Warum russische Frauen keinen westlichen Feminismus brauchen

Vicky Lova
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Das moderne Feminismus-Konzept ist für viele russische Frauen etwas Fremdes, zuweilen sogar etwas Feindseliges. Anhand ihrer persönlichen Erfahrungen erklärt die in Moskau geborene und in den USA lebende Journalistin Vicky Lova, warum.

In Sibirien gibt es eine Eisenbahn, die von meiner Großmutter und anderen sowjetischen Frauen gebaut wurde. Meine Großmutter war zwei Mal verheiratet und zwei Mal geschieden und immer dermaßen mit der Arbeit beschäftigt, dass sie keine Zeit für ihre eigenen Kinder hatte. Im Alter von 17 Jahren zog ihre Tochter, meine Mutter, aus einer kleinen Stadt im Norden in die russische Hauptstadt, um sich an der Staatlichen Universität Moskau einzuschreiben.


Rudolf Alfimov/Sputnik

Seltsamerweise hat meine Mutter, obwohl sie Philosophie im Hauptfach studierte, auch Dinge gebaut und entwickelt. In der Sowjetzeit wurden die Studenten nämlich oftmals als freie Arbeitskräfte betrachtet und mussten im Sommer auf Kartoffelfeldern oder Baustellen aushelfen. Und so gibt es auf dem Murmansker Flughafen eine Toilette, auf die meine Mutter besonders stolz ist. Sie hat dabei geholfen, sie zu bauen und hat seitdem nicht aufgehört, über dieses Erlebnis zu reden.

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Meine Mutter promovierte und arbeitete als Hochschullehrerin, aber sie war eine Frau, die „alles konnte“. Sie konnte mit Leichtigkeit die Möbel umstellen, die Wände neu tapezieren oder die undichten Wasserhähne reparieren. Als ich alt genug war, um laufen zu können, fing ich an, ihr bei diesen Aufgaben zu helfen. „Komm schon, Kind“, pflegte sie zu sagen, während sie beispielsweise einen riesigen Kleiderschrank auf ihrer Schulter abstützte. „Du kannst das.“

Sie hat sich von meinem Vater scheiden lassen, als sie schwanger war, weil „es einfach keinen Sinn machte“, und im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die Angst vor Einsamkeit oder Armut haben, war sie sicher, dass sie das alles alleine schaffen konnte. Sie hat das von meiner Großmutter gelernt und ich habe es von ihr gelernt. Doch ich will es nicht.

Die weiblichen „Parasiten“ müssen arbeiten

Mein Problem mit dem amerikanischen Feminismus ist folgendes: Statt gleiche Rechte und gleichen Lohn in den Mittelpunkt zu stellen, heißt das Motto „Ich kann alles selbst“, welches sich in eine Aggression gegenüber Männern und, noch schlimmer, gegenüber Frauen, die anders fühlen oder denken, verwandelt. Der amerikanische Feminismus wird damit zu etwas Giftigem.

Um fair zu bleiben, hatten es Frauen in den USA immer schwer. Sie mussten für ihr Recht auf Arbeit kämpfen. In Amerika und in vielen europäischen Ländern verließen Frauen erst vor ungefähr 50 Jahren die Küche und betraten die Arbeitswelt. Sie mussten einfach aggressiver sein. „Lass uns die Rechnung teilen und wage es nicht, eine Tür für mich zu öffnen, weil ich das alles alleine machen kann“, sagt zum Beispiel eine giftige amerikanische Feministin.

In Russland können Frauen den Gedanken nicht verstehen, dass sie ihre weibliche Seite verleumden müssen, um ihren Platz unter der Sonne zu beanspruchen. In der Sowjetunion musste man einen Job bekommen, weil man sonst als „Parasit“ betrachtet würde. In der sowjetischen Verfassung hieß es, dass Arbeit „eine Pflicht und ehrenvolle Aufgabe jedes fähigen Bürgers“ sei. Aber glauben Sie nicht, dass die Frauen es damals leicht hatten.

Sie arbeiteten jeden Tag in Fabriken und Forschungslaboren, da es keine Fernarbeit gab, die man bequem online und von zu Hause erledigen konnte. Doch die Tatsache, dass Sie einen Job hatten, bedeutete nicht, dass in der Gesellschaft die traditionellen Geschlechterrollen in Vergessenheit geraten waren. Nach der Arbeit musste die sowjetische Frau meist noch kochen, die Wohnung putzen, auf die Kinder aufpassen und so weiter.

Ferner hatten sowjetische Frauen keine Waschmaschinen oder Staubsauger und waren deshalb ständig müde und gestresst. Wo waren ihre Ehemänner abends? Verschiedene Familien hatten zwar unterschiedliche Herangehensweisen, doch die meisten Männer fand man auf der Couch, mit einer Sportzeitschrift in der einen Hand und einem Bier in der anderen.

Freiheit

Obwohl es im modernen Russland viele Probleme mit Sexismus und häuslicher Gewalt gibt, kann eine Frau nun endlich sein, wer auch immer sie sein will. Wir haben heutzutage wahrscheinlich mehr Wahlmöglichkeiten als je zuvor. Sie kann also eine Hausfrau, eine Wissenschaftlerin, ein Bankerin, eine Mutter sein oder ihre eigene Firma gründen. Wenn sie möchte, kann sie sich auch einfach hübsch machen und einen Mann finden, der sie unterstützt, obwohl das natürlich nicht immer ein „zuverlässiger“ Karriereweg ist.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die russischen Frauen ihre weibliche Seite nun akzeptiert. Manchmal haben sie es mit den kurzen Röcken und hohen Absätzen übertrieben, aber es ist definitiv besser als einen Hammer und eine Sichel zu halten.

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Darüber hinaus sind in Russland nach Angaben der Unesco 41 Prozent der Frauen in der wissenschaftlichen Forschung tätig, mehr als irgendwo anders auf der Welt. Dabei geht es vor allem um die Denkweise, dass sie keine „gläserne Decke“, wie viele ihrer amerikanischen Kolleginnen, in ihrem Kopf haben, wenn sie sich für ihren zukünftigen Forschungsbereich entscheiden.

Wie können wir das alles haben?

Bevor ich nach Amerika kam, dachte ich, dass es eines der „frauenfreundlichsten“ Länder der Welt sei. Immerhin werden hier so viele Gespräche über die Gleichberechtigung geführt. Bei meiner ersten FinTech-Veranstaltung in New York sah ich mich jedoch um und stellte fest, dass ich eine von fünf Frauen in einem Raum mit fast 100 Männern war.

Später sprach ich mit einigen dieser Expertinnen: Sie wirkten, trotz der Tatsache, dass sie Röcke trugen, wie aus Stahl. Es ist eben nicht so einfach, als Frau in technischen Bereichen tätig zu sein, in denen nur 35 Prozent der Bachelor-Absolventen im Bereich der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik Frauen sind. Des Weiteren sammeln Tech-Startup-Gründerinnen weniger Geld, etwa 15 Prozent des gesamten Startkapitals.

Frauen in den USA tun viel, um einander zu unterstützen und zu ermutigen. Sie wissen wahrscheinlich mehr über das Thema Solidarität, als Frauen irgendwo anders auf der Welt. Es gibt viele Abendessen und Bildungsprogramme, die ausschließlich für Frauen sind. Doch diese künstlich geschaffenen Institutionen schließen jene aus, die die Hauptbeteiligten an einer Debatte über weibliche Freiheit sein sollten: die Männer.

Gerade Männer müssen lernen, mit weiblichen Chefs, Kolleginnen, Untergebenen und vor allem mit ihren eigenen Töchtern umzugehen. Männer auf der ganzen Welt müssen Frauen als Führungspersönlichkeiten in den Technologie-, Finanz- und anderen Industriebereichen akzeptieren, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch in ihren Herzen und Köpfen.

Dabei werden jedoch auf Dauer weder der Ansatz, alles selbst machen zu können, noch die Rechnung mit dem eigenen Freund zu teilen oder der Versuch maskuliner, als die Männer zu sein, nützlich sein. Was hilfreich sein wird, kann ich nicht genau sagen. Doch wenn ich meine Möbel umstellen muss, suche ich lieber einen starken Mann dafür. Nicht, weil ich das nicht alleine kann, sondern weil ich das nicht alleine machen will. Ich tue, was jede Frau tun sollte. Was auch immer sie will.

Dies ist erst der erste Teil unserer Meinungen zum Feminismus. Im bald folgenden Teil zwei erwartet Sie eine völlig andere Sichtweise! Bis dahin können Sie uns in den Kommentaren Ihre eigene Meinung „geigen“.

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Russische Frauen waren schon immer offen für feministische Ideen aus dem Westen. Aber sie hatten auch ihre eigenen Frauenrechtlerinnen, ihre eigene Frauenbewegung, ihre eigenen Revolutionärinnen. Ein gutes Beispiel dafür ist Lisa Dijakonowa.

Quelle: https://de.rbth.com/lifestyle/79903-warum-russische-frauen-keinen-westlichen-feminismus-brauchen

Vicky Lova  26. April 2019
Rubrik: Politik/Gesellschaft/Umwelt

3 Gedanken zu „Warum russische Frauen keinen westlichen Feminismus brauchen“

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