Free Music Production (FMP)

Achim Forst (1981)

„Free Music Production (FMP) wurde 1969 von den Musikern Peter Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und Jost Gebers gegründet. Das erste Total Music Meeting,  das Künstlerfestival für improvisierte Musik in Berlin, das sie 1968 als Gegen-Festival zu den von Joachim-Ernst Berendt geleiteten „JazzFest Berlin“, fand in meiner Studenten- und Musikkneipe LITFASS statt.
Emmanuel Sarides

 

Das Pappschild, das im November 1968 in der Berliner Musikkneipe „Quartier von Quasimodo“ hing, war ein Einfall der Kassierer, es sagte aber mehr über das Unternehmen aus, das hier quasi vorab sein Geburtstagsfest feierte, als so mancher kluge Artikel: „Für Jazzkritiker doppelter Eintrittspreis“.

Aus Protest gegen das Festival- und Medienestablishment, das sich unter anderem in klein karierten, vertraglich sanktionierten Bekleidungsvorschriften bei Auftritten artikulierte, hatten die deutschen Free-Jazz-Musiker zur Gegenveranstaltung zu den Berliner Jazztagen aufgerufen – und viele kamen. Nicht nur frustrierte Besucher des etablierten Festivals eilten aus dem Musentempel Philharmonie herbei zum ersten „Total Music Meeting“, auch die Musiker wie Sonny Sharrock und Pharoah Sanders kamen mit ihren Instrumenten und stiegen in die Sessions ein. Die Herren Kritiker, durch die man sich natürlich doch (und nicht ohne Erfolg) einige Publizität erhoffte, blieben ebenfalls nicht aus. Es sollte aber noch fast ein Jahr dauern, bis sich nach diesem erfolgreichen Auftakt im September 1969 die Free Music Production konstituierte.

Wer für das Phänomen FMP eine klare und schlüssige Definition sucht, gerät bald in Schwierigkeiten. – Die Free Music Production ist eine Musiker-Kooperative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit der Produktion von Schallplatten und der Veranstaltung von Konzerten europäische, freie, akustische Musik zu präsentieren. – Nach dieser grundsätzlichen Feststellung aber gerät man zwangsläufig in die Definitionen „ex negativo“: Die FMP ist keine Musikeragentur, die beliebige Musiker vermittelt und beliebige Konzerte organisiert. Sie ist auch keine Schallplattenfirma nach bekanntem Muster, die nach Marktlücken und Verwertbarem forscht und erst dann einen Musiker „featured“. Die FMP ist ein Non-Profit-Unternehmen, bei dem der Anspruch (keine Gewinne auszuschütten) leider immer wieder mit der Realität (keine Gewinne zu haben) übereinstimmt. Kommerziell ist die FMP dort, wo sie gezwungen ist: auf dem kapitalistisch organisierten Schallplattenmarkt und gegenüber dem Finanzamt.

Und doch ist aus der Kooperative seit ihrer Gründung bisher keine GmbH & Co, keine KG oder Ähnliches geworden. Für die Konstruktion FMP gibt es lediglich einen juristisch Verantwortlichen: Jost Gebers, der Plattenproduktion, Konzertprojekte und die dazugehörende Technik betreut, sowie Dieter Hahne als Mitarbeiter für den kaufmännischen und organisatorischen Bereich. Während Kritiker und Funkredakteure ihr seit vielen Jahren bescheinigen, dass sie der wichtigste Faktor dafür war, dass man heute von einem europäischen Free Jazz sprechen kann, hat eine Firma mit dem Namen Free Music Production auf dem Papier offiziell nie existiert.

Der Marsch beginnt
Als live gespielte Musik, weitgehend unbeachtet von den Medien und ganz ignoriert von den Plattenfirmen, hatte es Free Jazz in Europa schon seit Anfang der 60er Jahre gegeben. In Berlin spielten zum Beispiel ein Trio mit Donata Höffer (p), Jost Gebers (b) und Manfred Kussatz (dr) und die Gruppe um den Saxophonisten Rüdiger Carl in den damals noch zahlreicheren Musikkneipen. Die Musikszene war nicht so eng formiert wie heute, zwischen den stilistischen Fronten kam es immer wieder zu interessanten Begegnungen. Die Free-Jazz-Musiker spielten mit einer aufgeschlossenen Dixieland-Band zusammen, für die das in Maßen freie kollektive Improvisieren nichts Neues war, Peter Brötzmann stieg mal bei der Rockgruppe „Tangerine Dream“ ein. Die Fans des avantgardistischen Jazz in Deutschland waren am Anfang jedoch vor allem E-Musik-Hörer, während die Anhänger des traditionellen, ja sogar des Modern Jazz pikiert die Nase rümpften und die „verrückten Chaoten“ durch Missachtung straften.

Vor allem drei Gruppen hatten bis Mitte der 60er Jahre dem neuen deutschen Jazz ein Renommee erspielt, das ihn „medienwürdig“ erscheinen ließ: das Irène-Schweizer-Trio (mit Uli Trepte (b) und Mani Neumeier, dem späteren „Guru Guru“-Drummer), das Peter-Brötzmann-Trio (mit Peter Kowald (b), Sven-Åke Johansson (dr)) und das Quintett des Trompeters Manfred Schoof (mit Gerd Dudek (sax), Alexander von Schlippenbach (p), Buschi Niebergall (b), Jacki Liebezeit (dr)).

Die erste freie deutsche Jazzplatte war 1965 die von MPS produzierte „Heartplants“ von Gunter Hampel (unter anderem mit Schlippenbach, Schoof und Niebergall), die Rundfunkanstalten luden nun zu Aufnahmen ein, und 1966 gab es bei den Berliner Jazztagen den ersten Auftritt des „Globe Unity Orchestra“ unter der Leitung Alexander von Schlippenbachs. Doch diese spektakuläre Anerkennung des deutschen Free Jazz änderte nichts an der allgemeinen Situation. Weiterhin mussten die unorganisierten Musiker um Auftrittsmöglichkeiten kämpfen, bei denen meist nicht mehr als die Fahrtkosten heraussprangen, und weiterhin waren sie den kommerziellen Managern und Veranstaltern des Platten- und Konzertbusiness ausgeliefert.

Free-Jazz-Musiker sind besonders sensibel gegenüber institutionellen Reglementierungen, weil ihre Musik nur in einer Atmosphäre entstehen kann, in der Menschen selbstverständlich und ohne Zwang miteinander umgehen. – Free Jazz sei die „Utopie einer kreativen Sozialisation“, die „musikalisierte Agitation für ein erträgliches Zusammenleben“, schrieben einige Kritiker. In ihren besten Momenten geht diese Musik tatsächlich über das freie, nur intuitiv verbundene Kollektiv der Musiker hinaus, erfasst das Publikum, wird gefühlt, verstanden, und ist dann vielleicht wirklich die „Fiktion einer sozialistischen Gesellschaft.“

Der Aufbruch der Jazzmusiker zur Selbstbestimmung und die Gründung der Free Music Production fielen also nicht zufällig in die Zeit der europäischen Studentenbewegungen. Obwohl sie ihre Musik nicht als politisches Kampfmittel ansahen wie viele schwarze Jazzmusiker in den USA („Free Jazz – Black Power), brachte die fast euphorische politische Atmosphäre auch die europäischen Musiker zum Nachdenken über Ausbeutung, Manipulation und Monopole. Während sich aber Zehntausende in Berlin an den Blockaden gegen den Springer-Konzern und in Paris gegen die Schließung der Sorbonne beteiligten, begannen die Free-Jazz-Musiker unspektakulär und in ganz kleinem Kreis ihren Marsch gegen die Institutionen. Der Wuppertaler Saxophonist Peter Brötzmann hatte schon lange die Idee einer Musikerorganisation im Kopf, die „New Artists Guild“ heissen sollte. Aber erst in jenem politisch heißen Sommer 1968 kam für die Musiker die Gelegenheit, gemeinsames solidarisches Handeln wirklich auszuprobieren. In Köln wurde damals die Kultur mit „Jazz am Rhein“ gepflegt, einem protzigen Kommerzfestival zugkräftiger Namen. Die Free-Jazz-Musiker aus Köln und Umgebung, unter ihnen Manfred Schoof, Gerd Dudek, Peter Kowald, Schlippenbach und Brötzmann, starteten daraufhin eine Gegeninitiative, verständigten die verwunderte Presse und spielten ein Wochenende lang in einer Kölner Tiefgarage. – Damit war ein Anfang gemacht, die traditionellen Marktmechanismen zu unterlaufen, sich und seine Musik direkt ans Publikum zu bringen.

Kurz danach, bei den Essener Songtagen, entstand dann im Gespräch unter den Musikern die Idee, während der Berliner Jazztage eine Alternativveranstaltung anzubieten, die nicht nur Avantgarde-Jazz vorstellen, sondern sich auch atmosphärisch und organisatorisch vom staatlich subventionierten Festival unterscheiden sollte. Für das erste „Total Music Meeting“ wurden deshalb keine Star-Gruppen zusammengewürfelt, sondern feste Formationen eingeladen, die ihre Arbeit vorstellen sollten. In der gelösten und inspirierenden Atmosphäre im „Quasimodo“ kam es während der fünf Nächte aber trotzdem spontan zu Sessions, bei denen sich ganz neue, überraschende Konstellationen entwickelten.

Eine andere wichtige Neuerung war, dass es hier keinen einzelnen Veranstalter gab, sondern dass die Musiker gemeinsam als Veranstalter auftraten. So verlief das erste „Total Music Meeting“ bereits genau nach dem Konzept, das alle Konzertaktivitäten der FMP in den folgenden Jahren kennzeichnen sollte.

FMP – das sind die Musiker
Wenn man einen geographischen Stammbaum der Musiker zeichnen wollte, die im Lauf der Jahre zur FMP gestoßen sind, müsste man die beiden Hauptwurzeln in Berlin und Wuppertal, mit reichen Verästelungen ins benachbarte Rheinland und Ruhrgebiet, ansiedeln. Aber sehr schnell wuchsen auch Kommunikationszweige hinüber zu den Musikern und Organisationen im Ausland: zum „Instant Composers Pool“ (ICP) nach Holland und über den Kanal zu den englischen „Musicians Co-op“ und „Incus“.

Wie international die FMP-Familie und ihre Freunde waren, zeigt das Programm des ersten „Total Music Meeting“ 1968: Außer dem englischen „Spontaneous Music Ensemble“ und der Berliner Donata Höffer Group gab es nur europäische gemischte Formationen. Bei Gunter Hampel spielte der spätere Superstar John McLaughlin Gitarre, im Manfred-Schoof-Quintett trommelte John Stevens, und das Globe Unity Orchestra war ebenfalls international besetzt. In Peter Brötzmanns Gruppe spielten außer dem Wuppertaler selbst überhaupt keine Deutschen mit (Evan Parker, Paul Rutherford, Fred Van Hove, Han Bennink).

Weil die Kooperative, wie erwähnt, nie einen festgeschriebenen Vereins- oder Gesellschaftsstatus hatte, waren die Wurzeln des FMP-Baumes immer nur so stark und fest wie die Menschen, die sie repräsentierten. Konstant blieb zwischen Berlin und Wuppertal in den nächsten Jahren nur die Verbindung von Jost Gebers und Peter Brötzmann. Die beiden retteten die FMP auch über die Durststrecke, als zwei Jahre nach dem spektakulären Anfang im Berliner „Quasimodo“ viele Musiker glaubten, hier gehe ein Experiment zu Ende und die weitere Mitarbeit lohne sich nicht. Jost Gebers gab das Bassspielen auf und konzentrierte sich ganz auf den technischen und organisatorischen Aufbau der jungen Free Music Production, während Peter Brötzmann und Peter Kowald mit Konzertaktivitäten Wuppertal als musikalisches Zentrum etablierten. Bald zogen deshalb Newcomer der FMP nach Wuppertal: Hans Reichel (g) kam aus Hagen, Rüdiger Carl (sax) aus Berlin, Detlef Schönenberg (dr, perc) aus Bochum.

Die Aufnahmen zur ersten Platte der Free Music Production entstanden im Jahr 1969 bei einer Rundfunkproduktion des „Manfred Schoof Orchestra“ in Bremen. Auch ihre Besetzung beweist, dass der Jazz auf FMP von Anfang an kein deutscher, sondern ein europäischer gewesen ist. Jost Gebers über „European Echoes“ (FMP 0010): „Wir waren alle der Ansicht, dass dieses Band für unsere erste Platte genau das Richtige war, zumal fast alle Musiker, die bislang zur Kooperative gehörten, hierbei vertreten waren.“ Zum Orchester gehörten Mitglieder der drei wichtigsten Formationen der deutschen Szene, des Brötzmann-Trios, des Schoof-Quintetts und das Irène-Schweizer-Trio. Ihre erste Platte unter eigenem Namen entstand 1974 (FMP 0190) im Quartett mit Rüdiger Carl. Die FMP verdankt Irène Schweizer im wesentlichen die Verbindung zu den neuen, jungen eidgenössischen Jazzmusikern Urs Voerkel (p) (FMP 0300 + FMP 0340), Norbert Möslang und Andy Guhl (FMP 0510) und dem Gitarristen Stefan Wittwer (FMP 0350 + FMP 0470).

Auch wenn das Plattenprogramm besonders kontinuierlich und genau die Entwicklung der Musiker der ersten Stunde (wie Kowald, Schlippenbach, Brötzmann) dokumentiert, fanden sich bei steigender Jahresproduktion immer häufiger unbekannte Namen junger Musiker im Katalog der FMP. Newcomer waren oder sind die Pianisten Georg Gräwe, Bernhard Arndt, Elmar Kräling und der zuletzt vielgelobte Martin Theurer, Wolfgang Fuchs (ssi, bcl), Willi Kellers (dr, vib), das Berliner Trio „Ohpsst“, sowie die Gitarristen Achim Knispel und Andreas Willers und die Musiker um Friedemann Graef.

Drei Platten des Katalogs (FMP 0080, FMP 0090, FMP 0100) sind schon vor der Gründung der FMP entstanden. Sie wurden von den Musikern im Eigenverlag herausgebracht und bei Auftritten verkauft: „The Living Music“ von Schlippenbach sowie Brötzmanns „For Adolphe Sax“ und die schon legendäre „Machine Gun“.

DDR
Der Kontakt zur anderen deutschen Republik begann schon 1972, beschränkte sich aber lange Zeit auf den Lizenzankauf von Bändern. Die erste Produktion mit einer Gruppe aus der DDR war „Just For Fun“ (FMP 0140) des Ernst-Ludwig-Petrowsky-Quartetts. Damit gehörte der prominenteste Jazzmusiker der DDR zum FMP-Kreis. Später erschienen Platten mit dem Pianisten Hans Rempel, Ulrich Gumpert (p) im Duo mit dem Schlagzeuger Günter Sommer und mit seiner Workshop Band und das Trio des Posaunisten Conrad Bauer.

Die Beziehungen zu den Institutionen in der DDR entwickelten sich positiv: Seit 1978 veranstaltete die FMP Konzerte mit DDR-Musikern im Westen, und 1979 entstand die erste Koproduktion mit dem VEB Deutsche Schallplatten, der staatlichen Schallplattenfirma der DDR. FMP 0710, FMP 0730, FMP 0790 sind Platten, die parallel in der DDR und bei FMP herausgebracht wurden. Auch die Freistellung von Musikern für reine FMP-Produktionen ist heute kein Problem mehr.

Freie Musik – Offene Räume
Konzerte und Reihen
Öffentlich vorgetragene Musik hat sich einem festgelegten Konzert- und Auftrittsritual unterzuordnen, besonders rigide im Bereich der sogenannten „ernsten Musik“. – Das Kunstprodukt wird frontal präsentiert, muss ordnungsgemäß abgeliefert werden: Die Musiker betreten zu festgesetzter Zeit die Bühne, spielen (in der E-Musik nach gedruckter Programmfolge), treten ab. Das Publikum nimmt auf, konsumiert, in Stuhlreihen den Künstlern gegenüber formiert, spendet Beifall nach Belieben. – Den Free-Jazz-Musikern war schon in den 60er Jahren klar, dass ihre Musik, die bei steigender Beachtung auch Zugang zu den Konzertpodien bekommen hatte, ganz neue Präsentationsformen benötigte.

Workshop Freie Musik
Nachdem mit dem „Total Music Meeting“ im November 1968 ein erfolgreicher erster Schritt auf diesem Weg gemacht worden war, kam den Musikern das Angebot der Westberliner Akademie der Künste, in ihren Räumen während einer Ausstellung Konzerte zu veranstalten, gerade recht. In jenen Ostertagen 1969 wäre jedoch das Konzept der „offenen Konzerte“, das die FMP in den folgenden Jahren so erfolgreich praktizieren sollte, kurz nach seiner Entstehung beinahe wieder zu Grabe getragen worden. Zu den „3 Nights of Living Music And Minimal Art“ hatte man – ohne an die Explosivität einer solchen Musik zu denken – drei Free-Jazz-Gruppen und dazu die Alexis Korner Blues Group geladen. Damit war ein organisatorisches Fiasko programmiert: Erboste Bluesfans gingen wegen der unerwünschten freien Musikdarbietungen mit Bierflaschen gegen ausgestellte Edelstahl-Kunstobjekte vor und wollten sich selbst von den ausgleichenden Worten Alexis Korners nicht beruhigen lassen. Es kam zu handfesten Prügeleien, die Presse hatte ihren Skandal.

Aber obwohl erheblicher Sachschaden entstanden war, setzten die Musikverantwortlichen der Akademie weiter auf das Konzept alternativer Konzertformen und gaben grünes Licht für das zweite Osterfestival 1970, das nun den endgültigen Namen „Workshop Freie Musik“ bekam. Die inzwischen gegründete FMP bot an fünf Tagen im offenen Raum der Ausstellungshalle auf zwei Podesten ein konsequentes Free-Jazz-Programm, zu dem auch öffentliche Proben gehörten. Die Publikumsresonanz in den folgenden Jahren zeigte, dass die neue Form der Präsentation verstanden und aufgenommen wurde.

Mißverständnissse gab es aber auch weiterhin – bei Musikern, die manchmal noch in das alte Auftrittsritual zurückfielen, wie bei Besuchern, die die Bezeichnung Workshop missverstanden und meinten, man könne hier etwa bei Peter Brötzmann Saxophon lernen oder einfach so mitspielen. Jost Gebers: „Flötenhersteller müssen in diesen Jahren gewaltige Umsätze gemacht haben…“

Seit dem Workshop 1973 steht nur noch eine Bühne an zentraler Stelle der Ausstellungshalle, damit man sich besser auf das musikalische Geschehen konzentrieren kann.

Finanziert wird das Unternehmen noch heute von der Akademie der Künste, die auch die Räume und Mitarbeiter zur Verfügung stellt. Das musikalische Konzept aber liegt immer noch in den Händen der Free Music Production.

Im Laufe der Jahre haben Musiker und Publikum ihre Erfahrungen mit dem neuen Rahmen des Musikmachens gesammelt. Gebers: „Der größte Teil des Publikums kommt ohne extreme Hörerwartung, will sich nicht mehr unbedingt Hörgewohnheiten bestätigen lassen.“ Musik wird hier nicht einfach vorgetragen, abgespult: In den fünf Workshop-Nächten lassen sich Musiker und Publikum auf die langsamen Prozesse des Probens und Ausprobierens ein, die beide Seiten herausfordern – die Musiker, sich nicht mit einem zeitlich begrenzten Auftritt ihrer „Pflicht“ zu entledigen, und die Zuhörer, Geduld aufzubringen, musikalische Entwicklungen langsam, auch über längere Durststrecken hinweg mit zu vollziehen, um dann aber wirkliche „Hör-Erfahrungen“ mit nach Hause zu nehmen.

Total Music Meeting

Die zweite jährliche Veranstaltungsreihe, die weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt wurde, fand nach einem Zwischenspiel 69 (in der Berliner Musikkneipe „Litfaß“ beim dritten Mal, 1970, ihr ständiges Domizil im umgebauten Kino „Quartier Latin“. Damit was das „Total Music Meeting“ den offiziellen Jazztagen in der Philharmonie geographisch noch ein ganzes Stück nähergerückt.

1968 war das TMM noch mit Recht als Gegen- und Alternativ-Festival bezeichnet worden. Inzwischen hat es das „Total Music Meeting“ aber schon lange nicht mehr nötig, sich negativ zum etablierten Jazz-Festival zu definieren. Es hat sein eigenes interessiertes und kompetentes Publikum (darunter viele Musiker), das durch die neugierigen Kritiker und Gäste aus der Philharmonie nur noch erweitert wird. Und schon eine ganze Reihe von Musikern des TMM wurde ein paar Jahre später bei den Jazztagen präsentiert. Pianist George Gruntz, der künstlerische Leiter des Berliner Jazz-Festivals: „Bei euch wird die Musik gemacht. Bei uns kann sie nur vorgeführt werden.“

Wenn man über die Erweiterung von Hörerfahrung bei den FMP-Konzerten spricht, muss man auch Albert Mangelsdorff erwähnen, der beim „Total Music Meeting“ 1970 nach knapp 25 Jahren auf der Jazzszene ein ganz persönliches Schlüsselerlebnis hatte. Zum ersten Mal hörte er live die Musik von Peter Brötzmann und seiner Gruppe – und war begeistert. Albert packte seine Posaune aus und blies sein erstes freies Solo. Aus jener Nachtsession im „Quartier“ ergab sich eine lose Zusammenarbeit mit der FMP und schon ein knappes Jahr später ein Konzert mit dem Brötzmann-Trio, das auf den Platten „Elements“, „Couscouss de la Mauresque“ und „The End“ (FMP 0030, FMP 0040, FMP 0050) vollständig festgehalten wurde.

„Jazz Now“ und …
Weitere Konzertaktivitäten der FMP waren die lange Reihe der „Free Concerts“ im Rathaus Charlottenburg (vom FMP-Gründungsjahr 1969 bis 1978) und „Jazz Now“, eine offene Reihe mit wechselnden Schwerpunkten, die an verschiedenen Orten veranstaltet wird. 1979 wurde in „Jazz Now“ das breite Spektrum des avantgardistischen Jazz in der DDR vorgestellt (siehe Special Edition „Snapshot“).

Weil knapp 20 Jahre nach dem Beginn des europäischen Free Jazz in Berlin keine kontinuierlichen Auftrittsmöglichkeiten für frei spielende Musiker mehr existieren, konzentrierte sich die FMP jetzt verstärkt auf die Arbeit an der Basis, indem sie regelmäßig Konzerte in der Musikkneipe „Flöz“ organisiert.

Die Projekte der FMP – und das sind ja nicht nur das Geschäftsunternehmen, sondern vor allem die Musiker – haben zwar ihren Schwerpunkt in Berlin. Kontinuierliche Arbeit wird aber auch im Bundesgebiet geleistet: In Wuppertal gibt es seit 1973 den jährlichen „Free Jazz Workshop“. Peter Kowald startete damals eine Wiederbelebung des alten „Globe Unity Orchestra“ und gestaltete die Veranstaltungen entsprechend dem Berliner Vorbild mit öffentlichen Proben und einem abschließenden Konzert. Seit 78 arbeiten unter der Leitung von Kowald und Brötzmann nach demselben Konzept wechselnde Formationen.

Nur wenige erinnern sich heute auch noch daran, dass bei den ersten „New Jazz Festivals“ in Moers FMP-Musiker bei der Programmgestaltung mitgewirkt haben, bevor sich dort vor allem die Crème des US-amerikanischen Jazz versammelte. Und weil inzwischen überall und für jede Stilrichtung Musik-Initiativen aus dem Boden geschossen sind, die kleine Festivals veranstalten, fällt auch kaum mehr auf, dass einige von ihnen direkt aus dem Kreis der Free Music Production kommen: Die Musiker um den Schlagzeuger Paul Lovens veranstalten in Aachen jedes Jahr ein „Festival für improvisierte Musik“, in Münster hat Willi Kellers eine Musikerinitiative ins Leben gerufen und Pianist Martin Theurer gründete zu Hause in Witten eine Musikerinitiative, die seit 1979 ein Oster-Jazzfestival sowie „Herbsttage für improvisierte Musik“ organisiert.

Ein Saxophon klingt wie Brötzmann klingt
Zur Aufzeichnungsästhetik
Die Aufnahmephilosophie der FMP korrespondiert mit der Musikauffassung ihrer Mitglieder und lässt sich am kürzesten mit den Begriffen „akustisch“ und „live“ beschreiben. Von Anfang an war es erklärtes Ziel der Kooperative, „akustische“ Jazzmusik zu produzieren und sie auch so aufzunehmen: „Bei unseren Schallplattenproduktionen versuchen wir so realistisch wie nur möglich die musikalischen Abläufe festzuhalten. Ästhetische Überlegungen, wie ein Saxophon klingt oder ein Schlagzeug, entfallen zugunsten der Überlegung, wie Brötzmann klingt oder Dudek oder Parker, wie Lovens klingt oder Bennink. Der Einsatz der notwendigen Elektronik (Mikrofone, Mischpult, Bandgeräte) gilt also nur der Signalaufzeichnung und -mischung und zwar zusammen im Augenblick des Entstehens.“ (Gebers)

Die FMP konnte sich auf diese Weise der verhängnisvollen Eigendynamik einer sprunghaft ansteigenden Elektronisierung entziehen, die genau das abtötet, was den theoretisch so schwer zu durchdringenden Free Jazz beim Publikum so anziehend macht, wenn er live gehört wird: die Sinnlichkeit. (Auch die Soloplatte des Synthesizerspielers Michel Waisvisz (SAJ-14) widerspricht dem nicht: Wer ihn einmal im Konzert erlebt hat, weiß, dass er seine selbst gebastelte Elektronik wie ein akustisches Instrument behandelt, „spielt“. Waisvisz probiert und lotet ebenso wie Reichel und Knispel auf ihren Gitarren oder Schlippenbach, wenn er in die Saiten des Flügels greift, Klänge aus und entwickelt aus Geräuschen Musik.)

Guter Free Jazz gelingt in der Regel nicht da, wo das Studio am ruhigsten und die Aufnahmeapparaturen am perfektesten sind, sondern wo die Atmosphäre und die Interaktion mit dem Publikum die Musiker zu einem optimalen intuitiven Zusammenspiel bringen – also live im Konzert. Unter dieser Voraussetzung wird das dialektische Verhältnis der beiden Arbeitsbereiche der FMP verständlich: Die Plattenproduktion ist die logische Konsequenz ihrer Veranstaltungstätigkeit – und umgekehrt. Deshalb besteht der FMP-Katalog zu 80 Prozent aus live aufgenommenen Schallplatten. Die Bänder liegen in den Räumen der Free Music Production. Dort gibt es einen Fundus für ausstehende wissenschaftliche Analysen, ein Musikarchiv europäischer Free-Jazz-Geschichte, denn seit 1973 hat Jost Gebers fast jede Minute der FMP-Konzerte auf Band aufgenommen.

Aber nicht nur beim Aufnehmen, auch bei der Verstärkung während der Veranstaltungen setzt Gebers auf das „akustische Prinzip“. Die Lautsprecher sollen möglichst naturgetreu und unaufdringlich das Klanggebilde auf der Bühne wiedergeben und nicht durch Phonstärken erschlagen. Die für diese Musik so wichtige Kommunikation zwischen Musiker und Publikum darf dabei nie gestört werden.

Bei den Auftritten des Brötzmann-Bennink-Duos verteilte Gebers zum Beispiel die Mikrofone über die ganze Bühne, um Han Benninks einzigartiges Percussionsspiel, das immer den ganzen Raum einbezieht, realistisch aufnehmen und wiedergeben zu können.

SAJ – das andere Label
Hinter den drei Buchstaben steht keine geheimnisvolle Abkürzung: Es sind die drei Anfangsbuchstaben des Schlagzeugers Sven-Åke Johansson, die zum Namen des Nachbar-Labels von FMP geworden sind, auf dem seit 1974 über 30 Platten erschienen sind. SAJ wurde zur Ergänzung und schuf die breite stilistische Basis zum FMP-Label, das seinen Ruf als Independent-Label akustischer, freier Jazzmusik behalten sollte. So erschien auf SAJ Alexander von Schlippenbachs Platte mit der Musik von Jelly Roll Morton (SAJ-31), während seine anderen Arbeiten weiter auf FMP herausgebracht werden. SAJ ist das Label, auf dem Blues von Franz de Byl, die Percussionsgruppe „Africa Djolé“, aber auch freier Jazz in Übernahme und Koproduktionen mit anderen Musikerorganisationen veröffentlicht wurden.

Special Editions: „For Example“, „Snapshot“ und …

Zweimal hat die FMP bisher kombinierte Platten-Text-Dokumentationen herausgebracht: die Kassette „For Example“ mit Buch und drei Schallplatten zum zehnten „Workshop Freie Musik“ und „Snapshot„, ein Doppelalbum mit Textteil, das den Jazz in der DDR dokumentiert, wie er 1979 bei den Konzerten der Reihe „Jazz Now“ zu hören war. Beide Editionen sind inzwischen vergriffen.

Aus einer Broschüre der FREE MUSIC PRODUCTION (FMP) 1981/82
unter http://www.fmp-label.de/freemusicproduction/texte/1981d_forst.html

Achim Forst (1981)  25. April 2017
Rubrik: Kultur, Musik, Bühne, Sport

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