Alternative für Weihnachten

Karlheinz Deschner
Heiligabend im bombastischen Berliner Dom

Die christlichen Kirchen, von Beginn an „verschmolzen“ mit Krieg und Kapital weiß Deschner indes nicht nur pazifistisch und sozial gesehen tödlich diskreditiert, sondern auch unter dem Aspekt der Wahrheit. „Denn es stimmt doch alles schon mit ihren Glaubensfun­damenten nicht!“

 

Das christliche Weihnachtsmärchen ist uns allen so vertraut, dass viele meinen, es stünde in jedem Evangelium. Doch nur Lukas erzählt es, und er spann es fast gänzlich aus jüdischen und heidnischen Legenden heraus. Und da auch Markus, Matthäus, Johannes bloß fabelten, kommt selbst Albert Schweitzer zu dem Schluß: „Es gibt nichts Negativeres als das Ergebnis der Leben-Jesu-Forschung. Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat,das Gottesreich verkündete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert.“

So ersetzte man denn Weihnachtsmetten, Festpredigten und weißgott welche schimärischen Glückseligkeiten durch ein wenig Besinnung auf die Geschichte.

Ich rate, den Christbaum wieder im Wald, die Kerzen im Kaufhaus zu lassen und lieber sich selbst ein Licht aufzustecken. Schon bei geringer Erleuchtung nämlich erhellt: so nichtig wie all das weihnachtliche Glänzen und Lügen ringsum ist wenig, und wichtiger als die Not des Nächsten fast nichts. Besser ist es, einen Hungernden zu nähren, als sich selberzu überfressen und der Industrie das Geld in den Rachen zu schmeißen. Statt jährlich dem Weihnachtsmann aus Rom zu lauschen, sollte man einmal das Kapital der Kirche kennenlernen, ihren noch immer ungeheuren Landbesitz und die Gehälter der Prälaten. Mancher würde mehr staunen als über alle Weihnachtsmirakel bei Lukas und begriffe vielleicht, warum schon bei der Geburt des Herrn Ochs und Esel zugegen waren. „Das Volk“, sagt Arno Holz, „hat lange graue Ohren, und seine Treiber nennen sich Rabbiner, Pfarrer und Pastoren.“ Kurz, statt „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“ zu singen, könnte man sich erinnern, wo’s denn sonst noch brennt auf der Welt; könnte man das widerliche Spielchen fortan umgekehrt spielen: alle Tage quasi Weihnachten, und nur an Weihnachten Alltag. Ich schlage vor: Am mysterienreichen Geburtstag des Herrn –von der ältesten Kirche , die es doch am besten wissen musste, am 19. April, 20. Mai und 17. November vermutet –ab sofort das berühmte Thema „Und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind“ fahren, sämtliche Kinderchöre, Domglocken, Dompaffen schweigen zu lassen. Jede aufkommende Sentimentalität ist verpönt, streng bestraft wird, wer einenChristbaum hat, „Ihr Kinderlein kommet“ intoniert, ein frohesFest wünscht, von Frieden salbadert oder sonst ein frommes Wort verliert.

Statt dessen werde es obligatorisch, just an diesem Tag all das verstärkt, konzentriert, nun eben mit dem ganzen christlichen élan vital und d’amour zu betreiben, was sich sonst gleichmäßig über das Jahr verteilt: die Verbreitung von Unkonzilianz, Geifer, Gift, Gewalt, die kaum getarnte Barbarei, Kampf aller gegen alle. Man intrigiere und betrüge jetzt auf Teufel komm raus an Weihnachten, man verleumde, hetze und mache den andern kaputt. Aut Caesar aut nihil, aut vincere aut mori. Wer das ganze Jahr über umbringt, begehe nun bloß noch an Weihnachten seine Raub-, Lust-oder Justizmorde. Und auch alle Kriege finden künftig nur am ater dies statt.

Dafür herrsche an den übrigen 364 Tagen aber absolute Waffenruhe, schönster Friede, benehme sich jeder so, wie man glauben könnte, daß wir uns benähmen, gälte auch nur im geringsten, was an Weihnachten hier aus dem Blätterwald schallt, aus der Glotze, den Kirchen. „Und Friede den Menschen auf Erden…“ –während die Menschheit in jeder Minute des Jahres fast eine Million DM für Rüstung hinwirft und alle paar Sekunden ein Kind verhungert. „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft…“ Wahrhaftig, so ist es.

Quelle: Karlheinz Deschner,„Opus Diaboli“.Fünfzehn unversöhnliche Essays über die Arbeit im Weinberg des Herrn.Rowohlt 1987, S. 279f./ Alibri 2016, S. 259f. (Erstveröffentlichung: 1975:Hessischer Rundfunk)

Karlheinz Deschner  22. Dezember 2019
Rubrik: Kirchen/Religion

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