Ausgelöst durch Beethoven: die Kulturpolitik des rassistischen Ressentiments

Brenton Sanderson

Im Artikel kommen Kritiker zu Wort, die das Mononym Beethoven als rassistisch ansehen. Doch wie ist es mit Größen wie Einstein, Freud oder Marx, die auch mononymisch erwähnt werden?

 

• Triggered by Beethoven: the Cultural Politics of Racial Resentment
Veröffentlicht in The Unz Review am 31. Dezember 2020
Aus dem Englischen übersetzt von Emmanuel Sarides

 

2020 sollte ein Jahr der Feierlichkeiten für Beethoven werden, der vor 250 Jahren (sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt) am 17. Dezember 1770 in Bonn getauft wurde. COVID-19 veranlasste die Absage von Gedenkkonzerten mit Beethovens Musik, aber die Pandemie unterdrückte nicht die Bemühungen anti-weißer Aktivisten, den Ruf des Komponisten und seinen dominanten Platz im kulturellen Pantheon des Westens anzugreifen. Statt eines Jahres voller Aufführungen der Sonaten, Streichquartette, Konzerte und Symphonien des großen Komponisten sah das Jahr 2020 wiederholte Angriffe auf Beethoven wegen des Verbrechens, ein weißes männliches Genie zu sein und die europäische Musiktradition zu verkörpern.

Beethoven ist der meistgespielte Komponist im Repertoire, und sein Jubiläumsjahr sollte keine Ausnahme bilden. Vor der weit verbreiteten Absage von Konzerten waren 15 bis 20 Prozent des Repertoires, das von führenden Orchestern programmiert wurde, Musik von Beethoven. Weithin als der größte Komponist aller Zeiten angesehen, ist Beethoven unausweichlich, weil er fast jede Gattung der Konzertmusik, die von Bedeutung ist, neu erfunden hat. Das Konzert und die Symphonie wurden in seinen Händen zu treibenden musikalischen Erzählungen von heroischem Kampf. Seine späten Streichquartette öffnen ein tiefes Fenster in die Seele. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die Handwerker waren, die einem Zahlmeister eine Ware lieferten, läutete Beethoven das Zeitalter der Romantik ein, indem er auf seiner schöpferischen Unabhängigkeit und der absoluten Bedeutung des Selbstausdrucks beharrte: „Was in meinem Herzen ist, muss herauskommen, also schreibe ich es auf.“ Dies manifestierte sich in seiner Weigerung, eine sichere, besoldete Position anzunehmen, wie sein einstiger Lehrer Joseph Haydn, der Musikmeister bei einem feudalen Grundbesitzer im heutigen Ungarn war.

Beethovens Heldentat, das Schlimmste zu überwinden, was einem Komponisten passieren kann – eine sich verschlimmernde Taubheit ab dem jungen Erwachsenenalter -, um einige der großartigsten Musikstücke aller Zeiten zu komponieren, hat Generationen in Ehrfurcht versetzt und ist zum Sinnbild des Triumphs über das Unglück geworden. Alle Geschichten über Beethovens Misanthropie, seine Exzentrik und Wildheit, gehen auf den Verfall seines Gehörs zurück, der ihm oft akute körperliche Schmerzen bereitete. Nur seine Kunst hielt ihn davon ab, sich das Leben zu nehmen: „Es schien mir unmöglich, die Welt zu verlassen, bevor ich nicht alles hervorgebracht hatte, was ich in mir fühlte.“ Während Beethovens Selbstvertrauen als Pianist und Dirigent mit seiner schleichenden Taubheit allmählich abnahm, wurde seine Vorstellungskraft als Komponist immer stärker, und er warf einen beängstigenden Schatten auf seine Nachfolger: Brahms traute sich erst in seinen Vierzigern an eine Symphonie heran.

Beethoven übertraf sich in seinem Metier, weil er mit einer Gabe geboren wurde und so hart daran arbeitete, wie es nur möglich ist, zu arbeiten. Swafford merkt an, wie seine Skizzen und Manuskripte dies offenbaren:

Nichts fiel ihm leicht, schon gar nicht das Komponieren. Wo Mozart ein ganzes Stück im Kopf erträumen konnte, während er Billard spielte, musste Beethoven sich Gedanken machen und jede Note in seinen Skizzen an ihren Platz peitschen. Die Skizzenbücher sind erstaunliche Dokumente: Gold, das aus rohem Erz geläutert wird, langweilige Ideen, die zu revolutionären Konzepten werden, Inkohärenz, die zu Klarheit und Zielstrebigkeit geschmiedet wird. Selbst die endgültigen Manuskripte sind ein Morast aus Kritzeleien und Flecken und Überarbeitungen über Überarbeitungen.[1]

Beethovens faustischer Geist machte ihn zu der Art von Figur, die die Vorstellung der Europäer des 19. Jahrhunderts beherrschte: das übermenschliche Genie, der revolutionäre Held, der Herr seines eigenen Schicksals und Verwandler der Welt. Dieser Ruf setzte sich bis ins zwanzigste Jahrhundert fort, als der einflussreiche französische Schriftsteller Romain Rolland den Komponisten als Vorbild für ein weniger heroisches Zeitalter hochhielt, das persönliche Aufrichtigkeit und Selbstverleugnung – mit einem Wort: Authentizität – verkörperte.[2]

Angriffe auf Beethoven

Lobende Verweise auf Weiße männliche Genies wie Beethoven lösen unweigerlich Wut von anti-weißen Kommentatoren aus, die sich darüber aufregen, dass es „seit langem ein Argument von weißen Vorherrschern, Nazis, Neo-Nazis und Rassentrennern ist, dass ‚klassische Musik‘, die Musik der ‚Weißen‘, von Natur aus anspruchsvoller, komplizierter und wertvoller ist als die Musiktraditionen Afrikas, Asiens, Südamerikas oder des Nahen Ostens und damit die angeborene Überlegenheit der ‚weißen Rasse‘ beweist“. Durch die kulturmarxistische Linse der kritischen Rassen- und Gendertheorie betrachtet, dominiert Beethovens Musik das Konzertrepertoire nicht wegen ihrer außergewöhnlichen Qualität, sondern weil das Privileg der weißen Männer und die Annahmen über das weiße männliche Genie sie dort halten. Linda Shaver-Gleason bestand darauf, dass Beethovens dominanter Platz im Kanon das Ergebnis einer weißen suprematistischen Verschwörung sei, die die Musik nicht-weißer Komponisten „absichtlich unterdrückt“ habe, „im Dienste einer Erzählung von weißer – speziell deutscher – kultureller Vorherrschaft (denn leider ist auch das ein Teil der westlichen Kultur).“

Slate online tadelte kürzlich Beethoven für sein Mononym: die Tatsache, dass er unter einem einzigen Namen bekannt ist, wie Michelangelo oder Shakespeare. Diese Praxis verschafft angeblich „weißen Männern den Sockel der Nomenklatur auf Kosten aller anderen“. Weiße männliche Komponisten, so wird behauptet, „wurden so im kollektiven Bewusstsein der elitären Musikgesellschaft verankert, dass nur ein Wort nötig war, um ihr ehrfurchtgebietendes Gespenst zu beschwören. Vollmundige Namen wurden auf knappe Sätze von allgemein anerkannten Silben reduziert: Mozart. Beethoven. Bach.“ Die Werke von Komponisten mit Mononymen werden daher als „auf einer anderen Ebene“ stehend angenommen, während diese Annahme, wie uns gesagt wird, in Wirklichkeit das Produkt von „Jahrhunderten systematischer Vorurteile, Ausgrenzung, Sexismus und Rassismus“ ist.

In einem kürzlich erschienenen Vox-Podcast und -Artikel behaupten der Musikwissenschaftler Nate Sloan und der Songwriter Charlie Harding, dass die Anfangstakte von Beethovens Fünfter Symphonie (das berühmte da-da-da-DUM-Motiv) nicht in ihrer traditionellen Interpretation – dem Klang des an die Tür klopfenden Schicksals und Beethovens Widerstandskraft angesichts der eintretenden Taubheit – zu verstehen sind, sondern als der Klang des Tores, das sich für Minderheiten wie „Frauen, LGBTQ+-Menschen, People of Color“ schließt, interpretiert werden sollte. Sie behaupten (ohne Beweise), dass „wohlhabende weiße Männer“ die Fünfte Symphonie als „Symbol ihrer Überlegenheit und Wichtigkeit“ annahmen. Der schwarze Klarinettist Anthony McGill stimmt dem zu und vergleicht die Unausweichlichkeit der Fünften Symphonie mit einer „Mauer“ zwischen klassischer Musik und einem neuen, rassisch gemischten Publikum.

Der jüdische Musikschriftsteller Norman Lebrecht verteidigte Beethoven gegen Sloans und Hardings Polemik, indem er sich auf Beethovens „liberale“ Referenzen berief und z.B. behauptete, dass sie „nicht untersuchen, wie Beethovens Fünfte für Millionen als Symbol der Freiheit im Krieg gegen den Nationalsozialismus diente.“ Unerwähnt lässt Lebrecht die Tatsache, dass sich der Komponist trotz seiner für die damalige Zeit liberalen Politik (er hatte republikanische Sympathien) wiederholt kritisch über Lebrechts eigene Ethnie geäußert hat. Bei einer Gelegenheit lehnte er die Idee ab, seine Missa Solemnis an den jüdischen Musikverleger Adolf Schlesinger zugunsten des deutschen Verlegers C.F. Peters zu verkaufen, indem er diesem mitteilte „Schlesinger wird unter keinen Umständen mehr etwas von mir bekommen, denn auch er hat mir einen jüdischen Streich gespielt.“ Beethovens Abscheu gegenüber Schlesinger wurde durch wiederholte Erfahrungen ausgelöst, mit „einer so beleidigenden Geizigkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe“[3] In einem Brief von 1823 nannte Beethoven Schlesinger „einen Strandhausierer und Lumpenjuden“. In seinen Verhandlungen mit einem anderen Verleger bemerkte Beethoven, dass der Verleger „weder Jude noch Italiener“ sei und dass, da er selbst auch keines von beiden sei, „wir vielleicht zu einer Einigung kommen werden.“[4]

Sloan und Harding argumentieren, dass die thematische Komplexität der Fünften Sinfonie ein nie dagewesenes genaues Hinhören erforderte, um sie vollständig zu erfassen, was wiederum zur Etablierung neuer Normen für das Verhalten im Konzert führte. Diese Normen – still zu sitzen, ruhig zu bleiben und nicht mitten im Stück zu klatschen – führten zu der strengen Kultur der klassischen Musik, die bis heute anhält, und die angeblich Nicht-Weiße unterdrückt, von denen man nicht erwarten kann, dass sie sich an solche Verhaltensstandards halten. Sloan und Harding beklagen, dass klassische Konzerte die einzige verbliebene amerikanische Institution sind, die typischerweise darauf besteht, pünktlich zu beginnen. Anstatt ein Zeichen des Respekts für alle Beteiligten zu sein, seien diese Verhaltens- und Verfahrensnormen Symbole weißer Vorherrschaft, die ein „vielfältiges Publikum“ entfremden, und ihre Ursprünge ließen sich bis zu Beethoven zurückverfolgen.

Der jüdische Musikschriftsteller für The New Yorker, Alex Ross, bezeichnete die für 2020 geplanten Beethoven-Feierlichkeiten als „eine grundlos exzessive Feier des zweihundertfünfzigsten Geburtstags eines Komponisten, der kaum zusätzliche Publicity braucht.“ Er besteht darauf, dass im Zuge der Black-Lives-Matter-Unruhen eine Untersuchung der Beziehung zwischen klassischer Musik, die er als „blendend weiß, sowohl in ihrer Geschichte als auch in ihrer Gegenwart“ bezeichnet, und Rassismus „dringend notwendig“ sei, da das Genre „extrem abhängig von einer problematischen Vergangenheit“ sei. Ross behauptet, dass, als die klassische Musiktradition in die Vereinigten Staaten verpflanzt wurde, die „weiße Mehrheit dazu neigte, die europäische Musik als Abzeichen ihrer Vorherrschaft zu übernehmen. Die Institutionen der klassischen Musik, die in der Mitte und am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden – die New Yorker Philharmoniker, die Boston Symphony, die Metropolitan Opera und dergleichen – wurden zu Tempeln für europäische Götter. … Man gab sich wenig Mühe, amerikanische Komponisten zu kultivieren; es schien wichtiger zu sein, eine Fantasie von Beethovenscher Größe zu erzeugen.“

Für Ross kann die klassische Musik nur „die Schatten ihrer Vergangenheit überwinden“, wenn sie sich zu einer „viel radikaleren Konfrontation mit dem weißen europäischen Erbe“ verpflichtet und mehr nicht-weiße Komponisten wie Julius Eastman programmiert – einen schwarzen Komponisten, dessen „improvisatorische Strukturen, seine subversiven politischen Themen und seine Offenheit über seine Homosexualität ihm einen revolutionären Aspekt verleihen, aber er hatte auch ein nostalgisches Gespür für die große romantische Manier.'“

An vorderster Front der Angriffe auf Beethoven im Jahr 2020 stand der schwarze Musikschriftsteller und Akademiker am Hunter College Philip Ewell, der einen Artikel mit dem Titel „Beethoven was an Above-Average Composer – Let’s Leave it at That“ verfasste. Ewell missbilligt die lobenden Epitheta, die routinemäßig auf weiße Komponisten wie Beethoven und ihre Werke angewendet werden. Für Ewell erinnern Adjektive wie „Genie“ und „Meisterwerk“ an Sklaverei (Meister-Sklave) und Sexismus (Meisterin), und das Lexikon der klassischen Musik ist nach seiner Einschätzung überfüllt mit Euphemismen, die den „weiß-männlichen Rahmen“ verschleiern und verstärken.

Zusätzlich zu „Meister“ und seinen Derivaten sind hier einige der anderen gebräuchlichen Euphemismen für Weiß und Weißsein im weißen rassischen Rahmen der Musiktheorie: authentisch, kanonisch, zivilisiert, klassisch(e), konventionell, Kern („Kern“-Anforderung), europäisch, Funktion („funktionale“ Tonalität), fundamental, genial, deutsch („deutsche“ Sprachanforderung), großartig („große“ Werke), maestro, opus (magnum „opus“), piano („Klavier“-Befähigung, Fähigkeiten), zukunftsträchtig, anspruchsvoll, titan(ic), überragend, traditionell und westlich. Selbst Begriffe wie „das lange neunzehnte Jahrhundert“ und „fin de siècle“ können aufgrund ihrer engen Assoziationen mit für Europa und den Europäismus bedeutsamen Daten und Ereignissen (und Sprachen) als Euphemismen für Weißsein und weiße Rahmung betrachtet werden. Solche Euphemismen sollen das Weißsein in weniger anstößige Formen sublimieren und so die Wirkung des Weißseins auf die Musiktheorie abmildern und seine Existenz verbergen.

Anstatt einen verdienten Ruf für die Brillanz und Originalität seines Werks zu genießen, besteht Ewell darauf, dass Beethovens Ruhm durch solche lexikalischen Gerüste aufrechterhalten wurde. Er behauptet, dass Beethoven, „zusammen mit zahllosen anderen weißen Männern, vom weißen männlichen Rahmen gestützt wurde, sowohl bewusst als auch unbewusst, mit Deskriptoren wie Genie, Meister und Meisterwerk“. In Ewells ätzender Einschätzung ist Beethovens Neunte Symphonie „ebenso wenig ein Meisterwerk“ wie Esperanza Spaldings 12 Little Spells (klicken Sie auf die Links und urteilen Sie selbst). Der Status von Beethovens Neunter sei lediglich ein Produkt des „weiß-männlichen Rahmens“ der Musiktheorie, der „Rasse und Geschlecht vernebelt“.

Ewells Angriff auf Beethoven ist ein Teil dieser breiteren Feindseligkeit gegenüber dem „weißen rassischen Rahmen“ der klassischen Musik, der, wie er betont, die Hierarchie der weißen männlichen Komponisten verstärkt und „im Konzert mit patriarchalen Strukturen arbeitet, um Weißsein und Männlichkeit zu begünstigen, während POC und Nicht-Männer benachteiligt werden.“ Dieser Rahmen umfasst angeblich die westliche Tonalität selbst (mit ihrer Dur-Moll-Harmonie und ihrer gleichschwebenden Tonleiter), die als die „Meistersprache“ angenommen wird. Ewell betrachtet den gregorianischen Kalender sogar als „weißes rassisches Framing im großen Stil“ und besteht darauf, dass „niemand das rassische Element dahinter leugnen kann, wie die Welt jetzt die lineare und zyklische Natur der Zeit versteht.“

Phillip Ewell Phillip Ewell

In einem Artikel für die Zeitschrift Music Theory Online mit dem Titel „Music Theory and the White Racial Frame“ (Musiktheorie und der weiße rassische Rahmen) argumentiert Ewell, dass „die Musiktheorie weiß ist“ und die Disziplin von einer tief sitzenden Ideologie der weißen Vorherrschaft getragen wird, die darauf abzielt, schwarze und braune (aber seltsamerweise nicht ostasiatische) Errungenschaften in der klassischen Musik zu vereiteln. Das Hauptziel von Ewells Kritik ist der Musiktheoretiker Heinrich Schenker (1868-1935) aus dem frühen 20. Jahrhundert, der die Unterteilung musikalischer Strukturen in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund einführte, um die tonalen Formeln herauszuarbeiten, die großen Sätzen zugrunde liegen. In Anlehnung an poststrukturalistische Kritiken an der westlichen Zivilisation behauptet Ewell, dass diese Art von Partitur-gesteuerter Analyse musikalischer Werke als Teil der westlichen Musikwissenschaft (was er als „Drang zur Verwissenschaftlichung der Musikanalyse“ bezeichnet) einen Versuch darstellt, „das Weißsein im weißen Rahmen der Musiktheorie zu stützen“ und „das Weißsein vor möglicher Kritik zu isolieren“. Indem er Schenker (der österreichischer Jude war) angriff, verirrte sich Ewell versehentlich in verbotene Forschungsbereiche und sah sich unerwartet heftigen Reaktionen und Anschuldigungen des „schwarzen Antisemitismus“ ausgesetzt.

Ewells „weißer Rassenrahmen“ erstreckt sich angeblich auch auf die musikalische Ausbildung, wo in den am häufigsten verwendeten Theorie-Lehrbüchern in den Vereinigten Staaten nur 1,63% der Musikbeispiele von nicht-weißen Komponisten stammen. Dies ist auch für Linda Shaver-Gleason problematisch, weil das Studium eines bestimmten Stücks „seinen kanonischen Status bekräftigt; es in einem Lehrbuch zu verankern, bedeutet, es für würdig zu halten, studiert zu werden.“ Die ständige Bezugnahme auf weiße Komponisten „verstärkt die Idee, dass sie diejenigen sind, die den meisten Respekt verdienen, als ob man sagen wollte: ‚Bewundere die vielen Techniken, die Mozart so perfekt eingesetzt hat!'“ Ethan Hein, ein (vermutlich jüdischer) Doktorand der Musikpädagogik an der NYU, beklagt ebenfalls die Sturheit von Musiklehrern, die „europäischstämmige“ klassische Musik gegenüber der „aus den Volkstraditionen der afrikanischen Diaspora stammenden Musik“ zu unterrichten. Die Orientierung der Musikausbildung an der europäischen klassischen Tradition, einer „impliziten Rassenideologie“, ist, so erklärt er, „heimtückisch“ in ihrer „Affirmation des Weißseins“.

Im Jahr 2020 reagierte die Hochschulmusikpädagogik auf Black Lives Matter, indem sie „dramatisch überdachte, welche Komponisten und musikalischen Traditionen wir im Klassenzimmer besprechen und welche nicht“. Ähnliche Dynamiken waren in anderen Musikinstitutionen am Werk. Die Metropolitan Opera kündigte nach der Absage ihrer Spielzeit 2020-21 an, dass sie ihre nächste Saison mit dem schwarzen Komponisten Terence Blanchard’s Fire Shut Up in My Bones beginnen würde, der ersten Oper eines schwarzen Komponisten auf der Bühne der Met. Für den Slate-Journalisten Chris White haben Musiker, Akademiker und Lehrer trotz solcher Gesten noch „eine Menge Arbeit vor sich, um sich mit der rassistischen und sexistischen Geschichte der klassischen Musik auseinanderzusetzen.“

Der weiße rassistische Rahmen der Musiktheorie wird laut Ewell auch durch die „Zitierkette“ aufrechterhalten, in der weiße Männer andere weiße Männer in der musikwissenschaftlichen Literatur zitieren. Er will diese Kette durchbrechen, „in der Weißsein Weißsein und Männlichkeit Männlichkeit zeugt“. Unterdessen sind Ewells eigene, völlig konventionelle und etablierte Überzeugungen das unreflektierte Produkt seiner Auseinandersetzung mit einer Gruppe vorwiegend jüdischer kritischer Rassen- und Gendertheoretiker: Er hat den Begriff „white racial frame“ vom Harvard-Soziologieprofessor Joe Feagin entlehnt. Indem er argumentiert, dass die gesamte westliche Kunstmusiktradition von Natur aus weiß-vorherrschaftlich ist, plädiert Ewell dafür, „die bestehende Struktur zu stürzen und eine neue zu errichten, die nicht-weiße Musik a priori aufnehmen würde [bevor man sie hört??] – kein Streben nach ‚Inklusion‘ nötig, weil nicht-weiße Komponisten bereits da wären.“

Beethoven und die „Neue Musikwissenschaft“

Ewell posiert als Außenseiter, der mutig die finsteren, in der westlichen Musikwissenschaft verankerten Normen herausfordert, während seine Perspektive in Wirklichkeit seit dem Aufkommen der „Neuen Musikwissenschaft“ in den späten 1980er Jahren – als die Kulturmarxisten die Disziplin in erheblichem Maße überrannten – völlig konventionell ist. Die Musikwissenschaft war eine der letzten Grenzen für den Poststrukturalismus und die Kritische Theorie, die bereits in den frühen 1980er Jahren die meisten Geistes- und Sozialwissenschaften befallen hatten. Begründet wurde die Neue Musikwissenschaft von dem jüdisch-amerikanischen Kritiker und Musikwissenschaftler Joseph Kerman (geb. Zukerman), dessen journalistischer Vater William Zukerman (1885-1961) eine prominente Figur in den jüdischen Medien war und 1937 das Buch The Jew in Revolt: The Modern Jew in the World Crisis.

Eine Schlüsselfigur im Aufstieg der „Neuen Musikwissenschaft“ war Susan McClary, deren 1991 erschienenes Buch Feminine Endings: Music, Gender and Sexuality als wegweisender Text für die Bewegung gilt. McClary erlangte Ruhm und Bekanntheit für ihre feministische „Analyse“ des ersten Satzes von Beethovens Neunter Symphonie, in der sie behauptete: „Der Punkt der Reprise im ersten Satz der Neunten ist einer der schrecklichsten in der Musik, da die sorgfältig vorbereitete Kadenz vereitelt wird und sich Energie staut, die schließlich in der drosselnden mörderischen Wut eines Vergewaltigers explodiert, der nicht in der Lage ist, Befreiung zu erlangen.“ Diese lächerliche Aussage war eine Ausarbeitung ihrer Überzeugung, dass die westliche musikalische Konvention der Sonatenform inhärent sexistisch, frauenfeindlich und imperialistisch ist: dass „die Tonalität selbst – mit ihrem Prozess des Einflößens von Erwartungen und des anschließenden Zurückhaltens der versprochenen Erfüllung bis zum Höhepunkt – das wichtigste musikalische Mittel in der Zeit von 1600 bis 1900 ist, um Begehren zu wecken und zu kanalisieren.“ Die primäre „männliche“ Tonart (oder erste Themengruppe) soll das männliche Selbst repräsentieren, und die sekundäre „weibliche“ Tonart (oder zweite Themengruppe) repräsentiert das „Andere“, ein Territorium, das es zu erforschen und zu erobern gilt, das in das Selbst assimiliert und in der tonalen Grundtonart angegeben wird.

Praktisch alle kulturmarxistischen Kritiken der westlichen klassischen Musik greifen auf diese Art von völlig spekulativen Metaphern zurück. Während sie vorgibt, zusätzliche Einsichten in die Musik zu bieten, zwingt die Neue Musikwissenschaft ihrem Gegenstand systematisch eine anti-weiße männliche Ideologie auf und verwirft in diesem Bestreben fröhlich alle Standards der Beweisführung und Evidenz. Die Einbildung, dass die Disziplin vor dem Aufkommen der Neuen Musikwissenschaft auf die starren Grenzen des Empirismus und Positivismus beschränkt war, ist falsch; das Bewusstsein für den Kontext und die Rezeption von Musik war immer ein Kernthema der Musikwissenschaft. Es gab aber auch einen Glauben an rein musikalische Elemente und an den Wert, sie zu studieren. Das Problem mit solch „objektiver“ technischer Analyse ist für Leute wie McClary und Ewell, dass sie unweigerlich zu „White supremacist“-Schlussfolgerungen über die relative Qualität verschiedener musikalischer Traditionen führt. Die „problematische Dimension“ der Analyse von „Musik als einfacher Musik“, bemerkt McClary, bestehe darin, dass die Menschen unweigerlich auf die westliche klassische Musik „als Beweis für die Überlegenheit der Europäer und der Menschen europäischer Abstammung hinweisen, was den Rest der Welt und auch Minderheitengruppen in den USA an den Rand drängt.“

Beethoven als Schwarzer konstruiert

Die Hauptalternative zur kulturmarxistischen Dekonstruktion (und der vorgeschlagenen antiweißen Rekonstruktion) des westlichen Musikkanons sind Versuche von Schwarzen, sich Beethoven anzueignen. In Anbetracht von Beethovens Status als archetypisches Musikgenie ist es nicht verwunderlich, dass verärgerte Schwarze seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert versucht haben, den Mythos zu verbreiten, Beethoven sei afrikanischer Abstammung gewesen. Die Grundlage für diese völlig falsche Behauptung war der leicht erdige Teint des Komponisten und die Tatsache, dass ein Teil seiner Familie ihre Wurzeln nach Flandern zurückverfolgte, das eine Zeit lang unter spanischer monarchischer Herrschaft stand. Da Spanien über die Mauren eine langjährige historische Verbindung zu Nordafrika hatte, sickerte angeblich ein gewisser Grad an Schwarzsein auf den großen Komponisten durch – und das, obwohl die Mauren als ethnische Gruppe nicht einmal schwarz waren.

Der Mythos wurde vom jamaikanischen „Historiker“ Joel Augustus Rogers (1880–1966) in Werken wie Sex and Race (1941–44), dem zweibändigen World’s Great Men of Colour (1946–47), 100 Amazing Facts About the, Negro (1934), Five Negro Presidents (1965) und Nature Knows No Color Line (1952) eifrig verbreitet. Rogers, dessen intellektuelle Strenge im Grunde nicht existierte, behauptete, Beethoven sei – neben Thomas Jefferson, Johann Wolfgang von Goethe, Robert Browning und mehreren Päpsten – genealogisch afrikanisch und damit schwarz. Obwohl der Mythos gründlich entlarvt wurde, bleibt er in der zeitgenössischen Kultur bestehen: 2007 veröffentlichte Nadine Gordimer eine Kurzgeschichtensammlung mit dem Titel Beethoven Was One-Sixteenth Black: And Other Stories . Die Entschlossenheit, Beethoven Black entgegen allen verfügbaren Beweisen zu machen, ist natürlich ein verzweifelter Versuch, den Komponisten und sein Werk zu einem herrlichen Symbol der schwarzen Leistung zu machen.

A pearl of wisdom from Jamaican historian Joel Augustus Rogers (1880–1966)A pearl of wisdom from Jamaican historian Joel Augustus Rogers (1880–1966)

Ansonsten haben wohlwollende Kommentatoren davor gewarnt, dass solche Bemühungen selbstzerstörerisch sind und lediglich dazu dienen, den westlichen Kanon als grundlegend und alle anderen Stile als Abweichungen von dieser Norm zu behandeln und so „die Vorstellung von klassischer Musik als universellem Standard und etwas, das jeder zu schätzen wissen sollte“ zu verstärken. Der Versuch, Beethoven zum Schwarzen zu machen und verzweifelt die historischen Aufzeichnungen nach Beispielen von Nicht-Weißen zu durchforsten, die Symphonien geschrieben haben, bedeutet, „eine weiß-zentrierte Perspektive zu akzeptieren, die Symphonien als die ultimative menschliche Errungenschaft in den Künsten präsentiert.“

Zu denjenigen, die routinemäßig von denen zitiert werden, die verzweifelt versuchen, die rassische Vielfalt der westlichen Kunstmusiktradition zu beweisen, gehören die gemischtrassigen Komponisten Chevalier de Saint George, Samuel Coleridge-Taylor und George Bridgetower. An diese Figuren erinnert man sich nur, weil sie nicht-weiß waren, nicht wegen der Exzellenz ihrer Kompositionen. Beethoven kannte Bridgetower persönlich, einen begabten Geiger, dessen Vater von den Westindischen Inseln stammte. In der Tat war Bridgetower die ursprüngliche Widmungsträgerin einer von Beethovens berühmtesten Violinsonaten. Beethoven nannte sie nach Bridgetower die „Mulatto-Sonate“ (bevor das Wort einen eher abwertenden Sinn annahm), und die beiden führten sie zum ersten Mal auf, zerstritten sich aber bald darauf, woraufhin Beethoven das Stück für einen anderen Geiger, Rudolphe Kreutzer, umbenannte.

Fazit

Klassische Musik ist, wie andere Aspekte der westlichen Kultur, ein Opfer des antiweißen Diversitätswahns geworden, der jetzt das westliche Geistesleben heimsucht. Die kulturmarxistische Kritik an klassischer Musik (und an Beethoven) schwelgt in bösgläubigen Argumenten und kognitiver Dissonanz: Westliche klassische Musik ist nichts Außergewöhnliches, kann aber nicht angeführt werden, um Weiße zu loben, weil dies notwendigerweise die Minderwertigkeit anderer Rassen impliziert; eine Verschwörung der Weißen Vorherrschaft vereitelt schwarze und braune Errungenschaften in diesem Genre, scheitert aber völlig daran, ostasiatisches Interesse und Erfolg zu verhindern; Schwarze Komponisten haben Symphonien geschrieben (und in der Tat war Beethoven selbst schwarz), dennoch ist die westliche klassische Musiktradition inhärent weiß-vorherrschaftlich und braucht eine radikale Dekonstruktion.

Letztlich ist der Grund, warum der Kanon der klassischen Musik (und Beethovens Status als Titan der europäischen Zivilisation) von anti-weißen Aktivisten so heftig angefeindet wird, der, dass die Kluft in der zivilisatorischen Errungenschaft, die er unterstreicht, ein peinlicher Affront gegen herrschende egalitäre Annahmen ist. Die westliche Kunstmusik (mit Beethoven als ihrem führenden Vertreter) steht als ein eklatantes Zeugnis für die Vorrangstellung der europäischen Hochkultur und implizit auch der dafür verantwortlichen Rasse. Die Angriffe auf Beethoven im Jahr 2020 sind ein weiteres Beispiel für die Kriegsführung gegen Weiße durch die Konstruktion von Kultur.

 is the author of Battle Lines: Essays on Western Culture, Jewish Influence, and Anti-Semitism, available here and here.

Notes

[1] Jan Swafford, The Vintage Guide to Classical Music: An Indispensable Guide for Understanding and Enjoying Classical Music (Knopf, 1993), 184-85.

[2] Romain Rolland, Beethoven the Creator (Rolland Press, 2008)

[3] Jan Swafford, Beethoven: Anguish and Triumph (Faber, 2015), 760.

[4] Lewis Lockwood, Beethoven: The music and the Life (Norton, 2005), 533.

Brenton Sanderson  2. Januar 2021
Rubrik: Kultur, Musik, Bühne, Sport

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