Warum die EU auf dem Balkan ein Mini-Jugoslawien schafft

Boris Kálnoky
Angepasst an die Moderne: Serbien klein halten

Auf dem Balkan möchte ein halbes Dutzend Staaten in die EU. Aber die Union kann sich in ihrer Krise kaum neue Beitritte leisten. Nun will sie das Dilemma mit einem neuen Instrument lösen.


Die serbische Hauptstadt Belgrad

Die Idee wurde auf dem Balkan geboren. Der heutige serbische Präsident Aleksander Vucic hatte sie formuliert: Wäre es nicht praktisch, die Länder auf dem Balkan in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu verbinden? Das könnte doch der erste Schritt zum Beitritt zur EU sein. Die EU griff die Idee schnell dankbar auf. Auf einem Westbalkan-Gipfel an diesem Mittwoch in Triest soll es eine Grundsatzentscheidung dazu geben.

Auf dem Balkan drängt ein halbes Dutzend Staaten in die EU – aber die Union ist in ihrer tiefen Krise mit anderen Dingen beschäftigt. So könnte die Zollunion auch ein gutes Instrument sein, um Zeit zu gewinnen. Die EU muss keine neuen Mitglieder aufnehmen, wahrt aber ihren Einfluss auf dem Balkan – wo rivalisierende Mächte um Einfluss ringen.

Kroatien und Slowenien sind inzwischen schon in der EU. Montenegro, Serbien und Albanien sind Beitrittskandidaten. Bosnien hat seinen Antrag gestellt auf eine Beitrittskandidatur. Mazedonien bemüht sich gerade, den ewigen Streit um die Bezeichnung des Landes mit Griechenland beizulegen – danach wird Athen ein mazedonisches EU-Beitrittsbegehren womöglich nicht mehr blockieren. Auch das Kosovo will in die EU.

Quelle: Infografik Die Welt

Die Zeiten der großen Erweiterungen aber sind vorüber. Die EU ist auch deshalb in die Krise geraten, weil sie mit 28 Staaten nur noch schwer steuerbar ist. Nach dem Brexit scheint die Aufnahme zahlreicher neuer Staaten auf dem Balkan schwierig. Da könnte eine an Brüssel angebundene Balkan-Zollunion eine Notlösung sein. Hinter den Kulissen wird sie seit Jahren diskutiert, als Instrument, das ewige Pulverfass Balkan zu entschärfen, ohne die EU erweitern zu müssen.

Wirtschaftlich ist der Balkan für die Europäer belanglos. Ordnungspolitisch hingegen ist er, wie so oft zuvor in der europäischen Geschichte, von zentraler Bedeutung. Wo früher Bündnissysteme ein wenig Stabilität in das explosive Völkergemisch zwischen Belgrad und Skopje, Sarajewo und Tirana brachten, ist heute die Hoffnung auf einen EU-Beitritt der Garant für Frieden. Entsprechend wachsen die Spannungen auf dem Balkan. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn betont immer wieder, der Beitritt bleibe das Ziel. Von ihm stammt die Formel, „positive Abhängigkeit“ voneinander könne dazu beitragen, die allgegenwärtigen ethnischen Spannungen in der Region zu entschärfen.

Im Grunde wäre es eine Wiedergeburt des alten Jugoslawien, freilich nur als Zoll- und Transportunion. Minus Kroatien und Slowenien natürlich, die gehören bereits zur EU. Dafür mit Albanien. Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Mazedonien – es wäre eine Union der ärmeren Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Man kann nachvollziehen, warum Belgrad Gefallen daran finden könnte. Serbien wäre in einem solchen Gebilde der Schwerpunkt, zu dem alles gravitieren würde.

Zerfall Jugoslawiens hinterließ Vakuum

So wie Belgrad Jugoslawien dominierte, würde es dieses Neu-Jugoslawien prägen. Mazedonien müsste nicht mehr ständig um seine Existenz bangen. Es wäre endlich Teil eines größeren Verbundes, statt allein und wehrlos, umgeben von feindseligen Nachbarn: Griechenland, Albanien, Bulgarien, Serbien, die alle der Meinung sind, Mazedonien sei kein richtiges Land, es gehöre teilweise eigentlich zu ihnen, und es gebe auch keine Mazedonier als solche. Auch in Bosnien würde man als Teil einer solchen Union vielleicht etwas weniger Angst haben, eines Tages auseinanderzubrechen.

Was die Menschen betrifft, Umfragen belegen, dass der Zerfall Jugoslawiens die eine Sache ist, die in jeder der Nachfolgerepubliken – außer vielleicht Kosovo – bereut wird. Der Zerfall Jugoslawiens hinterließ bis heute ein Vakuum im europäischen Machtgefüge, das nie gefüllt wurde. So wie der Zerfall des Habsburgerreiches einst Europa zerbrechlicher machte und Hitler die Schwäche der entstandenen Zwergstaaten ausnutzte, so hat das Ende Jugoslawiens einen permanenten Konfliktherd im Herzen Europas geschaffen, der nie ganz gelöscht wurde. Wo Russland, die Türkei, die USA, Deutschland, kurzum die Großmächte ihr Spiel mit dem Feuer um geopolitische Dominanz spielen.

Das alte Jugoslawien zerfiel, weil es an inneren Spannungen krankte, vor allem an der Rivalität zwischen Serben und Kroaten. Eine neue Westbalkan-Union wäre auch bipolar: Acht Millionen Serben in Serbien und Bosnien sowie fünf Millionen Albaner in Albanien, Kosovo und Mazedonien würden sie dominieren und mit- und gegeneinander wetteifern.

https://www.welt.de/politik/ausland/article166545556/Warum-die-EU-auf-dem-Balkan-ein-Mini-Jugoslawien-schafft.html

Boris Kálnoky  27. Dezember 2017
Rubrik: Balkan/Osteuropa/Kaukasus

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