Die NATO der Antike

Ursula Kampmann,

Athens wirtschaftliche Hegemonie im 5. Jahrhundert v. Chr. durch den Delisch-Attischen Seebund und die Niederlage gegen Sparta

Athen investierte 483 v. Chr. die Erträge, die aus der Verpachtung einer neu aufgefundenen Silberader in Laurion resultierten, in den Bau von 200 Trieren, 200 Trieren, die Athen nur wenige Jahre später mit der Schlacht von Salamis zur führenden Seemacht der griechischen Welt machten.

Vor Athen hatte kein Staat etwas betrieben, was wir als eine Art Währungspolitik bezeichnen würden. Als wichtige Handelsstädte wie Ägina, Korinth und natürlich Athen im 6. Jahrhundert vor Christus begannen, die neue Erfindung Münze aus Kleinasien zu übernehmen, dienten diese Stücke wahrscheinlich nicht in erster Linie dem Handel. Noch waren die Bürger auch in den Städten Selbstversorger, die auf ihren nahe gelegenen Landgütern die eigene Nahrung produzierten. Für den täglichen Einkauf waren die neuen Silbermünzen also nicht geeignet. Und für den Fernhandel taugten sie nur bedingt. Man nutzte sie als Maßstab und als Möglichkeit, unterschiedliche Werte auszugleichen.

Wozu die neuen Münzen aber enorm nützlich waren, das waren zwei Dinge: Zum einen konnte man endlich Reichtum dauerhaft so aufbewahren, dass er nicht verdarb. Zum anderen verfügte eine Stadtgemeinschaft mit ihren Münzen über ein optimales Mittel, wie sie ihre Infrastrukturprojekte bezahlen konnte.

Und so investierte Athen im Jahr 483 v. Chr. die Erträge, die aus der Verpachtung einer neu aufgefundenen Silberader in Laurion resultierten, in den Bau von 200 Trieren, 200 Trieren, die Athen nur wenige Jahre später mit der Schlacht von Salamis zur führenden Seemacht der griechischen Welt machten.

In dieser Funktion sammelte Athen all die Städte um sich, die Angst hatten vor einem neuen Angriff der Perser. Man gründete im Jahre 478/7 den Delisch-Attischen Seebund, eine Art NATO der Antike. Athen übernahm die Führung der etwa 160 Mitglieder. Deren regelmäßige Versammlungen fanden auf Delos statt, wo auch die gemeinsame Bundeskasse lagerte. Alle Beteiligten mussten einen angemessenen Beitrag zum gemeinsamen Kampf leisten. Sie konnten sich je nach Größe und Möglichkeiten zwischen einem Schiff, das die Flotte verstärkte, oder einer Barzahlung entscheiden, die denjenigen zu Gute kam, die Schiffe gestellt hatten. Da Athen die meisten Schiffe stellte, war es der große Nutznießer der Kasse.

 

Das Vorgehen war erfolgreich. Im Jahr 476/5 wurde die Stadt Eion von den Persern zurückerobert. 470 nahm man Skyros ein. 470/69 siegte der Delisch-Attische Seebund in der Seeschlacht am Eurymedon.

470 v. Chr., das war das Jahr, in dem Athen begann, die Flotte des Delisch-Attischen Seebundes nicht nur gegen die Perser, sondern auch gegen die eigenen Konkurrenten einzusetzen. Athen zwang die reiche Handelsstadt Karysthos auf Euböa dem Seebund beizutreten. 463 setzte es die Flotte ein, um Thasos zu erobern, das versucht hatte, aus dem Seebund auszutreten. Etwa gleichzeitig brachte Athen die Insel Ägina unter seine Kontrolle.

Athen hatte seine Bundesgenossen voll im Griff. So konnte die Stadt es sich leisten, 454 die Kasse des Seebundes ganz offiziell von Delos nach Athen zu transferieren. Die athenischen Politiker gewannen damit die vollständige Kontrolle über die gemeinsamen Mittel. Und natürlich nutzten sie sie, um eigene Projekte damit zu finanzieren. Projekte, die keinen Zusammenhang mehr hatten mit der Verteidigung gegen die Perser.

 

Aus dieser Kasse zahlte man den Bau des Parthenon und der Propyläen, die Gold-Elfenbein-Statue des Phidias und das Theseion auf der Agora, den Poseidontempel auf Kap Sunion und vieles, vieles mehr.

Athen ließ auch seine Durchschnittsbürger am fremden Reichtum teilhaben. Jeder, der sich an der Demokratie beteiligte, erhielt dafür Geld. Natürlich keine Tetradrachmen, sondern kleine Obole. Athen entwickelte das erste umfassende System von Kleingeld in der westlichen Welt. Und das aus folgendem Grund:

Athen war im 5. Jahrhundert zu groß geworden, als dass jeder sich selbst hätte versorgen können. Es war eine arbeitsteilig organisierte Gesellschaft, und zwar die erste, bei der große Mengen von umlaufendem Geld es möglich machten, ohne staatliche Eingriffe in die Nahrungsmittelverteilung auszukommen. Die Kleinmünzen der Stadt Athen waren für das Funktionieren dieser Gesellschaft noch wesentlich wichtiger als die großen Tetradrachmen.

Die Bundesgenossen zahlten das Athener Luxusleben. Nicht gerne natürlich. Aber Athen war den meisten Städten mittlerweile so weit an Macht überlegen, dass es kaum eine Chance gab, sich dem zu entziehen.

Die Tetradrachmen mit dem Kopf der Athena auf der Vorderseite und dem Steinkauz auf der Rückseite waren in der griechischen Welt allgegenwärtig. Athen scheint sich sogar bemüht zu haben, seine Währung zur einzigen Währung aller Mitglieder des Seebunds zu machen. Wir kennen Fragmente eines Dekrets der Stadt Athen, das anderen Städten verbot, Münzen zu prägen. Es ist unter Forschern hoch umstritten. Der entscheidende Satz lautet: “Falls jemand in den Städten Silbermünzen prägt und dabei nicht athenische Münzen oder Gewichte oder Maße benutzt, sondern fremde Münzen oder Gewichte oder Maße, dann werde ich ihn bestrafen und ihm eine Bußzahlung auferlegen gemäß dem vorangehenden Dekret, das Klearchos vorgeschlagen hat.“ Heißt das nun, dass die Städte nur noch Münzen im Gewicht der athenischen prägen durften? Und gab es Ausnahmen? Ist eine Datierung von 440 vor Christus glaubhaft? Oder bezieht sich die 414 uraufgeführte Komödie „Die Vögel“ von Aristophanes darauf? Darin kommt nämlich ein Verkäufer von Dekreten nach Wolkenkuckucksheim und bietet folgendes Dekret zum Verkauf an: „Alle Bewohner von Wolkenkuckucksheim sollen die gleichen Gewichte, Maße und Dekrete anwenden wie die Olophyxier.“ Schon diese wenigen Fragen zeigen, wie komplex die Interpretation des Münzedikts ist.

Über eines jedoch ist sich die Forschung einig. Dass sich Athen in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts zu einer rücksichtslosen Imperialmacht entwickelt hatte.

Natürlich ließen sich das die Unterworfenen nicht ewig gefallen. Es gab immer noch Sparta als Alternative zu Athen. Und in Sparta war man irgendwann bereit, einen Krieg zu führen, um Athen zu stoppen. Auslöser des Peloponnesischen Krieges wurde Potideia, eine kleine Stadt in Nordgriechenland, der die Spartaner ihre militärische Unterstützung zusagten, würde Potideia den Seebund verlassen.

Darüber kam es zum Krieg. Athen macht sich keine Sorgen. Schließlich hatte man genug Geld in der Kasse. Thukydides berichtet, wie Perikles die aufgeregten Athener in der Volksversammlung beruhigte. Er sagte, „zur Hauptsache entscheide im Krieg Einsicht und ein Überschuss an Geld. Darum hieß er sie getrost sein, da die Stadt an Beiträgen der Verbündeten meist 600 Talente jährlich beziehe, ohne die anderen Einkünfte, und auf der Akropolis damals noch 6.000 Talente gemünzten Silbers lagen, außerdem an ungemünztem Gold und Silber in Weihgeschenken Einzelner und des Staates und in all den heiligen Geräten für die Umzüge und Wettspiele, in der Perserbeute, und was sonst etwa noch derartiges da sei, mindestens 500 Talente. Ferner rechnete er aus den anderen Heiligtümern die nicht unbedeutenden Reichtümer dazu, die sie verwenden würden, und wenn sie in äußerster Not wären, auch das Gold, womit die Göttin selbst bekleidet war. … So machte er sie des Geldes wegen zuversichtlich.“

Doch Perikles irrte. Die Reichtümer Athens waren aufgebraucht, als Sparta mit seinen Verbündeten im Jahre 405 begann, die Stadt zu belagern. 404 musste Athen aufgeben. Seine Mauern wurden niedergerissen, alle Schiffe bis auf 12 ausgeliefert, alle auswärtigen Besitzungen geräumt. Damit war Athen als Großmacht erledigt. Auch wenn manche Politiker noch lange, lange Jahre davon träumten, die einstige Großmacht wieder zu erringen.

Die Autorin Ursula Kampmann, 1964, studierte Geschichte, Numismatik und Archäologie an den Universitäten München und Saarbrücken. Noch während ihrer Promotion arbeitete sie als Sachverständige für antike Münzen im internationalen Münzhandel von München, Basel und Zürich, ehe sie sich 2002 selbstständig machte. Ursula Kampmann ist zuständig für Münzankäufe, konzipiert Ausstellungen, schreibt Ausstellungskataloge und Bücher. Seit neuestem verantwortet sie den historischen Teil des Podcast-Programms des MoneyMuseums.

Quelle: https://www.moneymuseum.com/de/for-sunflower/die-nato-der-antike-382?&slbox=true

Ursula Kampmann,  5. Mai 2019
Rubrik: Geschichte

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