Las Vegas des Balkans. Zocken beim verhassten Nachbarn: Fürs Casino vergessen Griechen ihre Prinzipien
Um des Flüchtlingsandrangs Herr zu werden, hat Mazedonien an der Grenze zu Griechenland einen Zaun errichtet. Doch wenige Meter weiter dürfen 550.000 Griechen jährlich einfach so passieren. Ihr Ziel: Die Casinos der Grenzstadt Gevgelija.
Vor knapp einem Jahr gingen die Bilder aus Idomeni um die Welt. Sie zeigten ein im Schlamm versinkendes Zeltlager an einer Bahnlinie am Rande des griechischen Grenzdorfes. Fast 20.000 Flüchtlinge und Immigranten trotzten hier Kälte, Wind und Regen in der Hoffnung auf eine Weiterreise nach Nordeuropa. Zwecklos. Die Grenze Griechenlands zur ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, wie das in aller Welt nur als Mazedonien benannte Land in Griechenland genannt werden muss, wurde mit einem kilometerlangen Zaun hermetisch geschlossen. Aus Protest blockierten die Flüchtlinge wochenlang die Bahnlinie zwischen beiden Staaten.
Keine 500 Meter Luftlinie entfernt befindet sich ein weiterer Grenzübergang zwischen dem griechischen Evzoni und dem mazedonischen Gevgelija. Dieser Übergang wird nie geschlossen, auch bei den Grenzblockaden protestierender griechischer Bauern nicht. Denn hier fließt – Geld! Es erscheint geradezu bizarr, dass allein die Benennung des verhassten Nachbarlands als „Mazedonien“ in Griechenland einem Landesverrat gleichkommt, gleichzeitig aber Hunderttausende ihre nationale Gesinnung beiseite schieben, um jenseits der Grenze dem Mammon zu frönen.
Zu Türken halten die Griechen Abstand – es sei denn, ihnen gehört ein Casino
Denn Gevgelija ist so etwas wie das Las Vegas des Balkans. 550.000 Griechen strömen pro Jahr hier über die Grenze, um knapp sechzig Millionen Euro in den dortigen Kasinos zu verspielen. Es stört auch die Nationalisten unter ihnen nicht, dass der Besitzer des größten Kasinos, Princess, ein türkischer Milliardär ist. Sudi Özkan gehörte in seiner Heimat zu den Königen der Kasinos, bis das Glücksspiel in der Türkei verboten wurde. Außerdem geriet er in seiner Heimat aufgrund von Steuerhinterziehung im Konflikt mit dem Gesetz. Özkan hat jedoch wie die Besitzer des Ramada Plaza Gevgelija, des Casino Flamingo Hotel, des Apollonia Casino, des The Slots Casino, des The Slots Electronic Casino oder des Casino Motel Senator ein Rezept gefunden, wie man den Griechen das Geld aus der Tasche zieht. Die Kasinogäste werden mit einem Fahrdienst direkt an der Grenze abgeholt und in die Glücksspielpaläste gebracht. Zum Kasino „Princess“ existieren sogar Buslinien, die Spielsüchtige aus dem mittelgriechischen Larissa abholen. Speis und Trank in den Glücksspielstuben sind kostenlos.
Damit sich auch niemand daran erinnert, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Griechenland und Mazedonien seit Jahrzehnten belastet sind, singen auf den Bühnen in den Kasinos teuer bezahlte griechische Popstars.
Spieler-Flaute in Thessaloniki
Auch die griechischen Angestellten profitieren vom Glücksspiel-Boom jenseits der Grenze. Sie werden über eigens eingerichtete Vermittlungsbüros selbst im knapp 70 km entfernten Thessaloniki angeworben. Fraglich ist, ob ihr kärgliches Gehalt von durchschnittlich 300 Euro pro Monat den griechischen Sozialversicherern gemeldet wird. Sicher ist jedoch, dass um das griechische Kasino in Thessaloniki herum 500 Arbeitsplätze verloren gingen. Die Konkurrenz im Norden zahlt eine Abschlagssteuer von nur 10 Prozent, das griechische Kasino muss 35 Prozent Steuern abführen. Die griechische Glücksspielbehörde schreibt zudem eine Eintrittsgebühr von sechs Euro vor, während die Kasinos in Gevgelija weder Eintritt verlangen, noch weitere Kontrollen vornehmen.
Außer dem Kasino in Thessaloniki wird durch den Glücksspieltourismus auch die übrige Wirtschaft in Nordgriechenland geschädigt. Benzin kostet in Mazedonien nur knapp 1,10 Euro pro Liter, während in Griechenland bis zu 1,60 Euro fällig werden. Außerdem finden die Griechen in Gevgelija auch Zigaretten und Alkohol für einen Bruchteil des in Griechenland fälligen Preises. Sie können bei Zahnärzten mindestens die Hälfte sparen und in Supermärkten ihre Lebensmittel – oft sogar Made in Greece – erheblich billiger einkaufen. Obwohl Mazedonien vor allem wegen des griechischen Vetos noch kein Mitglied der EU ist, gibt es bei der Rückreise keine Zollkontrollen seitens der griechischen Grenzbeamten.
Zöllner stürzen sich auf die Gewinner
Diese laxe Einstellung ändert sich aber sofort, wenn ein Spieler tatsächlich einmal einen hohen Betrag gewinnt. Es gibt Berichte von Griechen, denen einen Teil des Gewinns aufgrund der Kapitalausführungsbestimmungen Mazedoniens an der Grenze von den dortigen Zöllnern abgenommen wurde.
Andere verlieren nicht nur den Gewinn, sondern auch Karriere und Vermögen – oder gar ihr Leben. Allein 2013 starben drei Spieler in den Kasinos. Für ihre Rückführung in die Heimat mussten griechische Diplomaten sorgen. Es gibt Berichte über Menschen, die ihr gesamtes Vermögen verspielten. So hatte eine Rentnerin aus dem nordgriechischen Pella auf die Bezahlung der Stromrechnung verzichtet, um zu spielen. Sie saß danach mit ihrem Gatten einige Monate im Dunkeln. Andere verkauften in der Hoffnung auf Spielglück ihre Wohnungseinrichtung. Und eine Beamtin aus Thessaloniki unterschlug 800.000 Euro aus der öffentlichen Kasse, um ihrer Spielsucht nachzugehen.
Dem Boom des Las Vegas des Balkans tut dies ebenso wenig wie die anhaltende griechische Finanzkrise keinen Abbruch. Jedes Wochenende sind die Parkplätze vor den Kasinos voll. Fast alle Nummernschilder der Autos weisen auf griechische Besucher hin. Für die Einheimischen Mazedonier ist das Glücksspiel zu teuer.
Best place to lose your money. Poor Greeks