel, Ägypten und Griechenland organisiert – unter Ausschluss der Türkei. Um eigene Ansprüche durchzusetzen, hat Ankara begonnen, eigene Erkundungen in Gewässern vorzunehmen, die sämtlich von Zypern oder von Griechenland in Anspruch genommen werden. Dort stoßen die Erkundungen entsprechend auf Protest.

In Alarmbereitschaft

Seit Mitte Juli ist der Konflikt mehrmals scharf eskaliert. Damals hatte die Türkei angekündigt, Erkundungen in den Gewässern vor Kastellorizo vorzunehmen, einer der östlichsten griechischen Inseln. Kastellorizo, lediglich zwölf Quadratkilometer groß, von nur 500 Menschen bewohnt, liegt unmittelbar vor der türkischen Provinz Antalya; laut griechischem Maximalanspruch darf es eine AWZ beanspruchen, die 200 Seemeilen weit reicht, wodurch Antalya den Zugriff auf große Teile seiner Küstengewässer verlöre. Ankara hatte im Juli Kriegsschiffe entsandt, um die Arbeit des Forschungsschiffs Oruç Reis vor Kastellorizo durchzusetzen. Athen wiederum hatte seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang es zunächst, den drohenden Zusammenstoß in Telefonaten mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zumindest vorläufig zu verhindern: Ankara setzte die Erkundungen des Forschungsschiffs Oruç Reis aus.[2] Der nächste Eskalationsschritt erfolgte, als Griechenland am 6. August ein Abkommen mit Ägypten schloss, in dem die Seegrenze zwischen den zwei Ländern im Mittelmeer abgesteckt wurde. Das Abkommen, das türkischen Ansprüchen offen zuwiderläuft, wurde am 18. August vom ägyptischen Parlament ratifiziert; das griechische Parlament soll dies am heutigen Mittwoch tun.[3]


Griechenland, Türkei: 70 Jahre „Verbündete“ in der NATO, Bild:Rizospastis

Fregattenkollision

Am 10. August, wenige Tage nach der Unterzeichnung des griechisch-ägyptischen Abkommens, nahm Ankara seine zuvor ausgesetzten Erkundungen vor Kastellorizo durch das Forschungsschiff Oruç Reis wieder auf. Dabei ist es offenbar zu einem ernsten Zusammenstoß gekommen: Laut unbestätigten, aber durch Indizien gestützten Berichten stießen eine griechische sowie eine türkische Fregatte zusammen. Bei dem türkischen Schiff soll es sich um die Fregatte Kemal Reis gehandelt haben, eine von vier Fregatten der türkischen Barbaros-Klasse, die von der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut wurden. In der Tat ist es eine Besonderheit des Konflikts zwischen Griechenland und der Türkei, dass beide Länder über große Waffenbestände aus deutscher Produktion verfügen, weil sie von der Bundesrepublik parallel aufgerüstet wurden; dies gilt ganz besonders im Marinebereich. Die mutmaßliche Kollision der beiden Fregatten trug dazu bei, dass die EU-Außenminister am 14. August in einer Videokonferenz ausdrücklich zur „Deeskalation“ zwischen Athen und Ankara aufriefen.[4] Griechischen Berichten zufolge sind entschiedenere Schritte gegen die Türkei auf der Videokonferenz von der Bundesrepublik verhindert worden, die insbesondere nicht bereit war, das griechisch-ägyptische Abkommen in der Abschlusserklärung ausdrücklich zu erwähnen und es damit zu unterstützen.[5]

Berlin statt Washington

Berlins Weigerung, entschlossener gegenüber der Türkei aufzutreten, hat zum einen damit zu tun, dass die Bundesregierung sich im Konflikt zwischen Athen und Ankara als Mittlerin zu profilieren sucht. „Über Jahrzehnte“ habe Gewissheit geherrscht, hieß es gestern in einem Kommentar in der griechischen Tageszeitung „Kathimerini“, dass die Vereinigten Staaten „die Lage deeskalieren“ würden, sollte es zu einer gefährlichen Zuspitzung der Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei kommen.[6] Ein bekanntes Beispiel ist die Beilegung des Konflikts um zwei Ägäisinseln (griechisch: Imia; türkisch: Kardak), der Anfang 1996 fast zu einem militärischen Zusammenstoß zwischen den beiden NATO-Staaten geführt hätte, durch den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Heute, so hieß es weiter im „Kathimerini“-Kommentar, nehme offenkundig Deutschland die einst von den USA ausgeübte Rolle ein. Dabei hat die Bundesregierung den Schritt, der sie an die Stelle Washingtons setzt, sorgsam vorbereitet.[7] So konferierte im Juli in zunächst geheim gehaltenen Gesprächen in Berlin der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Jan Hecker, mit der diplomatischen Beraterin des griechischen Ministerpräsidenten, Eleni Sourani, und dem Berater des türkischen Präsidenten, İbrahim Kalın, um einen Kompromiss auszuloten. Der Versuch wurde Mitte Juli durch eine Indiskretion des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu gestört.

Von Seemanövern begleitet

Zu den Zielen, die Außenminister Heiko Maas gestern in Athen und in Ankara verfolgte, gehörte einerseits, den griechisch-türkischen Beratergesprächen unter Vermittlung Berlins neuen Schwung zu verleihen.[8] Andererseits forderte Maas beide Seiten auf, Provokationen strikt zu unterlassen. Ein Erfolg seiner Reise war zunächst nicht zu erkennen. Schon vorab hatten Griechenland und die Türkei angekündigt, parallel zum Besuch des deutschen Außenministers Seekriegsübungen abzuhalten – im selben Seegebiet. Athen verlangt eine deutliche Verschärfung der EU-Sanktionen gegen die Türkei; bisher wurden lediglich zwei Mitarbeiter des Mineralölkonzerns TPAO (Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı), aber noch keine Politiker mit Zwangsmaßnahmen belegt – nicht zuletzt auf Beharren Berlins. Ankara wiederum besteht darauf, die Erkundungs- und Bohrarbeiten fortzusetzen. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.

Unser Foto (© Pressestelle des Verteidigungsministeriums) entstand am Montag (24.8.) während eines Militärmanövers südlich von Kreta.
Gemeinsames Manöver zwischen Griechenland und den USA südlich von Kreta am 24.08.20. Foto: © Pressestelle des Verteidigungsministeriums

Zerstrittene EU-Führungsmächte

Dies wiegt umso schwerer, als die EU über keinerlei einheitliche Türkeipolitik verfügt. So beruht die Weigerung Berlins, härter gegen Ankara vorzugehen, nicht nur auf der Sorge um seine eigene Mittlerposition im griechisch-türkischen Konflikt, sondern auch darauf, dass die Bundesregierung einer fortgesetzten Zusammenarbeit mit der Türkei strategische Bedeutung beimisst. Dies ist innerhalb der EU hoch umstritten; Frankreich etwa positioniert sich klar auf Seiten Griechenlands und baut seine Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer aus. Die Differenzen in der EU sollen auf dem informellen Treffen der EU-Außenminister („Gymnich-Treffen“) am Donnerstag und Freitag dieser Woche besprochen werden; die Bundesregierung strebt eine einheitliche Türkeipolitik der Union an. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

[1] S. dazu Eskalation im Mittelmeer.

[2] Merkel holds telephone conversation with Erdogan. ekathimerini.com 22.07.2020.

[3] ‚No discussion‘ with Turkey under ‚military pressure,‘ says Greek state minister. ekathimerini.com 25.08.2020.

[4] Video conference of Foreign Affairs Ministers: Main outcomes. eeas.europa.eu 14.08.2020.

[5] Yannis Palaiologos: During EU teleconference, Greece and Germany disagree on Turkey stance. ekathimerini.com 14.08.2020.

[6] Tom Ellis: Once upon a time it was America, now it’s Germany. ekathimerini.com 25.08.2020.

[7] Türkischer Außenminister plaudert Geheimdiplomatie aus. t-online.de 15.07.2020.

[8] Tom Ellis: Once upon a time it was America, now it’s Germany. ekathimerini.com 25.08.2020.

Quelle

27. August 2020
Rubrik: Osmanisches Reich, Türkei

10 Gedanken zu „Eskalation im Mittelmeer“

  1. Erdoğan hat sich von Maas nicht erweichen lassen: „Wir nehmen was auch immer uns zusteht“
    Der Streit um Seegrenzen, Wirtschaftszonen und Gas zwischen der Türkei und Griechenland geht in die nächste Runde. Der Vermittlungsversuch von Bundesaußenminister Heiko Maas erreichte offenbar nicht viel; bereits am nächsten Tag zeigt sich der türkische Präsident unnachgiebig.
    rt 27.08.2020

  2. Die deutsche Regierung sendet doch weiter den Airbus und Kampfausrüstung an die Türkei, warum!!! Es gab am Mittwoch Abend ein schönen Bericht, wo alles dargestellt wurde, man schenkt einem Diktator und Terroristen Airbus und Waffen, Die Deutsche Regierung ist Korrupt, leider. Ich kann mich noch erinnern was für eine Jagt Europa und USA auf angeblichen Terroristen gemacht haben und in diesen Fall wird nichts unternommen, WACHT langsam auf sonst bricht EUROPA auseinander.

    1. Evangelos Iatrou
      wir werden wieder alleine stehen und weiter verarscht dass ist die Wahrheit dann kommen die anderen Mitgliedstaaten und werden ausreden finden dass die nichts wussten Lügen konnten die nie sollen sich schämen unsere Politiker sind auch nur Schafe auf zwei Beinen spielen auch mit wir müssen in Wahrheit Zusammenhalten die komplette Bevölkerung egal wo man lebt weil wir darunter leiden werden wenn ein Krieg ausbricht.

  3. Sie warten wieder, bis ein Krieg ausbricht, dann können noch viel mehr Geld verdienen.
    Türkei provoziert, setzt Politiker höchstwahrscheinlich unter Druck und erpresst… Nur so sind sie all die Jahre an alles gekommen was sie heute meinen, besitzen zu wollen….
    Dem muss aber ein Riegel vorgeschoben werden.
    Wir wollen FRIEDEN
    und nicht leben, wie vor hunterte von Jahren…..

    1. Magdalena Magdalo
      etsi einai Toyrkia kai Germania kratane sto mpolemo mazi kai i Rousia krataei me tin Toyrkia mazi etsi pos itane to 1 mpankosmio.

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