Illegale Erdgas-Bohrungen der Türkei in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Zyperns, leider ohne die angekündigten Sanktionen gegen Ankara

Bild: I Kathimerini

Die Europäische Union hat am Montag Sanktionen gegen die Türkei verhängt – nicht wegen der türkischen Invasion in Nordsyrien, sondern wegen der Auseinandersetzungen um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer.

Dort erheben Ankara und das von ihm gestützte Nordzypern Ansprüche auf einen Teil der Lagerstätten, die die Republik Zypern zu ihrem Eigentum erklärt und die sie jetzt ausbeuten will. Für die Versorgungsstrategien der EU gewinnen die zypriotischen Vorräte an Bedeutung, weil sie beitragen können, schrumpfende Fördermengen in den Niederlanden sowie in der Nordsee zu ersetzen und auf lange Sicht eine stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermeiden. Auf türkische Versuche, eine eigene Fördertätigkeit in Zyperns Küstengewässern zu entfalten, reagiert Brüssel mit der Verhängung von Strafmaßnahmen.

Cyprus's Exclusive Economic Zone and 12 block of Aphrodite basin (source: YALIBNAN 2012) 
Cyprus’s Exclusive Economic Zone and 12 block of Aphrodite basin (source: YALIBNAN 2012)

Erdgas im östlichen Mittelmeer

Kern des neuen Sanktionskonflikts zwischen der EU und der Türkei ist ein Teil der gewaltigen Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer, die seit den 2000er Jahren Schritt für Schritt erkundet und ausgebeutet werden. Große Felder liegen vor allem vor der ägyptischen und der israelischen Küste; auch der Libanon hofft von Vorräten in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone profitieren zu können. Bei der Ausschließlichen Wirtschaftszone handelt es sich um ein Seegebiet von bis zu 200 Seemeilen vor der Küste, in dem gemäß Artikel 55 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen dem Küstenstaat das alleinige Recht zum Rohstoffabbau zusteht. Seit 2011 hat auch Zypern in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone Erdgas entdeckt; mittlerweile hat es die Förderung gestartet und damit unter anderem Konzerne aus Italien (ENI) und den Vereinigten Staaten (ExxonMobil) beauftragt. Verkompliziert wird die Lage nun aber zum einen dadurch, dass die Türkei Anspruch auf Teile der Erdgasgebiete erhebt. Ankara begründet das mit einem unter der Meeresoberfläche liegenden Festlandsockel, den es seinem Staatsgebiet zurechnet und der angeblich die türkische Ausschließliche Wirtschaftszone ausdehnt. Zum anderen erklärt die Türkei, in die Vergabe der Förderlizenzen und in den Profit müsse auch Nordzypern einbezogen werden, das weltweit nur von der Türkei als Staat anerkannt wird. Dazu jedoch ist die Regierung der Republik Zypern, eines EU-Mitglieds, bislang nicht bereit.

„Inakzeptable Provokationen“

Erstmalig eskaliert ist der Konflikt, als die türkische Marine im Februar 2018 ein Bohrschiff des italienischen ENI-Konzerns stoppte und damit erhebliche diplomatische Spannungen auslöste. Im November 2018 startete der US-Konzern ExxonMobil seine Explorationstätigkeiten in Zyperns Ausschließlicher Wirtschaftszone unter dem Schutz von US-Kriegsschiffen. In diesem Jahr ist die Türkei nun dazu übergegangen, ihrerseits mit der Erkundung möglicher Lagerstätten zu beginnen und dazu Schiffe vor die zypriotische Küste zu entsenden. Darauf reagiert nun wiederum die EU. Bereits am 15. Juli beschlossen die EU-Außenminister unter anderem, Fördergelder für Ankara zu kürzen und die Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen mit der Türkei einzustellen; die „Provokationen der Türkei“ seien „inakzeptabel“, erklärte dazu der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth.[1] Am Montag vollzogen die EU-Außenminister den nächsten Schritt und beschlossen Sanktionen gegen Personen und Unternehmen, die an türkischen Bohrtätigkeiten vor der Küste Zyperns unmittelbar beteiligt sind oder dafür finanzielle, technische oder sonstige Hilfe leisten.[2] Noch sind keine konkreten Personen oder Unternehmen benannt; das kann allerdings jederzeit erfolgen.

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Grafik: paolopoliti.blog

Die EastMed Pipeline

Die EU-Sanktionen erklären sich zum einen daraus, dass die territorialen Ansprüche der Türkei mit denjenigen des EU-Mitglieds Zypern kollidieren; bliebe Brüssel inaktiv, dann büßte es als Schutzmacht für schwächere Mitgliedstaaten stark an Glaubwürdigkeit ein. Zum anderen gewinnen die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer neue Bedeutung für die Versorgungsstrategien der Union. Die dort vermuteten Vorräte können zwar nicht annähernd mit denjenigen etwa Russlands, Irans oder Qatars mithalten; doch sind sie groß genug, um die sinkenden Fördermengen in den Niederlanden und in der Nordsee, die für die Erdgasversorgung der EU negativ zu Buche schlagen, zumindest teilweise zu ersetzen. Damit könnten sie auf lange Sicht dazu beitragen, eine stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermeiden.[3] Um die Vorräte des östlichen Mittelmeers auf die europäischen Absatzmärkte zu transportieren, haben sich inzwischen Zypern, Griechenland und Israel zusammengetan. In Planung ist eine Erdgasleitung („EastMed Pipeline“), die aus den Fördergebieten über Zypern Richtung Westen nach Kreta verläuft und von dort auf das griechische Festland geführt wird. Anschließend könnte das Erdgas in die gesamte EU weiterverteilt werden.[4]

Ethnische Säuberungen

Während ihre Erdgasinteressen Berlin und Brüssel zu Sanktionen motivieren, gilt dies nicht für die Verbrechen, die türkische Truppen und vor allem die mit ihnen kooperierenden syrischen Milizen – darunter insbesondere Islamisten – in Nordsyrien verüben. Die türkische Invasion in das südliche Nachbarland hat dort mehr als 300.000, womöglich gar über 400.000 Menschen auf die Flucht getrieben. Bereits am 17. Oktober wurden über 100, möglicherweise sogar mehr als 200 getötete Zivilisten vermeldet.[5] Über die mit der Türkei kooperierenden syrischen Milizen heißt es in Berichten aus der Region, sie plünderten, attackierten kurdischsprachige Syrer und riefen zudem arabischsprachige Syrer dazu auf, sich ihren Aggressionen gegen syrische Kurden anzuschließen. Von Entführungen und von Morden ist die Rede. Flüchtlinge sprechen inzwischen von „ethnischen Säuberungen“ in Nordsyrien.[6] Reaktionen der Bundesrepublik und der EU, die sich gewöhnlich als heroische Kämpfer für die Menschenrechte inszenieren, bleiben aus. Schon zuvor hatten Berlin und Brüssel es umstandslos hingenommen, dass Ankara erhebliche Teile Nordsyriens unter seine Kontrolle gebracht, über 150.000 kurdischsprachige Syrer aus der Region um Afrin vertrieben und einen Prozess gestartet hatte, den Beobachter als systematische „Türkisierung“ eines umfassenden Landstreifens südlich der türkisch-syrischen Grenze beschreiben (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

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Drohgebärden

Unterdessen eskaliert der Konflikt um die aktuellen EU-Sanktionen gegen die Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte schon in der vergangenen Woche, vor der Verhängung der Sanktionen, zum wiederholten Male gedroht, die zahlreichen Flüchtlinge im Land nicht mehr an der Ausreise in die EU zu hindern. Jetzt hat er die Drohung wiederholt. Zudem könnten sich, sollte die EU ihre Beschlüsse in die Tat umsetzen und tatsächlich Sanktionen verhängen, die „Türen“ für Anhänger des IS nach Europa „öffnen“, erklärte Erdoğan.[8] Ankara hat mittlerweile begonnen, IS-Mitglieder und -Anhänger, die Bürger von EU-Staaten sind, nicht mehr im Auftrag der Union festzuhalten, sondern sie in ihre oft westeuropäischen Herkunftsstaaten abzuschieben – nicht zuletzt nach Deutschland. Das könne man intensivieren, teilte Erdoğan mit: „Dann könnt ihr sehen, wie ihr zurechtkommt“. Aus Berlin sind wütende Reaktionen zu hören. Man müsse bekräftigen, „dass für uns Europäer und auch für uns Deutsche Erpressung von vorneherein als Methode der Beziehungen zurückgewiesen wird“, verlangt etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU): „Wir müssen klarstellen, dass wir auf dieser Ebene überhaupt nicht ansprechbar sind.“[9] Damit zeichnet sich eine weitere Zuspitzung des Konflikts ab.

[1] EU beschließt Strafmaßnahmen gegen Türkei. zeit.de 15.07.2019.

[2] EU takes step closer to Turkey drilling sanctions. euractiv.com 12.11.2019.

[3] Nikos Tsafos: Can the East Med Pipeline Work? csis.org 22.01.2019.

[4] Nour Samaha: US-Russia rivalry in the Middle East is now spilling over into the Mediterranean Sea. euractiv.com 19.08.2019.

[5] John Walcott, W.J. Hennigan: U.S. Spies Say Turkish-Backed Militias Are Killing Civilians as They Clear Kurdish Areas in Syria. time.com 28.10.2019.

[6] Asser Khattab: „Filled with hatred and lust for blood“: Turkey’s proxy army in northern Syria accused of abusing civilians. independent.co.uk 12.11.2019.

[7] S. dazu Die „Türkisierung“ Nordsyriens.

[8] Erdogan droht der EU in Sachen IS, Migranten und Zypern. dw.com 12.11.2019.

[9] Erdogan droht EU mit mehr IS-Rückkehrern. n-tv.de 12.11.2019.

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8106/

16. November 2019
Rubrik: Osmanisches Reich, Türkei

6 Gedanken zu „Illegale Erdgas-Bohrungen der Türkei in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Zyperns, leider ohne die angekündigten Sanktionen gegen Ankara“

  1. Strafmaßnahmen der EU gegen Türkei zu Zypern? Vielleicht sollte die Türkei den Flüchtlingspakt auflösen, dass wäre passend, wo doch die Milliardenhilfe für Flüchtlinge sowieso zögernd oder gar nicht kommt. Dann wäre Ruhe

    1. Könnt ihr Türken, kann euer lächerlicher Präsident irgendetwas anderes als drohen, erpressen, fremde Länder überfallen sowie Armenier, Kurden und Griechen ausrotten? Seid gewiß, Russland 💪🇷🇺 läßt euch gerade gewähren, aber Russland ist die Schutzmacht aller orthodoxen Christen und wird nicht allzu lange auf eurer Seite stehen.

    1. Frank Nitsche ich geh freiwillig….schon oft versucht…jetzt ohne rückweg … und dahin wo ich gehe ….da wird auch einiges anders werden….anders als hier….

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