Noch in der Nacht des Attentats vom Breitscheidplatz schrieb ich den Text »Ich habe keine Angst mehr«. Darin rief ich mir selbst Mut zu, ab da zu sagen, was ist, und keine Rücksicht mehr zu nehmen auf die Wut professioneller Beschwichtiger und die Tyrannei Politischer Korrektheit. Ich hoffe, ich bin meinem eigenen Aufruf gerecht geworden.
Der Text »Die Schuld der Gutmenschen« erschien zuerst im Oktober 2017 in der JF Nr. 41/17 – Veröffentlichung auf dushanwegner.com mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Wer ein Schnitzel zu essen gedenkt, der legt sich eine Serviette in den Schoß, er prüft die Schärfe des Messers und das Vorhandensein der Gabel. Erst dann ist er bereit, das Fleisch seiner Bestimmung zuzuführen. Ich will hier prüfen, ob und wieviel Schuld sogenannte »Gutmenschen« an importierter Gewalt und ihren Folgen tragen. Dafür muß ich mir zunächst drei Begriffe bereitlegen: »Gutmenschen«, »Schuld« und »importierte Gewalt«.
Gutmensch
Das deutsche Konzept »Gutmensch« gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Die Idee selbst findet sich bereits bei Jesus:
»Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen« (Mt 23,4).
Wer heute »Gutmensch« verwendet, meint damit schlicht Heuchler und aggressive Schönredner, er meint »Forderer«, die »Refugees welcome!« rufen und die eigenen Kinder lieber an Schulen in »migrantenfreien« Gegenden anmelden. Er meint Kirchenvertreter, die mit Tränen in den Augen von Nächstenliebe schwärmen und zu erwähnen vergessen, dass ihre Wohlfahrtsverbände damit Milliarden umsetzen. Er meint euphorische Willkommens-Abordnungen am Bahnhof, die ihre Pappschilder spätestens nach dem Berliner Breitscheidplatz-Anschlag nicht mehr jeden Sonntag hochhalten.
Manche »Gutmenschen« nehmen diesen Begriff aber so trotzig wie stolz an. Sie behaupten, es sei einfach eine Abkürzung für »guter Mensch«, und ihre Ankläger würden sich damit selbst als »böse« entlarven. Es stellt der deutschen Debattenkultur kein gutes Zeugnis aus, wenn Entscheidungsträger auf dem Niveau cannabisfreudiger Jugendlicher »argumentieren«.
Zum Vergleich: Der »Blitzmerker« ist nicht wirklich ein besonders schnell denkender Zeitgenosse und der »Intelligenzbolzen« kein ausnehmend intelligenter Mensch. Auch der »lupenreine Demokrat« ist heute in der Intention des Sprechers weder noch. Mit »Gutmensch« ist nie ein tatsächlich guter Mensch gemeint.
Ein typisches Gespräch mit einem Gutmenschen könnte etwa so ablaufen:
Gutmensch: Wir sollten alle weltweit Flüchtenden aufnehmen!
Nicht-Gutmensch: Meinst du die 60 Millionen, die derzeit laut UN einen Flüchtlingsstatus haben?
Gutmensch: Du Rechtspopulist!
Der moderne Gutmensch vertritt aggressiv und bei Gelegenheit undemokratisch ein idealisiert positives Menschenbild samt mathematischer Traumrealität – und stellt darauf basierend Forderungen. Wer ihm widerspricht oder die pragmatische Konsequenz des Geforderten aufzeigt, wird als »Rechtspopulist« etc. diffamiert. Wenn dann aber genau das eintritt, was vorhergesagt wurde, verweigert sich der Gutmensch der Verantwortung. (Was im Staat passiert, ist ja nur dann Ergebnis politischen Handelns, wenn es positiv ist, also: Wirtschaftsaufschwung ja, Terror nein.) Und mit »Verantwortung« sind wir bei der »Schuld«.
Schuld
Zum Begriff »Gutmensch« muß man die Konzepte Verantwortungsethik und Gesinnungsethik servieren. Beides sind theoretische Ansätze der Schreibtischphilosophie. Eine reine Gesinnungsethik erklärt »Werte« zum Maßstab allen Handelns, nicht die Folgen der Handlung. Eine reine Verantwortungsethik dagegen zwingt den Handelnden, seine Handlungen bis ins letzte Detail zu berechnen – und würde so jedwede »gute« Handlung praktisch blockieren. Nicht nur Max Weber empfahl eine Balance zwischen diesen Ethiken.
Der Gutmensch ist ein radikalisierter Gesinnungsethiker, der zudem Werte durch ethische Gefühle ersetzt hat. Für ihn ist eine Handlung vollständig »gut«, wenn sie auch nur gut gemeint ist. Und »gut gemeint« bedeutet, dass es sich im Moment gut anfühlt, nicht mehr.
Der Gutmensch hat sich in einer ethisch-logischen Spezialkonstruktion eingerichtet. Kein normaler Mensch will böse Dinge tun, und doch kann niemand alle Folgen seines Handelns überblicken. Da für den radikalen Gesinnungsethiker eine Handlung ja nicht böse ist, wenn er die bösen Folgen nicht unmittelbar sieht, ist seine Handlung um so ethischer, je weniger er über die Folgen seiner Handlungen und Forderungen weiß. Wer dem Gutmenschen also »mit Fakten kommt«, der will ihn zum »Bösen« verführen.
Außerhalb von Sekten und ähnlichen Gruppen ist Gutmensch zu sein die einzige Möglichkeit, sich vollständig ethisch gut zu fühlen. Der Verantwortungsethiker fühlt sich ja »schmutziger«, je mehr er sich über die Folgen seines Tuns informiert – und ebenso »schmutzig«, wenn er es nicht tut. Er hat also in diesem Sinne so oder so »verloren«. Der Gutmensch hat es deutlich einfacher. Das Ziel, möglichst nichts über die Folgen seines Handelns zu wissen, ist realistischer zu erreichen als das Ziel, »alles« zu wissen – erst recht in der Zeit von Filterblasen und politisch eindeutig positionierten Medien. So erklärt sich das Selbstbewusstsein des Gutmenschen, er ist ja in der eigenen Bewertung »wirklich gut«.
Als moderater Verantwortungsethiker weiß ich, dass ich »schlecht« bin, auch weil ich weiß, dass ich nicht alle Folgen meines Handelns kennen kann. Und das, was ich weiß, ist nicht immer ohne Dilemma navigierbar. Wenn ich auch nur meine Kinder zur Schule fahre, am besten noch in einem Diesel-Auto, verschmutze ich die Umwelt durch Abgase, unterstütze moralisch rustikale Staaten durch den Kauf von Erdöl und so weiter.
Der Gutmensch kennt diese Selbstzweifel nicht, ob er nun seine Feminismus-T-Shirts von unterbezahlten Drittwelt-Näherinnen nähen läßt, auf dem iPhone gegen den Kapitalismus antwittert oder eben fordert, dass Deutschland unbegrenzt und unkontrolliert Menschen aus den brutalsten Regionen der Welt aufnimmt. Er hat es ja »gut gemeint«. Vielleicht hat er dabei ein Kinderbuch zitiert. Oft etwas aus Harry Potter. Oder dem »Kleinen Prinzen«: »Man sieht nur mit dem Herzen gut.« (Der Pilot Saint-Exupéry hatte dennoch Fenster und Navigationsgeräte in seinem Flugzeug.)
Importierte Gewalt
Wer in Deutschland oder einem anderen modernen Land aufwuchs, der wurde von Kindesbeinen an in Gewaltlosigkeit trainiert. Wir lernen, Konflikte gewaltlos und in Worten auszutragen. (Für den Kontrast: Reden Sie einmal mit Erziehern, wie es ist, mit Kindern zu arbeiten, für die eine Rauferei erst vorbei ist, wenn der Gegner ohnmächtig am Boden liegt, und auch das nicht immer.) Wir lernen, dass »Nein« auch »Nein« bedeutet. Wir lernen, dass ein Mensch nicht weniger Mensch ist, nur weil er anders oder gar nicht betet. Wir lernen, dass Männer und Frauen dieselben Rechte haben. Kurz, wir lernen all das, was heute westliche Zivilisation ausmacht.
Nun passiert etwas Merkwürdiges: Dieselben Menschen, die den Deutschen gar nicht genug soziale Erziehung und Umerziehung verschreiben können, tun, als wären die Menschen der Armenviertel Nordafrikas aus magischen Gründen »edle Wilde«, welche all dies von sich aus beherrschten. (Ja, Gutmenschentum enthält, zu Ende gedacht eine Reihe rassistischer Elemente – doch man denkt eben nicht zu Ende, das ist ja der Charme.)
Es sind trockene Realitäten, die man auszusprechen sich kaum noch traut. Etwa: Menschen, die an einen neuen Ort migrieren, bringen Verhaltensweisen mit. Wer aus Gewaltgebieten kommt, wird oft neue Gewaltgebiete schaffen, wenn er »unter sich« bleibt. Wenn auch nur ein Promille der Ankommenden aktive Terroristen sind, bedeutet das bei 100.000 Einwanderern immerhin 100 aktive Terroristen. Vor allem aber die eine große Wahrheit, die Frau Merkel und Deutschlands Gutmenschen nicht wahrhaben wollen: Es gibt deutlich mehr Flüchtlinge und Armutsmigranten weltweit als Deutschland Einkommensteuerzahler hat.
In der Schule lernten wir, dass nicht nur die Applaudierer einen Teil der Schuld tragen, sondern das ganze Volk mit Verantwortung trägt für Taten seiner Regierung – um wieviel mehr also auch jene, welche die Regierung zu diesen Handlungen geradezu zwangen!
Diese nüchternen Fakten blendet der Gutmensch aus. Doch zwei plus zwei ergibt vier, auch wenn man sich noch vor dem Gleichheitszeichen die Ohren zuhält und den Rechnenden als »Rechtspopulisten« beschimpft.
Was ist nun mit der Schuld? Es ist eine schlichte logische Konsequenz: Wenn ich ungeprüft Menschen ins Land lasse, die eine statistisch höhere Gewaltaffinität haben, werden Menschen durch diese meine Handlung sterben.
Tragen jene, welche die Regierung ermutigten, diese Menschen unter Ignorierung von Gesetz und Sicherheit ungeprüft ins Land zu lassen, ja sie sogar einluden, eine Mitschuld an deren vorhersehbaren Taten? Und wenn wir es verneinen, müssen wir fragen, ob irgendein Bürger die Verantwortung und damit auch Schuld trägt für irgend etwas.
Normale Menschen, also hier alle außer Hardcore-Gesinnungsethikern, sind sich einig, dass jeder nichttrivialen Handlung ein Minimum an Konsequenzabwägung vorausgehen sollte. Die »Offene Grenzen«- und die »Refugees welcome«-Euphorie geschahen nicht nur ohne Abwägung der logischen Konsequenzen, sondern sogar mit aktiver, milliardenschwerer Dämonisierung jener, die auf die banal absehbaren Folgen hinwiesen.
Man könnte nun zwei Szenarien zeichnen:
- Gutmenschen wußten von Folgen, aber ignorierten sie zugunsten des Wohles der Migranten.
- Gutmenschen wendeten viel Energie auf, die Folgen nicht zu sehen.
Die Fragen
Die philosophischen Fragen sind also:
- Trage ich moralische Schuld an den Folgen meines Handelns, wenn ich sie billigend in Kauf nehme?
- Trage ich moralische Schuld an den Folgen meines Handelns, wenn ich jene, die mich darauf hinweisen, aktiv ausblende und sie sogar mit viel Aufwand dämonisiere?
Sie müssen diese Fragen selbst beantworten. Ich aber meine, die philosophisch-ethische These verteidigen zu können: Das Blut der Opfer importierter Gewalt klebt an den Händen der Gutmenschen.
Nachsatz
Manche fragen nun, ob wir das alte Wort »Gutmensch« nicht neu füllen können? Sprache ist doch wandelbar. Es gibt ja prominente Instanzen, die möchten »Gutmensch« reinwaschen. Die Jury zum Unwort des Jahres etwa. Oder Kardinal Woelki mit seiner Aktion #gutmensch.
Es ist jüngst in Mode gekommen, Begriffe umzudeuten. Ralf Stegner erklärte Linke für friedlich qua DNA. Heiko Maas erklärte Zensur für wahre Meinungsfreiheit. Der Bürger hat sie abgewählt. »Migration« ist jetzt »Flucht«. Islamistische Terroristen sind jetzt »geistig labile Einzeltäter mit unklarem Motiv«. Und wer all diese Umdeutungen beanstandet, der ist »rechts«, denn rechts gilt jetzt ebenfalls als böse.
Orwells »1984« ist für die staatlichen Begriffsumdeutungen bekannt. Etwa »Krieg ist Frieden« oder »Unwissenheit ist Stärke«. Das Buch verkauft sich derzeit wieder gut.
Ich warne vor diesen Umdeutungen. Wenn Begriffe nach Tagesmode umgedeutet werden, wird demokratische Debatte unmöglich. Wie will man reden, wenn jede Seite ihre Privatsprache verwendet und durchzusetzen versucht? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ehrliche und offene Debatten braucht, mit ehrlichen, stabilen Begriffen.
Nachsatz Dezember 2017
Der obige Artikel wurde im Sommer geschrieben und erschien im Oktober. Mittlerweile wird fast täglich klar: Die »Bösmenschen« (sprich: die Verantwortungsethiker und Realisten mit grundlegender Allgemeinbildung) hatten in ihren Vorhersagen nicht nur Recht – sie waren zu optimistisch. In den Straßen Berlins demonstriert der antisemitische Mob. Es hat begonnen, dass jüdisches Leben sich wieder aus dem Öffentlichen ins Private zurückziehen muss. Sogenannte Künstler verfolgen mit an den Faschismus erinnernden Methoden die Opposition. Weihnachtsmärkte bauen um sich die Grenzen, die man an Deutschlands Grenzen schmerzlich vermisst. Aus einer sicheren Gesellschaft wurde eine doppelt verängstigte Herde: Angst vor der Gewalt – und Angst davor, über die Ursachen der Gewalt zu reden.
Wenn wir wollen, dass es besser wird, müssen wir die Deutungsmacht der Gutmenschen brechen. Ihr Leitmotiv ist der Suizidalismus. Ich weiß auch nicht, wie Vernunft und Überlebenswille gegen die milliardenschweren öffentlich rechtlichen Einpeitscher bestehen können – ich halte mich an Luther und paraphrasiere: Wenn ich wüsste, dass morgen die medialen und politischen Eliten zum kollektiven Suizid aufrufen, würde ich heute noch ein Bäumchen der Vernunft und Empathie pflanzen.