Washington plant neue Russland-Sanktionen. Deutsche Russland-Investitionen boomen
Die Vereinigten Staaten bereiten neue wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Russland vor und bedrohen damit profitable Geschäfte deutscher Unternehmen. Ein neuer Gesetzentwurf, der am Mittwoch die nächste parlamentarische Hürde in Washington nahm, wird wegen seiner Reichweite sowie wegen seiner extraterritorialen Anwendung von Beobachtern mit den aktuellen Iran-Sanktionen der USA verglichen. Die deutsche Wirtschaft ist gerade dabei, ihr Russland-Geschäft wieder auszuweiten; neben dem Export, der zwar langsam, aber kontinuierlich wächst, sind vor allem die Investitionen deutscher Firmen in Russland zuletzt rasch gestiegen: Der stark gefallene Kurs der russischen Währung hat Fabrikgründungen und Firmenübernahmen in Russland stark verbilligt; zudem ist es mit Hilfe von Produktionsstandorten vor Ort möglich, vom russischen Markt zu profitieren, zugleich aber die Sanktionsrisiken zu minimieren. Unabhängig von den neuen Sanktionen hat der US-Kongress sich auf Zwangsmaßnahmen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 geeinigt.
Wie die Iran-Sanktionen
Die Vereinigten Staaten bereiten neue wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Russland vor. Wie der außenpolitische Ausschuss des US-Senats ankündigt, wird er in seiner Sitzung am heutigen Mittwoch unter anderem über einen Gesetzentwurf beraten, der unter der Bezeichnung „Defending American Security from Kremlin Aggression Act“ (DASKA) bekannt ist. Der Entwurf sieht unter anderem Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor, die Cyberbranche sowie Einzelpersonen vor, denen „direkte oder indirekte illegitime und korrupte Aktivitäten“ zugunsten des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen werden. Zudem sind harte Schritte gegen die Erdöl- und Erdgasbranche geplant; sie soll von Zulieferern und Finanziers isoliert werden.[1] Der Urheber des Gesetzentwurfs, Senator Lindsey Graham (Republikaner), der als außenpolitischer Hardliner bekannt ist, hat DASKA, weil die Sanktionen deutlich über die bisherigen US-Zwangsmaßnahmen gegen Russland hinausgehen, als „Gesetz aus der Hölle“ bezeichnet. Experten vergleichen die geplanten Sanktionen, die extraterritorial angewandt werden sollen, also Unternehmen in aller Welt treffen, in ihrer potenziellen Wirkung mit den aktuellen US-Iran-Sanktionen. Der außenpolitische Senatsausschuss will den Entwurf noch in dieser Woche verabschieden.
„Der Wille, zusammenzurücken“
Der US-Vorstoß erfolgt zu einer Zeit, zu der Berlin dabei ist, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, die seit 2014 durch die Sanktionen gegen Moskau empfindlich geschwächt wurde, wieder zu stärken. Anfang Juni etwa nahm Peter Altmaier als erster Bundeswirtschaftsminister seit der Verhängung der EU-Sanktionen am Internationalen Wirtschaftsforum St. Petersburg teil und unterzeichnete dort eine Absichtserklärung zum Aufbau einer „Effizienzpartnerschaft“ zwischen beiden Ländern. Mitte Juli plädierte Außenminister Heiko Maas, der sich zuvor mit konfrontativen Äußerungen gegen Moskau hervorgetan hatte, für eine Suche nach „Schnittmengen“: „Nur über offene Diskussion und den Dialog kommen wir zu Ergebnissen, die unsere beiden Länder wirklich weiterbringen“.[2] Der Ko-Vorsitzende des Petersburger Dialogs, Ronald Pofalla, urteilte: „Was Deutsche und Russen eint, ist der Wille, enger zusammenzurücken, als das derzeit realisiert wird“. Vor den gestrigen Gesprächen im „Normandie-Format“ in Paris hatte auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in diesem Sinne Stellung bezogen und „vertiefende[n] Dialog“ und „Zusammenarbeit“ mit Moskau gefordert.[3]
Milliardeninvestitionen
Tatsächlich befindet sich das Russland-Geschäft der deutschen Wirtschaft wieder im Aufwind. So haben die deutschen Ausfuhren nach Russland ihren Tiefststand von 21,5 Milliarden Euro aus dem Jahr 2016 hinter sich gelassen, erreichten im vergangenen Jahr 25,9 Milliarden Euro und steigen, wenn auch in mäßigem Tempo, weiter – zuletzt um 2,5 Prozent in den ersten neun Monaten dieses Jahres.[4] Vor allem aber nehmen die Investitionen deutlich zu. Zum einen sind sie wegen des dramatischen Absturzes der russischen Währung im Jahr 2014, von dem sich der Rubel bis heute nicht erholt hat, für deutsche Unternehmen viel billiger geworden; zum anderen bieten sie Firmen aus der Bundesrepublik die Möglichkeit, auf dem russischen Markt vor Ort hergestellte Waren abzusetzen und damit Sanktionsrisiken zu umgehen. Bereits von 2015 bis 2017 nahm der Bestand unmittelbarer und mittelbarer deutscher Direktinvestitionen in Russland laut Angaben der Bundesbank von 15,8 auf 20,8 Milliarden Euro zu. Im vergangenen Jahr investierten laut Angaben der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK) deutsche Firmen in dem Land erneut gut 3,2 Milliarden Euro.[5] So investiert etwa die Linde Group hohe Summen in Energieprojekte in Russland. Volkswagen hat seit 2014 mehr als eine halbe Milliarde Euro ausgegeben, um seine Fabriken in Kaluga und Nischnij Nowgorod auszubauen.[6] Daimler hat im April ein neues Werk bei Moskau eröffnet; die Kosten beliefen sich auf mehr als eine Viertelmilliarde Euro.
Mehrheitlich zufrieden
Dabei hält die Entwicklung an. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind deutsche Unternehmer in Russland mit der Entwicklung ihres Geschäfts mehrheitlich zufrieden. Rund 41 Prozent bewerten sie als gut oder sehr gut, rund die Hälfte immerhin als befriedigend. „Jeweils ein Drittel der Unternehmen“ wolle aktuell „seine Belegschaft in Russland ausbauen“ oder „dort in den nächsten zwölf Monaten investieren“, teilt der Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) mit. „Die deutsche Wirtschaft setzt weiterhin auf den Standort Russland und investiert kräftig“, wird AHK-Leiter Matthias Schepp zitiert.[7] Dem stehen die seit 2017 unilateral verhängten US-Sanktionen [8] nicht entgegen. Diese hätten zwar „die deutsche Wirtschaft in weniger als zwei Jahren bereits über eine Milliarde Euro gekostet“, sagt Schepp: „Dennoch lassen sich unsere Unternehmen nicht einschüchtern und investieren weiterhin“. Tatsächlich wollen trotz etwaiger Verschärfungen der US-Sanktionen gut zwei Drittel der Firmen ihr Russland-Geschäft unverändert fortsetzen; 30 Prozent wollten „ihre Aktivitäten sogar ausbauen“, heißt es beim OAOEV.[9]
Gegen Nord Stream 2
Unabhängig von den Arbeiten an DASKA hat sich der US-Kongress am Montag auf den neuen National Defense Authorization Act geeinigt, der den Pentagon-Haushalt für das Jahr 2020 festlegt. In das Gesetz aufgenommen worden sind gleich mehrere Sanktionsbestimmungen, darunter eine, die die Trump-Administration verpflichtet, Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen zu verhängen, die sich am Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 beteiligen. Der Vorstoß soll die Fertigstellung der Erdgasleitung in letzter Sekunde verhindern (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Zudem fordert das Gesetz neue Schritte gegen Turk Stream, eine Pipeline, die Erdgas aus Russland in die Türkei transportiert; darüber hinaus fordert es Sanktionen gegen die Türkei, weil Ankara das russische Luftabwehrsystem S-400 gekauft hat.[11] Die Maßnahmen müssen von der Regierung umgesetzt werden.
Euro statt Dollar
Im außenpolitischen Establishment nehmen zugleich die Rufe nach politischer Gegenwehr gegen die extraterritorialen US-Sanktionen, die durch DASKA erheblich verschärft werden könnten, zu. „Das Repertoire unserer Politik“ beim Vorgehen gegen extraterritoriale Zwangsmaßnahmen solle „Kompensation, Umgehung und Gegenmaßnahmen umfassen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR).[12] „Kompensationen“ sollten „bestimmte Wirtschaftssektoren oder bestimmte Länder“ in der EU unterstützen, die von extraterritorialen Sanktionen besonders getroffen würden. Das Finanzvehikel INSTEX (german-foreign-policy.com berichtete [13]) müsse endlich funktionsfähig gemacht werden, damit „das Dollar-System und damit US-Sanktionen umgangen werden“ könnten: „Wir brauchen es als Teil einer breiteren Strategie, mehr Handel in Euro statt in Dollar abzuwickeln“. Nicht zuletzt müssten auch „Marktsektoren“ identifiziert werden, auf denen „die USA, China oder andere asymmetrisch von Europa abhängen, und Personen, die in diesen Sektoren tätig sind, sowie ausländische Vermögenswerte, die sich in Europa befinden“: „Käme es zu Sanktionen gegen unsere Unternehmen“, heißt es, „so würden wir innerhalb kurzer Zeit mit Gegenmaßnahmen gegen diese Entitäten reagieren.“
[1] U.S. Senate Committee to Consider Bill to Impose Stiff New Sanctions on Russia. nytimes.com 05.12.2019.
[2] S. dazu Maas in Moskau.
[3] S. dazu Die Sonderwirtschaftszone Donezk-Luhansk.
[4] Sanktionen belasten Russland-Geschäft. n-tv.de 03.12.2019.
[5] Christian Grimm, Maria Heinrich: Firmen haben bessere Aussichten für Geschäfte mit Russland. augsburger-allgemeine.de 04.12.2019.
[6] Grafik: Deutsche Direktinvestitionen in Russland. owc.de 13.11.2019.
[7] Hausgemachte Störfaktoren belasten das Geschäft. oaoev.de 03.12.2019.
[8] S. dazu Die Ära der Sanktionskriege (I).
[9] Hausgemachte Störfaktoren belasten das Geschäft. oaoev.de 03.12.2019.
[10] S. dazu Ringen um Russlands Erdgas.
[11] Patricia Zengerle: U.S. lawmakers reach deal on massive defense bill, eye Russia, Turkey, China. reuters.com 10.12.2019.
[12] Jonathan Hackenbroich, Mark Leonard: Wirtschaftliche Streubomben auf Europa. ipg-journal.de 08.11.2019.
[13] S. dazu Sanktionskrieg um Iran (II) und Die Ära der Sanktionskriege (III).
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8132/