Sotschi als Modell für ein friedliches Syrien

Franz Krummbein

Zum Kongress der syrischen Völker

Das Hauptergebnis 2017 in Syrien war die Zerschlagung der radikal-islamischen Terrormiliz „Islamischer Staat”, die den Abzug des Großteils der russischen Truppen ermöglichte. Nach der Verkündigung über den Abbau des Umfangs der Militäroperation schlug Russland vor, den Kongress der Völker Syriens durchzuführen – ein informelles Analogon zum Forum der nationalen Versöhnung.

Diese Vereinbarung wurde Ende November in Sotschi bei einem Treffen der Präsidenten Russlands, der Türkei und des Irans getroffen. Sie wurde ohne Teilnahme der USA und anderer westlicher Länder erreicht, die seit vielen Jahren den Rücktritt Assads anstreben. Putin, Erdogan und Rohani hätten bestätigt, ihre Bemühungen für die Durchführung des Kongresses in Sotschi am Schwarzen Meer fortzusetzen, damit diese Veranstaltung erfolgreich verlaufe und den Weg zur politischen Regelung im Land anbahne.

Die Unterschiede bei den Positionen der drei Länder sind seit Langem bekannt – Russland und der Iran setzen sich dafür ein, dass Assad an der Macht bleibt. Die Türkei bezog von Anfang an eine ganz andere Position.

Moskau und Washington konnten weder den Sieg über den „Islamischen Staat“ in Syrien teilen, noch die Nachkriegsordnung in dem Land vereinbaren. In dieser Situation wird der Friedensprozess in Syrien wohl langwierig und schwierig werden. Eine Bestätigung dafür war die in Genf stattgefundene neue Runde der Syrien-Friedensgespräche.

Russland will am 29. und 30. Januar einen Kongress der Völker Syriens in Sotschi abhalten, um verschiedene Volksgruppen Syriens über eine Nachkriegsordnung beraten zu lassen. Zum Kongress wurden Vertreter aller ethnischen und konfessionellen Gruppen Syriens, des offiziellen Damaskus sowie der Opposition eingeladen. Vertreter der Kurden seien nach Sotschi auch eingeladen worden. Vor allem die Türkei, die syrische Rebellen unterstützt, hatte daran Kritik geäußert.

In diesen Tagen läuft die türkische Bodenoffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Syrien. Die türkische Armee betont immer wieder, die Operation richte sich ausschließlich gegen Terroristen. Die kurdische Gemeinschaft sieht in der Militäroperation eine Verletzung des Völkerrechts.

Der syrische Vizeaußenminister Faisal Mekdad merkte an: „Die meisten Kurden sind Patrioten Syriens. Es gibt aber auch diejenigen, die von anderen Staaten Geld bekommen, und wir können sie weder Syrer noch Patrioten nennen. Alle inneren Fragen müssen im eigenen Land und nicht im Bündnis mit den USA gelöst werden.“

Bezüglich der Tätigkeit des Syrien-Beauftragten der Uno, Staffan de Mistura, sagte der syrische Politiker, er zeige nur wenig Eifer für die Lösung der Syrien-Krise. „Die Einstellung zu ihm wird von seiner Haltung gegenüber dem Syrischen Kongress des Nationalen Dialogs in Sotschi beeinflusst, an dem 1500 Syrer, darunter Oppositionelle, teilnehmen sollen. Unserer Meinung nach muss dieses Treffen zum ersten Schritt auf dem Rückweg zur Sicherheit und zur Stabilität auf dem gesamten Staatsgebiet von Syrien werden.“

Nach dem Abschluss der aktiven militärischen Phase ist der größte Stolperstein die Nachkriegsordnung – und wer dafür zahlen wird. Zahlreiche Bereiche in Syrien müssten teilweise von Grund auf neu aufgebaut werden. Die Industrieproduktion, Landwirtschaft, Infrastruktur, Medizin und das Bildungswesen müssten eine besondere Priorität erhalten. Gleichzeitig sei aber auch direkte Hilfe für die Bevölkerung notwendig, wie etwa die Räumung von Minen in Wohnvierteln oder die Unterstützung der Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Häuser. Die Lösung dieser Aufgabe muss  in Sotschi unterstützt werden.

Auf der Tagesordnung werden die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die Organisation von allumfassenden Wahlen unter UN-Aufsicht, die Lösung humanitärer Probleme und die Entwicklung eines langfristigen, umfassenden Programms zur Rehabilitation des Landes stehen. Selbstverständlich werde dies nur durch Verhandlungen und Kompromissbereitschaft aller Seiten möglich werden. Der gesamte Prozess müsse dabei auf dem Völkerrecht und einer Reihe internationaler Entscheidungen basieren, wie etwa auf der UN-Resolution 2254, die zum Beginn eines breiten innersyrischen Dialogs aufruft.

Putin verwies darauf, dass Moskau konsequent betont habe, der Kongress des Nationalen Dialogs sei „keine Alternative“ zum Genfer Prozess, wie die syrische Opposition vermutet. „Wir sagen dies allen, vom UN-Generalsekretär bis zu seinem Gesandten in Syrien, allen Teilnehmern an den Verhandlungen in Genf, der syrischen Regierung und der Opposition sowie anderen Mitgliedstaaten“, präzisierte Putin. Das Ziel des bevorstehenden Forums in Sotschi sei es, eine neue Kraft neben dem Prozess unter der UN-Ägide in Genf zu schaffen, der auf die politische Regelung zielt. Sotschi sei kein einmaliges Ereignis, sondern ein Ereignis, das im von der Uno durchgeführten Prozess helfen soll.

Die Situation bleibt äußerst instabil. Erdogan hatte jüngst im Parlament erklärt, an der umfassenden Offensive gegen die YPG-Kräfte, die in der Türkei als Terroristen gelten, könnten syrische Oppositionelle teilnehmen. Erdogan verlangt von seinen Verbündeten direkt, „Ankara bei seinem Kampf gegen die Terroristen nicht im Weg zu stehen“. Sonst wären negative Folgen möglich. An wen diese Warnung gerichtet war, ist nicht ganz klar. Aber die früheren Drohungen gegen die Kurden und die von den USA angeführte Koalition ließen sich auch als Signal an Russland deuten, dessen Friedensstifter in Afrin und Manbidsch weilen.

„Russland wird mit der Türkei jedenfalls eine Einigung erreichen – auch bezüglich der Kurden in Afrin und der Deeskalationszonen wird ein Kompromiss erzielt, es bleibt nur die Frage, wie man sich gegenüber Teheran und Damaskus verhalten soll“, meint der Nahost-Experte Anton Mardassow.

Aber die Türkei und Russland haben in der Nahost-Region unterschiedliche Interessen. Ankara geht es dabei nicht nur um den Kampf gegen die YPG-„Terroristen“: Es hat eigene geopolitische und wirtschaftliche Interessen in Syrien, die mit dessen territorialer Integrität nichts zu tun haben. Vielmehr will es die Gebiete behalten, die aktuell von den protürkischen Oppositionskräften (und den USA) in Idlib, Aleppo, Latakia und anderen Provinzen kontrolliert werden.

Vorerst nimmt man in Moskau keine besondere Rücksicht auf diese Interessen Ankaras. Auffallend ist aber, dass mehrere proamerikanische und protürkische Oppositionsgruppierungen vor einigen Tagen erklärten, sie würden nicht zum Kongress des syrischen nationalen Dialogs nach Sotschi reisen. Das widerspricht nicht nur den Interessen Russlands, sondern auch den Interessen der Kräfte, die an einer politischen Regelung interessiert sind.

Die USA führen inzwischen ihr eigenes Doppelspiel weiter. Die neue US-Strategie für Syrien sieht danach aus, als würde Kurs auf eine Zergliederung dieses Landes genommen warden. Am Dienstag, den 23. Januar hatte der US-Außenminister Rex Tillerson beim Treffen mit Vertretern von 29 Ländern in Paris Russland für alle Chemiewaffenattacken verantwortlich gemacht. Indem die USA Moskau und Damaskus für die Chemiewaffenattacken verantwortlich machten, versuchten sie jene Szenarien in Syrien zu verwirklichen, welche sie im ehemaligen Jugoslawien sowie im Irak und in Libyen bereits umgesetzt hätten. Dabei sei die eigentliche Tatsache der Attacke erst gar nicht bestätigt worden.

Die Ablehnung der von Russland eingebrachten Resolution zur Untersuchung von C-Waffen-Einsätzen in Syrien durch die USA zeugt laut dem russischen UN-Botschafter Wassili Nebensja davon, dass Washington einen professionellen und unabhängigen Mechanismus nicht bilden will.

Franz Krummbein  29. Januar 2018
Rubrik: Nahost

Ein Gedanke zu „Sotschi als Modell für ein friedliches Syrien“

  1. Traurig aber wahr! Dank der Iniative Russlands besteht zumindest ein Hoffnungsschimmer für Frieden in Syrien, auch wenn das von der Nato-Türkei, den USA, der EU und der Merkel-BRD noch nicht unterstützt wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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