Stürmische Märkte

Niels Kadritzke

Für Griechenland war der 24. Mai ein wichtiger Tag. In Brüssel wurde der entscheidende Schritt zur abschließenden Evaluierung des dritten und letzten Bailout-Programms (Memorandum) vollzogen. Die Eurogroup hat das am letzten Wochenende in Athen erzielte Übereinkommen der Finanzexperten, das sogenannte Staff Level Agreement (SLA) abgesegnet.

Das ebnet den Weg zu dem endgültigen Beschluss der Eurozonen-Finanzminister am 20. Juni. An diesem Tag wird der Abschluss des (dritten) griechischen Sparprogramms zum 20. August dieses Jahres besiegelt, begleitet von einer letzten Auszahlung des ESM in Höhe von 11 Milliarden Euro.

Zwar muss das Athener Parlament noch ein letztes, umfängliches Gesetzespaket verabschieden, was am 9. Juni erfolgen soll. Sollte es zu Verzögerungen kommen, könnte der Beschluss sich  noch bis zur nächsten Eurogroup-Sitzung am 12. Juli verzögern.  Doch egal ob im Juni oder im Juli, der von allen Seiten gewünschte „Austritt aus dem Memorandum“ wird am 20. August 2018 erfolgen. Das ist für die Regierung Tsipras ein großer, wenn auch mühsam errungener Erfolg. Aber ist es auch ein Grund zum Feiern? Und wenn ja, für wen? Das hängt davon ab, wie sich die Realität für die Griechen nach dem Memorandum darstellt. Und wie die Finanzmärkte reagieren. Davon handelt dieser Text.

 

Tsipras Werbefeldzug für ausländische Investitionen führte ihn diesmal nach Washington. © Joshua Roberts/reutersDie Karikatur von Yannis Ioannou erschien am 5. Mai in der Athener Zeitung Efimerida ton Syntakton (EfSyn). Das Regierungsboot trägt den Namen „KATHARI EXODOS“ (sauberer Austritt); auf der rechten Woge steht das Wort „AGORES“ (Märkte), auf dem Boot oben links „I MEGALI CHIMAIRA“ (Die große Chimäre). Wir danken dem Zeichner und der Zeitung für ihr freundliches Entgegenkommen. © yannis-ioannou.com

 

Nette Worte von Juncker in Athen

Am 26. April konnte Alexis Tsipras in Athen einen sehr willkommenen Gast empfangen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erfüllte selbst die kühnsten Erwartungen seiner Gastgeber. In einer Ansprache vor dem Parlament versicherte er, kein anderes EU-Land habe sich „schneller und gründlicher reformiert als Griechenland“. Noch willkommener war dem griechischen Regierungschef die Voraussage Junckers, das Ende des dritten Sparprogramms am 20. August 2018 werde  „den Beginn einer neuen Ära für das Land markieren, das alle seine Rechte als souveräner Staat wieder erlangen wird“.1

Damit scheint der EU-Kommissionspräsident die Formel adoptiert zu haben, die Tsipras und andere Syriza-Sprecher beschwören, wenn sie den Erfolg ihrer Politik der letzten drei Jahre herausstreichen wollen: Im August dieses Jahres werde es einen „sauberen Abgang“ aus dem dritten Memorandum geben, das Tsipras im Sommer 2015 hatte unterzeichnen müssen.

Mit der Erfolgsgeschichte vom káthari éxodos wollen Tsipras und seine Partei auch den nächsten Wahlkampf bestreiten, der im Grunde längst begonnen hat, obwohl die Parlamentswahlen frühestens im nächsten Frühjahr, wahrscheinlich aber erst zum regulären Termin im September 2019 stattfinden werden.

„Sauberer Abgang“ – eine zweischneidige Parole

Warum und mit welchem Kalkül die Syriza auf dieses Motto setzt, ist vielen Beobachtern in Athen ein Rätsel. Die Wählerwirksamkeit einer derart abstrakten „success story“ dürfte sehr begrenzt sein. Ob der „Abgang“ aus dem auferlegten Spar-Regime mehr oder weniger „sauber“ ausfällt, diese Frage geht den meisten Griechen am Hintern vorbei.2 Für sie zählen nur die „harten Fakten“: die konkreten Auswirkungen, die das Ende des dritten Memorandums für ihr persönliches Leben haben wird.

Tatsächlich birgt der Slogan für Tsipras und die Syriza ein erhebliches Risiko. Was ein kathari exodos ist, darüber lässt sich trefflich streiten, und die oppositionellen Parteien versuchen fast täglich, die Erfolgsgeschichte der Regierung in Zweifel zu ziehen. Sollte nach dem August 2018 die Entwicklung nicht so problemlos verlaufen wie es die Regierung erhofft und verspricht, wird die Opposition die Regierung der Wählertäuschung bezichtigen. Schon heute bezeichnet ND-Führer Mitsotakis den „sauberen“ Ausgang als „Lüge“ und fordert: Wenn Tsipras tatsächlich glaube, dass die Zeit der Memoranden endgültig vorbei sei, solle er doch gleich nach dem 20. August Neuwahlen abhalten.

Tanz um einen Fetisch

In den letzten Monaten der Memorandums-Ära dreht sich die griechische Innenpolitik in einem grotesken Reigen um einen Wortfetisch. Unter kathari exodos kann jeder verstehen, was er will. Auch Juncker hat die Kriterien für einen „sauberen Ausstieg“ nicht sauber definiert. Bei seiner Athener Pressekonferenz mit Tsipras erklärte er, die EU-Kommission werde alles tun, „so that Greece’s exit from the program is the clearest and cleanest possible“. Das  ist keineswegs identisch mit dem, was Tsipras auf derselben Pressekonferenz als seinen „clean exit“ definierte: Der sei genau das, „was in anderen Ländern passiert ist, die in einem Sparprogramm waren und es erfolgreich erfüllt haben“.3

Nach Tsipras ist der Ausgang also klar und sauber, wenn Griechenland nach dem 20. August nicht anders behandelt wird als die anderen Memorandums-Länder, die ihre Rückkehr in die „Normalität“ – nach maximal drei Jahren bailout-Programm –  längst geschafft haben (Irland im Dezember 2013, Spanien im Januar 2014, Portugal im Juni 2014 und Zypern im März 2016.) Daher war es für den Regierungschef eine böse Überraschung, als die Financial Times am selben Tag seinen Finanzministers Tskalotos mit dem Satz zitierte, in Griechenland würden die Überprüfungs-Missionen häufiger stattfinden als bei den anderen Ex-Memorandums-Ländern: statt zwei Visiten pro Jahr werde es „wahrscheinlich“ drei oder vier geben.4

In der Umgebung von Tsipras löste diese Äußerung des Finanzministers große Verärgerung aus.5 Das ist verständlich, denn sie macht deutlich, dass es auch im Regierungslager unterschiedliche Auffassungen von kathari gibt. Und dass kaum jemand den Mut hat, die Dinge beim Namen zu nennen.

Es gibt drei Probleme, die den Begriff „sauberer Ausgang“ in Frage stellen oder deutlich relativieren.

1. Noch nicht eingelöste Verpflichtungen

Wie Tsakalotos einräumt, gibt es „Dinge, die wir schon mit den Institutionen vereinbart haben und die wir aus technischen Gründen nicht abschließen können, bevor das Programm am 21. August zu Ende geht“ (Interview mit der EfSyn vom 10. April). Der Finanzminister meint damit die über  80  griechischen Verpflichtungen, die noch nicht erfüllt sind. Und von denen etwa zehn bis zur abschließenden Evaluierung des 3. Memorandums durch die Eurogroup (am 21. Juni oder am 12. Juli) noch nicht umgesetzt sein werden.6 Dass in diesen Bereichen die Aufsicht und Kontrolle durch die Gläubiger-Instanzen weiter läuft, versteht sich von selbst. Schon dies ist ein Unterschied zu den anderen Ex-Memorandums-Ländern, die ihre „Hausaufgaben“ fristgemäß erledigt haben.

2. Verpflichtungen für die Zeit nach dem Memorandum

Schon im Februar 2017 musste die Regierung Tsipras weitreichende Verpflichtungen für den Zeitraum nach dem 3. Sparprogramm akzeptieren. Damals hat das Athener Parlament in Form einer „Vorratsgesetzgebung“  zwei sozialpolitische Großprojekte verabschiedet:

– eine weitere Kürzung der Renten, die auch die Kleinstrenten betrifft, diese Regelung wird am 1. Januar 2019 in Kraft treten7;
– eine Senkung der Schwelle für die Besteuerung der Einkommen von 8636 auf 5685 Euro; diese Senkung macht nicht nur Kleinstverdiener erstmals steuerpflichtig, sondern erhöht auch die Belastung der mittleren Einkommensgruppen8 ; die Änderung soll am 1. Januar 2020 in Kraft treten.

Nach Pressemeldungen hat die Athener Regierung in Brüssel sondiert, ob man die Absenkung der Besteuerungsschwelle zum 1. Januar 2020 vielleicht rückgängig machen könne. Die Antwort war ein harsches Nein. Auch Tsakalotos hat seiner Partei klar gemacht, dass eine „Emanzipation“ von diesen und anderen Verpflichtungen eine Illusion ist. Für die Regierung habe die „Erfüllung des Programms“ absolute Priorität, um eine günstige Lösung für die Schuldenerleichterung zu erreichen (EfSyn vom 3. Mai 2018). Auch die Rentenkürzungen zum Januar 2019, die einige Minister jüngst in Frage gestellt haben, werden ganz sicher kommen. Das hat nicht nur der Finanzminister klargestellt (Kathimerini vom 18. Mai), sondern auch der Regierungschef vor dem versammelten Kabinett (englische Kathimerini vom 21. Mai: http://www.ekathimerini.com/228876/article/ekathimerini/news/tsipras-greece-will-meet-fiscal-targets-no-fiscal-gap-in-2018-9)

Die Souveränität Griechenlands wird also auch nach dem 20. August eingeschränkt bleiben. Zumal es eine dritte, ganz entscheidende Auflage gibt, die Griechenland für die „Nach-Memorandum-Ära“ akzeptieren musste. Das Land hat sich bis 2022 auf einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP verpflichtet; danach muss es bis 2060 (!) einen jährlichen Überschuss von 2 Prozent erzielen. Diese Vorgaben sind natürlich rein imaginär, denn kein Ökonom kann die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten 42 Jahre voraussagen. Ihre wahre Bedeutung liegt darin, dass sie eine Aufsicht über die griechische Haushaltspolitik implizieren, die über die normale „post program surveillance“ für die anderen Ex-Memorandum-Länder hinausgeht, denen keine Primärüberschuss-Ziele auferlegt wurden.

3. Auflagen im Gefolge einer Schuldenentlastung

Griechenland rechnet mit einer substantiellen Schuldenentlastung, die dem Land mehrfach zugesagt wurde, die seine Gläubiger aber erst unmittelbar vor dem Ende des 3. Memorandums konkretisieren wollen. Unabhängig vom Umfang und den Modalitäten dieser Entlastung (dazu unten mehr), dürfte jeder Beschluss der Gläubiger-Institutionen eine weitere „Konditionierung“  enthalten. Darauf haben maßgebliche EU-Repräsentanten wie Thomas Wieser (Ex-Vorsitzender der Eurogroup Working Group), schon vor Monaten hingewiesen.9 Auch Klaus Regling, der als Chef des ESM ein Mitglied des Quartetts repräsentiert, stellte Ende April klar, dass weitere Schuldenerleichterungen eine verstärkte Aufsicht bedeuten.10

Die Handschrift an der Wand – von Olaf Schäuble

Wieser und Regling waren die engsten Mit- und Zuarbeiter des deutschen Finanzministers Schäuble. Der Schluss liegt nahe, dass die Forderung, die Schuldenentlastung mit einer verschärften Aufsicht zu belasten, von Berlin ausgeht. Und hier zeigt der neue sozialdemokratische Finanzminister keineswegs mehr Verständnis für Griechenland als sein Vorgänger. Denn auch Olaf Schäuble – wie er in der griechischen Presse genannt wird – besteht auf einem strengen Aufsichtsregime: Jede Etappe der Schuldenentlastung soll von konkreten Auflagen begleitet sein und Jahr für Jahr vom Deutschen Bundestag genehmigt werden.11 Das würde auf eine Daueraufsicht der griechischen Haushaltspolitik durch das Berliner Parlament hinauslaufen.

Allerdings wird die harte deutsche Position von anderen Eurozonen-Ländern geteilt, etwa von den Niederlanden, Österreich, Finnland, der Slowakei und den baltischen Ländern. Die Gegenposition vertritt Frankreich, unterstützt nicht nur von anderen Süd-Ländern, sondern auch von der EZB und dem IWF. Präsident Macron und seine Bündnispartner schlagen einen quasi automatischen Mechanismus der Schuldenentlastung vor, sodass die Zahlungsverpflichtungen Athens an die Entwicklung der griechischen Konjunktur gekoppelt wären.12

Je nachdem, ob die Institutionen (EU-Kommission, EZB, EMS und womöglich IWF)  am Ende den „französischen Mechanismus“ oder das „deutsche“ Modell einer Schuldenentlastung beschließen – oder eine Mischform von beiden – , wird die Aufsicht über die griechische Haushaltspolitik strenger oder milder ausfallen.

Anders als Irland, Spanien und Portugal

Wie wird das Verhältnis Griechenlands zu seinen Gläubigern, also sein Grad an Souveränität nach dem 20. August aussehen?

Einerseits wird es nicht so sein wie zu Memorandums-Zeiten: Die Institutionen werden Athen zwar immer noch die Sparziele festlegen, nicht aber bis ins kleinste Detail „die dafür nötigen Instrumente“ vorschreiben. Die Institutionen werden also nicht mehr jene kleinteiligen Kataloge mit Hausaufgaben (samt Fristen) vorgeben, wie sie vor dem 20. August 2018 üblich waren.13 In diesem Sinne handelt es sich nicht mehr um eine „Kontrolle“ der griechischen Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Aber immer noch um eine „Aufsicht“ durch die Gläubiger, wie Tsakalotos in einem Interview einräumte (FAZ vom 15. Mai: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/tsakalotos-interview-keine-neuen-kredite-fuer-griechenland-15589543.html).

Andererseits wird es auch nicht so sein wie in den anderen Nach-Memorandums-Ländern: Die Aufsicht durch die Institutionen wird nicht nur häufiger, sondern auch systematischer vollzogen als etwa in Portugal oder Zypern.14 Griechenland gewinnt also „ein Stück Souveränität“ (sprich Handlungsspielraum) zurück, nicht aber denselben Grad an „Normalität“ wie vor der Ära der drei Memoranden.

Griechenland – eben doch kein normaler Fall

Warum das Land im Vergleich mit Irland, Spanien, Portugal  und Zypern auch künftig nicht als „normaler Fall“ behandelt wird, erklärt Kostas Kallitsis in seiner Kathimerini-Kolumne:

– Griechenland ist gegenüber den Gläubigern (EU und IWF) mit mehr als 250 Milliarden Euro rund drei Mal so hoch verschuldet wie Portugal (78 Mrd. Euro) oder Irland (85 Mrd. Euro);
– die anderen Memorandums-Länder haben ihre „Hausaufgaben“ in maximal drei Jahren bewältigt, dagegen brauchte Griechenland acht Jahre und drei Programme, von denen nur eines  – einigermaßen vollständig – erledigt wurde (das dritte durch die Tsipras-Regierung).

Und in diesen acht Jahren sind – aus Sicht der Gläubiger – „viele Dinge geschehen, die nicht geschehen durften, während viele Dinge versäumt wurden, die hätten geschehen müssen.“ Deshalb sieht Kallitsis die einzige Chance der Syriza-Regierung darin, die mit dem 3. Memorandum eingegangenen Verpflichtungen möglichst rasch zu erfüllen; nur so könne ein „viertes Sparprogramm“ auf Dauer vermieden werden.

Fast genau so formuliert es Mario Centeno, Dijsselbloem Nachfolger als Chef der Eurogroup. In einem Interview ermahnte der portugiesische Sozialdemokrat die Regierung Tsipras, das „Reform-Momentum“ auf keinen Fall ermüden zu lassen.15 Sein eigenes Land habe aus dem schlechten Beispiel Griechenlands gelernt, dass man dieses „Momentum“ durchhalten muss, um das Sparprogramm erfolgreich abzuschließen und auf die Finanzmärkte zurückzukehren.16

Das aufgewühlte Meer der Finanzmärkte

Centeno nennt damit das Schlüsselwort: die Finanzmärkte. Man muss diesen Kontext im Auge haben, um zu verstehen, warum die Gläubiger- Institutionen auf einem „verschärften“ Aufsichts-Regime für Griechenland bestehen. Am direktesten hat es Benoît Cœuré, der französische Vertreter im EZB-Direktorium ausgedrückt: Bis zum 20. August handelt es sich um „eine Unterhaltung zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen“; danach um  „eine  Unterhaltung zwischen der griechischen Regierung und den Kapitalmärkten – was ein ziemlicher Unterschied ist“.17

Wie wahr. Mit dem Hinweis macht der EZB-Repräsentant klar, dass alles Gerede um einen „sauberen Ausstieg“ aus dem griechischen Sparprogramm müßig ist.18 Wie weltfremd die verbalen Scharmützel um diesen Fetisch sind, veranschaulicht eine Karikatur von Yannis Ioannou, die in der EfSyn vom 5. Mai erschienen ist (siehe oben nach dem Vorspann). Wir sehen den Stapellauf eines Boots mit Namen kathari exodos und der Syriza-Regierung an Bord. Angeschoben von Tsakalotos rast das badewannenförmige Gefährt auf ein aufgewühltes Meer zu  – mitten hinein in zwei Riesenwogen mit Namen Funds und Agores, also Märkte (https://yannis-ioannou.com/#jp-carousel-9537).

Die strengste Gouvernante

Die größte Gefahr, die Griechenland nach dem 20. August droht, ist nicht die Hartherzigkeit der Gläubiger, sondern die Härte der Finanzmärkte  – und der Rating-Agenturen, die den „Kreditspielraum“ Griechenlands mit professioneller Kälte einschätzen werden. Trotz einer verbesserter Bewertung durch die drei dominanten Agenturen (auf B bzw. B3) gelten die griechischen Anleihen nach wie vor als „junk bonds“; um den „investment grade“ zu erreichen, müssen sie noch drei bis fünf Stufen erklimmen.19

Der Markt wird Griechenlands neue Gouvernante sein, und deren ökonomisches Regiment noch strenger als die „politische“ Aufsicht durch Troika respektive Quartett. Deshalb mahnt Finanzminister Tsakalotos seine Ministerkollegen unablässig: Wir müssen die zugesagten Reformen weiter treiben und endlich konjunkturelle Fahrt aufnahmen – sonst bestraft uns der Markt mit höheren Zinsen und die nächste Woge der Schuldenkrise schlägt über uns zusammen.

Für Griechenland hängt die Zukunft davon ab, wie die strengste aller Gouvernanten seine haushaltspolitischen und ökonomischen Perspektiven bewertet. Das ist auch deshalb ein neues Regiment, weil der griechische Staat sich in den letzten Jahren zu extrem günstigen Bedingungen finanzieren konnte: Die langfristigen Kredite aus dem ESM-Reservoir bedeuten eine durchschnittliche Zinsbelastung von 0,86 Prozent (die Zinsen für die IWF-Kredite betragen dagegen zwischen 2,8 und 3,8 Prozent).20

Beunruhigende Marktzinsen

Das Niveau der EMS-Zinsen ist also weit niedriger als die „Preise“ einer künftigen Geldbeschaffung auf den Finanzmärkten. Der Zinssatz für griechische 10-Jahres-Papiere hat sich zwischen Februar 2017 (7,4 Prozent) und Januar 2018 zwar halbiert, ist seitdem aber wieder beunruhigend angestiegen: von 3,65 Prozent am 29. Januar dieses Jahres (der niedrigste Stand seit 12 Jahren) auf über 4,5 Prozent am 20. Mai. Das ist ein Anstieg um über 90 Basispunkte (100 Basispunkte entsprechen einem vollen Prozentpunkt).

Die für die griechischen Emissionen zuständige Public Debt Management Agency (PDMA)  bewertet Kreditkosten von über 4 Prozent als „prohibitiv“ (für 7-Jahres-Papier liegt die Grenze bei 3,5 Prozent). Deshalb hat sie die für März/ April geplante Emission eines weiteren 7-Jahres-Bond vorerst  abgesagt. Die PDMA will auf keinen Fall wieder erleben, was ihr vor drei Monaten passierte: Das am 9. Februar mit einem Zinssatz von 3,5 Prozent aufgelegte 7-Jahres-Papier wurde von den Märkten abgestraft und binnen weniger Tage mit 4,13 Prozent gehandelt.21

Aktuell wird die Entwicklung der griechischen Bond-Kurse auch durch eine verstärkte Volatilität beeinflusst, die durch die Debatte um einen italienischen Schuldenschnitt ausgelöst wurde. Ein in Athen aktiver Fund-Manager schildert die Skepsis der potentiellen Käufer griechischer Staatspapiere: „Die Investoren werden ihr Kapital nicht festlegen wollen, bevor sie wissen, welchen Grad von Aufsicht die Gläubiger mit der griechischen Regierung vereinbaren werden.“ Deshalb biete eine strengere Aufsicht den internationalen Anlegern „eine gewisse Sicherheit“, was den „politischen Kurs der griechischen Regierung nach dem Ende des Programms“ betrifft (Kathimerini vom 13. Mai).

Der globale Krisenhorizont

Der politische Kurs der Tsipras-Regierung ist nicht die einzige und vielleicht nicht die wichtigste Variable, die das Verhalten der künftigen Gouvernante bestimmt. Noch genauer beobachten die Finanzmärkte transnationale Entwicklungen wie die Wirtschaftskonjunktur im EU-Bereich und auf globaler Ebene, die heute weit unsicherer ist als noch vor sechs Monaten. Man denke nur an die drohenden „Handelskriege“ oder an militärische Konflikte, wie sie im Nahen Osten drohen, mit potentiellen Folgen für den Welthandel und die Energiepreise, die sich auf die globale Konjunktur auswirken. Und was eine neue globale Finanzmarktkrise für die Bewertung der griechischen Bonds bedeuten würde, möchte man sich gar nicht vorstellen.

Zwei der wichtigsten Antriebsmomente der Weltwirtschaft, die für die Zukunft Griechenlands bedeutsam sind, werden sich auf  jeden Fall abschwächen: die internationale Liquidität  –  die seit Jahren durch die massive Kreditschöpfung wichtiger Zentralbanken gepäppelt wird  – und die chinesische Konjunktur.22 Speziell für Griechenland würde sich eine zusätzliche Belastung ergeben, wenn die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten eine neue  Flüchtlingskrise auslösen würden. Zumal die Türkei diese Krise, die auf den ostägäischen Inseln schon die Dimension eines lokalen Notstand angenommen hat, gezielt verschärfen könnte, zum Beispiel durch eine Eskalation in der Ägäis.23

Die griechische Nach-Memorandums-Perspektive ist also vor einem globalen Horizont zu analysieren, der ungewisser ist als das Umfeld, in dem sich Spanien, Portugal oder Zypern nach dem Ablauf des Memorandum-Regimes bewegen konnten. Das beeinträchtigt auch die Chancen, ausländische Investitionen anzuziehen, die als wichtigste Voraussetzung für einen nachhaltigen griechischen Konjunkturaufschwung gelten.

Reduzierte Wachstumserwartungen

Dieser Aufschwung wird – nach dem heutigen Stand der Dinge – schwächer ausfallen als die Tsipras-Regierung noch vor einem Jahr erwartet hat. Schon für 2017 blieb das Wachstum von 1,4 Prozent hinter den Prognosen von Anfang 2017 zurück, die von  2,7 Prozent ausgegangen waren.  Für 2018 erwartete das Athener Wirtschaftsministeriums noch im Frühjahr ein Wachstum von 2,5 Prozent, Mitte Mai wurde diese Prognose auf  2,0 bis 2,1 Prozent reduziert.24 Ein gravierender   Unsicherheitsfaktor für die ökonomische Entwicklung ist dabei der Zustand des griechischen Bankensystems. Zwar haben die vier großen („systemischen“) Banken den ersten Stresstest der EZB im April überstanden. (Spiegel-Online vom 5.Mai 2018, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-banken-ueberstehen-ezb-stresstest-a-1206412.html) Aber der vorläufige  EZB-Report enthält die Forderung, die auch zu den wichtigsten Auflagen der Troika bei der abschließenden Evaluierung gehört: Der Prozess der Versteigerung von Immobilien müsse verstetigt werden, um die Belastung der Banken durch „notleidende Kredite“ oder NPLs zu reduzieren, die derzeit immer noch 40 Prozent der Bilanzsummen ausmachen.25

Wie kann man bedrohlichen Entwicklungen auf den Bonds-Märkten vorbeugen oder entgegenwirken? In Athen setzt man alle Hoffnung auf zwei Schutzmechanismen:
– die Bildung eines „Finanzpolsters“ (cash buffer), um kurzfristige Turbulenzen abfedern zu können;
– eine substantielle Schuldenentlastung, um die griechische Staatsverschuldung langfristig beherrschbar zu machen (die Experten sprechen von fiscal sustainability).

Die erste Schutzmaßnahme kann Griechenland selbst organisieren, die zweite hängt von der Haltung – und der ökonomischen Vernunft – der Institutionen ab.

Wie stopft man ein Finanzpolster aus?

Über die Notwendigkeit und das Volumen eines finanziellen Kissens (die Griechen sprechen von maxilari) sind sich Athen und die Gläubiger einig. Man will zwischen 18 und 20 Milliarden Euro beiseite legen, um notfalls alle griechischen Kreditverpflichtungen bis Anfang 2020  bedienen zu können.26 Kontrovers ist dagegen, wo das Füllmaterial herkommen soll.

Die Regierung will für diesen Zweck mehr als 10 Milliarden aus den noch nicht beanspruchten ESM-Mitteln des 3. Memorandums verwenden. Weitere 8 Milliarden sollen durch Emission neuer Bonds beschafft werden. Als relativ sanftes Ruhekissen funktioniert der cash buffer allerdings nur so lange, wie die Füllung unangetastet bleibt. Gleichwohl wird im Finanzministerium erwogen, mit einem Teil der ESM- Gelder die teuren IWF-Kredite (in Höhe von 13 Mrd. Euro) abzulösen, was allerdings der ESM genehmigen müsste. Ein solcher Schritt, den  Portugal bereits unternommen hat, würde zwar die laufende Zinsbelastung reduzieren, aber eben auch das Sicherheitskissen dünner machen.

Die andere Methode der Absicherung gegen volatile Finanzmärkte wäre eine „vorsorgliche Kreditlinie“ für die Zeit nach dem Memorandum. Eine solche precautionary credit line (PCL) wird nicht nur vom  griechischen Zentralbankchef Yiannis Stournaras als beste Lösung angepriesen. Ähnliche Stimmen kommen aus dem Quartett der Institutionen, insbesondere aus der EZB, aber auch von renommierten unabhängigen Ökonomen.27 Nach Aussage von Francesco Drudi, dem Repräsentanten der EZB in Athen, wäre ein PCL-Programm auch Voraussetzung dafür, dass die EZB den griechischen Banken weiterhin ermöglicht, aus Frankfurt „billige Liquidität“ zu beziehen, obwohl sie als Sicherheit derzeit nur griechische „junk-bonds“ hinterlegen können.28 Drudi wies außerdem darauf hin, dass die Vereinbarung über eine neues Kreditprogramm den Abbau der griechischen capital control-Maßnahmen beschleunigen würde.29

Fast ein viertes Memorandum

Für die Regierung Tsipras hat das PCL- Konzept allerdings einen gewaltigen Haken. Wie der EZB-Vertreter klarstellt, wäre ein solches „Vorsorgeprogramm“ mit „strikten und wirksamen Bedingungen“ verknüpft. Damit käme es einem „vierten Memorandum“ sehr nahe. Das aber „würde natürlich jedes weitere Reden über einen ‚sauberen Abgang‘ verbieten“, wie die Kathimerini (vom 14. Mai) süffisant bemerkt.

Vor diesem Hintergrund ist klar, warum sich die oppositionelle ND entschieden für eine PCL ausspricht. Finanzminister Tsakalotos hält kategorisch dagegen: „Wir werden nicht um die Absicherung durch eine Kreditlinie bitten. Nach August 2018 wird es keine Kredite mehr vom Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM an Griechenland geben.“ Er begründet dies auch mit dem Argument, bei einer neuen Kreditlinie würde Griechenland von den Rating-Agenturen „nie ordentliche Bonitätsraten bekommen“.30 Die Aversion der Athener Regierung gegen eine PCL-Absicherung dürfte freilich auch andere Gründe haben.

Würde eine neue Kreditlinie überhaupt bewilligt?

Mit dem Antrag auf eine neue Kreditlinie würde Athen ein hohes Risiko eingehen. Denn es wäre keineswegs ausgemacht, dass Deutschland und die auf  Berliner Linie liegenden Euro-Länder ein solches PCL-Programm überhaupt bewilligen würden. Zumindest würden „Olaf Schäuble“ und die deutsche Regierung auch für diesen Fall – wie in Sachen Schuldenentlastung –  eine Zustimmungspflicht des Parlaments reklamieren. Und der Ausgang des Votums im Bundestag  wäre keinesfalls sicher. Nichts aber wäre für die „Kreditwürdigkeit“ Griechenlands fataler als das Durchfallen eines PCL-Ansinnens im Berliner oder einem anderen nationalen Parlament. „Die Märkte“ würden es als Misstrauensvotum erster Güte bewerten.

Der Patient soll nach Hause

Die strenge Gouvernante glaubt zu wissen, was für ihren Zögling das Beste ist. Weshalb der keine Chance hat, die Gouvernante zu erweichen oder auszutricksen. Aber der Zögling kann sich vornehmen, so schnell wie möglich erwachsen zu werden. Deshalb ist es einleuchtend, was ein kompetenter und informierter griechischer Insider seiner Regierung empfiehlt: Griechenland müsse lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Das bedeute für die Frage der „vorsorglichen Kreditlinie“: Wenn sich ein Patient auf dem Weg der Gesundung befindet, soll er nicht auf der Intensivstation bleiben. Die Ärzte sollten ihn nach Hause schicken, damit er langsam in sein normales Leben zurückfindet. Medikamente muss er weiterhin einnehmen. Wenn er dennoch einen Rückfall erleidet, muss er sich halt wieder in Behandlung begeben.

Wie wahrscheinlich ein solcher Rückfall ist – zum Beispiel als Folge einer allgemeinen Finanzmarktepidemie – hängt entscheidend von dem zweiten Schutzmechanismus ab, den ich oben erwähnt habe: eine nachhaltige Schuldenentlastung. Diese seit langem zugesagte Maßnahme soll sozusagen das Immunsystem des Rekonvaleszenten stärken, sprich: „eine möglichst eigenständige Finanzierung auf dem Kapitalmarkt erleichtern“ (wie es die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom Mai 2018 formuliert: https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2018/2018_05_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile)

In diesem Sinne argumentiert Benoît Cœuré, Frankreichs Vertreter im EZB-Direktorium:  Die „Vertrauensbildung zwischen Griechenland und den Kapitalmärkten“  werde umso stärker gefördert, „je früher die Entlastungswirkungen einsetzen, je automatischer sie funktionieren und je weniger Auflagen mit ihnen verknüpft sind“.31 Dass Cœuré  den „Automatismus“  stärken und die Auflagen minimieren will, ist offensichtlich eine „direkte Antwort auf den von Deutschland angeführten Chor der Hardliner, die Griechenland… an   der kurzen Leine halten wollen“.32

Dissonanzen im Quartett

Damit sind wir bei dem Streit, der seit Jahren innerhalb des Quartetts der Gläubiger zwischen Berlin und den anderen Institutionen ausgetragen wird. Dieser Konflikt, bei dem EZB und IWF stets gemeinsam Position gegen Berlin bezogen haben, wurde zu Schäubles Zeiten vom deutschen Finanzminister dominiert.33 Der stimmte zwar im Juni 2017 dem Beschluss über eine Schuldenentlastung grundsätzlich zu, bestand aber auf dem einschränkenden Zusatz „wenn nötig“. Auf den beruft sich auch der Nachfolger Schäubles. Zur Enttäuschung von Tsipras und Tsakalotos zeigt sich der Sozialdemokrat Olaf Scholz bislang nicht flexibler als sein Vorgänger.(so die Financial Times vom 27. April).

In der Sache sind sich die Experten überaus einig. Die Gesamtsumme der griechischen Staatsschuld beträgt 328,7 Milliarden Euro (Stand Ende 2017) das entspricht knapp 180 Prozent des BIP. Man wird keinen seriösen Ökonomen – gleich welcher Couleur – finden, der eine solche Last  für tragfähig hält. Eine substantielle Schuldenentlastung fordern nicht nur der IWF und die OECD (http://www.oecd.org/eco/surveys/Greece-2018-OECD-economic-survey-overview.pdf ), sondern auch internationale Forschungsinstitute wie das Centre for Economic Policy Research (CEPC).34 Alle betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Überschüsse im Primärhaushalt (Haushaltssaldo ohne Zinsausgaben).

„Unseres Erachtens unrealistisch“

Die Chimäre einer „tragfähigen“ Schuldenlast beruht auf der extravaganten Annahme, dass Griechenland – nach Primärüberschüssen von 3,5 Prozent bis 2022 – noch fast 40 Jahre lang (bis 2060) mindestens 2 Prozent Überschuss gewährleisten kann. Dazu heißt es in der CEPC-Studie: „Ein solches Ergebnis wurde noch nie erzielt und ist unseres Erachtens  unrealistisch“.35

Noch schärfer formuliert es der Ökonom Ilias Pentazos, der als Staatssekretär im Athener Finanzministerium bis Ende 2011 an den Verhandlungen über das 2. Memorandum beteiligt war:  „Für Leute, die etwas von Wirtschaft verstehen, ist sonnenklar, dass ein Primärüberschuss von 2 Prozent über 40 Jahre niemals erzielt werden kann.“ Sein Fazit: „Selbst wenn alle mit der Eurogroup vereinbarten Kriterien voll eingehalten werden, ist die Staatschuld  weder bedienbar noch auf  Dauer tragfähig.“ (Kathimerini vom 14. Mai 2018.)

Das wissen nicht nur die professionellen Beobachter, sondern auch die handelnden Politiker. Und natürlich der griechische Finanzminister, der ja ein ausgezeichneter Ökonom ist. Tskalotos hat für den Staatshaushalt 2017 einen Primärüberschuss von 4,1 Prozent vorzuweisen, womit die Vorgabe von 1,75 Prozent deutlich übertroffen wurde. Für 2018 wird ein Überschuss von 3,5 Prozent angestrebt, aber schon heute ist klar, dass die Auflage, dieses Sparniveau noch bis 2022 durchzuhalten, nur schwer zu erfüllen ist. Und wenn überhaupt, dann nur auf Kosten der Konjunktur.

Hohe Primärüberschüsse als Konjunkturbremse

Was ein so hoher Primärüberschuss (PÜ) bedeutet, lässt sich am Haushalt von 2017 ablesen. Die 4,1 Prozent Überschuss gingen auch zu Lasten von Faktoren, die erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben. So wurde die Ausgabenseite durch die Reduktion der öffentlichen Investitionen entlastet. Und auch die Schulden gegenüber dem Privatsektor  in Höhe von 3,4 Mrd. Euro hat der Staat noch immer nicht abbezahlt (Kathimerini vom 13. Mai 2018).  Was die Einnahmenseite betrifft, so werden die hohen Überschüsse auch durch eine steuerliche Belastung erzielt, die nicht nur von den Unternehmern als zu hoch beklagt, sondern auch von den „kleinen Leuten“ als untragbar empfunden wird.

Mit anderen Worten: Die „erfolgreiche“ Sparpolitik, mit der die PÜ-Vorgaben über-erfüllt wurden, hat die haushaltspolitische Glaubwürdigkeit der Regierung erhöht, aber das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt.36  Warum setzen die Athener Regierung und ihr Chefökonom Tsakalotos dennoch auf diese Strategie?

Eine erste Antwort ist sozialpolitisch begründet: Nach den Bedingungen des Memorandums schafft die Übererfüllung der PÜ-Ziele einen Spielraum für zusätzliche „Sozialausgaben“, die den schwächsten Gruppen –  etwa den Beziehern von Kleinstrenten – zugutekommen sollen.37 Die zweite Antwort ergibt sich aus der Zwangslage gegenüber den Institutionen/Gläubigern: Die „linke Regierung“  will den misstrauischen Aufsehern in Brüssel, Frankfurt, Berlin und Washington demonstrieren, dass man sich alle Mühe gibt.

Von „moralischer“ Verantwortung keine Spur

Damit will man zugleich – und das ist die dritte Antwort  – „moralischen Druck“ in Hinblick auf die entscheidende Zukunftsfrage aufbauen – und die betrifft den der Umfang und die Modalitäten einer Schuldenentlastung. Alle Planungen, Prognosen und Projektionen der Athener Regierung haben zur Voraussetzung eine langfristig „tragfähige“ Schuldenregelung. Indem man sich beim Bemühen, die geforderten Primärüberschüsse zu liefern, zu einer imaginären, da unerreichbaren Decke streckt, will man die Partner zu einer moralischen „Gegenleistung“ erweichen, damit die vereinbarten Ziele wenigstens etwas realistischer werden.

Das moralische Kalkül ist verständlich. Aber es setzt voraus, dass die mächtigsten Entscheider auf dieser Ebene ansprechbar sind. Genau das ist höchst zweifelhaft. Mit der Durchsetzung der „soweit nötig“-Klausel im Schuldenbeschluss vom Juli 2017 hat sich der deutsche Hegemon jeglicher „moralischer“ Verantwortung entledigt. Deshalb kann er sich heute darauf  beschränken, die Kriterien für die „Tragfähigkeit“ der griechischen Staatsverschuldung nach Gutdünken zu definieren.

Wie kaltblütig die deutsche Seite in dieser Frage argumentiert, offenbart der jüngste Monatsbericht der Deutschen Bundesbank. Mit Verweis auf die EU-Institutionen, die Griechenland für 2019 einen „strukturellen Primärüberschuss von 5,1 % des BIP“ voraussagen, wird schlankweg behauptet: „Für einen auch in der längeren Frist hohen Primärüberschuss sind also keine weiteren restriktiven Impulse vonnöten, und Primärüberschüsse in Höhe von 3,5% des BIP sind auch längerfristig zumutbar.“

Auftragsarbeit der „unabhängigen“ Bundesbank

Wer immer diesen Satz geschrieben hat, war nicht von ökonomischem Sachverstand geleitet, sondern von politischen Vorgaben. Diese frivole Argumentation verweist aber auch auf eine unerwünschte Nebenwirkung der imposanten griechischen Primärüberschüsse: „Ihr zeigt ja, dass es zu schaffen ist“, kann die Bundesbank in Richtung Athen höhnen. Um zu behaupten: „Daher ist es nicht zwingend erforderlich, dass zusätzliche Maßnahmen zur Schuldenerleichterung zeitnah ergriffen werden.“38

Der Frankfurter Flankenschutz für die Berliner Position gegen die „französische Linie“ und den IWF ist offensichtlich. Aber noch ist in dieser Kontroverse über die Schuldenentlastung für Griechenland das letzte Wort nicht gesprochen. Auf der Sitzung  der Washington Group 39 vom 24. Mai, von der sich manche einen Durchbruch erhofft hatten, wurde die Blockade in dieser Frage nicht überwunden. Die Gespräche über die Schuldenfrage, unter Beteiligung des IWF Europa-Direktors Poul Thomsen und des deutschen Finanzministers, blieben ohne Ergebnis. Die Diskussion um dieses Thema wird in den nächsten Tagen intensiv weitergehen, weil der IWF bis Ende des Monats Klarheit haben muss.

Allerdings wird die Eurogroup ihre endgültige Position erst auf ihrer nächsten Sitzung am 21. Juni festlegen, und zwar auf  Basis einer gemeinsamen „Debt Sustainability Analysis“ (DSA) von ESM, EZB und Kommission. Dabei muss sich zeigen, ob die deutsche Seite auf ihrer harten Position beharrt. Oder ob sie von  Akteuren wie Centeno und EU-Kommissar Moscovici, die großen Wert auf eine Beteiligung des IWF legen, zu einem Kompromiss gedrängt werden kann. Beobachter halten eine Annäherung in der Frage der Laufzeitverlängerung für möglich. Hart wird Berlin aber in einer anderen Frage bleiben: Die hohen Primärüberschüsse von 2 Prozent, auch für eine lange Periode nach 2022, sind für Berlin offensichtlich unverhandelbar. Für Athen ist das eine schlechte Nachricht.

Ein Kompromiss ist noch denkbar

Der zentrale Streitpunkt bleibt jedoch die Frage, ob die beschlossenen Erleichterungen an einen automatischen Index gebunden werden  (etwa an das Wachstum des griechischen BIP). Oder ob die Entlastungsschritte, wie von Berlin verlangt, von einer ständigen formellen Begutachtung der griechischen „Reformfortschritte“ abhängig sein sollen. Bislang hat Scholz gefordert, dass der Bundestag jedes Jahr eine Verlängerung der Schuldenerleichterungen bewilligen muss. Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass sich das deutsche Parlament nur einmal pro Legislaturperiode mit dem Fall Griechenland befasst.  Ob das ausreichen würde, den IWF noch einmal ins Boot zu holen, ist ebenso ungewiss wie die Frage, ob die deutsche Seite daran überhaupt noch interessiert ist.40

Auf der Pressekonferenz, auf der Centeno die gemeinsame DSA aller drei EU-Institutionen und den Beschluss über die „Entlassung des griechischen Patienten“ für den 21. Juni ankündigte, hat er seine griechischen Freunde erneut zu einem permanenten Reformprozess ermutigt. Entscheidend sei dabei das Bekenntnis zu einer „true ownership of reforms“. Dieser Begriff ist in der Griechenland-Debatte inzwischen zu einem Fetisch geworden. „Aneignung“ der Reformen besagt, dass Regierung und Gesellschaft die von den Aufsehern/Partnern verlangten Veränderungen als notwendig und sogar wünschenswert anerkennen sollen. Diese Aufforderung, sich mit den Reformen zu identifizieren, bekommen die Griechen nicht nur von den EU-Institutionen zu hören, sondern auch von der OECD und zahllosen mehr oder weniger wohlmeinenden Experten.

Über die Aneignung von Reformen

Mit der „ownership“-Frage ist ein Problem angesprochen, das jede linke Regierung und Partei mit einem diffusen Reformbegriff  hat, der Veränderungen ganz unterschiedlicher Art beinhalten kann, der aber unter kapitalistischen Bedingungen vornehmlich „marktgerechte“ Anpassungsprozesse bezeichnet. Ein führender Syriza-Politiker hat auf meine Frage nach der „ownership“ der griechischen Reformen darauf hingewiesen, dass es sich, wenn man zur „Aneignung“ aufgefordert wird, schon nicht mehr um die „eigene Sache“ handelt. Dann erklärte er weiter: Natürlich werde jeder realistische Linke einsehen, dass viele der geforderten Veränderungen überfällig sind und längst hätten umgesetzt werden müssen, ob von einer linken oder einer rechten Regierung.  Das gelte für einen Großteil der Reformen (der erste Syriza-Finanzminister hat sie auf 70 Prozent der Troika-Forderungen beziffert). Aber was man von seiner Regierung verlange, sei begeisterte Zustimmung auch zu „Reformen“, die man als Linker für falsche Rezepte, weil für überzogen, verfehlt oder gar kontraproduktiv hält. Wie etwa ein Großteil der Privatisierungen. Solche Maßnahmen als „selbstbestimmt“ zu akzeptieren, sei  schlicht zu viel verlangt.

Der Mann hat Recht. Wenn eine Regierung in der Situation der griechischen auch  „unerwünschte“ Reformen akzeptieren und durchführen muss, wird sie ja wohl noch mit den Zähnen knirschen dürfen. In diesem Fall kann eine ehrliche ownership nur heißen: Offen auszusprechen, dass man sich gezwungen sieht, aber den Betroffenen zugleich zu erklären, warum sich das Land in dieser Zwangslage befindet.

Die Verantwortung der politischen Klasse

Dass ein ganzes Volk von einer auswärtigen Troika zum Objekt eines gigantischen, falsch angelegten und letztlich gescheiterten Sozialexperiments gemacht werden konnte, hat die politische Klasse des Landes zu verantworten. Denn die hat – ob in Gestalt ihrer „rechten“ oder ihrer „linken“ Kohorten –  mit ihren Handlungen und Versäumnissen eine Schuldenkrise  produziert, die unter dem Druck der internationalen Finanzkrise zum Staatsbankrott  führen musste. Es kann also nicht um die Identifizierung mit jeder einzelnen der auferlegten oder zugesagten Reformen gehen. Es geht vielmehr um die „Aneignung“ der Verantwortung für das Entstehen der Krise. Womit auch die gesamte Gesellschaft angesprochen ist, die eine solche politische Klasse  hervorgebracht und deren Macht – in mehr oder minder demokratischen Wahlen –  immer wieder gefestigt hat.

Erfreulicherweise melden sich in der griechischen Linken immer mehr Stimmen zu Wort, die die gesamte Gesellschaft auffordern, sich diese Verantwortung anzueignen. Zu ihnen gehört der Kommentator Charis Ioannou, der in der EfSyn (vom 24. April 2018) ein großes Tabuthema berührt: Statt die Erzübel der eigenen Gesellschaft zu bekämpfen („Klientelstaat, Vetternwirtschaft, Mangel an Gerechtigkeit, fehlende Zukunftsplanung“) begnügten sich viele (auch linke) Griechen damit, die Schuld für ihre Misere immer nur bei „den Anderen“ zu suchen.41 Allerdings ist die Verantwortung „der Anderen“ im Fall Griechenland so offensichtlich – und das Resultat der Krise für viele Menschen so deprimierend – dass die Bereitschaft zu selbstkritischem Nachdenken kein primäres Bedürfnis sein kann. Und doch ist diese Bereitschaft unabdingbare Voraussetzung für eine Wieder-Aneignung des eigenen Schicksals. Deshalb ist es ermutigend, was eine Umfrage vom März 2018 ans Licht gebracht hat.42

Schuld sind nicht nur „die Anderen“

Auf die Frage, wer die „Hauptschuld“ an der Krise habe, nannten 10 Prozent der Befragten „das Ausland“, 70 Prozent dagegen das „griechische System“ bzw. die „eigenen Schwächen“ und 19 Prozent beides. Auf die Frage, warum Griechenland nicht so schnell wie Portugal oder Zypern aus der Krise herauskomme, konnten mehrere Erklärungssätze angekreuzt werden. Dabei ergibt sich ein differenziertes und teils widersprüchliches Bild. 50 Prozent der Befragten akzeptieren, dass die griechische Krise tiefgehender sei als die der anderen Länder. 90 Prozent sind der Meinung, dass die falsch konstruierten Memoranden die Wirtschaftskrise verschärft haben. Aber  über 80 Prozent stimmen auch der Aussage zu, die Athener Regierungen hätten die Vereinbarungen nicht umgesetzt.

Auf die Frage nach den Ursachen dieser Krise verweisen fast 93 Prozent auf die „schlechte Qualität“ und die Korruption der Regierungen. 77 Prozent sagen: „Weil wir alle mehr konsumiert als produziert haben“, und 76 Prozent erklären: „Weil wir es nicht geschafft haben, Investitionen anzuziehen“.

Am erstaunlichsten sind die Reaktionen auf zwei weitere Thesen. Dem Satz, dass die Memoranden ein „notwendiges Übel“ – aufgrund der schlechten ökonomischen Entwicklung –  waren, stimmen über 60 Prozent der Befragten zu. Und knapp 80 Prozent bejahen die Feststellung: „Mit den Memoranden wurden wir verpflichtet, Reformen zu machen, die wir von alleine niemals gemacht hätten“.

Dies ist nur eine Umfrage und sie bietet ein Bild, das so widersprüchlich ist wie die griechische Realität. Aber die Ergebnisse zeigen –  und dies kurz vor dem Ende des letzten Memorandums –  eine überraschend hohe Bereitschaft, den griechischen Anteil an der Krise anzuerkennen. Was auch uns, „dem Ausland“, klar machen sollte, dass das Land eine Chance hat, sich aus der Krise herauszuarbeiten – wenn man es nicht im Stich lässt.

 

Anmerkungen

1)  Der Text der Rede (auf französisch): http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-18-3565_fr.htm, siehe auch den Bericht im Handelsblatt (http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-kommissionspraesident-in-athen-tsipras-versteher-juncker-macht-den-griechen-mut/21218174.html).

2)  Alle Umfragen der letzten sechs Monate zeigen, dass gut zwei Drittel der Befragten glauben, die „Aufsicht“ über ihr Land werde im Sommer 2018  keineswegs beendet sein; siehe zuletzt die Umfrage von ProRata für die Zeitung EfSyn (6. Februar 2018) und die Puls-Umfrage für den TV-Sender Skai (Kathimerini vom 15. März 2018).

3)  Beide Zitate nach einer AP-Meldung vom 26. April 2018.

4)  Financial Times vom 26. April, siehe auch den Bericht in der Kathimerini vom 28. April; gegenüber der FAZ (vom 15. Mai) sprach Tsakalotos von einer „detaillierteren“ Aufsicht; das sagen inzwischen auch andere Syriza-Vertreter wie Nikos Filis, der innerhalb der Partei als Linker gilt (EfSyn vom 10. Mai 2018).

5)  Siehe EfSyn vom 28. April, ebenso Kathimerini vom selben Tag.

6)  Mindestens zehn wichtige Maßnahmen werden mit Einverständnis der Gläubiger in die Nach-Memorandums-Zeit verschoben (EfSyn vom 10. Mai und Kathimerini vom 22. Mai 2018).

7)  Die Durchschnittsrenten von ca. 800 Euro reduzieren sich um 12 bis 14 Prozent (nach Tabellen in Kathimerini vom 29. April 2018).

8)  Bei einem Jahreseinkommen von 25 000 Euro erhöht sich der Steuerbetrag um 726 Euro (nach einer Tabelle in Kathimerini vom 29. April 2018).

9)  Siehe meine Analyse vom 18. Januar 2018 „Was kommt nach dem Memorandum?“ auf diesem Blog (https://monde-diplomatique.de/blog/was-kommt-nach-dem-memorandum).

10)  Regling meinte im Interview vom 26. April mit CNBC: Die Aufsicht werde „wahrscheinlich ein wenig schärfer und umfassender sein, als das, was wir in den anderen Ländern (wie Portugal, NK) tun.“ Konkret sprach er (wie Tsakalotos) von jährlich drei bis vier Inspektionsbesuchen (https://www.cnbc.com/2018/04/26/greece-tighter-surveillance-for-more-debt-relief-esms-regling-says.html).

11)  Berichte in Kathimerini und EfSyn vom 16. Mai 2018.

12)  Details des französischen Vorschlags in Spiegel-Online vom 4. April 2018; siehe auch die Berichte in der Financial Times vom 27. April und bei CNCBS vom 1. Mai 2018 (https://www.cnbc.com/2018/05/01/greece-debt-deal-to-show-how-europe-treats-its-less-fortunate-nations.html).

13)  Ein Beispiel für solche extrem detaillierten Vorgaben ist das  „Supplemental Memorandum of Understanding“ vom 3. Dezember, nachzulesen (auf englisch) bei: kathimerini.gr/resources/article-files/memorandumofunderstanding.pdf.

14)  Portugal, Zypern und Irland unterstehen einer begrenzten Aufsicht bis sie ihren Schuldenstand auf 75 Prozent des BIP reduziert haben; das wird für Portugal voraussichtlich bis 2026 dauern, für Zypern bis 2029 und für Irland bis 2031; Spanien hat das 75-Prozent-Ziel schon Ende 2017 erreicht und unterliegt deshalb keinerlei Aufsicht mehr.

15)  Dieselbe Mahnung bekamen Tsipras und Tsakalotos von OECD-Chef Angel Gurria bei dessen Besuch in Athen zu hören (Kathimerini vom 30. April 2018). Die Empfehlungen der OECD an Griechenland finden sich im neuesten „OECD Economic Survey on Greece“  (http://www.oecd.org/eco/surveys/economic-survey-greece.htm).

16)  Centeno spricht in diesem Interview (Kathimerini vom 6. Mai 2018) nicht von einem „sauberen“ sondern von einem „erfolgreichen“ Abschluss des dritten griechischen Memorandums.

17)  Zitiert nach der englischen Kathimerini vom 27.April 2018 (http://www.ekathimerini.com/228101/article/ekathimerini/business/ecbs-coeure-the-stronger-greeces-post-program-arrangement-the-better).

18)  Tsakalotos antwortete in der FAZ (vom 15. Mai) auf die Frage nach einem „clean exit“: „Es hat keinen Sinn, über Begriffe zu diskutieren.“

19)  Als „investment grade“ gelten die Bewertungen BBB (Standard § Poor’s und Fitch) bzw. Baa2 (Moody’s). Siehe dazu die Analyse von Antonis Zairis in Kathimerini vom 6. Mai 2018.

20)  Dass die aufgenommenen Kreditsummen großenteils an Großbanken abflossen, die sich mit griechischen Staatspapieren verspekuliert hatten, ändert nichts an der Tatsache, dass Athen seine Bonds auf den Finanzmärkten nur zu exorbitanten Zinsen losgeworden wäre.

21)  Kathimerini vom 17. Februar und vom 13. Mai 2018 (http://www.ekathimerini.com/228613/article/ekathimerini/business/market-urges-caution-on-new-bond-issue). Ursprünglich wollte Athen bis zum Ende des Memorandums Bonds im Wert von insgesamt 9 Milliarden Euro absetzen. Vor der Februar-Emission hatte Griechenland im Juli 2017 bereits neue Bonds mit 5 Jahren Laufzeit im Wert von 3 Mrd. Euro auf den Markt gebracht.

22)  So Kallitsis in seiner Analyse: „Jenseits des Memorandums – eine schwierige Welt“ vom 15. April 2018.

23)  Siehe meinen Text vom 7. April 2017 „Kriegsgeheul in der Ägäis“ (https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100096).

24)  Kathimerini vom 17. Mai; auch die OECD und der IWF gehen von 2,0 Prozent aus, während die EU-Kommission mit 1,8 Prozent etwas pessimistischer ist.

25)  Siehe meine Analyse vom 18. Januar „Was kommt nach dem Memorandum?“ (https://monde-diplomatique.de/blog/was-kommt-nach-dem-memorandum).

26)  Kathimerini vom 17. Mai 2018, Tskalotos sprach gegenüber der EfSyn (vom 15. Mai) sogar von einem Zeitraum bis Ende 2020.

27)  So etwa Zoltan Darvas, Griechenland-Experte beim renommierten Brüsseler Thinktank Bruegel (http://bruegel.org/2018/03/greece-must-capitalise-on-its-growth-momentum/). Reserviert äußert sich zu dieser Frage die deutsche Bundesbank. Sie gibt zu bedenken: „Eine weitreichende Abschirmung vor Marktreaktionen nach Abschluss des Programms könnte das weitere Reformmomentum schwächen.“ Monatsbericht Mai 2018, S. 64. Eindeutig gegen eine PCL spricht sich EU-Finanzkommissar Moscovici aus.

28)  Die EZB hat gegenüber Griechenland auf die Bedingung solcher „handelsfähiger“ Sicherheiten verzichtet, würde diesen Verzicht (waiver) aber nach dem 20. August zurücknehmen.

29)  Drudi gegenüber der Wirtschaftszeitung Naftemboriki vom 14. Mai; siehe den Bericht in der englischen Kathimerini vom 14. Mai: http://www.ekathimerini.com/228621/article/ekathimerini/business/ecb-official-calls-for-precautionary-credit-line-with-strict-and-effective-conditions.

30)  Interview mit der FAZ vom 15. Mai; ebenso in einem Interview mit der EfSyn vom selben Tag. Diesem Argument von Tsakalotos haben allerdings auf Nachfrage der Kathimerini die Vertreter von vier Rating-Agenturen widersprochen. So erklärte die Repräsentantin von Goody’s, entscheidend für die Agenturen sei „eine verstärkte Aufsicht“ mit konkreten Auflagen und Bedingungen, die eine konsequente Reformpolitik gewährleisten. Deshalb würde eine PCL keineswegs negativ bewertet, sondern eher hilfreich sein (Kathimerini vom 16. Mai 2018).

31)  Die Formulierung ist  schwer übersetzbar : „The more front-loaded they can be, the more automatic and less conditional, the more they can contribute in a confidence-building exercise between Greece and capital markets.” (siehe Anmerkung 17)

32)  So Jorge Valero in dem Nachrichtenportal Euractiv: https://www.euractiv.com/section/economy-jobs/news/troika-calls-for-strong-debt-relief-for-greece/

33)  Siehe meine ausführliche Analyse auf diesem Blog vom 27. Februar 2017 und vom 22. Dezember 2016.

34)  Siehe: https://cepr.org/content/new-policy-insight-no-92-independent-report-greek-official-debt. Die Studien dieser Institutionen weisen insbesondere nach, dass die griechische Schuldenquote (relativ zum BIP) ohne weitere Entlastungen ab 2030 wieder steil ansteigen würde.

35)  New Policy Insight Nr.92 (Anm.34), S.2. Die Autoren weisen darauf hin, dass die dauerhaften Primärüberschüsse nicht nur eine „gesunde Volkswirtschaft“ voraussetzen, sondern auch einen „breiten gesellschaftlichen Konsens“ und eine Währung mit flexiblen Wechselkursen, die es im Fall Griechenland nicht gibt.

36)  So Zentralbankpräsident Stournaras in der englischen Kathimerini vom 22. Februar 2018 (http://www.ekathimerini.com/226070/opinion/ekathimerini/comment/the-future-of-the-greek-economy); eine konjunkturdämpfende Wirkung der hohen Primärüberschüsse wird auch von Syriza-Politikern eingeräumt, etwa vom Fraktionsvorsitzenden Nikos Xydakis gegenüber der EfSyn vom 12. Mai 2018.

37)  Wie weit die Sonderprogramme der beiden letzten Jahre dieses Ziel erreicht haben, ist eine andere Frage.

38)  Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Mai, S. 65 (https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2018/2018_05_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile)

39)  Die Washington-Gruppe besteht aus den Vertretern von EU, EZB, ESM und IMF (also dem Quartett) und den Finanzministern Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens.

40)  Centeno und Moscovici, aber auch die EZB, zeigen sich an einer weiteren Beteiligung des IWF sehr viel mehr interessiert als die deutsche Seite. Der IWF könnte allerdings ohnehin als „Beratungsinstanz“ für Griechenland an Bord bleiben.

41)  Siehe dazu meine Überlegungen auf diesem Blog vom 28. September 2016: https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100082.

42)  Die von MRB durchgeführte Umfrage mit dem Titel „Was glauben die Griechen?“ ist zu finden unter: https://www.dianeosis.org/2018/03/greek-beliefs-2018-graphics/.

Quelle: https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100126

Niels Kadritzke  11. Juni 2018
Rubrik: Griechenland, Türkei

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert