„Wem gehört dieses Lied?“

Emmanuel Sarides

Der gleichnamige Film von Adela Peeva zeigt was passiert, wenn ein Lied, das im Osmanischen Reich Allgemeingut war, heute von den Menschen in den einzelnen Balkanländern, die aus der Zerstückelung des Osmanischen Reiches hervorgegangen sind, als ihr eigenes Lied reklamiert wird und ihre Nachbarn der Anmaßung seines unrechtmäßigen Besitzes bezichtigen.

 

Die Story: Adela Peeva sitzt in einem kleinen Restaurant in Istanbul mit Freunden und Bekannten, einem Griechen, einem Nordmakedonier, einem Türken und einem Serben. Dann beginnt die Sängerin einer Musikgruppe das Lied „ Üsküdar’a Gider İken“ („Auf dem Weg nach Üsküdar“) zu singen, von dem jeder in der Runde behauptet, es stammt aus seinem Land. Adela Peeva beschließt dann, Bulgarien, die Türkei, Griechenland, Albanien, Nordmakedonien, Serbien und Bosnien zu besuchen, um die Leute zu befragen, weshalb dies „ihre eigene Musik“ ist. Daraus wird dann 2003 der Film  “Wem gehört dieses Lied?” („Whose Song is it?”, bulgarisch “Чия е тази песен?“) produziert.

Bildergebnis für whose is this song

Zu ihrem Film  schreibt Peeva: “Das Ereignis im Istanbuler Restaurant ließ mir keine Ruhe. Ich wusste aus meiner Kindheit, dass das Lied bulgarisch war. Ich wollte herausfinden, warum die anderen auch behaupteten, dass das Lied ihnen gehörte. So begann der Film. Die Filmaktion findet in den Ländern der Balkanregion statt. Die Situation ist an sich schon ziemlich komisch – der Kampf um den Beweis, dass niemand anders als wir ein so schönes Lied kreieren kann. Manchmal wird dieser Kampf tragikomisch und dramatisch, nimmt Wendungen und Sprünge, überrascht mit den Metamorphosen des Songs und den Emotionen der Filmteilnehmer. Darüber hinaus ist “Wem gehört dieses Lied?” ein Film über ein Lied und die Verwandlungen, die es auf seinen Reisen auf dem Balkan erfahren hat: In den verschiedenen Ländern hat es unterschiedliche Gesichter und existiert als Liebeslied, als ein Militärmarsch zur Abschreckung des Feindes, als ein muslimisches religiöses Lied, ein revolutionäres Lied, eine Hymne der rechten Nationalisten, etc. Könnte ein Lied das Schicksal der Menschen verändern, Liebende zusammenbringen oder blinde Eifersucht wecken? Könnte ein Lied einen sein ganzes Leben verfolgen und sogar noch darüber hinaus? Könnte ein Lied zu ethnischem Hass oder Rache führen?“ (Adela Peeva: “Whose is This Song? Short Synopsis”. Adela Peeva studierte Filmregie an der Akademie für Film, Theater, und Fernsehen in Belgrad. Sie arbeitete zunächst für das jugoslawische Fernsehen, später als Dokumentarfilmerin in Sofia. Seit 1991 leitet sie ihre eigene Produktionsfirma Adela Media.

Rayna Breuer: Der Dokumentar-Film „Wem gehört das Lied“ (2003) ist eine Abrechnung mit dem Mythos einer echten und unverfälschten, nationalen Musik auf dem Balkan. Denn die Frage, woher ein Lied stammt, lässt sich längst nicht mehr beantworten: „Wir auf dem Balkan neigen dazu, unsere gemeinsame Identität zu verleugnen. Dabei ist die Musik eins der stärksten Merkmale unseres Daseins“, sagt Peeva. Auch zehn Jahre nach der Erstausstrahlung bekommt sie oft Nachrichten von Menschen, nicht nur aus dem Balkan, sondern aus der ganzen Welt – und deren Inhalt lautet dann immer ganz ähnlich: Dieses Lied im Film, das werde auch in ihrem Land gesungen (Rayna Breuer: „Die Anatomie des Balkan-Beats„).

Zum Film auch Daniel Roters: „Musik heilt die Wunden im ehemaligen Jugoslawien“, sind sich viele serbische, bosnische, kroatische und mazedonische Musiker einig. Doch spätestens als die bulgarische Dokumentarfilmerin Adela Peeva fragte „Whose Is This Song?“, wurde offensichtlich: Die Hörer sehen dies ganz anders… Adela Peeva entlarvt in ihrem Dokumentarfilm „Whose Is This Song?“ den Wahnsinn des Nationalismus, der nicht vor der Musik Halt macht. Sie reiste durch Bulgarien, die Türkei, Griechenland, Albanien, Serbien und Bosnien und hörte gemeinsam mit den Menschen „ihre“ Musik. Was wurden Welten zerstört, als Opa Branko in Serbien herausfand, dass „sein“ Lied eigentlich aus Bosnien stammt… oder vielleicht doch aus der Türkei? War es gar ein Song mit Islam-Bezug? Kann doch nicht wahr sein! Gar Feindseligkeiten wurden der Dokumentarfilmerin entgegen geschleudert“ (Daniel Roters: „Beim Gehen nach Üsküdar fragte ich mich: Wem gehört dieses Lied?“).

Die Verrücktheit der Nationalismen vor allem in den Balkanländern wird auch in vielen Versionen des Lieds  deutlich, in denen oft ein Zusatz signalisiert, dass das Lied ein traditionelles Lied des jeweiligen Landes ist (ausgenommen die Beispiele aus den USA und Japan).

Türkei – „Üsküdar’a gider iken“ (Katibim)

Bosnien/Türkei – „Anadolka“ von Cenk Bosnalı
Ein türkischer Sänger mit bosnischen Wurzeln singt im Türkischen Fernsehen die bosnische Version “Anadolka“, bei es um ein anatolisches Mädchen geht.

Чалгија Мојсије Петровић – Русе косе цуро имаш“ – Serbien („Blondes Haar hast du, Mädchen“)

Bosnien – „Anadolku“
Ein Ausschnitt aus Adela Peevas Station in Sarajevo. Hier wurde dem Text einfach „im Namen Muhammads“ hinzugefügt.

Nordmakedonien – „More momce bre budalo bre“ (Oh, du dummer Junge) von Tose Proeski
Diesmal geht es um einen Jungen, der die Schönheit eines Mädchens aus dem mazedonischen Tetovo nicht erkennt. Eine schöne Interpretation und mein Favorit.

Από ξένο τόπο – Griechenland

Arabisch von Ilham al-Madfai aus dem Irak
Es geht um die Liebe und Demjenigen, der zwischen den Liebenden steht.

Ägypten – „Banât Iskanderiya“ (Alexandrinische Mädchen) von Mohammed El-Bakkar

Japan – おおたか静流 ÜSKÜDAR’A GÍDERÍKEN/ウスクダラ

USA – Uska Dara – A Turkish Tale mit Eartha Kitt

Deutschland – „Rasputin“ mit Boney M

(Der komplette Film “whose is this song full movie” tauchte mehrmals bei Youtube auf, um bald wieder zu verschwinden. Leider. Hier noch ein etwas längeres Video)

Anstatt eines Epilogs

Peevas Film zeigt deutlich, dass die Bewohner der Balkanländer, mit dem Narrativ ihrer spezifischen Vorstellungen über ihre Herkunft und ihr Land aufgewachsen, ihre Nachbarvölker als Diebe ihres Landes und ihrer Traditionen betrachten. Diese Narrative (Erzählungen, Märchen) über die jeweilige Nation machen aber auch deutlich, woher die soziale und politische Zerrissenheit der Balkanländern kommt, dass sie das Ergebnis der Bedingungen des jeweiligen nation building sind, welche die Menschen daran hindern, die offensichtlichen Spuren zu erkennen, die Ähnlichkeiten bezeugen, zum Beispiel in der Küche, im traditionellen Lied, im Gefühl (z.B. Liebe, Wut) oder in kognitiven Prozessen.

In der Schule habe ich gelernt, dass wir Griechen vier „dunkle Jahrhunderte“ unter „türkischer Besatzung“, der so genannten „Turkokratia“ zu leiden hatten. Um dann, angeführt von unseren Nationalhelden, die „Türken“ zu verjagen und unsere εθνική παλιγγενεσία, unsere nationale Wiedergeburt zu bewerkstelligen. Abgesehen davon, dass ich kein Anhänger einer christlichen oder buddhistischen Reinkarnation bin und in Griechisch-Thrakien geboren wurde, frage ich mich, welche Staatsangehörigkeit ich heute hätte, wenn der westliche Teil der alten Provinz Thrakien, der bei der Auflösung des Osmanischen Reichs Griechenland zugesprochen wurde,  Bulgarien oder der Türkei zugesprochen worden wäre. Denn dann wäre ich heute ein Bulgare oder Türke, meine Muttersprache wäre bulgarisch oder türkisch und ich würde die unmittelbaren Nachbarländer als Feinde sehen.

War die Ausgangssituation bei der Gründung von Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert so? Warum wissen wir oder weshalb wird uns nicht erzählt, dass das Osmanische Reich ein multireligiöses- und multikulturelles Imperium war (das in Griechenland Οθωμανική Αυτοκρατορία, Ottoman Empire, heißt, eine vom Westen übernommene und völlig falsche Bezeichnung, da ja der Gründer des Reiches Osman und nicht irgendein Otto war!), dass die Menschen in Religionsgemeinschaften lebten, die einen religiös- politischen Führer hatten, den Kalif für die Muslime, ein Patriarch für Rûm und Armenier und einen Hahambaşı für die Juden. Kennzeichnend für das Fehlen jeglicher Art von Nationalismus waren zum Beispiel die Frauen der Sultane wie die Polin Aleksandra Lisowska oder Roxelane, deren Sohn, Sultan Selim II. war, Sarı Selim Selims II Frau wiederum war die gebürtige Venezianierin Nurbanu., zum Beispiel die Frau des Sultans Süleyman des Prächtigen war die Polin Aleksandra Lisowska oder Roxelane, deren Sohn, Sultan Selim II. in Konya Nurbanu heiratete, eine venezianische Adlige, die Cecilia Venier-Baffo hieß.

Darauf zurückzukommen und die überkommenen, politisch motivierten Märchen zu revidieren, mit denen Generationen von Balkan-Menschen aufwachsen,  wäre die Herausforderung der Zukunft.

Emmanuel Sarides  25. Januar 2020
Rubrik: Kultur, Musik, Bühne, Sport

8 Gedanken zu „„Wem gehört dieses Lied?““

  1. Sehr schön!

    Russland darf als Beispiel genommen werden, wie es seit 2000 gelingt, vielen Völkern mit vielen Religionen Lebensraum zu gewähren.

    Ich stamme aus Ostpreußen, einem Schmelztiegel von Einwanderern aus allen Himmelsrichtungen. Die Vielfalt menschlichen Seins ruht in meiner Seele.

    Warum wird das römische „Teile und herrsche!“ tabuisiert? Die Dekadenz, Grausamkeit und Verlogenheit römischen Denkens und Handelns ist so umfassend groß, dass sie kaum wahrgenommen wird.

    Bestenfalls spielt Dummheit eine noch größere Rolle auf diesem Planeten.

  2. Lieber Manoli,
    das ist eine sehr schöne und nachdenklich stimmende Parabel über das Zusammenleben von Völkern, Ethnien und Religionsgemeinschaften.
    Innerhalb vorliegender, meist geschichtlich entstandener GRENZEN.
    Eine Änderung der Zuordnung zu diesen GRENZEN darf nicht mit Krieg oder sonstiger Gewalt ohne die Zustimmung der betroffenen Menschen erfolgen. Die Krim zu Russland ist ein positives Beispiel dafür, durch ein kontrolliertes Referendum. Das Saarland zu Deutschland war ein weiteres Beispiel dafür.

    Mir hat in jungen Jahren das Wort von Nietzsche die Augen geöffnet: „Religion ist nur eine Sache der Geografie!“

    Eine völlig falsche Schlussfolgerung aus der Parabel wäre der jüdische NWO-GLOBALISMUS mit einer von ihnen gezüchteten eurafrasiatischen Einheitsrasse – ausgenommen die herrschenden JUDEN.

    Donald Trump, der US-Patriot, hat das erkannt und gestern sein Modell wieder dargestellt:

    Historische Rede von Donald Trump auf „March for Live“
    24.01.2020 von crae´dor

    Historische Rede von Donald Trump bei „Marsch fürs Leben“ Eine Rede für Liebe zum Leben, ungeboren und geboren, für die Werte seiner Präsidentschaft und der Menschen sowohl in den USA wie in der ganzen Welt. Ein Bekenntnis der Liebe zu und für einander. Deutsche Untertitel können unter Einstellungen (das Rad) eingeschaltet werden.

    Mehr von diesem Beitrag lesen
    https://revealthetruth.net/2020/01/25/historische-rede-von-donald-trumue-auf-march-for-live-24-01-2020/

  3. @pol. Hans Emik-Wurst
    @a.hingerl
    @Jürgen,
    Adela Peeva hat deutlich gemacht, dass die Menschen in den Balkanländern viele Gemeinsamkeiten haben, denen sie sich nicht bewusst sind. Das, was sie glauben, dass sie trennt, ist also aufgesetzt, Ergebnis der Narrative über state- und nation building, die sie zuhause, in der Schule und im politischen Alltag mitkriegen. Wäre die Peeva weiter gegangen, würde sie eben auf diese Bedingungen kommen und die Frage stellen, woher das alles kommt, was sie aber nicht getan hat, denn da hätte sie in Bulgarien einen schweren Stand, wie ich selbst, als ich in meiner Doktorarbeit die Bedingungen der Entstehung einer griechischen Nation und eines griechischen Staates untersuchte und mir den Unmut der Griechen zuzog. Es sind nicht die Helden von Revolutionen, die die Menschen vom „türkischen“ Joch befreit haben, sondern die expandierenden kapitalistischen Länder des Westens, vor allem England und Frankreich, die die „Revolutionen“ initiierten und finanzierten, ähnlich der vom Westen finanzierten „Revolutionen“ der islamistischen Kopfabschneider in Syrien, Irak oder Libyen. Der einzige Unterschied ist, dass die ersten „Revolutionen“ zur Bildung von Nationalstaaten führten, die heute so betrachtet werden, als ob sie schon immer da waren, während die heutigen funktionieren nicht so, weil vielleicht ihr Zweck nicht die Bildung von Nationalstaaten ist sondern die permanente Unruhe in dieser Region, die besser in der Politik des Westens passt.

  4. Während alle sonstigen Versionen wohl dafür sprechen, dass es sich um Varianten des selben Liedes handelt, könnte ich es für die nordmakedonische Version kaum behaupten. Wer hört da eine Ähnlichkeit?

  5. Naja, ich habe den Kurzfilm gesehen. Den Song gibt es auch in Nordmakedonien , dieser entspricht allerdings nicht dem Ihrerseits „zitierten“ makedonischen Song von Sintesis/ Proeski,da handelt es sich um ein zweifelsfrei trad. makedonisches Lied.Ich glaube das muss jeder hören. Unabhängig davon haben Sie Recht, dass es eine gemeinsame Tradition gibt, wie könnte es auch anders sein!!! Hören Sie bitte genau hin!

  6. Wem gehört diese Musik?
    Dem der sie hört.
    Wem gehört Hegel?
    Dem der ihn liest und versteht.
    Wem gehört eine Ziege?
    Dem Ziegenbock der sie versteht,
    Oder der Frau die sie melkt?
    Und wem gehört Geld?
    Das werde ich dir sagen
    sobald ich etwas habe.

  7. Dear Bulgarians, Serbians, Macedonians, Greeks and Romanians, you can call yourselves whatever you like, but remember that we share common roots and thousands of years history! So please stop arguing and start working together for our common future. Divided we are easily controlled by the „great powers“, together we can be strong and independent. Stop looking towards USA or Russia and look to your neighbour and your brother! You are great people with great history! Always remember that!

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